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Smilegate - Ein fernöstlicher Studiobesuch

Die Welt bis 2015

Nach dem letzten Ausflug in die Süd-Koreanischen Besonderheiten der Lebensweise und des Spielerdaseins soll dieser Artikel ein wenig Einblicke in Historie, Zukunft und Arbeitsweise des Entwicklers Smilegate, eines der in Süd-Ost-Asien so erfolgreichen Free-to-Play-Games-Studios, bieten.

Die Firma wurde bereits in 2002 gegründet, aber die ersten Jahre ging nicht viel. Das lässt sich schon allein daran erkennen, dass die Aufstellung der Umsätze erst ab 2008 in den Firmenbroschüren geführt wird, aber das soll nicht heißen, dass die ersten Jahre deswegen umsonst waren. Und auch nicht, dass sie dann ab 2008 einfach nur Glück gehabt hätten. Aber eines nach dem anderen. Lest ihr hier häufiger einen Artikel, dann wird euch in den letzten Wochen die "Crossfire"-Werbung aufgefallen sein. Crossfire stammt von Smilegate und in gewisser Weise ist derzeit auch noch Smilegate Crossfire. Dieses Spiel ist derzeit das Standbein - das Einzige für den Moment, wohlgemerkt - und der Grund für den Erfolg des Studios.

Die 10 Meter lange Wandgestaltung macht klar, womit man hier das Geld verdient.

Das ist kein unbedingt relativer Achtungserfolg, sondern einer, der sich in sehr harten Zahlen und das konsekutiv seit 2008 belegen lässt. Bereits dort, kurz nach dem Start von Crossfire konnte man 3,3 Millionen Euro (5 Milliarden Won) umsetzen, die Prognose für 2011 - eine sehr stabile, das Jahr ist praktisch rum - liegt bei fast 120 Millionen Euro (177 Milliarde Won). Das sind Zahlen, die können sich sehen lassen, zumal hier deutliche Steigerungen noch möglich sind. Die Hauptumsätze von Crossfire finden derzeit in China statt, einem Land, das mit einer Breitband-Verkabelung von deutlich unter 10 Prozent noch viel Luft nach oben bietet. Der dortige Publisher von Crossfire, 10Cent, erzielt mit dem Spiel einen Umsatz von fast 1 Milliarde Euro (1,5 Billionen Won).

Auch die Spielerzahlen sind hierzulande für ein einziges Online-Spiel, selbst im Vergleich zu den Großen, vorzeigbar. Um es vorsichtig zu sagen. Als Crossfire eine Zahl von 2,5 Millionen Concurrent-User erreichte und dies auch ausnutzte, bekam es einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde. Derzeit liegt man bei sicheren 3,2 Millionen Nutzern, wahrscheinlich sind es noch ein paar hunderttausend mehr. Die Grundlage des Erfolges? Ein einziger Online-Shooter, Crossfire. So einfach kann es sein.

Oder auch nicht. In 2002 war man zwar ein aufstrebendes, junges Unternehmen frisch nach dem Platzen der Dot-Com-Blase, und gewann einen Preis als "promising small business", aber die Lektionen der ersten Gehversuche auf dem Shootermarkt waren hart. Beim ersten Anlauf verlor man die Hälfte der Nutzer, als man anfing, an den falschen Ecken und Enden zu patchen. Die Leute fanden es super, das sie im Vorläufer die Wände hochlaufen konnten und als das nicht mehr funktionierte, wanderten sie scharenweise ab. Das heißt nicht, dass Crossfire solche Möglichkeiten bieten würde, die Lektion war eher die, dass man sich sehr genau anschaut, was die Leute am eigenen Spiel eigentlich mögen.

Nicholas Bae - Strategischer Planer und Vizepräsident von Smilegate

Und das, was sie an ihrer eigenen Ecke der Welt mögen. In 2008, dem Launch-Jahr von Crossfire in Korea, China, Japan und Vietnam lief es in Korea für Crossfire mit am schlechtesten. Hier gab es eine gesunde Konkurrenz auf dem FPS-Markt, allesamt gut in koreanisch für den Koreaner spielbar. Die Situation in China unterschied sich drastisch. Es gab dort diese Spiele natürlich auch, was aber fehlte war teilweise selbst eine simple Lokalisierung. Smilegate war sich dessen bewusst und ging ein zumindest kleines Risiko ein, als sie eine aufwendige Lokalisierung für diese Märkte für Crossfire durchführten. Sie wären nicht pleite gegangen, aber es wäre schmerzhaft gewesen, wenn sich das Investment nicht ausgezahlt hätte.

Das Gegenteil war wie gesagt der Fall und so ist eine weitere Lehre, dass eine gute Lokalisierung pures Gold und viele Millionen wert sein kann. Eine Lektion, die so mancher westliche Anbieter beispielsweise in Deutschland noch wesentlich besser verinnerlichen könnte, als es derzeit der Fall ist.

