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Und wieder wird Watch Dogs von der Realität überholt: Amazons Fire Handy.

Die virtuelle Fiction muss weiter greifen, um mit der realen Science Schritt zu halten.

Watch Dogs hat es schon nicht leicht. Da denkt man ein paar Jahre zuvor, dass man der große Vorreiter ist, vielleicht sogar so etwas wie eine Warnung vor einer Schönen Neuen Welt, und dann wird man links und rechts von der Realität überholt. Erst kommt ein gewisser Snowden des Weges und legt der Welt Beweise vor, dass alles noch viel schlimmer ist, als wir es eh schon ahnten (übrigens: Asyl für Snowden!), und jetzt legt die in Kürze für kleines Geld erhältliche Technik noch mal nach.

Gestern stellte Amazon sein Fire Handy vor, das in vielerlei Hinsicht nichts Weltbewegendes bietet - recht normaler Screen, Prozessor und so weiter -, aber auf der Rückseite vier kleine Kameras verbaut hat, die die Umwelt, auf die sie gerichtet werden, abtasten und so eine Art 3D-Bild erstellen können. In diesem erkennen sie alles Mögliche. Vor allem natürlich Dinge, die man danach auch bei Amazon bestellen kann. Haltet ihr das Gerät auf einen TV, auf dem eine Serie läuft, sagt euch das Gerät, welche Serie das ist, welche Folge läuft, welchen TV ihr vor euch habt und was es euch kostet, die eben gesehene Realität über Amazon in euer Wohnzimmer liefern zu lassen. Am besten per One-Klick-Buy, nicht dass ihr noch zu lange darüber nachdenkt.

Auch Dinge, die nicht bei dem arbeitsrechtlich verdächtigen Großversender zu haben sind, erkennt das Fire. Scannt ihr ein Auto oder auch nur das Werbeplakat für ein Auto, bringt euch das Gerät auf die Website des Herstellers. Das soll mit so ziemlich allem funktionieren, was so in der Welt herumsteht. Ein TV bringt euch zu Amazon, ein Baum oder die Pyramiden von Gizeh auf die entsprechende Wikipedia-Seite oder zu dem, was Google findet. Es ist ein wenig wie Google Glass, ohne gleich die Feindseligkeit der Welt auf sich ziehen zu müssen, weil die, aus welchen Gründen auch immer, nicht noch mehr unbemerkt gefilmt werden möchte, als das eh schon geschieht.

Im virtuellen Chicago muss ich erst zu einem bestimmten Punkt laufen, um Touri-Infos zu bekommen, beim Fire soll Sichtkontakt reichen.

Watch Dogs' Handy kann das nicht. Warum eigentlich? Es kann beliebig Personen scannen, das kann Amazons Fire und auch kein anderes Handy (noch?) nicht. Auch das Hacken von Konten, selbst Amazon-Konten, ist zum Glück noch nicht per One-Klick-Robbery möglich. Aber zum Beispiel in Chicago eines der Gebäude oder einen Park sehen, das Handy darauf richten und lesen, was es ist, das kann es nicht. Fire soll das können, manche Apps kriegen das hin, warum also nicht auch das ach so futuristische Watch Dogs?

Gerade bei den Fahrzeugen wäre es hilfreich. Ich sehe ein Auto, ich scanne es, das Spiel-Handy verrät mir, welches das ist, und bietet mir direkt die Möglichkeit an, es beim Spezial-Dealer zu "bestellen". Stattdessen muss ich mich reinsetzen und dann hoffen, dass das Spiel der Meinung ist, dass ich es ordern darf. Fire bestellt mir alles, was ich sehe, wahrscheinlich sogar die Pyramiden, wenn ich die spezielle Oligarchen/Scheich/Hedgefond-CEO-Funktion freigeschaltet habe.

Die Verbindung von Spiel und realer Welt könnte an dieser Stelle auch weitergehen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Werbung in Spielen, solange sie sich in das Spiel einfügt, ohne dieses an sich zu behindern oder die Immersion in der Spielwelt zu stören. Natürlich sind in der Regel Sportspiele dafür prädestiniert, ich denke ich habe noch kein einziges Einzelbild dieser WM ohne ein Firmenlogo gesehen. Watch Dogs gehört allerdings zu den wenigen Spielen, bei denen ich es mir auch gut vorstellen könnte, und es würde ihm sogar Gelegenheit geben, noch genauer die Realität abzubilden, in der wir schon bald leben werden - oder vielmehr: es längst tun.

Der kleine Unterschied: Fire hätte stattdessen die Werbeplakate gescannt.

Statt ausgedachter Werbeplakate könnten Firmen leicht futuristische Werbedesigns für reale Produkte entwerfen. Ihr könnt diese mit dem Handy scannen, falls sie euch interessieren oder ignorieren, falls der Werbung das nicht gelingt. So wie ihr in der Wirklichkeit ein für euch interessantes Plakat lest und vielleicht seinen QR-Code einscannt oder es eben nicht tut. Diese Werbung ließe sich als Produkt-Placement vermarkten. Ob Ubisoft diese zusätzlichen Einnahmen dann einfach unter Gewinn verbucht, als Preissenkung an den Kunden weitergibt oder aber in die Entwicklung besserer Spiele steckt, bleibt ihnen überlassen. Ich tippe auf Möglichkeit Nummer eins, aber gegen zwei oder drei hätte ich nichts.

Aber so oder so und das nur als Gedankenspiel, Watch Dogs tut dies nicht und auch wenn ich dieses Spiel in vielerlei Hinsicht schätze: Zwischen den Schlagzeilen "Hier sitzt die NSA in Deutschland" und "Amazon stellt Fire Handy vor" fühlt sich der Titel etwas verloren an in einer Welt, die er selbst scheinbar kaum erfassen, geschweige denn noch mit den Mitteln der Science-Fiction überzeichnen kann. Vielleicht sollte ich ihn dafür schätzen, als ein modernes Relikt der Zeit, bevor jeder die Welt in 3D vermaß, um die Daten an Amazon zu schicken und nebenbei noch Die Vermessung der Welt zu bestellen. Um daraus Alexander von Humboldt zu zitieren: "Ein Hügel, von dem man nicht wisse, wie hoch er sei, beleidige die Vernunft, mache ihn unruhig. Ohne stetig die eigene Position zu bestimmen, könne ein Mensch sich nicht fortbewegen." Keine Sorge. Das Problem haben wir schon längst nicht mehr. Und für dieses Zitat musste ich mich nur zu Amazon bemühen.

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Watch Dogs

PS4, Xbox One, PS3, Xbox 360, Nintendo Wii U, PC

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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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