El Shaddai: Ascension of the Metatron

Soll Enoch seine Gegner angreifen, dann genügt dafür ein einziger Knopf. Die Art eurer Attacken wird durch Position, Timing und auch gelegentlich mal längeres Halten jenes Buttons bestimmt. Außerdem kann Enoch blocken, ausweichen, springen und Gegnern ihre Waffen entreißen. Auch hier hält sich das Spiel in Sachen Auswahl vornehm zurück, mit den drei verschiedenen Werkzeugen werden aber alle Aspekte abgedeckt. Eine ist auf Distanz nützlich, eine andere unterstützt defensives Spiel. Der erfahrene Devil-May-Cry- oder God-of-War-Spieler mag darüber nun grinsen, Fakt ist aber, dass El Shaddai spielerisch funktioniert und die bewusste Zurückhaltung dem Spiel sogar zum Vorteil gereicht.

Dadurch, dass ihr keine endlosen Kombolisten lernen und Knopf-Kombinationen verinnerlichen müsst, kommt ihr viel schneller in einen spielerischen Flow. Dieser lässt die eigentlich so disparaten Einzelelemente zu einem faszinierenden, harmonischen Ganzen verschmelzen und gibt euch auch den nötigen Raum, all das, was da auf dem Bildschirm passiert, tatsächlich wahrzunehmen und zu verarbeiten.

Da sind Motive aus dem apokryphischen Enoch-Text des Alten Testaments, archaisch anmutende Kunst, psychedelische Szenarien, ein Held in blauer Jeans, gepanzerte Gegner und Lucifer, der im Anzug herumsteht und permanent per Handy mit Gott persönlich über euren Fortschritt spricht. Das hätte alles mit Leichtigkeit albern oder prätentiös wirken können. Doch El Shaddai wirkt so rund und überzeugend, dass man sich einfach auf all das einlässt, was da auf dem Bildschirm passiert.

Trotzdem ist El Shaddai spielerisch nicht ohne Makel. Die einfache Steuerung und den bewussten Verzicht auf jegliche Art von HUD halte ich für eine sehr sinnvolle Entscheidung, aber teilweise ist das Spiel dann doch etwas zu undurchsichtig. Manche Bosskämpfe verliert ihr und es geht trotzdem weiter, andere müsst ihr dagegen doch gewinnen - irgendwie fühlt sich das leicht willkürlich an. Ebenso werden manche Systeme so wirklich gar nicht erklärt.

Warum sammelt Enoch diese roten Sphären ein, die manche Gegner hinterlassen? Und so stilvoll die Grafik ist, manchmal hapert es etwas mit der Übersicht. Manch einen Sprung müsst ihr komplett ohne Bezugspunkte meistern. Das kann schon mal nerven, wenn ihr die gewünschte Plattform partout nicht erreicht. Zum Glück geizt das Spiel nicht mit Rücksetzpunkten. Allzu schwer wiegen diese Fehler am Ende aber nicht.

Ihr habt es sicher schon herauslesen können. El Shaddai ist ein Spiel, das mich fast rundum begeistert hat. Natürlich gibt es Komplexeres als Enochs etwa achtstündiges Abenteuer und um die Handlung wirklich zu verstehen, muss man gerade anfangs teilweise schon stark zwischen den Zeilen lesen - beides Faktoren, die eher konservativ eingestellten Spielern stark gegen den Strich gehen könnten. Aber muss ein Spiel denn immer den etablierten Regeln folgen? Ist es nicht oft viel spannender, bewusst mit eigentlich als selbstverständlich angesehenen Konventionen zu brechen? Spielerisch, grafisch und inhaltlich? Das mag nicht immer gut gehen und endete auch oft genug in überladenen, spielerisch lauen und insgesamt wenig ansprechenden Mittelmäßigkeiten. Doch El Shaddai gelingt das Kunststück, genauso progressiv und avantgardistisch wie auch spaßig und unterhaltsam zu sein.

Und genau deswegen sage ich euch: Nehmt El Shaddai in eure Herbstplanung mit auf. Verlasst mal für ein paar Stunden die klassischen Gameplay-Pfade der AAA-Produktionen und lasst euch auf ein neues, seltsames und faszinierendes Erlebnis ein. Ihr werdet erstaunt sein, ihr werdet euch wundern, ihr werdet fasziniert vor dem Fernseher sitzen und endlich mal wieder erleben, wozu das Medium Videospiel in der Lage ist, wenn man es ein wenig von der Kommerz-Leine lässt. El Shaddai muss nicht unbedingt euer Ding sein, aber trifft es euren Nerv so wie meinen, dann könnt ihr beim Spielen durchaus mal die ein- oder andere Epiphanie haben. Also, greift zu und probiert es aus. Öffnet die Pforten der spielerischen Wahrnehmung - und das ganz ohne die unangenehmen Nebenwirkungen der bewusstseinserweiternden Substanzen des alten Herrn Huxley.