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Erstkontakt: Shadow Man

Magisch.

So ganz mit dem Erstkontakt stimmt das nicht. Ich erinnere mich dunkel an ein geliehenes N64-Modul, begraben unter diversen VHS-Kassettenhüllen. Ein Spiel aus der Videothek kostete eine Mark pro Tag und eine kurze Fahrradfahrt. Die Folge: jeden zweiten Tag was anderes Buntes und Knallendes. Einige kamen unter die Räder - im übertragenen Sinn - und ungespielt wieder zurück. Gab ja nur eine Mark zu verlieren. Wenn sie nicht gerade das Glück hatten, übers Wochenende zu Gast zu sein.

Shadow Man war eines der Sorte "Schauen wir mal rein, aber eigentlich ist der Sommer draußen auch ganz nett". Nachdem ich vor Kurzem aus einer Laune heraus einige Stunden mit der Dreamcast-Version verbrachte, muss ich sagen: schade, dass es nicht regnete.

Das Spiel liefert umfangreiche Hintergründe zu den fünf Serienkillern, die Michael finden soll. Generell ist die Geschichte ein sehr düsteres, spannend erzähltes Stück inklusive 'Tadaa!'-Twist.

Entwickler Acclaim Studios Teesside stellte auf Grundlage der Shadow-Man-Comics seine eigenen paar Überlegungen zum Thema "Metroidvania" an und ihm einen mit Voodoo, Jack the Ripper und biblischen Motiven angereicherten Plot an die Seite. Man kann nicht behaupten, sie hätten den Ansatz in 3D perfektioniert - das gelang jemand anderem erst drei Jahre später mit Metroid Prime -, aber es verwundert etwas, dass Shadow Man heute nicht öfter wenigstens die paar Danksagungen bekommt, die es verdient.

Das Totenreich, durch das man sich in der Rolle von Michael LeRoi bewegt, folgt einem wabenförmigen Aufbau mit so einigen Überschneidungen zwischen den Abschnitten. Statt einen davon auf nimmer Wiedersehen abzuklopfen, kommt man immer wieder zurück und nimmt vormals verschlossene Abzweigungen. Backtracking, wie man es kennt, doch zumindest bis zu dem Punkt, an dem ich spielte, keine Belastung. Ich bin generell ein Freund dieser Auffassung, mag den "Klick!"-Moment, wenn einem einfällt: "Da hinten... stimmt... hab ich ganz vergessen...".

Als die Levelgestaltung noch im Vordergrund stand: Shadow Man hat jede Menge ineinander übergehender Gebiete, in denen man sich verlaufen kann und die euch immer wieder mit zunehmenden Fertigkeiten Wege öffnen.

Es entsteht eine viel intimere Beziehung zwischen Spieler und Welt, weil beide parallel zueinander wachsen. Und sie ist in dem Fall ein verstörender Verbund aus Korridoren (Wahnsinn, all die rechten Winkel!), brutalen Eisenpressen, blutverschmierten Zellen (in der deutschen Version: grünes "Alien"-Blut...) und Höhlen. Es ist ernüchternd, wie wenig große moderne Action-Adventures diese Zeit zu bewahren versuchen - wenn es nicht gerade um schweinecoole Waffen-Upgrades geht - und wie stark sie sich räumlichen Orientierungsproblemen inzwischen als Teil des Spielerlebnisses verweigern.

Hat sich jemand von euch mal in Uncharted verlaufen oder in God of War? Diese Titel verlagern ihre Konflikte auf die kämpferische Seite (wiederum keine große Stärke von Shadow Man), was auch super funktioniert, aber der Spieler soll zu jeder Zeit wissen, wo das Spiel ihn haben will.

Shadow Man und seine Art sind anders. Den reinen Spielablauf überlappende Texthinweise gibt es keine, nur ganz vorsichtige Gedankenanstupser der wenigen Charaktere, zu denen man sich mit dem Teddybär von Michaels verstorbenem Bruder teleportiert. Ansonsten ergibt sich alles aus dem Spiel heraus, oder auch nicht, und ich müsste lügen bei der Behauptung, am Wochenende nicht zweimal gedanklich der PC Player und ihrer ins Netz geratenen Lösung gedankt zu haben.

