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Defiance Test

Der MMO-Shooter braucht seine Zeit, lässt einen dann aber so schnell nicht wieder los.

Kennt ihr diese Partys, auf denen man zuerst gelangweilt rumsteht und denkt: "Boa, ist das fad. Musik ist meh, kennen tu ich keinen, wär ich doch daheimgeblieben." Und plötzlich ist es fünf Uhr, man hat stundenlang getanzt, gelacht und gefeiert, bestimmt hundert neue Leute kennengelernt und überhaupt keinen Bock, nach Hause zu gehen? So ungefähr ist es mir mit Defiance ergangen. In meinem Ersteindruck fand ich es zunächst mau. Doch nach einer Weile packte mich der Sog umso heftiger. Jetzt, eine Woche später, mag ich gar nicht mehr aufhören.

Irgendwie erinnert mich die Sequenz an einen Archäologen mit Schlapphut und Bullenpeitsche.

Die deutsche Synchronfassung ist grottig - daran ist leider nicht zu rütteln. Die englische Version hat hier eindeutig die Nase vorn. Das Interface gehört ebenfalls dringend überholt - in der PC-Fassung sollte Trion Worlds drei Viertel der Untermenüs streichen. Das würde Tausende Klicks sparen und bündelweise Nerven schonen. Waffen wechseln, vergleichen, modifizieren und handeln ist ergonomisch gesehen eine Zumutung. Auf der Xbox 360 oder PS3 mag das Interface funktionieren - Gamepadsteuerung und so - aber am PC mit Tastatur und Maus? Zurück ans Reißbrett damit!

Ansonsten hat Trion Worlds erfolgreich die süßen Rosinen der Konkurrenz stibitzt. Die TV-Vorlage kombiniert diverse Sci-Fi-Motive zu einem ansprechenden Gebräu. Das macht der MMO-Shooter nicht anders. Die drei prominentesten Inspirationsquellen dürften Borderlands, Mass Effect und Rift gewesen sein.

Weltraum-Schäfer und Kammerjäger als Inspiration

Letzteres liegt auf der Hand - kommt ja aus Trions eigenem Studio. Rift oder Guild Wars 2 waren offensichtlich Vorlage für das Konzept einer großen persistenten Welt mit dynamischen Events für Hunderte Spieler gleichzeitig, die ohne Quest oder Gruppenzwang munter gemeinsam drauflosballern. Oft chaotisch, aber sehr kurzweilig. Die Ausstattung des Cashshops erinnert ebenso an ein MMO: Booster, Outfits, Fahrzeuge und Zufalls-Geschenkpakete - nett, aber zum Glück nicht zwingend erforderlich. Kann man alles mit In-Game-Währung kaufen.

Fahrzeuge dürft ihr jederzeit rufen und mit ausreichend Übung fährt es sich damit souverän und flott über karge Tundren, vereinzelte Ruinen, kleine Gebirge und rotbraune Steppen.

Solche Monsterkanonen findet man gelegentlich und darf sie begrenzte Zeit auskosten.

Von Mass Effect haben die Macher die Steuerung und die Schulter-Perspektive sowie Story-Elemente, Charakter- und Monsterdesigns abgeschaut ("Hab ich die gleiche Rückenplatte nicht neulich an Shepard gesehen?", "Warum pinseln sie diesen Mech nicht gleich schwarz und nennen ihn Reaper?").

Aus Gearbox' Ballerspektakel hat man sich das waffenstarrende Mad-Max-Endzeitszenario geborgt. Vermutlich nicht von ungefähr heißen die Glücksritter in Defiance "Archenjäger" (Arc Hunter), und in Borderlands "Kammerjäger" (Vault Hunter). Statt auf dem lebensfeindlichen Planeten Pandora seid ihr auf einer missglückt-terraformten Erde unterwegs, genauer: rund um das zerstörte San Francisco. Fahrzeuge dürft ihr jederzeit rufen und mit ausreichend Übung fährt es sich damit souverän und flott über karge Tundren, vereinzelte Ruinen, kleine Gebirge und rotbraune Steppen. Anders ausgedrückt: Das Terrain könnte mehr Abwechslung vertragen - vor allem das zweite Borderlands hat hier optisch mehr zu bieten.

