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Pokemon X und Y - Test

Das Warten auf die Revolution geht weiter.

Ich verbinde viele Erinnerungen mit Pokemon. Beispielsweise unzählige Nachmittage vor dem Fernseher, um den Anime zu gucken, der mich als Marketingwerkzeug natürlich perfekt auf die Veröffentlichung der ersten Spielegeneration vorbereitete. Ich kann mich noch genau an die Nacht vor dem Kauf erinnern. Ich lag hellwach in meinem Bett und grübelte über die Wahl meines ersten Pokemons nach. Mental erstellte ich mir ein Team, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung vom Kampfsystem hatte. Ich wusste nur, dass ich mich noch nie zuvor in meinem Leben so sehr auf etwas gefreut hatte. Hey, ich war zehn Jahre alt!

Erinnerungen aufleben lassen

Es folgten lange Tage, in denen mein Batteriekonsum seinen Höchstwert erreichte. Meine Eltern gaben mir extra ein Ladegerät, damit ich nicht ihre Fernbedienung plündern würde, nur um meinen Pokedex zu erweitern. Die rote Edition alleine reichte mir nicht. Unter dem nächsten Christraum fand ich die blaue Edition und später erhielt ich zum Geburtstag sogar die gelbe. Alle drei Varianten beendete ich mehrmals und sammelte auf meinem roten Modul sogar alle 151 Exemplare. Eine großartige Zeit, in der sich jeder aus meiner Klasse auf die Pause freute, nur damit wir unsere Teams in den Kampf schicken oder Pokemon klonen konnten. Gespräche füllten sich mit mysteriösen Erzählungen über geheime Evolutionen und versteckte Pokemon. Der Lastwagen neben der M.S. Anne, fälschliche Theorien zum Aufspüren von Mew oder die verbuggte Welt der Safari Zone. Damals benutzte von uns keiner das Internet und solche Gerüchte wuchsen auf dem Nährboden unserer kindlichen Naivität.

Unterschiedliche Kameraeinstellungen lassen die Welt in einem neuen Licht erstrahlen.

Doch während ich mit Gold und Silber ein weiteres Mal für Hunderte Stunden in der paradiesischen Welt abtauchte, verfolg irgendwann meine Faszination. Nicht einmal meine Nostalgie kann mich heute noch an die alten Module fesseln. Zur gleichen Zeit verlor mich auch der Anime als Zuschauer, nachdem Ash ohne Rocko und Misty weiterzog. Als ich das letzte Mal per Zufall eine Episode sah, erkannte ich die Serie nicht einmal wieder. Die Outfits waren neu und die Charaktere verändert oder ausgetauscht. Es hatte für mich keinen Charme mehr. Gleiches galt für die Spiele, die mich auf dem GBA und DS ziemlich kalt ließen. Ein gewisses Interesse für das komplexe Kampfsystem, hervorgerufen durch die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten und versteckten Werte, blieb. Trotzdem fand ich außer einem kleinen Abstecher zur Platin-Edition nie den Anstoß, der mich zurück in den Pokewahn führte.

Genau das wollte ich mit Pokemon X und Y ändern. Es sollte ein Versuch sein, die alte Faszination aufleben zu lassen. Ich wollte mich erneut in der Welt verlieren, die neuen Pokemon studieren und dadurch die besten Teams erstellen. Kleiner Spoiler: So ganz glückte es nicht. Aber dazu später mehr.

Zumindest noch unter 9000

Erst einmal möchte ich auf die neuen Veränderungen eingehen. Diese belaufen sich nämlich auf mehr als nur neue Monster. Zum Glück, denn ich für meinen Teil bin mit den aktuellen Designs überhaupt nicht glücklich. Warum muss es überhaupt neue Tierchen geben? Bei über 600 Pokemon verliert jeder den Durchblick und konzentriert sich schlussendlich nur auf einen kleinen Anteil, der sich als wirklich nützlich herausstellt. Außerdem merkt man bei den Erscheinungsbildern, die immer mehr abstrakten Kunstwerken ähneln, wie krampfhaft und verzweifelt Entwickler Game Freak nach Inspirationsquellen sucht. Lasst es einfach. Wir brauchen wirklich nicht noch mehr Pokemon.

Ich wollte mich erneut in der Welt verlieren, die neuen Pokemon studieren und dadurch die besten Teams erstellen.

Die neuen Mega-Evolutionen sehen einfach geil aus.

Sinnvoller erscheinen mir da schon die Mega-Evolutionen. Manche Monster könnt ihr von der dritten Evolutionsstufe durch den Einsatz von Items auf eine vierte befördern. Allerdings nur für die Dauer des Kampfes. Ich persönlich kann nicht sagen, welchen Einfluss dieses Feature auf die professionelle Szene hat, doch mir gefällt es. So verändert sich die Dynamik der Gefechte auch außerhalb der Neuverteilung von Typen. Zudem sorgte es zum ersten Mal in über zehn Jahren für leuchtende Augen bei einem Pokemon-Spiel, als ich Glurak in ein noch mächtigeres Monster verwandelte.

