Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

DmC: Devil May Cry – Ninja Theory's bestes Spiel?

Was nach Zwangsheirat aussah, entpuppt sich mehr und mehr als wahre Liebe.

"Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll". Ich habe keine Ahnung, ob Capcom Georg Christoph Lichtenbergs berühmten Aphorismus im Sinn hatte, der Mitte der Neunzigerjahre in feinstem Edding auf so vielen Schultaschen von Oberstufen-Hippies prangte. Nach dem letzten Devil May Cry jedoch, tat der Spiele-Verlag gut daran, dieser Serie einen Tritt in eine andere Richtung zu geben. Es war ein Risiko, doch wäre es gleichsam grob fahrlässig gewesen, weiter mit dem Kopf zuerst gegen die Rückwand der miefigen Sackgasse anzurennen, die DmC 4 war.

Ein paar frische Geister mussten ran, und auch wenn Ninja Theory nach dem tollen, aber spielerisch oberflächlichen Enslaved sicher nicht meine erste Wahl für einen Neustart ausgerechnet dieser Marke gewesen wäre, so reicht ein Blick zurück in Richtung Heavenly Sword doch aus, um zu sehen, dass diese Leute sich auch tiefer schürfender Third-Person-Action sehr verbunden fühlen. Man kann nun darüber streiten, ob Lichtenberg, vor die Wahl gestellt, die alte oder die neue Frisur Dantes bevorzugt hätte. In meinen Augen sind beide fürchterlich von gestern, nur dass die eine eben von 2001 ist und die andere von 2008. Was nach knapp der Hälfte des Reboots aber feststeht: Die Haare könnten mir kaum mehr egaler sein.

Gleich in der Einleitung stellt Ninja Theory nämlich klar, dass dies hier trotz des jüngeren Alters und des Updates beim Modeverständnisses noch genau der gleiche Charakter ist, nur eben aus anderer Perspektive. Beinahe allmächtig und deshalb ein bisschen gelangweilt vom Leben existiert Dante einmal mehr zwischen Gothic-Chic und Pizzaresten in den Tag hinein, reißt Mädchen im Doppelpack auf und hält sich für den Größten, was er vermutlich auch ist. Immer noch ärgert er seine Feinde mit Sprüchen, die mal treffen und mal nicht, weicht mit lässigen Bewegungen herabstürzenden U-Bahn-Waggons oder Häuserhälften aus und macht sich dabei viel mehr Gedanken, wie er an seinen Mantel kommen soll, der an einem der Wurfgeschosse hängen geblieben ist.

Die Lage ist Ernst. Wo ist meine Unterhose?

Keine Spur von graubraunem Pseudo-Realismus oder der befürchteten Emo-Weltschmerz-Geschichte. Nur ein Typ mit Superkräften und zu viel Freizeit, der mit einem Sprung durch Fenster und Vordertür durch seinen eigenen nach ihm geworfenen Wohnwagen schlüpft, um sich in der Luft noch wie schwerelos Hemd, Hose und Stiefel anzuziehen. Gleichzeitig erzählt das Spiel natürlich doch eine Geschichte und es ist die klassische Origin-Story für Helden mit derart beachtlichen Talenten. Und dass sie gute Erzähler sind, weiß man von Ninja Theory ja bereits. Ein paar tragische Züge nimmt es zwar schon an, wenn man von der Liebesgeschichte zwischen Dämon Sparda und dem Engel Eva hört, aus der die Zwillinge Dante und Vergil hervorgingen und für die die ungleichen Eltern einen bitteren Preis bezahlen mussten. Aber es hält sich immer die Waage mit der Leichtigkeit des frechen und geradezu ungesund selbstbewussten Dämonenkillers. Sie haben es hinbekommen, dass mich das erste Mal in einem Devil May Cry für die Figuren und die Geschichte interessiere.

