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Einfach nur Schach oder virtueller Revanchismus?

Eine Nachfrage zu Panzer Corps: Wehrmacht

Zum Test von Panzer Corps: Wehrmacht erreichte mich folgende Mail von Jan Rahtje, Politikwissenschaftler und in diesem speziellen Fall auch Leser von Eurogamer.

"In Ihrem Artikel "Panzer Corps: Wehrmacht" vom 6.1.2012 berichtet Martin Woger recht unkritisch über ein Spiel, in dem es seinem Artikel zufolge darum geht, als Nationalsozialist die Welteroberung durchzuführen. Sind Sie sich dieses Umstandes bewusst gewesen? Der Vernichtungskrieg der Deutschen wird in einer verharmlosenden Art dargestellt. Ebenso wenig werden die Folgen einer Welteroberung Hitlers für Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und andere reflektiert. Auch die Sympathiebekundungen zu "erfahreneren Einheiten", die NS-Täter darstellen, sind vollkommen fehl am Platz.

Im Übrigen erbitte ich eine Stellungnahme Ihrerseits, warum ein Spiel, das die Verbrechen der Wehrmacht verharmlost, in Deutschland überhaupt zu einer Wertung zugelassen wird?"

Im Anschluss findet ihr hier die erbetene Stellungnahme zu der Anfrage, gefolgt von Jans Argumentation zu Test und Stellungnahme. Bitte lest beides, danach ist eure Meinung gefragt.

Martin Woger:

Ja, ich habe das nicht thematisiert. So wenig wie das Spiel das thematisiert. Ich denke, dass der Titel furchtbar gewählt ist, aber er dürfte wohl das erste Zeichen einer Serie sein, deren nächster Titel dann vielleicht Panzer Corps: Russland oder Panzer Corps: England heißen dürfte. Hoffe ich wenigstens, denn die andere Erklärung wäre dann wohl die weniger angenehme, nämlich dass die Entwickler eine besondere Liebe für die Wehrmacht hegen. Nach eigener Aussage auf der Homepage des Niederländischen The Lordz Game Studio ist es jedoch eher eine "Leidenschaft für Militärgeschichte".

Ich will auch in keiner Weise darauf hinaus, dass die Wehrmacht als reguläre Armee rein gar nichts mit der den Kriegsverbrechen des Dritten Reiches zu tun gehabt hätte, wie das gerne von bestimmten Kreisen dargestellt wird. Das ist bestenfalls ein Märchen alter Propaganda, das irgendwo hängenblieb, schlimmstenfalls frische Propaganda, die Deutschlands dunkelster Stunde etwas Gutes abgewinnen soll.

Wäre das Spiel auch nur unterschwellig auf dieser Schiene gefahren, wäre es in der Mülltonne gelandet - oder vielmehr dorthin zurückgewandert, weil ich es zuerst wegen Titel und Cover schon in diese einsortierte. Das ganze Thema wird jedoch so neutral und abstrakt behandelt, wie es das Original-Spiel aus 1994 tat oder auch zahlreiche Brettspiele zu dem Thema. Die Frage, warum überhaupt ein solches Szenario gewählt wird, wenn es den Hintergrund sonst nicht beleuchtet, ist mit den Worten "taktischer Realismus" einfach zu beantworten.

In einem historischen Szenario ist bekannt, wie Einheiten aufgebaut sind, wie ihre "Werte" gegeneinander funktionieren, wie Nachschubwege aussehen, das Gelände und so weiter. Dies wiederzugeben ist einfacher, als es mit einer fiktiven Kulisse wäre und erzeugt auch eine höhere Glaubwürdigkeit der Herausforderung. Und um nichts anderes geht es sowohl in Panzer Corps als auch Brettspielen wie Axis & Allies. Auf diese Ebene heruntergebrochen, ist es wie Schach vor einem anderen Hintergrund. Weiß und Schwarz haben keine Ideologie, so betrachte zumindest ich auch Spiele wie eben dieses. Aber nur, wenn das Spiel sich auch selbst so sieht und verhält.

Ist das eine Verharmlosung des Krieges? Auf jeden Fall. Was hier auf dem "Schlachtfeld" eigentlich dargestellt wird, kann sich an Schrecken keiner von uns vorstellen und die wenigen Geschichten meines Opas reichten völlig aus, um zu kapieren, dass man nichts, was im Krieg passierte auch nur seinem ärgsten Feind wünscht. In Panzer Corps gibt es keine Schreie und kein Blut, nur virtuelle Spielsteine auf einem Brett. Das ist eine Verharmlosung. Aber das trifft auf alle Spiele zu. Ist es eine schlimmere Verharmlosung als das Spielen eines Shooters wie Red Orchestra 2 oder der WWII-Call-of-Dutys? Ist das Herunterbrechen der Schlachten auf Spielsteine "besser" oder "schlimmer" als das direkte "Schießen" in den virtuellen Kriegen? Ist der höhere Abstraktionsgrad einer Konfliktsimulation moralisch anders zu beurteilen als die auf optische Annäherung ausgerichtete Darstellungsform des Ego-Shooters? Eine philosophische Frage, auf die ich die Antwort nicht kenne, wenn es denn eine gibt.

