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Gray Matter

Jensen. Im Guten wie im Schlechten.

Nicht ganz unpassend, verhält sich der Ablauf der Handlung praktisch wie ein hochgezüchtetes Kammerspiel. Eines, in dem die Autorin höchsten Wert auf die Entwicklung der Geschichte, die Figuren selbst und ihrer Dialoge legt. Jensen blieb Jensen. Im Guten wie im Schlechten. Das Gute könnte jedoch erneut reichen, damit dieses Spiel auch nach Jahren noch gerne zurück ins Gedächtnis gerufen wird. Hier sitzt jede Zeile, jeder Dialog wirkt solide ausgearbeitet und verzichtet dabei auf den mitunter arg an den Haaren herbeigezogenen Humor und die grenzpeinlichen Anspielungen anderer Vertreter. Das hat diese Story nicht nötig und sie schafft es, ein ehrliches Interesse an ihrem Weitergang aufzubauen und bis zum Schluss zu halten. Keine kleine Leistung für ein Spiel, an dem selbst Profis kaum weniger als 15 Stunden knobeln werden.

Zumindest gilt das für alles, was dem recht holprigen Start folgt. Man hatte es wohl ein wenig zu eilig, die Konstellation für das folgende Geschehen zusammenzutreiben. Ist dies geschafft, entfaltet sich eine Geschichte, die mit den großen Themen um Tod, Leben, Wirklichkeit, Verlust und Verlangen nicht knausert und es den Figuren erlaubt, sich wundervoll zu entfalten. Gut, dass diese von der Konzeption dazu einladen. Eine impulsive, gestrandete Straßenmagierin als starke weibliche Hauptrolle und ein genialer, hochunkonventioneller, nur halt nicht ganz im Diesseits denkender und vor allem in einigen Kapiteln spielbarer junger Professor als Gegenpart bilden den Kern eines durchdachten Ensembles, in dem es keine schlechten Schauspieler, sondern nur ein paar nicht ganz so tolle Rollen gab. Aber da diese eh nicht groß den Protagonisten in die Quere kommen, kann man sie links liegen und sich ganz in die halb-mystische Zwielichtwelt, die das reale Oxford-Setting durchdringt, entführen lassen.

Stellenweise spielt ihr Professor Styles.

Brüche bei der Ausarbeitung der Figuren an sich sucht man meist vergeblich, solche mit der visuellen Umsetzung muss man dagegen schon aktiv geistig ausblenden, will man nicht ständig daran erinnert werden. Holprige Animation, tote Gesichtszüge, minimalistische Objekte und Porträts, die scheinbar kaum Feinschliff erfuhren, sollten so in 2010 bei einer professionellen Produktion nicht mehr vorkommen. Hölzern trifft es wohl am besten, denn die Konzepte und das Design als solche sind stimmig, nur bei der Erweckung zum Leben war wohl eher Frankenstein als ein höheres Wesen am Werke.

Die Steuerung gibt sich am PC weitestgehend unspektakulär. Point & Klick, wie man es kennt, und nur die Inventarverwaltung hätte aufgeräumter sein sollen, da doch so einiges an Items zusammenkommt. Eine Besonderheit stellt jedoch die Umsetzung für die Xbox 360 dar. Zum einen, weil es kaum ein klassisches Adventure für diese Konsole gibt – im Vollpreisbereich ist es glaube ich sogar das Einzige –, zum anderen, weil es richtig gut umgesetzt wurde. Mit dem Cursor über den Screen zu fahren, wäre zu nervig. Also erscheint bei gedrücktem Trigger ein Rad mit dem sich recht elegant alle Möglichkeiten in dem Bereich ansteuern lassen. Nur selten hakt es dann doch mal. Meist wenn zwei Dinge sehr dicht beieinanderliegen, gelegentlich aber auch, wenn es sehr viele Objekte gibt. Dann wird ein wichtiger Punkt schon mal nicht angezeigt, weil man ein wenig zu weit davon entfernt steht.

