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Datura - Test

Tief im halluzinogenen Forst wandeln Move-Spieler an der Grenze zwischen Erleben und Ertragen.

"Immersion" ist eines der Schlagworte, die einem in dieser Konsolen-Generation aus PR-Abteilungen und von Entwicklerseite immer häufiger um die Ohren fliegen. Seit zwei, drei Jahren wird dieses Eintauchen im virtuellen Erleben jedoch beinahe zum Waterboarding, vor allem wenn diese Design-Maxime im selben Satz mit bewegungsgesteuerten Spielen angepriesen wird. Wahrer wird der Zusammenhang dadurch nicht. Es liegt scheinbar auf der Hand: Die Kontrolle einer Spielfigur über Echtwelt-Gesten, die der in der jeweiligen Spielsituation geforderten Aktion entsprechen, muss doch einfach eine stärkere Sogwirkung entfalten. Klingt eigentlich plausibel, den Spielen auf diese Art das Abstrakte des Controllers zu nehmen, wenn man so darüber nachdenkt.

Das Problem ist nur: Mit dem Joypad in der Hand müssen selbst Ungeübte in Wahrheit nicht allzu lange darüber nachdenken. Das satte Quetschgefühl einer Taste und der kurze Hub provozieren in klassisch gesteuerten Spielen zuverlässig und direkt eine Reaktion und ermöglichen so, sich auf Dinge zu konzentrieren, die das grundlegende Funktionieren als Spielfigur im dreidimensionalen Raum übersteigen. Gedanken daran, ob die Bewegung nun von der Hardware erkannt wurde, ob man sie überhaupt richtig durchführte und ob Hand, Schwert oder Schildarm richtig im dreidimensionalen Raum platziert wurden - Fehlanzeige. Nicht zuletzt wird immer das Problem bleiben, dass man niemals das Gewicht, des Brecheisens spüren wird, das man führt, nie das Abprallen des Stahls von der vernagelten Tür.

Anstatt sich nun nahtlos bei vergangenen milde fehlgeschlagenen Motion-Control-Experimenten einzureihen, dient Datura sogar als Paradebeispiel, warum dieses Modell der Steuerung regelmäßig versagt, sobald der Aktionsspielraum mehr umfasst, als nur Zielen oder Schlagen. Es bleibt eine ewige Entkoppelung, eine Kluft, breiter als das größte Joypad der Welt sie je auseinanderklaffen lassen könnte. Denn im Grunde natürliche Bewegungen, das Greifen einer Spitzhacke, das Herunterdrücken einer Türklinke, das Werfen einer Kartoffel fühlen sich mit einem Mal befremdlich an, wenn man ihre Auswirkungen zwar auf dem Bildschirm sieht, sie aber nicht fühlen kann. Und mit jedem Mal, in dem eine eins zu eins abgefragte Bewegung sich auf einmal spür- und sichtbar in eine vorgefertigte Animation verwandelt und dem Spieler damit signalisiert, "den Rest mache ich" - oder die Eingabe sogar scheitert -, entfernt man sich ein bisschen mehr vom Spiel. Die ach so praxisbezogene und intuitive Steuerung wird zur Hürde für das Versinken im Erlebnis.

Datura - Trailer

Da macht es die Sache natürlich nicht gerade besser, dass gerade dieses Erleben Daturas einziger wirklicher Spielanteil ist. Abseits der halbwegs freien Erkundung einiger kleiner Hub-Areale, in denen ihr selbsttätig interaktive Hotspots aufsucht, übersteigt das spielerische Element dieses Titels des polnischen Entwicklerteams Plastic (Linger in Shadows) nur selten die Ausführung der auf dem Bildschirm vorgeführten Bewegung. Dabei sollte es diesem stellenweise hypnotisierend schönen und ansatzweise schaurigen Waldspaziergang eigentlich ein Leichtes sein, seinen Gast gefangen zu nehmen. Der nebelverhangene, herbstliche Laubforst sorgt mühelos für große Augen. Herauszufinden, warum man nach der Einleitungssequenz im Krankenwagen auf einmal ebenso buchstäblich wie im übertragenden Sinne im Wald steht, ist in diesem attraktiven Rahmen eine verlockende Einladung.

Sobald man nach der kurzen Kalibrierung aber die ersten Schritte durch den dichten rostroten Blätterteppich tut, schwant einem bereits, dass einem hier die eine oder andere Meinungsverschiedenheit mit dem allein für die Steuerung verantwortlichen Move-Controller haben wird. Haltet ihr die Move-Taste, setzt ihr euch in Ego-Adventure-Manier in Bewegung, umgeschaut wird durch das Schwenken des Controllers. Eine klassische Pointer-Steuerung, wie sie in einigen Shootern gut funktioniert, wäre für die Navigation die bessere Variante gewesen. Aber vielleicht rührt dieser Eindruck auch nur daher, dass das Spiel die schlechte Angewohnheit hat, euch seine Pranke in den Nacken zu legen und euren Schädel in die Richtung zu drehen, die es für wichtiger hält. Das fällt zwar nur in den Randbereichen der offeneren Gebiete auf, aber hier wird es häufig wirklich schwer, sich vernünftig umzusehen. Dass man nicht wirklich herunterschauen kann, ist ebenfalls eine Gängelung, auf die ich in einem auf Erkundung ausgelegten Spiel gerne verzichtet hätte.