Die Ersterkundung eines neuen Gebietes ist eine Zeit voller Fragen: Wieso gibt es hier mehr Wege, als man sich auf Anhieb merken kann? Wie kommt man über den Lavasee? Warum hat mir keiner gesagt, dass der Kerl tauchen kann? Echt jetzt, Wasserfälle erklimmen? Wo kriegt man den Schlüssel für die Türen in der Anstalt? Ein Action-Adventure, das neben der Action den "Adventure"-Anteil nicht vergisst.

Das Spiel startet im US-Bundesstaat Louisiana, in den Sümpfen, wo unter anderem Krokodile lauern.

Und vor allem: Wie kann man die fünf Serienkiller in der Welt der Lebenden besiegen? Michael muss einen Weg finden, seine Schattenwaffen dort nutzbar zu machen, und bis das so weit ist, lässt euch das Spiel einfach mal machen. Man muss auch das Umkehren unverrichteter Dinge als Spielelement akzeptieren und verstehen, dass der Spielfluss nicht nur eine Richtung kennt.

Einzige Konstante sind die Sargtore zum Verbinden der Abschnitte, die aneinandergelegt eine Struktur ergeben sollen wie auf der Karte unten. Zum Öffnen jedes Tors braucht man dunkle Seelen, und je mehr davon beisammen sind, desto mehr Wege stehen offen. So weit, so Metroid.

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Egal, ob man nun die alten Tomb Raiders betrachtet oder Shadow Man, sogar Resident Evil: Diese Spiele schärfen ein Gefühl fürs Übergeordnete und den Zusammenhang, sei es für einen speziellen Level oder den Raum dazwischen. Heute ist das leider selten so. Spiele wollen gefallen, am besten auf Anhieb. Sie drängen ihre Bilder und Eindrücke dicht aneinander, ohne Lücken, es gibt keine Szene, in der man sich fragen müsste, wo es nun langgeht und wieso. Die meisten Levels sind voneinander getrennt. Und wenn es doch mal hakt, gibt es gaaanz unauffällige Kamerafahrten oder die Zielmarkierung freut sich darüber, dass sie jemand für diesen Fall entwarf.

Jedem Spiel lag diese Karte bei. Auf der Rückseite erleichterte ein kleiner Einsteiger-Guide den Weg bis ins Asyl.

Sie wollen zeigen, was sie haben, und damit eine große Schnittmenge treffen, dafür sind sie teuer genug in der Produktion. In den Neunzigern waren solche Überlegungen wahrscheinlich sekundär. Shadow Man ist ein gutes Beispiel, wie viel in der Richtung während 15 gar nicht mal so langer Jahre passieren kann.

Der einzige Schwachpunkt unter Rücksichtnahme darauf, dass es eben ein altes Spiel ist: die Kämpfe, wie gesagt. Ich habe keine Ahnung, wie das Ganze damals so aufgenommen wurde, aber heute... sehr "basic", würde ich sagen. Man steht halt da und ballert auf den Gegner vor sich, kann seitlich ausweichen und das war's. Ein Actionkampf, wie er üblich war, als Controller meist nur einen Stick bzw. Steuerkreuz hatten, und Lara machte es in dieser Zeit auch nicht besser. Der Schattenwaffensound ist quälend und man hört ihn ungefähr zehntausendmal. Spätestens bei den erwachenden Schwestern im Tempel des Feuers stirbt man auch genauso oft, wenn man nicht gerade weiß, was passieren wird, und sich brillant anstellt.

Doch darum ging es ja irgendwann einmal in Spielen. Darum, sich die Hörner abzustoßen, zu probieren, noch einmal, es dann besser zu machen, zusammen mit dem Spiel zu wachsen. Eben nicht der Held zu sein, sondern langsam einer zu werden. Shadow Man ist sicher nicht nur, aber auch für diese Erkenntnis eine kleine Zeitreise wert.

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Sebastian Thor Avatar
Sebastian Thor: Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.
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