Was die Note in Deutschland angeht: Es hat eine USK-Einstufung und es steht in praktisch allen Läden, die PC-Spiele verkaufen. Oder fast allen, es ist am Ende ein Nischen-Genre. Also kann es getestet und bewertet werden. Die Einstufung ist mit "Ab 18" ebenso hoch wie richtig gewählt. Die USK wollte damit wohl sicherstellen, dass Leute dieses Spiel nicht unreflektiert spielen, sondern erst ein halbwegs reifes Alter erreicht haben und soweit abstrahieren können, wie es hier notwendig ist. Die Einstufung für das restliche Europa ist übrigens "Ab 7", was ich für bedenklich halte, was aber auch zeigt, dass die USK hier mit einem besonderen Bewusstsein heranging.

Hätte ich es bevorzugt, die Alliierten zu spielen? Ja. Ich spiele immer lieber auf Seiten der Guten. Ändert das was anderer strategischen Qualität des Spiels? Nein. Auch wenn ich vergessen hab reinzuschreiben, dass diese Kampagne fehlt. Stand auf meinem Notizzettel, fand sich nicht im Text wieder, mein Fehler. Vielleicht hätte ich es auch mehr thematisieren sollen, statt es rein auf das Taktikspiel an sich zu reduzieren.

Es bleibt am Ende jedem selbst überlassen, ob er sich mit diesem Szenario zu unwohl fühlt. Ich, und sicher viele andere auch, abstrahieren das bis zu einem gewissen Grad und betrachten es als komplexeres Schach. Wer es jedoch spielt, nicht weil er die Komplexität der Aufgabe schätzt, sondern um dem Nazi-Reich zumindest virtuell noch nachträglichen zum Sieg zu verhelfen, der sollte sich am besten sofort hier umsehen. Es ist nie zu spät, um aufzuhören.

Jan Rathje

Die Frage, ob ein Spiel in Deutschland Beachtung finden sollte, in dem auf Seiten der Nazis gekämpft wird, darf nicht von anderen, allgemeineren Fragen überdeckt werden. "Panzer Corps: Wehrmacht" steht hier nur beispielhaft für andere Spiele, die solcher Art "Vergnügen" ermöglichen (etwa das CoH Add-on "Opposing Fronts" und ähnliche). Ob "Killerspiele" generell ethisch-moralisch vertretbar sind, bleibt erst einmal nachgeordnet.

In Deutschland muss stets beachtet werden, dass die Nazis mit Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung ein rassistisches und antisemitisches Regime errichtet haben. Der Zweite Weltkrieg wurde von ihnen anschließend mit dem Ziel begonnen, ihre mörderische Ideologie auf der Welt zu verbreiten. Dass diese Art des Denkens in den vergangenen 67 Jahren nicht vollkommen verschwunden ist, zeigt sich aktuell an den Taten der Neonazi-Terroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Doch auch in der Mitte der Gesellschaft existieren immer noch rassistische und antisemitische Vorurteile (PDF der Studie: "Die Mitte in der Krise"). Ebenso bekamen eine Menge NS-Täter ein "Continue" in der Bundesrepublik. Deutschland ist also wegen seiner einzigartigen Vergangenheit nicht vergleichbar mit anderen Ländern, in denen Neonazis gewaltsam in Erscheinung treten. Daher gelten besondere Maßstäbe.

Zunächst folgt daraus, dass in Deutschland generell keine Spiele ermöglichen sollten, Nazis zu verkörpern. Da macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Teil einer "Panzer"-Serie handelt oder nicht. Wenn nur Deutschland als einzelnes Teil isoliert betrachtet werden soll, muss dies in seiner Gesamtheit geschehen. Nur die angenehmen Teile darzustellen, verfälscht die Geschichte.

Martin Woger schreibt, das Spiel verstehe es, den Zweiten Weltkrieg abstrakt und neutral darzustellen. Dies sei auch bei anderen Strategiespielen der Fall. Genau das ist aber das Problem. Es muss nämlich nachgesehen werden, an welchen Stellen das Spiel abstrahiert und an welchen es konkret wird. Die Neutralität der Darstellung kann dabei bewusst bezweifelt werden. Schließlich existiert in dem Spiel nicht einmal eine alliierte Kampagne.

Aber nicht nur davon wird in "Panzer Korps: Wehrmacht" abstrahiert. Bei diesem Schachspiel mit "Endsieg" fehlt die gesamte Ideologie der Nazis und deren Realität. Wovon in diesem Fall abstrahiert wird, sind schlicht und einfach die besonderen Verbrechen der Deutschen während des zweiten Weltkrieges: Der Holocaust ist nicht vorhanden. Hitler wird im Falle eines Sieges zu einem "normalen" Feldherrn und nicht zu dem Massenmörder, der er war. Der Zweite Weltkrieg darf - zumindest bei den Nachfahren der Täter - nicht ohne diese Fakten dargestellt werden. Andernfalls handelt es sich nicht um eine Verharmlosung von Krieg an sich, sondern primär um eine Verharmlosung des Nationalsozialismus. Da besteht ein wichtiger Unterschied. Die Deutschen sind nicht einfach Opfer des Zweiten Krieges, auch wenn die Generation der Großeltern dies gerne so erzählt. Breite Teile der Bevölkerung wollten den totalen Vernichtungskrieg. Was die Deutschen vermeiden wollten war also nicht den Krieg, sondern dessen Niederlage. "Krieg ist schlimm" wird dem Zweiten Weltkrieg nicht gerecht.