Mit der Zeit ging es über die Sprache hinaus und Smilegate entwickelt derzeit sogar an speziellen Waffen und Items zu besonderen Festen und Feiertagen in den jeweiligen Ländern. AK-47s mit Drachen drauf gehen in China zum Neujahrsfest immer. Vergleichsweise geringer Aufwand, hoher Ertrag. Das Konzept soll in kommenden Spielen noch mehr vertieft werden, soweit, dass ganze Franchises in Spiele aufgenommen und entweder als Gastauftritte, eigene Klassen oder sogar als vollständiger Spielskin adaptiert werden können. Einige der Ideen klingen zwar sehr abenteuerlich und sollten lokal noch mal geprüft werden - Wiki der Wikinger vs. Pipi Langstrumpf für Deutschland in einem PvP-Action-RPG-Beat´em´Up... WTF?!? -, aber der generelle Gedanke hat viel Potenzial. In China kommt was auch immer an - Sagengestalten, von denen ich meinen Lebtag noch nie hörte -, in den USA Marvel-Figuren, in Europa unsere eigenen Mythologien. Am Ende ist alles nur ein Skin...

Ein Blick aus dem Studio...

Derzeit arbeiten etwa 450 Leute bei Smilegate. Keineswegs alle nur an Crossfire, denn der Entwickler ist sich der Tatsache durchaus bewusst, dass er im Moment nur ein Standbein hat und so eines immer irgendwann anfängt zu wackeln. Er weiß aber auch, dass Mitarbeiter das wertvollste Assett sind und die repräsentative Lage, weitläufige Büros und der nette Blick aus dem 18. Stock über Seoul City zeugen davon. Es war ein kurzer Blick auf die Atmosphäre in einem Fern-Ost-Studio, aber sie schien durchaus angenehm. Nun, zumindest so angenehm, wie Cubicle-Ville halt sein kann, aber die insgeheim von mir erwartete Programmierer-Legebatterie ist das ganz sicher nicht.

Überhaupt scheint man nicht so sehr auf Outsourcing, sondern internen Manpower zu setzen. Es gibt Projekte - eine Baseball-Liga-Simulation für den koreanischen Markt entwickelt man mit einem anderen Team zusammen -, aber der Kern ist Inhouse-Entwicklung und für die Zukunft steht über ein halbes Dutzend Projekte an. Dabei ist die langfristige Planung - mittelfristig bis 2015, langfristig noch deutlich darüber hinaus - etwas, das durchaus fasziniert, wenn man sonst eher die quartalsweisen Abläufe gewöhnt ist. Schneller als bei Blizzard verschieben sich die tektonischen Platten hier auch nicht.

Gut, das mittelfristige Ziel bis 2015 auf globaler Ebene der Online-Game-Player Nummer 1 zu werden, ist eine Ansage, die wir für den Moment mal so im Raum stehen lassen. Was interessant ist, ist der durchgeplante Weg, dieses Ziel zu erreichen, oder es zumindest nur so knapp zu verfehlen, wie es sein muss. Schritt 1 ergab sich aus dem China-Lokalisierungs-Gamble, der sich auszahlte und Smilegate mit der Cashcow versorgte, die für die weitere Planung unerlässlich ist. Crossfire.

Diese Stärken auf den heimischen und den umliegenden Märkten will man sichern, indem man kontinuierlichen Support bietet und die Erfahrungen in die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Titel miteinfließen lässt. Diese sind keineswegs lose definiert, sondern bereits alle in unterschiedlichen Entwicklungsstufen und mit definierten Zeitplänen in Position. Ist der Erfolg auf den Basismärkten erreicht, geht man den globalen Schritt erneut, den man jetzt mit Crossfire versucht und wird sicher aus diesem dann Lehren für zukünftige globale Vorgänge gezogen haben. Zum Beispiel, dass man den Zombiemodus nicht weglässt, um ihn erst Monate später nachzureichen.

...und in das Studio. Der Dampf stammt von einem der allgegenwärtigen Raumerfrischer.

Gleichzeitig steht die Entwicklung eines Spieleportals an, das die eigenen, aber auch alle wichtigen anderen MMO-Services unterstützen kann. Der derzeitige Ausbau des globalen Netzwerkes für Crossfire ist dabei wiederum ein erster Schritt, der Süd-Ost-Asiatische Markt der erste Fokus. Danach geht es sukzessive in die globale Richtung. In beiden Ausrichtungen, sowohl den Entwicklungen als auch den Portal-Ambitionen spielt eine interkulturelle Kompetenz bei der Lokalisierung eine große Rolle, etwas, das man derzeit schon als Stärke von Smilegate bezeichnen kann und das noch weiter ausgebaut werden soll.

Was die Spiele angeht, ist dies, wie schon erwähnt, keine nebulöse Ideensammlung, sondern ein bis 2015 und darüber hinaus klar definierter Plan. Man kann jetzt natürlich immer ein "the best laid schemes of mice and men..." anführen, aber es scheint eine solide Wahl zu sein, die Ambition mit einem gewissen Hang zur Risikominimierung zu verbinden scheint. Sagen wir einfach mal, dass hier nicht viel dabei ist, was noch nie einer vorher probierte.