Starship Troopers auf der Erde? Ein Archenfall-Boss im Visier.

Bei den Gegnerdesigns nehmen sich beide Titel nicht viel. Hüben wie drüben tummeln sich Mutanten, Banditen, High-Tech-Söldner, Monsterkäfer und Maschinenwesen. Die Viecher in Borderlands 2 agieren aber etwas geschickter. In Defiance beherrschen die Mobs etliche Angriffsmanöver, nutzen Deckung, springen, fallen euch in den Rücken, achten auf ihre Umgebung, flüchten und verhalten sich recht plausibel. Die Spezies attackieren sich sogar untereinander. Ihre Wegfindung ist aber nicht ohne Makel. Steht man auf erhöhten Positionen, nutzen sie weder Leitern noch gehen sie auf Abstand, um ein freies Schussfeld zu haben. Während einiger Quests kämpfen NPCs an eurer Seite - die sind manchmal ganz brauchbar, doch genauso oft überfordert und bleiben gern an Ecken hängen. Ärgerlich ist das in Einzel-Instanzen während der Hauptmissionen, wenn die Heinis einen Trigger auslösen sollen.

Die Quests in Defiance sind so kreativ oder unkreativ wie bei den Kollegen von Borderlands. Töte alles! Knipse Generatoren aus! Beschütze NPCs oder Anlagen! Gehe dahin! Fahre dorthin! Besiege den Endboss (zwei Obermotze der Hauptquest sind echt herausragend. Will nicht weiter spoilern)! Dabei wird zwischen Haupt- und Nebenquests, Spaß-Missionen und so genannten Episodenmissionen unterschieden. Der zentrale Handlungsstrang nimmt erst mit der Zeit an Fahrt auf, und wird erst im letzten Drittel interessant. Das übliche Action-Weltrettungs-Gedöns der Marke: "Mein Plan? Wir gehen rein und schießen!" Die Episodenmissionen werden regelmäßig nachgeschaufelt - ich tippe auf ein Zeitfenster, das zwischen die Folgen im Fernsehen passt - und setzen die Hauptfiguren der Serie in Szene. Sobald Defiance auf SyFy am 16. April anläuft, wissen wir mehr.

Endgegner wie diesen Zeitgenossen gibt es selten - dann aber hauen sie richtig rein.

Spaß-Einsätze wie Hotspot oder Rennen sind überall in der Welt verteilt. Dabei drückt man euch eine Waffe in die Hand oder setzt euch in ein Vehikel und lässt euch um Gold, Silber oder Bronze ballern und fahren. Darf man jederzeit wiederholen und ist teilweise richtig lustig. Einmal stand ich auf einem Getreidesilo und sollte Federvieh treffen, bevor die Glucken von ihren Aufpassern gerettet werden. Moorhuhn: The Next Generation quasi.

Trotzdem mangelte es der Angelegenheit für meinen Geschmack ein wenig am Humor. Im Direktvergleich mit Borderlands wirkt Defiance furchtbar nüchtern und ernst. Klar ist es ein Kriegs- und Endzeitszenario mit Wild-West-Flair. Bitte grimmig gucken und "Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss" nuscheln. Doch selbst Mad Max hatte mehr Lacher zu bieten. Hier dürfen die Macher gerne ein bisschen die Schultern lockern und Gags ins Drehbuch schreiben, die über klischeehafte Alien-Gier und nervige Wissenschaftler-Zoten hinausgehen.

Knarren, Wummen, Ballermänner - Mehr, mehr, mehr!

Hinsichtlich der Waffen-Vielfalt kann natürlich kaum ein aktueller Titel Gearbox das Wasser reichen. Trotzdem verbringt man auch in Defiance so manches selige Stündchen mit der Suche nach neuen Ballermännern und der Optimierung derselben. Ich musste mich allerdings erst daran gewöhnen, dass die Waffen eine längere Halbwertszeit besitzen, als in vergleichbaren Shootern.

Man verbringt in Defiance so manches selige Stündchen mit der Suche nach neuen Ballermännern und der Optimierung derselben.