Das Szenario des Zweiten Weltkriegs darf entsprechend nicht einfach auf einen abstrakten Krieg reduziert werden. Es geht darum, dass die Deutschen einen Krieg mit dem Ziel begonnen haben, Millionen Menschen zu vernichten. Wenn dem in "Call of Duty" oder "Medal of Honor" Widerstand geleistet wird, ist dies nur legitim. Im Anschluss kann dann immer noch über virtuelles Töten als Teil der Freizeitgestaltung diskutiert werden. Das ist aber eine vollkommen andere Diskussion.

Wenn Abstraktion ein wesentliches Element des Spiels ist, warum werden dann nicht Orks, Elfen, Zwerge oder Roboter aufeinander gehetzt, sondern Nazis gegen auf den Rest der Welt? Die Antwort war: Wegen des guten Balancings, des "taktischen Realismus". Also auf Grund der Elemente, in denen das Spiel konkret wird. Diese umfassen aber nicht nur Nachschubwege und dergleichen, sondern auch ein Ingame-Lexikon. Darin zeigt sich die Liebe zum Detail der Kriegsmaschinerie der Nazis.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Die Neutralität reduziert sich auf eine einseitige Darstellung der Geschichte, nämlich die der Nazis. Abstrahiert wird von den Verbrechen der Wehrmacht. Realismus gibt es in Form von echten Nazi-Kampfeinheiten. Und als Bonus darf an der Seite Hitlers die Welt erobert werden.

Bei so viel falscher Geschichtsdarstellung sollte es nicht den einzelnen überlassen bleiben, ob sie sich unwohl bei dem Szenario fühlen. Der Zweite Weltkrieg ohne Holocaust ist eine Wunschvorstellung von Holocaust-Leugnern. In einem solchen Szenario darf sich in Deutschland nie wieder jemand wohlfühlen können.

Bloß weil die USK das Spiel ab 18 freigegeben hat, bedeutet dies noch lange nicht, dass der Inhalt deswegen größtenteils unbedenklich sei. Eine schärfere Kritik wäre vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wünschenswert.

Abschließend bleibt zu schreiben: Wer Realismus mag, sollte sich von solch verharmlosenden Spielen fern halten und lieber abstrakt Roboter abschlachten; wer abstrakte Strategie spielen will, sollte Schach, Go oder ähnliches spielen. Es gibt in Deutschland keinen vernünftigen Grund, in Computerspielen Nazi sein zu wollen. Gar keinen.

Übrigens: Wer sich sonst noch von solchen Spielen angesprochen fühlt, zeigt die Namenswahl einiger Spieler/Innen im Multiplayer-Modus. Dort machen auf Seiten der Nazis viele keinen Hehl aus ihrer Sympathie für den Nationalsozialismus.

Leser von Eurogamer

Jetzt zu euch, liebe Leser. Erst einmal noch, um das wahrscheinlich unnötigerweise, aber in aller Deutlichkeit klarzustellen: Keiner hier mag Neo-/Nazis. Wer jetzt "Naja, ich aber schon ein wenig, so in etwa oder so und deshalb spiele ich Panzer Corps" sagt, kann gerne hierher wiederkommen. Nachdem er sich ausgiebig mit der Exit-Deutschland-Seite befasste und seinen Verstand wiedergefunden hat.

Die Frage, die im Raum steht, ist nicht einmal unbedingt die, ob Panzer General: Wehrmacht auf einen Index gehört, sondern es euch lieber gewesen wäre, wenn ich den Test nicht neutral behandelt hätte, sondern die Problematik mehr thematisiert hätte? Ehrlich gesagt, ich denke inzwischen ja, ich habe hier eine Chance verpasst, mich auf dieser Ebene mit dem Spiel auseinanderzusetzen statt es - eigentlich nur aus Faulheit, wenn ich ehrlich bin - einfach zu ignorieren, aber wie sehr ihr das? Und, als andere Positionen für die zukünftigen Texte, sollten WWII-Spiele, in denen man in die Rolle der Nazis schlüpfen kann, getestet, ohne Wertung auch auf dieser Ebene besprochen oder sogar ganz ignoriert werden?

Ein kleiner Hinweis zu den Debatten: Sollte jemand ernsthaft versuchen, vom Thema nach weit rechts abzuschweifen, der muss keine großen Verwarnungen befürchten. Der Bann-Button ist auf meinem Desktop, das ist für mich weit bequemer.

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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