Das gilt jedoch in erster Linie für die Spiele, die kommerziellen Erfolg sichern sollen. Ein spannendes, für den Moment komplett nichtkommerzielles Projekt, das Smilegate in Verbindung mit der koreanischen CMU-Universität durchführt und auch zu einem erfolgreichen ersten Abschluss brachte, kann man als eine Art Rock Band Deluxe Online bezeichnen. Auch wenn der Name den Umfang der Ambitionen dabei nicht ganz widerspiegelt und der von den Studenten vergebene, "Crescendo", viel netter klingt. Reale Instrumente spielen online zusammen, um entweder ganz Stücke zu interpretieren oder einfach nur simple Harmonien zu erreichen. Der praktische Ansatz eines solchen Online-Orchesters ist vielfältig, sei es nun Zusammenspiel über Kontinente oder einfach Übungssessions, bei denen halt nicht alle zusammenkommen müssen. Der kommerzielle Ansatz... nun, man spielt mit einem realen Piano oder einer echten Violine. Schon das Keyboard aus Rock Band 3 war den Leuten ein wenig zu viel...

Dragon-Guns zum Chinesischen Neujahr.

Aber egal, Geld verdient wird woanders. Beim Fischen beispielsweise. Smilegate hat mit Hole in One und Fishing Hero schon Erfahrung mit sehr asiatischen Online-Sportarten. Dass es sich lohnt diesen Acker zu pflügen, zeigt ein Fischerei-Konkurrent praktisch unaussprechlichen Namens, der es schafft mit gerade mal 1000 Concurrent Usern und nicht allzu viel Aufwand im Monat 800.000 Euro (1,2 Mrd. Won) umzusetzen. Das Spiel ist dabei denkbar simpel und hat kaum mehr als eine Ein-Tasten-Steuerung zu bieten. Aber manchmal ist das genau das, was der gestresste, gut verdienende Manager haben möchte.

In die gleiche Kerbe schlägt das Golf-Game, das sich die Wettfreude der Koreaner zunutze macht und sehr viele Möglichkeiten bietet, spontan mit Ingame - und letztlich natürlich irgendwo auch realer - Währung zu wetten. Kommt man aus dem Bunker aufs Grün, schafft man das Hole in One? Spontanität ist dabei der Schlüsselreiz und die damit verbundene Bereitschaft zum Risiko.

Weit klassischere Modele verfolgen die MMORPG-Ambitionen des Studios. Das kommende DK Online - Beta-Launch 2012 - sucht sich die Fußstapfen von Lineage und bietet recht komplexe politische Systeme, große Schlachten um die Burgen und Festungen der Spieler und letztlich ein MMO, in dem sie Spieler deutlich mehr Einfluss auf die Welt als sonst haben sollen. Es sieht solide aus, mehr, wenn es soweit ist.

Einer der Gründe für den Erfolg neuer MMOs: Admin-Rechte für alle im Internet-Cafe. Man muss nicht warten, bis der Erfolg sich zum Betreiber herumgesprochen hat.

Die restlichen Projekte, obwohl schon teilweise in spielbaren Zuständen, waren leider noch nicht in Bild zu Gesicht zu bekommen, aber erste Grundlagen sind bekannt. Ein Action-PvP-RPG, das sich ein wenig wie Power Stone anhört und das war ein großartiges Spiel. Dann kommt in weiter Ferne ein Hack´n´Slay-Titel und vor allem in Richtung 2014 ein weiteres großes MMORPG-Projekt, von dem sich Smilegate erhofft, dass es Crossfire als die Cashcow entlasten kann. Was das FPS-Genre angeht bleibt man ebenfalls nicht untätig. Der nächste Shooter soll jedoch keine Ablösung für Crossfire sein, sondern als parallel laufender Titel den Fokus vom PvP auf das PvE verschieben. Man darf gespannt sein, was das wird.

Überhaupt, man darf gespannt sein. Ob das alles klappt, ob Smilegate in 2015 an der Spitze der ganz großen in Süd-Ost-Asien oder sogar noch darüber hinaus steht und ob eines Tages EA mit einer Milliarde Dollar in der Tür steht und fragt, ob der Laden noch zu haben ist. Und was Smilegate dann sagen wird. Ich will ehrlich sein, ich habe eine kleine Klitsche erwartet, kannte nur wenige Eckzahlen, fand in englischer Sprache nicht viele Infos zu Smilegate - nicht mal einen Wikipedia-Eintrag -, aber das ist genau der Punkt. Auf der anderen Seite der Welt gibt es Firmen, die hierzulande komplett unter dem Radar laufen, aber eine Dimension erreicht haben, die im Vergleich zu deutschen oder auch europäischen Entwicklern schlicht verblüfft. Ein Hit reicht manchmal, wenn man den richtigen Moment abpasst und sich Mühe gibt, das ist wohl die wichtige Lektion, die Smilegate erzählt. Vor allem das mit dem "Mühe geben". Dann kann einem scheinbar bis 2015 die Welt gehören. Oder zumindest ein gutes Stück davon.

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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