Spielerische Änderungen konzentrieren sich hauptsächlich auf den unteren Bildschirm eures 3DS. Hier könnt ihr die Pokemon in eurem Team nebenher trainieren oder ihre Zuneigung zu euch steigern. Dazu absolviert ihr kleine Minispiele, die den Touchscreen verwenden, oder gebt ihnen kleine Süßigkeiten. Nebenher verdient ihr euch Sandsäcke, an denen euer Monster automatisch trainiert. Drückt ihr dagegen aktiv auf das Objekt, steigert ihr bestimmte Werte schneller. Eine nette Funktion, die vor allem zu einem stärkeren Bund zwischen euch und euren Pokemon führt. Sie fühlen sich mehr wie eure Freunde an und das Aufwerten bestimmter Eigenschaften gestaltet euer Team persönlicher. Selbst wenn die Minispiele äußerst monoton und zu simpel gestrickt sind.

Man merkt bei den Erscheinungsbildern, die immer mehr abstrakten Kunstwerken ähneln, wie krampfhaft und verzweifelt Entwickler Game Freak nach Inspirationsquellen sucht.

Die Musik gehört wie immer zu den besten Dingen am Spiel. Besonders Neuauflagen alter Songs sind grandios gelungen.

Die jedoch größte Neuerung sollte direkt beim ersten Blick offensichtlich sein. Endlich hat Pokemon auf dem Handheld den Sprung in die dritte Dimension geschafft. Eine vollkommen neue Engine sorgt für zauberhafte Bilder auf eurem 3DS. Die an Paris angelehnte Welt erstrahlt voller saftiger Farben, die eure Umgebung noch lebendiger gestalten. Sogar das Pokemoncenter fühlt sich jetzt neu an. Das Design orientiert sich weiterhin stark am Anime und verfällt durch seinen comichaften Stil nie in den sterilen Look der beiden GameCube-Ableger. Leider beschränken sich die Animationen eurer Pokemon auf statische Bewegungen. Nur elementare Attacken erscheinen in einer richtigen Ausführung. Greift euer Monster dagegen mit dem rechten Arm an, seht ihr wie in der ersten Generation nur einen leichten Schwung, gefolgt von einem Zucken des gegnerischen Pokemons. Visuellen Kontakt seht ihr hier nicht. Genauso wenig wie die Ausrufe der eigenen Namen. Ihr müsst euch weiterhin mit kruden Midi-Geräuschen zufriedengeben.

Die Ketten der Steuerung durchbrochen

Mit dem grafischen Update folgt neue Bewegungsfreiheit. Ihr könnt nun endlich diagonal laufen und euch auf Rollschuhen sogar komplett frei bewegen. Der Wechsel erfolgt hierbei automatisch. Für die Skates benutzt ihr den Analogstick. Gehen eure Finger auf das Digikreuz über, lauft ihr normal auf Schuhen weiter. Allerdings merkt man, dass die freie Bewegung sich nicht mit dem kruden Leveldesign vereinen möchte, das weiterhin auf seine eckigen Abzäunungen besteht. So blieb ich auf den Rollschuhen sehr oft an kleinen Kanten oder Ecken hängen und musste zu den Schuhen wechseln, weil ich ansonsten niemals zwischen zwei Hecken hindurchgekommen wäre.

Hier zeigt sich auch das größte Problem des Spiels: seine Angst vor großen Veränderungen. Ja, ihr bekommt ein paar neue Features, die das Erlebnis sinnvoll erweitern. Ja, ihr könnt nun diagonal oder auf Wunsch sogar frei laufen. Ja, es gibt eine neue Mega-Evolution und viele Pokemon gehören nun einem anderen Typ an. Dennoch hat sich am strukturellen Ablauf nichts, aber auch rein gar nichts verändert. Es fühlt sich genauso an wie das Spiel, das ich vor 14 Jahren das erste Mal in meinen Händen hielt.

Leider beschränken sich die Animationen eurer Pokemon auf statische Bewegungen.

Selten greifen euch feindliche Pokemon auch in Gruppen an. Äußerst nervig und langatmig.

