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Sonic Lost World - Test

Es ist anders. Gut so.

Interessant, das Tal scheint endgültig durchschritten und nun muss ein gewisser Klempner sich langsam warm anziehen. Erst hakt Sonic das Kart-Thema auf der Wii U fürs Erste ab, nun legt er nach dem schon sehr erfreulichen Generations im Jump-and-Run-Genre nach. Zu Marios Ehrenrettung sei gesagt, dass er mit dem dreidimensionalen Kugel-Hüpfraum in Galaxy schon viel früher experimentierte, aber das ist zum einen eine Weile her und zum anderen auch irgendwie anders als das eigenwillige Sonic: The Lost World auf der Wii U. Vor allem ist es aber um Längen mutiger als alles, was bisher von Nintendo selbst auf der "großen" Konsole zu sehen war.

So wild das Design der Stages auch wirken mag: sie funktionieren.

Die Grundidee scheint zu sein, dass alles erlaubt ist, was gefällt und damit warf man das bisher für Sonic meist mehr schlecht als recht funktionierende 3D-Konzept der Korridore über den Haufen. Statt dessen erwarten euch wilde, verschachtelte Welten, in denen ihr oft auf einer gewaltigen Röhrenwelt, die über irgendeinem Planeten schwebt, herumlauft. Oft sehr schnell, meist jedoch langsamer und vorsichtiger. Das generelle Tempo ist dabei nicht mehr der unkontrollierbare Raketenantrieb, sondern etwas behäbiger und vor allem in seinen Bewegungen viel durchdachter als es Sonic in dieser Extra-Dimension jemals war.

Nach ein wenig Einspielzeit merkt man deutlich den Gedanken hinter dem Ganzen, der ziemlich deutlich was mit Parcourslaufen zu tun hat. Sonic rast nicht, nur um dann an eine Wand zu donnern und für ein paar Sprünge das Tempo rauszunehmen. Stattdessen ist die Geschwindigkeit deutlich niedriger, die Kontrolle beim Rennen weit höher und die Möglichkeiten, dieses Tempo zu halten und durch die Welt zu navigieren, deutlich vielfältiger. Sonic kann eine nicht zu hohe Wand hochrennen, sich auch mal schnell an einer Kante hochziehen, wieder durchstarten. Und der Ziel-Angriff wurde zusammen mit den Positionen der Gegnern so optimiert, dass diese weniger Feinde, sondern oft mehr Trittbretter sind.

Das größte Hindernis, mit dem dieses Sonic zu kämpfen haben dürfte, sind die Erwartungen der Spieler, wie sich ein Sonic-Spiel zu spielen hat.

Naturgesetze sind für Anfänger!

Das alles zusammen wäre schon eine kleine Revolution, denn nie zuvor bot Sonic in 3D ein solch durchdachtes Gefühl der Kontrolle seitens des Spielers. Nur noch in den - nicht zu seltenen - Transportsequenzen von einem Teil des Levels zu einem anderen seid ihr nicht Herr der Dinge, sondern lehnt euch für ein paar Sekunden zurück. Den Rest der Zeit ist es ein ausgebremster Temporausch, in dem ihr wisst, was ihr tut, weil ihr es wirklich tut und nicht nur hoffend beobachtet, immer in der Sorge, dass das nicht gut gehen kann, was der Igel da veranstaltet. Dazu kommt der vorsichtig gesagt eigenwillige aber gleichzeitig auch immer erfrischend chaotische Aufbau der Stages. Nicht in dem Sinne, als dass ihr nicht wüsstet, wo es lang geht, sondern einfach auf eine Weise, die den Spaß suggeriert, den es wohl dem Team bereitete, solchen Wahn zu erschaffen.

Das größte Hindernis, mit dem dieses Sonic zu kämpfen haben dürfte, sind dabei die Erwartungen der Spieler, wie sich ein Sonic-Spiel zu spielen hat. Ich muss es noch einmal ganz deutlich betonen: Lost World spielt sich anders. Es ist langsamer, es erfordert ein gewisses Umdenken, es bietet in 3D mehr, als nur den Stick nach vorn zu drücken und zu reagieren. Aber das erfordert auch den Willen, sich darauf einzulassen. Ihr müsst lernen, mit dem Doppelsprung, dem Homing-Angriff, den Wandlaufereien und vor allem eben dem langsameren Tempo umzugehen, um den Spielfluss zu finden, der definitiv da ist, weil ich ihn in praktisch jedem der Stages fand. Okay, nicht im ersten und dritten Eis-Level, die sind aus der Hölle. Wer unbedingt den Sonic haben will, wie er immer war, vor allem in dem 3D, das Generations bot, der wird hier nicht glücklich. Es ist anders. Und ich denke, es ist eine sehr gute Art von 'anders'.