Durch die aufrechte Haltung des Move kommt man sich in diesen Momenten teilweise vor wie beim Armdrücken, bei dem die Kontrolle über die Kamera als Hauptgewinn in der Mitte des Tisches liegt. Nach einer Weile weiß man zwar, wie das Spiel tickt und bewegt sich entgegen aller Widerstände relativ sicher auf diesem außerweltlichen Territorium. Und sogar an den Anblick der gespenstisch vor einem schwebenden Black-and-White-Hand gewöhnt man sich, wenn die Finger beim Ertasten eines interaktiven Gegenstandes nicht gerade in unnatürlich ekligen Winkeln abknicken. Trotzdem hat man die gesamten knapp zwei Stunden Spieldauer über selten das Gefühl, die Entwickler trauten ihrer ach-so-intuitiven Steuerung über den Weg. Jeder interaktive Punkt wird euch anhand eines Symbols signalisiert und sobald ihr brav die Aktions-Taste gedrückt habt, nimmt eine Move-Grafik prominent in der unteren rechten Ecke des Bildschirms Platz, um euch die nötige Bewegung vorzuzeichnen.

Stapft man anfangs noch ewig ziellos in den eigentlich nicht allzu großen Bereichen umher - dem unsäglich langsamen Lauftempo sei's gedankt -, kommt irgendwann die Erkenntnis, dass das Finden der Interaktionszonen im Grunde alles ist, was das Spiel von euch verlangt. Dadurch erzieht einen Datura aber in eine ungesunde Richtung: während man spielerisch ausgehungert jeder Einblendung der Dreieckstaste Folge leistet, verpasst man, dass der Titel an einigen Stellen doch tatsächlich eine Entscheidung von einem verlangt. Ich hatte mich schon gewundert, dass sich ab und zu der Nebel lichtete und sich das Verhältnis von Schmetterlingen zu Schmeißfliegen regelmäßig veränderte. Erst ein Entwickler-Interview, das ich mir im Anschluss an meinen ersten Durchgang im Netz ansah, klärte mich auf, dass ich hier versehentlich nur reagierte, anstatt dem Spiel in Schlüsselsituationen bewusst meinen Stempel aufzudrücken. Hier hätte mehr Klarheit gut getan.

Wer kein Move besitzt, kann sein Glück übrigens auch mit dem Dual-Shock-Controller versuchen. Aber auch hier wird es nicht besser. Eher schlimmer. Die Analogsticks decken gnadenlos auf, wie zäh und träge man sich durch diese halluzinogene Blase bewegt. Zudem beraubt man sich so der wenigen Situationen, in denen Datura mit Hilfe von Move auch einige Dinge verblüffend richtig macht. Ab und zu klickt es eben doch und eine handgezeichnete Karte mit der Plastik-Eistüte so nah vor die Nase zu halten, wie man mag, ist ein richtiger Aha-Moment, in dem man für einen Augenblick gut versteht, warum die Entwickler diese Art der Steuerung mal für eine spitzenmäßige Idee gehalten haben. Das Spiel punktet letzten Endes auch durch seine durchaus einzigartige Stimmung, während die surreale Qualität dieser Reise durch Zeit und (T)Raum dafür sorgt, dass man nie weiß, was nun als Nächstes passieren mag. Technisch und gestalterisch ist die Erkundungstour überdies auf den ersten Blick ziemlich gediegen. Leider bricht die Bildrate oft dermaßen ein, bei gleichzeitigen Slowdowns, dass hier die ohnehin schon nicht gerade Vertrauen erweckende Steuerung noch einmal an Griffigkeit verliert. Und so stark die Atmosphäre in ihren besten Momenten auch ist, so prätentiös kommt das Spiel letzten Endes herüber, weil man sich am Ende alles andere als sicher ist, ob Plastic jetzt wirklich etwas zu sagen hatte.

Trotzdem ist es eigentlich die Sorte Titel, bei der man den Drang verspürt, Fünfe gerade sein zu lassen. Sony beweist als Publisher hier ein weiteres Mal außerordentliche Bereitschaft, sich unkonventionelle und schlichtweg unkommerzielle Steckenpferde zu leisten. Insofern möchte ich Datura und Plastic eigentlich nur die schönsten Komplimente machen - mir fallen nur keine ein. Die regelmäßigen Anflüge von Neugierde werden immer wieder schon im Ansatz von verkrampften Gesten, gruselig verbogenen Gummifingern oder einem vielsagend forcierten Kontrollverlust sabotiert. Ich hatte keine guten 90 Minuten mit diesem Experiment, ein zweiter Durchgang kommt für mich nicht in Frage.

Aber diese Erfahrung haben wohl auch schon andere mit dem "gemeinen Stechapfel" (wie die titelspendende Pflanze hierzulande bekannt ist) gemacht.

(Datura ist für 7,99 im PlayStation Network erhältlich)

4 / 10

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In diesem artikel

Datura

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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