Noch immer sucht ihr euch zu Beginn eines von drei Pokemon aus, die in die Kategorien Feuer, Wasser und Gras fallen. Noch immer lauft ihr auf linearen Wegen über kurze Felder von Stadt zu Stadt und besiegt die acht Arenaleiter. Noch immer kämpft ihr gegen eine böse Organisation, die lieber gegen ein kleines Kind in Pokemonkämpfen verliert, anstatt das Gör einfach zu vermöbeln. Noch immer stellt euch das Spiel arbiträre Hindernisse in den Weg, nur um seinen vorgeplanten Ablauf einzuhalten. Beim ersten Besuch der Hauptstadt könnt ihr nur die südliche Hälfte betreten, weil an den meisten Stellen Bauarbeiter den Weg blockieren. Anscheinend wegen eines Stromausfalls. Erstens ist das eine dumme Ausrede, die keinen Sinn ergibt und zweitens kann ich hinter den Deppen zahlreiche Lichter in den Häusern erkennen, sollte ich bei Nacht spielen.

Wollen wir keine Veränderung?

Ihr fangt in eurem kleinen Dorf an, sammelt die ersten Pokemon und klaut jedem anderen Trainer auf eurer Reise sein Taschengeld, nachdem ihr ihn im Kampf besiegt habt. Wieso ist das in Ordnung? Wieso erlauben wir Pokemon dieses ewige Auf-der-Stelle treten, während wir uns überall anders darüber beklagen? Natürlich macht es weiterhin Spaß. Doch die wirkliche Freude beginnt erst im Endgame, wenn ihr euren Monstern die besten Attacken gegeben und die perfekten Teams erstellt habt. Dann macht ihr euch auf in den Kampf gegen menschliche Spieler oder versucht, euren Pokedex zu vervollständigen.

Ich möchte das Gefühl eines wirklich neuen Pokemon-Spiels bekommen und nicht bloß ein grafisches Update.

Noch immer gibt euch das Spiel nur einen Speicherstand. Selbst das Kopieren eurer Datei funktioniert nicht.

Aber der Weg bis dahin fühlte sich für mich trotz der schönen Optik, des Charmes und der vielen Neuerungen ausgelutscht an. Zumal jetzt all eure Pokemon Erfahrungspunkte nach einem Gefecht erhalten. Auf der einen Seite erleichtert es das Aufleveln neuer Tiere. Auf der anderen Seite sorgt es für einen viel zu leichten Schwierigkeitsgrad. Obwohl ich abseits der normalen Kämpfe auf den Routen nie trainierte, war ich meiner Konkurrenz immer fünf bis teilweise sogar zehn Level voraus. Und da jedes Pokemon in meinem Team Erfahrungspunkte erhält, musste ich primär nur zwei oder drei im gesamten Spiel benutzen. Kämpfe wurden langweilig und anstrengend. Erst zum Ende nahm der Schwierigkeitsgrad wieder zu. Ich bin ehrlich: Der Mittelteil hat sich sehr hingezogen und ich musste zwischendurch längere Pausen einlegen, um nicht einzuschlafen. Die Finessen des Kampfsystems zeigen sich erst, wenn euer Gegenüber sie einfordert. Und das war die meiste Zeit einfach nicht der Fall. Ich möchte nicht extra die Nuzlocke angehen, nur um interessante Kämpfe zu haben.

Darüber hinaus hält das altbackene Leveldesign die neue Engine zurück. Cineastische Kameraeinstellungen, die euch ein Gefühl von Tiefe in der Welt vermitteln, sind schön und gut. Doch verändern sie nicht die Art, wie ihr euch bewegt. Ich möchte die Umgebung frei erkunden und nicht alle fünf Schritte von einer Wand ausgebremst werden. Wo sind die großen Felder? Liebe Entwickler, bitte wagt endlich den richtigen Schritt und verwandelt es in eine frei begehbare Welt, die nicht bloß aus festen Schienen besteht. Ich möchte das Gefühl eines wirklich neuen Pokemon-Spiels erhalten und nicht bloß ein grafisches Update. Den Rest habt ihr mittlerweile perfektioniert. Da hilft es auch nicht, wenn ich nun die Klamotten meiner Figur ändern darf.

Ich kann bereits jetzt die Zornesschreie vieler Fans hören, die meine Ankreidung der Struktur als Blasphemie empfinden. Besonders für Leute, denen es nur um das Endgame und den Kampf gegen menschliche Spieler geht. Doch für mich war Pokemon stets mehr. Es war die abenteuerliche Reise eines Kindes voller Entdeckung, deren Grenzen damals noch kein Problem waren. Doch heute ist so viel mehr möglich, und während sich das komplizierte System aus Typen, Attacken und versteckten Werten weiterentwickelte, blieb das eigentliche Abenteuer mehr oder weniger unverändert stehen.

Irgendwie ist es auch egal. Ihr habt euch bestimmt schon vor dem Artikel entschieden, ob ihr das Spiel kaufen werdet. Obwohl ich sagen kann, dass es sich bei X und Y um die bisher besten Editionen handelt, bleibt es hinter den Schritten zurück, die ich nach 14 Jahren eigentlich sehen möchte.

8 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

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Pokémon X and Y

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Björn Balg

Freier Redakteur

Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.

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