Auf der Karte seht ihr nicht nur die Orte, sondern auch Hinweise, wo es noch etwas zu tun gibt.

Diese kleinen Aussetzer lassen sich jedoch vernachlässigen, zumal mit Komfort sonst nicht gegeizt wurde. Lange Wege zum Wechseln bei Räumen werden übersprungen, Hotspots lassen sich dauerhaft ein- und ausblenden und wer nicht die Geduld hat, darf die meisten Dialoge und Zwischensequenzen abbrechen. Im Zweifelsfalle würde ich am Ende immer noch zur PC-Version greifen, jedoch werden reine 360-Spieler nur minimal unkomfortabler bedient und bei einer reinen Pad-Steuerung ist das bei einem Adventure eine durchaus beachtliche Leistung.

Dem Soundtrack widme ich hier mal einen kleinen Extra-Absatz. Dies ist der erste Soundtrack von Robert Holmes seit Gabriel Knight 3 und zwischen da und jetzt liegen durchaus ein paar Jahre. Ich weiß nicht, was der Mann in der Zwischenzeit so trieb, aber das Komponieren hat er nicht verlernt. Sei es einzelne Szenen zu pointieren, die ruhige, mystisch, unterschwellig bedrohliche Stimmung herauszuarbeiten oder ein paar wirkliche schöne Themen abzuliefern, Holmes entpuppt sich wie vor vielen Jahren als echtes Talent, bei dem man sich fragt, warum er nur die Games seiner Frau vertont. Irgendjemand muss dem Mann Arbeit verschaffen. Solche Soundtracks braucht die Welt und offenbar kann Holmes sie liefern.

Links die Theorie eines Zaubertricks, rechts die praktische Ausführung.

So, Willkommen in der Wertungshölle. Eine einzelne Zahl soll einem extrem zwiespältigen Spiel gerecht werden. Ein Spiel, das auf der einen Seite mit genau den Werten glänzt, die ich sehr hoch halte. Story, Charaktere, Dialoge, Setting, all das bekommt Gray Matter beinahe ohne große Aussetzer perfekt hin. Auf der anderen Seite haben wir eine recht altbackene Technik und einen sehr Trigger-abhängigen Spielablauf mit gelegentlichen Hängern. Nur fügen sich halt die Rätsel im Gros dann doch gut in den Aufbau ein und für den Start machen die Zaubertricks richtig Laune. Später dann aber nicht mehr so sehr, dafür wird das Zusammenspiel der Figuren mit dem Fortschreiten der Story immer besser und intensiver, genau wie der sowieso schon nicht schlecht startende Soundtrack. Ich entscheide mich, positiv an die Sache heranzugehen. Frau Jensen war offenbar nicht darauf aus, das Adventure, wie wir es kennen, zu revolutionieren und zeigt stellenweise geradezu reaktionäres Design. Jedoch macht ein Spiel, dem ich diese Aussetzer über 20 Stunden lang verzeihen kann und mich bis zum Ende fesselt, zu viel richtig, als dass ich jetzt hart mit ihm ins Gericht gehen müsste. Erfahrene Adventure-Spieler kennen diese zu umschiffenden Klippen schon zur Genüge aus anderen Spielen und haben vor langer Zeit damit leben gelernt.

Wer in das Genre hineinschnuppern möchte, erfährt in bester Weise, warum Adventures bis heute zu den besten und wichtigsten Geschichtenerzählern unter den Spielen gehören und wie sehr ihre Rätsel fordern und gleichzeitig unterhalten können. Da kann man die kleine Randlektion, woran so ein Adventure gelegentlich krankt, auch schon mal verschmerzen. Augen zu und durch. Gray Matter ist es wert.

Gray Matter ist bereits für PC und Xbox 360 erhältlich.

8 / 10

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In diesem artikel

Gray Matter

Xbox 360, PC

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Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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