Und das liegt nicht zuletzt auch am fantastischen Weltendesign. Die Welt von DmC ist dieses Mal mehr aus einem Guss und verkauft ihre Mythologie überzeugender. Es ist ein Universum, das dem unserem ähnelt. In Wahrheit kontrollieren die Dämonen die Welt aber mit Energy-Drinks (die in einem netten Seitenhieb auf Futurama ganz ähnlich hergestellt wird wie Slurm - nur noch bedeutend ekeliger) und Gehirne waschenden Nachrichtensendern. Die Teufel selbst stammen aus einer bösen Spiegelwelt, dem Limbo. Wird Dante in dieses Reich gezogen, verblassen die Menschen zu Schatten, die keine Notiz von euch nehmen. Der Himmel flirrt unwirklich, während die Straßen und Gebäude sich spastisch zuckend verzerren, Wände und Böden wegbrechen und einem gähnenden Nichts platzmachen. Sogar die Pferde eines Jahrmarkt-Karussels setzen in dieser Realität ein teuflisches Grinsen auf.

"Sogar die Pferde eines Jahrmarkt-Karussels setzen in dieser Realität ein teuflisches Grinsen auf."

Ninja Theory demontiert vor euren Augen die komplette Levelarchitektur - zerreisst, verdreht sie und stellt sie auf den Kopf.

Ich lese diesen letzten Absatz jetzt schon zum dritten Mal und merke jedes Mal mehr, dass er einfach nicht vermittelt, was für gewaltige Geschütze Ninja Theory bei der Gestaltung der Level auffährt. Dermaßen verschwenderisch und gestalterisch toll stattete zuletzt Castlevania: Lords of Shadow seine Kulissen aus, nur dass hier noch viel mehr in Bewegung ist, weil ihr häufig auf dem Weg in den Limbo die Transformation der Umgebung live miterlebt. Wenn sich auf einmal eine schnöde Lagerhalle in eine endlose und in einen flammenden Himmel reichende Container-Serpentine verdreht, fehlen einem einfach die Worte. Der Ansatz einer "bösen" Version der echten Welt gibt so viel her, und die Designer greifen gierig mit allen Händen zu.

Man kann sich an den Leveln einfach nicht sattsehen. In einem Titel, der mit sieben Schwierigkeitsgraden - vier davon werden erst nach und nach freigeschaltet - massiv auf wiederholtes Spielen ausgelegt ist, ist das viel wert. Ich habe gerade ernsthafte Probleme, meine Vorfreude auf die PC-Version in 1080p und 60 Bildern pro Sekunde im Zaum zu halten, so toll sieht das hier schon auf Konsole aus.

Lange weg gewesen. Trotzdem nichts verlernt.

Damit wäre es natürlich Essig, wenn sich das Spiel an sich von den Wurzeln der Reihe zu weit entfernte. Aber auch hier hat Ninja Theory, bei allen Freiheiten, die man sich bei der Gestaltung der Figur und ihrer Welt nahm, wirklich seine Hausaufgaben gemacht. Dieser Dante hat sogar den gleichen Sprung, der eher in die Höhe geht als in die Ferne und sich nach ein paar anderen ähnlich gelagerten Spielen immer erst ein bisschen komisch anfühlt. Ein Air-Dodge für Ausweichmanöver in der Luft, der Doppelsprung und ein Gleitmodus sorgen dafür, dass er sich sogar noch eleganter durch die Level bewegt.

"Ninja Theory trennt sich von vielen Gepflogenheiten anderer Spiele, um dem Spieler letzten Endes ein unterhaltsameres Erlebnis zu bieten."

Mit dem linken und dem rechten Trigger setzt ihr Sekundärwaffen ein.

Dazu hat man noch die Möglichkeit, entweder Feinde zu sich heranzuziehen oder sich zu ihnen, was einen hin und wieder beinahe in einen Rauschzustand versetzt, wenn mal wieder alles klappt und man zusätzlich mit Schwert, Sense und Axt blitzschnell durch gemischte Gegnermobs wirbelt und mit den Pistolen verhindert, dass der Kombo-Zähler abreißt. Sind fliegende Dämonen zugegen, bekommt man es sogar hin, teilweise gar nicht den Boden zu berühren und wenn dann die letzte Höllenausgeburt in einer Zeitlupe in rote Orbs zergeht, ist das eine schöne Belohnung für einen überlegen geführten Kampf.

