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Anodyne – Test

Ein schöner Ausblick auf kommende Talente.

Noch in der ersten Spielstunde stoßt ihr in der Welt von Anodyne auf eine kleine Waldhütte, vor der ein grün gekleideter Elf mit seinem Schwert wiederholt einen Busch angreift. Sprecht die debil grinsende Figur an und der Gute erzählt euch von seinem Job als Busch-Schneider, bei dem er ab und zu Diamanten oder ähnlich wertvolle Dinge findet. Anschließend beklagt er sich über die wirtschaftliche Lage, da es für ihn immer schwieriger wird, seine Familie zu ernähren.

Hommage oder dreister Klon?

Ein netter Seitenhieb auf den Helden eines Spiels, das offensichtlich als Inspiration für das eigene Projekt zweier Studenten diente. Viele Grundelemente eines Zeldas sind in Anodyne vorhanden. Im oberen Bildschirmbereich symbolisieren rote Steine eure Lebensanzeige, deren Anzahl nach jedem Bosskampf erhöht wird. Die Obermotze warten natürlich am Ende eines Dungeons, vollgepackt mit Monstern, Rätseln sowie versteckten Schlüsseln. Jedes Gebiet ist in einzelne Felder unterteilt und auf Karten verzeichnet. Es erfordert keine große Analyse, um passende Vergleiche oder Anspielungen zu finden.

Auch wenn das direkt nostalgische Gefühle weckt, schalten gleichzeitig sämtliche Warnleuchten auf Rot. Zu oft verbrannte ich mir die Finger an Indie-Spielen, die meinen Bezug zu alten Klassikern ausnutzten und ihre fehlenden Ideen hinter einem Retro-Vorhang verbargen. Anodyne fällt irgendwo dazwischen, weil es genügend eigene Ideen bietet, diese aber nie wirklich weiterentwickelt und bis zum Ende des kurzweiligen Abenteuers zu sehr an seinen Vorlagen hängen bleibt.

Statt einer mächtigen Klinge, erhaltet ihr im ersten Dungeon einen Besen, den ihr im späteren Verlauf durch versteckte Ringe aufwertet.

Selbst das Geräusch beim Töten der Fledermäuse erinnert stark an das aus Zelda.

Nehmt als Beispiel die Waffe des jungen Helden, in dessen Unterbewusstsein ihr euch bewegt. Statt einer mächtigen Klinge, erhaltet ihr im ersten Dungeon einen Besen, den ihr im späteren Verlauf durch versteckte Ringe aufwertet. Die meisten Rätsel involvieren daher Staub, den ihr vor Laserstrahlen setzt, im Wasser als Floß missbraucht oder als Eckpunkte nutzt, um Mäuse gezielt auf Schalter zu locken. Alles super Ideen, die euren Gegenstand auf eine clevere Weise nutzen. Nur leider reduziert sich das gesamte Spiel darauf. Ihr findet keine weiteren Waffen oder Objekte, die euch neue Möglichkeiten zur Interaktion eröffnen. Nachdem ihr recht bald den Sprung erlernt, treten keine Fertigkeiten mehr hinzu. Kämpfe sowie Rätsel steigern sich zwar anhand ihrer Schwierigkeit, doch weitet sich die Komplexität niemals aus.

Schöne Fassade mit beflecktem Inhalt

Im kreativen Kontrast dazu steht die Oberwelt, die, wie bereits erwähnt, das Unterbewusstsein des Helden verkörpert und daher problemlos verschiedene Zonen verbindet. Der starke Wechsel im Ton fällt dabei nie negativ auf oder wirkt störend. Ganz im Gegenteil. Während das Gameplay vor allem im letzten Drittel deutlich stagniert, ändern sich die Themen einzelner Gebiete von bekannten Wäldern oder Höhlen hin zu verlassenen Hochhäusern, Hotels und sogar alternativen Realitäten. Obwohl ich gestehen muss, dass Anodyne oftmals etwas wackelig auf dem schmalen Grad zwischen intellektuell anregenden Metaphern und aufgesetzt wirkenden Texten balanciert, verstecken sich viele interessante Gedanken im Spiel. Besonders im Hinblick auf den Namen, dessen Bedeutung ich auch erst einmal nachschlagen durfte. Immer schön zu sehen, wenn Spiele die Neugier auf reales Wissen erwecken.

Sterbt ihr in einem Areal, setzt euch das Spiel am letzten Checkpoint ab.

Doch selbst in einer wunderschönen Welt, deren Musik perfekt die vorgegebene Stimmung komplementiert, fallen schnell Probleme auf, sobald man die spielerische Seite untersucht. Die jeweiligen Verbindungen zwischen den Zonen sind so sehr mit lästigen Wegen gestreckt, dass die Portale, die euch bequem von einem Gebiet ins nächste transportieren, eher Notwendigkeit als Alternative darstellen. Seid ihr einmal durch ein Gebiet gelaufen, wollt ihr nie wieder durch die verwinkelten Räume spurten.

Die einzige Motivation dafür liegt in Sammelkarten, die ihr benötigt, um verschlossene Tore zu öffnen. Wenn ihr eine dieser Karten nach einer Reihe Rätsel erlangt und dann durch diese komplett zurückwandern müsst, wünscht ihr euch sofort ein Portal herbei. Das Backtracking durch solche Räume streckt die Spielzeit genau wie die Karten, was bei einer sonstigen Spielzeit von knapp vier Stunden nicht nötig gewesen wäre. Vor allem da es für Sammler wesentlich interessantere Easter Eggs aufzuspüren gibt, die im Gegensatz zu den Karten vollkommen optional bleiben. Entweder hätte man den erneuten Gang durch viele Räume vermeiden oder unkomplizierter gestalten sollen. Denn noch einmal jeden Schalter eines Rätsel zu betätigen oder Fallen zu umgehen, die er längst durchschaut hat, macht sicherlich keinem Spaß.

Somit reiht sich Anodyne in eine Sammlung von Titeln ein, die riesiges Potenzial in sich verbergen, dieses allerdings nie voll abrufen. Es bleibt damit eindeutig im Schatten seiner Vorlage. Die Welt erschafft zwar eine Atmosphäre auf gleichem Niveau, doch fehlt es leider am nötigen Spieldesign. Mehr Fertigkeiten und vor allem Waffen wünscht man sich bereits nach dem ersten Drittel und auch unnötige sowie teils langweilige Laufwege unterbinden den Spaß zu häufig.

Trotzdem muss man sich vor Augen halten, was zwei junge Entwickler hier geschaffen haben. Natürlich gibt es dafür keine Sympathie-Aufwertung, viele Probleme lassen jedoch auf eine fehlende Erfahrung schließen, weshalb ich persönlich auf das nächste Projekt des Duos gespannt bin. Denn Anodyne beweist in vielen ein Talent, auf das man zukünftig mit Recht gespannt sein darf.

6 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Anodyne

PC, Mac

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Björn Balg

Freier Redakteur

Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.
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