Nix wie weg! Wer solchen Obermotzen in freier Wildbahn begegnet, sollte rennen!

Erstens sammelt man durch die Benutzung jedes Waffentyps Erfahrung und verbessert dadurch passive Boni. Zweitens verdient man mit den individuellen Schießprügeln Erfahrungspunkte und verbessert dadurch deren Werte. Drittens kann man jede Waffe durch vier Module aufrüsten (zur Waffen-Modifikation komm' ich gleich noch mal) und viertens wurden Gegner und Waffen geschickt aufeinander abgestimmt.

So gibt es dank frischer Waffentypen immer neue Metzelmethoden zu entdecken; doch die Herausforderung bleibt, da die Schadenswerte der Knarren eher gemächlich zunehmen. So haben auch die Mutanten im Einsteigergebiet noch eine Chance, wenn sie mit einem relativ fortgeschrittenen Spieler aneinandergeraten. Darüber hinaus werden die Lebenspunkte der Feinde teilweise der Spielerzahl angepasst (während der 'Archenfälle' zum Beispiel).

Das menülastige Interface ist alles andere als ergonomisch.

Viel wichtiger sind die besonderen Effekte und Spezialfähigkeiten der Waffengattungen. Und da gibt es einige. Mein Granatwerfer zum Beispiel, dessen Geschosse in mehrere kleine Explosivkörper zerplatzen, erwies sich als extrem effektiv gegen leicht gepanzerte Feindgruppen, während starke Widersacher einem Kopftreffer per Scharfschützengewehr mit Elementarschaden wenig entgegenzusetzen hatten. Die Schießprügel verseuchen, verlangsamen, entzünden und blenden Gegner, entziehen ihnen Energie oder werfen sie zurück. Manche Knarren feuern Salven, andere streuen unheimlich, laden schneller nach oder haben ein großes Magazin - das kennt man bereits aus Borderlands und auch in Defiance weckt es zielsicher den Sammlerinstinkt.

Unterwegs erbeutet ihr Rohmaterial, oder gewinnt es aus überflüssigen Waffen. Damit stattet ihr eure lieb gewonnenen Tötungswerkzeuge mit Modul-Slots aus, in die ihr dann waffengattungsspezifische Erweiterungen einsetzt. Ein größeres Magazin fürs Sturmgewehr, mehr Schaden für die Schrotflinte, ein Zielfernrohr für die Pistole - auch hier gibt es etliche Varianten, die sogar "Synergien" mitbringen können (vergleichbar mit den Sets aus Diablo).

Teamwork erwünscht: Manche Strahlenkanonen können Kollegen heilen.

Solche Module gibt es als Belohnung in Nebenmissionen, in Handelsstationen oder als besonders seltene Varianten in Überraschungs-Paketen aus dem In-Game- oder Cashshop. Gerade Letzteres brächte Sammelkarten-mäßiges Tauschpotenzial mit sich, wenn nur das Interface zum Handeln nicht so mühselig zu bedienen wäre. Bitte nachbessern, Trion! Und wie wäre es bei der Gelegenheit mit einem Auktionshaus?

Gemeinsam einsam und massiv kooperationsbereit

Wie im Ersteindruck erwähnt, gibt es keine richtigen Klassen in Defiance. Man hat zwar beim Einstieg die Wahl zwischen verschiedenen Professionen, dadurch ändert sich jedoch nur die Einstiegswaffe und man erhält andere Boni bei speziellen Synergie-Waffen. Individuelle Klassen-Fähigkeiten gibt es nicht. Stattdessen darf jeder Charakter jede der vier zentralen Spezialfähigkeiten mit unzähligen passiven Perks erlernen. Statt eines Fertigkeitenbaums kommt dabei eine Art Fertigkeiten-Mosaik zum Einsatz, in das ihr bei voller Erfahrungsleiste EGO-Punkte vergeben dürft.

Schwer getroffen muss man sich zu seinen Kameraden schleppen, oder respawnen.