Das heißt nicht, dass alles 'perfekt' wäre, wann war es das je bei Sonic?

Die Bosse sind lustiger als ihre Stimmen suggerieren.

Das heißt nicht, dass alles 'perfekt' wäre, wann war es das je bei Sonic? Gerade bei der Steuerungspräzision auf kleinsten Raum vermittelt Mario weit mehr Feingefühl. Auch ein paar billige Tode gehören vor allem der Eis-Welt dazu, da hier die Steuerung ehrlich gesagt ein wenig zu sensibel reagiert. Manchmal wird der Homing-Angriff nicht richtig sitzen und es gibt Momente, in denen die Kamera etwas eleganter positioniert sein könnte. Aber es ist die Ausnahme und lässt sich in der Regel auch insoweit ohne unnötige Tode umschiffen, indem man gelernt hat, wie der Igel reagiert.

Dieses Gefühl der neuen, anderen Form von Kontrolle zieht sich zum Teil auch in die 2D-Stages- und Abschnitte, die mindestens ein Drittel des Spiels ausmachen. Zum ersten Mal erscheinen sie nicht als die Retter in dem 3D-Chaos, sondern lediglich als nette kleine Abwechslung, ein wenig Semi-Retro in einem an sich neuen, geglückten Leben, das der Igel nach langer Suche fand. Die Kamera ist oft weit herausgezoomt, sodass das Gefühl der Riesenhaftigkeit der Stages auch hier erhalten bleibt, sonst jedoch ist es klassische Kost aus rennen und immer wieder mal abbremsen, um eine schwierige Sprungpassage gezielt zu meistern. Es sind nicht die besten Abschnitte dieser Art, die Sonic je zu bieten hatte. Sie sind aber doch immer wieder mit kleinen Überraschungen gespickt, sodass auch sie die Frische transportieren können, die in Lost World steckt. Vorausgesetzt natürlich man kommt darüber hinweg, dass sich Sonic eben nicht mehr so steuert wie früher, sondern langsamer und überlegter.

Zum ersten Mal erscheinen einem die 2D-Abschnitte nicht als die Retter in dem 3D-Chaos, sondern als nette kleine Abwechslung.

Ich hasse Eis-Level!

Angesichts der enormen Dimensionen der Welt um Sonic herum, der Freiheit, alles damit anstellen zu können, auch jenseits der Physik, enttäuscht ein wenig die Wahl der Motive der insgesamt sieben Welten. Green Hill zum Start muss natürlich sein, aber Eis, Feuer, zwei weitere Male Grün - einmal als Strand und einmal als Wald -, das ist sicher nicht der Gipfel kreativer Gedankenwelten, sondern lediglich ein thematischer Hintergrund für die Farbwahl eines Stages. Das schmälert das Design nur zum Teil, denn diesem selbst gelingt es trefflich, das "Sonic-Feeling" einzufangen, das sich aus dem orientierungslosen, aber glücklichen Frohsinnsgefühl der 90er und einer satten Farbpalette ergibt. Der SEGA-Anstrich halt, diesmal wieder in Hochform und dem prächtigen HD, das schon Sonic Racing Transformed glänzen ließ, nur dass es diesmal sogar auf Konsole feste 60 FPS sind.

Die sieben Welten sind auf einer etwas verwirrend gestalteten Oberwelt arrangiert. Warum diese aus Sechsecken aufgebaut ist, kann ich mir eigentlich nur aus der Story herleiten, denn es geht um sechs mehr oder weniger böse Wesen - die Bosse -, also sind es Sechsecke ...? Egal, jede Welt hat vier Stages zu bieten, die jeweils mit den Möglichkeiten des Welt-Themas spielen. Drum herum findet ihr ein paar zunächst gesperrte Bonus-Spiele, die eine gute Extra-Motivation darstellen, die in den Leveln versteckten roten Sterne zu finden. Statt einfach nur da zu sein, schalten sie als Belohnung ein wenig Content frei, was nie verkehrt ist, selbst wenn diese Mini-Spiele definitiv das 'Mini' betonen und nicht gerade vom Hocker hauen. Die roten Sterne sind eh schon ein Fall für sich. So fies, wie sie mitunter versteckt sind, kann man sie als Fehdehandschuh im Gesicht des Spielers begreifen. Es ist immer machbar, aber mitunter ist es entweder Millisekunden-Timing oder ganz schönes Herumtüfteln. Meist die gute Art von frustrierend. Manchmal auch nur frustrierend.

