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Mavel Heroes - Die große Beta-Baustelle im Marvel-Universum

Wenn Superhelden versuchen Diablo zu spielen

Kann man den Diablo-Vätern zum Vorwurf machen, dass all ihre aktuellen Spiele irgendwie aussehen wie jener Titel, der ihnen damals zum Durchbruch verhalf? Eigentlich nicht. Max und Erich Schaefer wären zum Beispiel schön dumm gewesen, wenn sie mit Torchlight und Torchlight 2 am eigenen Erfolgsrezept herumgepfuscht und die Erwartungen der Fans enttäuscht hätten.

Und David Brevik? Als ich seinen Namen das erste Mal im Zusammenhang mit Marvel Heroes las, reichte allein das für eine Prognose, wie Gazillions fertiges Spiel aussehen könnte. Jetzt, nach Beendigung des ersten Kapitels der geschlossenen Beta von Marvel Heroes, wurde meine Ahnung zur Gewissheit: Es wird ein 'Diablo' mit Marvels Superhelden und -Schurken. Quasi Spandex statt Ork-Leder. Adamantium statt Stahl. Maschinengewehre und Blaster statt Zauberstäbe und Feuerbälle. Und es wird free-to-play. Aber kann das Hack & Slay mit Superhelden an den Erfolg des großen Urahns Diablo anknüpfen? Oder wenigstens der Konkurrenz die Stirn bieten? Ich bleibe skeptisch.

Auf diesem Bild verstecken sich Storm, Hawkeye, Iron Man und das Ding.

Wobei es nicht das erste Mal wäre, dass ich den Stab vorschnell über den Titel gebrochen hätte. Als es in einer sehr frühen Meldung zum Projekt sinngemäß hieß, dass die Spieler in die Haut der beliebtesten Superhelden des Marvel-Universums schlüpfen würden, glaubte ich an einen schlechten PR-Ausrutscher. Wie? Ich darf keine eigenen Helden im Charakter-Editor erschaffen? Was für eine Schnapsidee! Vor meinem inneren Auge sah ich bereits ein MMO im Stil von DC Universe Online, in dem zwei Dutzend Spider-Männer gemeinsam mit einer Handvoll Wolverine- und Hulk-Klone auf den bedauernswerten Victor von Doom einprügeln. Ein Albtraum - nicht nur für den Erzschurken.

Glückwunsch! Es ist ein Hack & Slay

Die ersten Minuten der geschlossenen Beta-Schnupperphase für Pressevertreter haben zumindest diese Befürchtung gründlich über den Haufen geworfen. Marvel Heroes ist keine immersionsfeindliche MMO-Schreckensgeburt aus der tiefsten Comic-Merchandising-Hölle. Es will eine Variation der bewährten Diablo-Formel sein, ein klassisches Hack & Slay mit zufallsgenerierten Leveln und Loot. Abgerundet wird das durch MMO-Anleihen und die zugstarke Marvel-Lizenz, während ihr als besonderes Feature jederzeit zwischen euren Superhelden hin- und herwechseln dürft, sofern ihr sie zuvor freigespielt oder im Cashshop gekauft habt. Klingt nach einem Konzept, das tatsächlich funktionieren könnte. Und in der ersten Viertelstunde war ich davon begeistert.

Trotz Unreal Engine 3 wirkt das Spiel überraschend detailarm.

Eure Charaktere teilen sich das Inventar, leveln jedoch unabhängig voneinander und werden separat ausgerüstet. Ein zweischneidiges Schwert: Wenn ich zum Beispiel nonstop mit Iron Man unterwegs war, hat dieser bereits ein paar Stufen auf der Erfahrungsleiter erklommen, seine drei Fertigkeitsbäume vorschriftsgemäß ausgebaut und trägt ordentliche Items am Leib. Kaufe ich mir jetzt Deadpool im Shop, startet dieser bei Stufe 1 und muss erst hochgepäppelt werden. Ich darf dankenswerterweise jederzeit im Charakter-Roster zwischen ihm und Iron Man wechseln - dauert ein paar Sekunden und kann durch Feinde unterbrochen werden, ist aber keinerlei sonstigen Beschränkungen unterworfen. Prinzipiell könnte man dadurch kniffligen Endbossen durch einen strategischen Helden-Wechsel ein Schnippchen schlagen - ideal bei Resistenzen. Oder man züchtet sich ein paar Asse für das Gruppenspiel heran: Im Team tummeln sich mit Hulk und dem Ding bereits zwei Tanks? Kein Problem. Dann wechsle ich eben zu einem Fernkämpfer wie Hawkeye oder der scharlachroten Hexe Wanda.