Anhand eures 'EGO-Levels' könnt ihr euch mit anderen Spielern vergleichen. Betrachtet man die Achievements, ist das System ziemlich weit nach oben offen. Ich habe die Haupthandlung ungefähr mit Stufe 350 beendet, ohne allzu viele Nebenmissionen abzuklappern. Die Herausforderung "EGO-Entwicklung VI" erfordert unter anderem ein EGO-Level von 4000 (dafür gibt es dann ein schickes Outfit). Das dürfte eine Weile dauern. Mir ist während meines Tests nicht ein Spieler begegnet, der über 1000 hinaus gekommen wäre - allerdings habe ich wegen des sperrigen Interface auch nur selten die nahen Kollegen inspiziert.

Die Interaktion mit anderen Spielern während eures Aufenthalts in Defiance ist sowieso sehr überschaubar geraten. Wie erwähnt, rottet man sich anlässlich zufällig verteilter Archenfälle irgendwo auf der Karte zusammen und klappert in der Folge mehrere Crash-Sites im Pulk ab, um einfallende Mutanten, Käfer, Banditen oder Maschinen zu pulverisieren, bis sich ein Obermotz blicken lässt. Die Haupt- und Nebenquests erledigt ihr allein, dürft einander aber auch spontan zur Hand gehen, sofern sie in der offenen Spielwelt stattfinden.

Es gibt sieben instanzierte Koop-Karten, in denen man mit vier Freunden oder mittels Matchmaking mit Fremden eine Reihe Aufgaben und Bosse erledigt. Sobald die Truppe beisammen ist, wird man in den Einsatz teleportiert - was im Test leider regelmäßig an der Verbindung scheiterte. Dennoch sollte das unbedingt ausgebaut werden. Nach den chaotischen Ballereien in der offenen Welt wünsche ich mir richtig kniffelige Einsätze mit mehreren Kollegen, bei denen Teamwork und die eingebaute VoIP-Funktion gefragt sind.

Wer sich lieber mit anderen Spielern anlegt, freut sich über die seperaten PvP-Karten (alles Team Deathmatch) und so genannte Schattenmissionen. Dabei müssen bis zu 128 Spieler in zwei Teams (64 pro Seite) Anlagen in der offenen Spielwelt erobern und halten. Damit man dabei nicht Unbeteiligten auf die Füße tritt, können nur die Teilnehmer einander schaden. Die Anzahl der zu erobernden Punkte variiert mit der Teilnehmerzahl. Da das Ganze in der regulären Umgebung stattfindet, kommt man um den Einsatz seines Fahrzeugs nicht herum und muss sich zudem auf die feindliche Fauna einstellen. Solche Schattenmissionen besitzen viel Charme und sogar das Balancing der Waffen passt. In Sachen PvP-Inhalte ist trotzdem noch ein bisschen Luft nach oben. Jetzt nur nicht nachlassen, Trion!

Und damit hätte ich eigentlich auch schon das Fazit getippt. "Nicht nachlassen, Trion!" Defiance macht mehr auf Anhieb richtig, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Der MMO-Shooter braucht zwar eine Weile, bis er in Fahrt kommt, doch der Waffen-Sammel-Sog und die Massenkeilereien hielten mich auch abseits der Haupt- und Nebenquests in Atem. Beschäftigungsmangel herrscht jedenfalls nicht so schnell, wenn man alle Missionen konsequent ausreizt und gelegentliche Archenfälle mitnimmt. Langfristig müssten die Episodenmissionen, sowie neue Hauptquests, Koop-Karten und PvP-Maps die Spieler bei Laune halten. Da sind die Entwickler gefragt. Trion Worlds hat einen überraschend vielschichtigen Titel hingelegt, der mich nach anfänglicher Skepsis umso heftiger gepackt hat. Es gibt derzeit zwar noch Macken und Ärgernisse, aber die positiven Seiten überwiegen. Wenn sich die Macher in den nächsten Wochen und Monaten nicht auf den Lorbeeren ausruhen, hat Defiance immenses Potenzial - auch ohne die TV-Serie im Rücken.

8 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Defiance

PS3, Xbox 360, PC

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Über den Autor
Frank Erik Walter Avatar

Frank Erik Walter

Freier Redakteur

Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.
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