Die Wisps schicken euch an sonst unzugängliche Orte.

So reguliert Lost World dann auch seinen nicht einstellbaren Schwierigkeitsgrad. Einfach nur einen Stage zu beenden, ist gerade in den ersten drei Welten kein so großes Problem. Die fünf roten Sterne zu finden, möglichst viele Tiere zu retten, indem ihr die Fallen findet und möglichst alle Gegner erledigt, ist ein ganz anderes Thema, zumal ihr auch noch ohne Treffer durchkommen solltet, um alle Ringe über die Ziellinie zu tragen. Dazu sind die Stages verschachtelt genug, um oft auch nach fünf, sechs oder mehr Durchgängen auf neue Wege zu stoßen. Daran haben die seit Sonic Colors inzwischen fest einführten Wisps ihren Anteil, die dafür sorgen, dass der Igel wie eine Rakete in den Himmel startet oder sich mit einem Bohrer durch das Erdreich wühlt. Die Bosse schließlich spielen jeder mit den bis dahin in der Welt aufgetauchten Fallen und Extras, um euch jedes Mal mehr zu bieten, als nur drei Treffer und tot. Auch sie sind nicht zu schwierig, aber zumindest spaßig zu spielen, was wiederum an der Eleganz der Bewegungen liegt.

Und weil kein Spiel ohne einen echten Hänger auskommt, darf er auch in Lost World nicht fehlen. Zum Glück lässt er sich fast immer per Tastendruck überspringen. Gemeint ist natürlich das Kinder-TV-gerechte Etwas, was sich Handlung schimpft, und mit Stimmen aus dem siebten Kreis der Synchronisationshölle auftrumpft. Man fragt sich schon, ob SEGA sich bewusst Mühe gibt, oder ob es Zufall ist, dass alle Sprecher in Sonic-Spielen dafür sorgen, dass sich einem die Zehennägel aufrollen. Egal, ein Tastendruck und das Elend ist vergessen. Wenn nur die Bosse in ihren Stages nicht immer wieder mal dazwischen quatschen würden. Das hätte nicht sein müssen! Wenn ich daran erinnert werden möchte, dass die Stimmen schrecklich sind, muss ich nur die schön ausführlichen Sequenzen gucken. Was ich natürlich tunlichst vermeide. Danke, Start-Button, hier warst Du mir ein guter Freund!

Und immer wieder mal sieht es einfach nur klasse aus.

Sonic überrascht mit Lost World erneut. Nicht nur scheint der Igel das tiefe Tal des 2006er Reboots endlich durchschritten zu haben, die Entwickler fanden sogar einen Weg, endlich das Tempo auch in der dritten Dimension nicht nur irgendwie, sondern wirklich elegant handhaben zu können. Die neuen Bewegungen erlauben ein viel flüssigeres Spiel, als es noch in den für mich stets zu reduzierten modernen Abschnitten von Generations der Fall war. Dort war es ein reines Rennen und Reagieren in bunter Schönheit, hier geht es klar in die Richtung eines klassischen Jump-and-Runs mit etwas mehr Tempo - oder etwas weniger aus der Sicht der Sonic-Reihe. Es steuert sich dabei nicht so präzise wie ein Mario-Galaxy, das ist richtig, diesen Level muss sich Team Sonic noch erarbeiten. Aber es scheint zumindest Willens das zu tun, was derzeit mehr ist, als ich von Marios Wii-U-Anläufen behaupten kann.

Rein als Jump-and-Run betrachtet, ist es die alte Klasse, zu der Sonic Lost World findet, das aber auf eine neue, seine ganz eigene und unglaublich unterhaltsame Weise. Es ist nicht perfekt - war Sonic nie -, es läuft nie so rund wie ein Mario, aber es ist spannend und mutig entworfen, es erfordert gerade von alten Fans der Reihe ein wenig Umdenken, wie es gespielt werden möchte, und kommt euch dabei nicht jeden Schritt des Weges entgegen. Aber wenn ihr euch darauf einlasst, dann bietet es euch ein frisches Sonic-Spielgefühl. Nicht unbedingt ein Besseres, nicht unbedingt ein Schlechteres, aber ein Anderes, als das, was man bisher mit der Serie verband. Das ist selten gesehener Mut seitens eines Entwicklers. Ich denke, er hat sich ausgezahlt.

8 / 10

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In diesem artikel

Sonic Lost World

Nintendo Wii U, PC, Nintendo 3DS

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Über den Autor
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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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