Die große Beta-Baustelle im Marvel-Universum

In der Praxis gab es jedoch einiges, das dem Probespiel einen bitteren Nachgeschmack verlieh. Man hatte seitens Gazillion betont, dass es sich um eine Beta im frühen Stadium handele und diverse Features noch lange nicht final oder allenfalls Prototypen seien. Spielbestandteile wie die Fertigkeitsbäume, das Crafting-System für die Kostüme der Helden, das Balancing, die Respawn-Raten der Monster, die Bosse, der Schwierigkeitsgrad und seine automatische Anpassung an die Gruppengröße - das alles solle im weiteren Verlauf der geschlossenen Beta justiert und erweitert werden.

In der Rückschau werde ich das Gefühl nicht los, dass den Machern selbst Zweifel kamen, uns Journalisten das Spiel im jetzigen Entwicklungsstand zu präsentieren. Eigene Screenshots durften wir zum Beispiel nicht anfertigen - die Bilder hier wurden vom Publisher zur Verfügung gestellt. Nachdem ich Marvel Heroes in Aktion erlebt habe, wundert mich das nicht. Man sieht dem Spiel im Moment nicht an, dass es auf der Unreal Engine 3 basiert. Auch konnte ich keinerlei Einstellungen an der Grafik vornehmen - ein entsprechendes Menü fehlt noch.

Pfeil und Bogen gegen Laser-Kanonen. Da sollte Hawkeye ein paar Spezialpfeile im Köcher haben.

Die Charakterdesigns wirkten während des Probespiels merkwürdig detailarm (könnte freilich auch dem Comicbuch-Stil geschuldet sein). Die Umgebungen hinterließen einen monotonen Eindruck, der nur selten durch eine gelungene Fassade, schicke Spiegelung oder liebevoll gestaltete Requisiten aufgehübscht wurde. An manchen Stellen blitzt die potente Physik-Engine durch, wenn zum Beispiel Autos explodieren, Säulen und Wände zu Bruch gehen, oder die Knarre eures Helden winzige rauchende Patronenhülsen ausspuckt. Ansonsten fährt Marvel Heros mit angezogener Grafik-Handbremse.

Lineare Dungeons wechseln sich mit extrem weitläufigen zufallsgenerierten Karten ab, die für meinen Geschmack aus allzu gleichförmigen Bausteinen bestehen. Dadurch sah ich mich schnell an den Umgebungen satt und verlor darüber hinaus im New-Yorker-Straßendschungel, den verwinkelten Docks oder in den exotischen Fischerdörfern Asiens die Orientierung - hier nervt mich besonders das Fehlen einer vernünftigen Übersichtskarte. Die Minimap in der rechten oberen Bildecke ist ein dürftiger Ersatz, für den ich mir eigentlich eine Lupe an den Monitor hätte schrauben müssen.

Hin und wieder lockern gescriptete Szenen die Spielwelt auf.

Weniger lustig als ermüdend fielen außerdem die Bösewichte aus, die man mir zu Tausenden vor die Fäuste warf. Hier wird Quantität groß und Qualität kleingeschrieben. Nur eine Handvoll Feinde beherrscht ein interessantes Angriffsmanöver, der Rest stürmt wild ballernd und prügelnd auf mich ein. Die Bosse haben mehr Tricks auf Lager, doch kann ich wegen des fehlenden Balancings zum jetzigen Zeitpunkt ihre Stärken und Schwächen nicht vernünftig einschätzen. Manchmal wurden die Obermotze eindeutig für Gruppen konzipiert und verfügen über massig Lebenspunkte, dann wieder verkommen sie zu blassen Schatten ihres Comicbuch-Selbst, und liegen schon nach wenigen Treffern am Boden.

Brauch ich einen Käfig voller Superhelden?

Die abwechslungsarme Level-Architektur und die wahnwitzigen Gegnermassen verleiden mir das eigentlich brillante Konzept, mehrere Helden gleichzeitig zu besitzen und zwischen ihnen zu wechseln. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als bereits erledigte Abschnitte mehrfach zu besuchen, um meine Neuzugänge vernünftig zu trainieren und ihnen die passende Ausrüstung zu verschaffen - was zwangsläufig zum öden Grindig gerät. Das Loot-System sorgt außerdem dafür, dass ich hauptsächlich Gegenstände für den aktuell gewählten Charakter finde. Nur ab und zu lässt ein Feind Rüstungen oder Waffen für einen anderen Helden aus meiner erweiterten Liste fallen - nicht selten einige Stufen zu hoch für den Frischling. Durch solche Designmängel stellen sich die Entwickler selbst ein Bein. Schade, denn die Möglichkeit, jederzeit den Helden zu wechseln, bietet unglaublich viel Potenzial.

Wolverine und Ninjas in einem Bild - eigentlich ein PR-Selbstläufer.