Über allem steht besonders die Erkenntnis, dass sich Ninja Theory von vielen Gepflogenheiten anderer Spiele trennte, um dem Spieler ein freieres, unkomplizierteres und letzten Endes unterhaltsameres Erlebnis zu bieten. Die Upgrade-Trees für Dante und jede seiner einzelnen Waffen bestückt ihr etwa recht häufig mit neuen Fähigkeiten. Jede Einzelne darf aber zuvor in einem schnell ladenden Trainings-Modus ausprobiert und erlernt werden. Und wisst ihr was? Wenn sie euch nach dem Upgrade nicht gefällt oder ihr feststellt, dass sie nicht zu eurem Spielstil passt, dann verteilt ihr den Skill-Punkt einfach neu. Einfach so, an der nächsten Upgrade-Statue, die niemals weit ist, oder in der Pause zwischen zwei Leveln.

Wie fliegen, nur schneller.

Eines ähnlichen Gedanken Kind sind sicher auch Dantes Fortbewegungsmöglichkeiten. Wo andere Spiele starren Regeln folgen, wann ein Doppelsprung funktioniert und wann man gleiten kann und dergleichen, kommt DmC gar nicht auf die Idee, euch vorzuschreiben, was geht und was nicht. Ihr springt einmal, zweimal und gleitet dann, oder ihr springt, gleitet und macht dann den zweiten Sprung. Und wenn ihr zwischen zweien dieser Manöver noch einen Ankerpunkt gegriffen hattet, steht der Zähler wieder auf Null - Doppelsprung und Gleiten stehen wieder zur Verfügung, einfach weil Ninja Theory der festen Überzeugung war, dass es so mehr Spaß macht. Sie sollten recht behalten. Oder nehmt die Ankerpunkte selbst: Wer sagt denn, dass sich immer die Figur - wie zum Beispiel in Castlevania oder God of War - immer zu dem leuchtenden Haltehaken hinziehen muss. Was, wenn sich die gesamte Plattform, auf der man steht, dadurch in Bewegung setzt, was wenn man eine Plattform an dem Ankerpunkt zu sich heranzieht? Kleine Ideen und Gedanken, die Spiel und Universum insgesamt weniger rigide erschienen lassen.

Auf dem Schwierigkeitsgrad 'Hell and Hell' stirbt Dante nach einem Treffer.

Und dann sind da die Bosse. Devil May Cry war schon immer gut, was seine Kapitel-Stopper anging, ausgehend von dieser Vorschaufassung blamiert Ninja Theory jedoch beinahe die versammelte Konkurrenz mit Animationen und einer Choreografie, die beinahe Pixar-Qualität erreicht. Probiert es selbst aus und erledigt den Succubus in der Demo auf Xbox LIVE und im PSN. Wer dann noch nicht überzeugt ist, dem ist nicht mehr zu helfen. Dieses Ekel vermittelt einen Grad an Persönlichkeit, der ziemlich beachtlich unterstreicht, warum diese Entwickler eine Bereicherung für dieses Franchise waren. Als der von der Decke baumelnde Riesen-Wurm mit seiner widerlich tumorigen Wucherung auf der Stirn Dante das erste Mal sieht, stellt er - oder sie? Iiihh - endlich die Frage, die sich wohl Hunderte Zwischengegner in dreißig Jahren Videospielen stellten: "WHO. THE FUCK. ARE. YOU!?". Eine Reaktion, mit der ich nicht gerechnet hätte.

Überhaupt hätte ich mit Vielem nicht gerechnet. Vor allem nicht damit, dass DmC auf einmal wieder relevant sein würde. Oder damit, mich darüber zu freuen, dass sich ein derart talentiertes Studio für eine Weile auf eine vermeintlich verbrannte IP festnageln lässt. Im Vorfeld hatte ich mich reichlich geärgert, von Ninja Theory fürs Erste keine neuen Marken mehr zu bekommen. Jetzt merke ich, so frisch und unverbraucht wie dieser Dante hat sich schon lange kein Slasher mehr angefühlt. Diese fürchterliche Berlin-Mitte Frisur von vor vier Jahren ist wahrlich das Einzige, was mir von diesem Spiel negativ im Gedächtnis bleibt. Das ist die Sorte Problem, die andere Spiele gerne hätten.

In diesem artikel

DMC Devil May Cry

PS3, Xbox 360, PC

Verwandte Themen
Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

Kommentare