Die Beute ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Schwachpunkt, dem sich die Entwickler nochmals intensiv widmen sollten. Ich finde zwar reichlich Waffen und Rüstungen in den üblichen Seltenheitsstufen, doch sehen die Gegenstände alle gleich aus, die verbundenen Bonuswerte lassen sich an einer Hand abzählen und das Aussehen meiner Helden änderten die Items ebenfalls nicht. Für ein bisschen Individualität soll ich Kostüme finden oder im Cash-Shop kaufen, die ich danach über ein Crafting-System mit zusätzlichen Boni versehen darf. Da die Kostüm-Varianten nur als Komplettpakete daherkommen, ist es mit der Individualität freilich nicht weit her. Selbst wenn man die Lizenz-Restriktionen zur Begründung heranzieht, ist das für ein Action-RPG in 2012 mehr als dürftig.

Dass mit dem derzeitigen Item-System keine rechte Lust beim Beute-Sammeln aufkommt, dürfte Marvel Heroes besonders zu Schaffen machen. Vielleicht ließe sich das abwechslungsarme Loot über eine größere Heldenschar in der Garage kompensieren, doch ich hege da so meine Zweifel. Was bringt mir zum Beispiel ein tolles Gewehr für den Punisher, wenn ich ihn bislang habe links liegen lassen und er noch auf Stufe eins herumdümpelt? Erhöht das die Motivation, einen verschmähten Helden aus der Mottenkiste zu holen und ihn auf die nötige Stufe zu grinden? Unwahrscheinlich.

Ninjas zusammen mit dem Punisher und Hawkeye? Längst nicht so cool.

Nicht alle der bislang 26 geplanten Heroen standen für eine Testrunde zur Verfügung, wobei das Repertoire für eine Beta recht ordentlich ausfiel: Zu Beginn hatte ich die Wahl zwischen Ms. Marvel (sollte es nicht mittlerweile Captain Marvel heißen?), Hawkeye, Punisher, Black Panther oder der Scarlet Witch. Im Shop gab's außerdem Deadpool, Hulk, Iron Man, Storm, Ben "Das Ding" Grimm und Wolverine zu kaufen. Ihre Fertigkeitsbäume waren natürlich alles andere als komplett, doch zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Macher auch auf diesem Gebiet noch einige Spreu vom Weizen zu trennen haben und vor allem am Balancing feilen müssen. Nur wenige Fähigkeiten sind geeignet, die beiden Standard-Skills auf der rechten und linken Maustaste nennenswert zu bereichern oder gar zu ersetzen - mal abgesehen von ein paar Heilungs- und Tank-Fähigkeiten. Hier dürfte es ruhig ein bisschen mehr Auswahl geben, auf die man sich mit höheren Stufen freuen kann.

Fairerweise sollte ich festhalten, dass es bei der Heldenschar auch das eine oder andere Highlight zu genießen gab - vor allem Deadpool wird seinem Ruf als Großmaul mit Sinn für Metahumor gerecht, wenn er zwischendurch lauthals "Shoryuken" brüllt oder ein paar derbe Sprüche vom Leder zieht. Tony Stark alias Iron Man ist ebenfalls nie um einen trockenen Kommentar verlegen. Und der Hulk bleibt der Hulk - da kann kein Barbar gegen anstinken.

Eine Extra-Portion Gamma-Strahlen bitte!

Die Liste der Baustellen in Marvel Heroes ist lang und trotz der zahlreichen Kritikpunkte nach meinem Ausflug in die Beta will ich den Titel nicht voreilig auf die schwarze Liste setzen - schließlich betonen die Entwickler selbst, dass ihr Hack & Slay im Marvel-Kostüm alles andere als fertig ist. Mich wundert allerdings, dass man die Fachpresse überhaupt zum Probespiel eingeladen hat, obwohl man sich wahrscheinlich der Gefahr bewusst war, herbe Kritik zu ernten.

Die Mixtur aus Diablo-Metzelei und Superhelden-Spektakel hat durchaus Stärken, die Gazillion nur richtig ausspielen müsste. Vor allem die geniale Idee, mich jederzeit den Helden wechseln zu lassen, hat enormes Potenzial. Keines der sonstigen Probleme scheint mir außerdem so gravierend, dass man es nicht während der Betaphase beheben könnte - auch wenn die Entwickler beim Beutesystem oder dem Level- und Gegnerdesign die Ärmel bis zum Kragen hochkrempeln müssten. Grafisch wäre zwar mehr drin, doch hier gilt es vor allem, das Gameplay auf Vordermann zu bringen. Noch lässt sich das Ruder herumreißen. Als Comic-Fan und Diablo-Freak wünsche ich den Machern, dass ihnen das Kunststück gelingt und ihr finales Werk meinen Argwohn Lügen straft.

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Frank Erik Walter Avatar
Frank Erik Walter: Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.
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