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Vampire und Troika Teil 3 - Villa des Malkavianer, vergessene Objekte, Version 9.1

"Die eine Seite schnell fertiggemacht, damit die Zwischensequenz stimmt. Dann war die Zeit um."

Lest auch die ersten beiden Teile des Vampire-Bloodlines-Specials: Vampire: Bloodlines & Troika - Eine Chronik ruhmreichen Scheiterns und Vampire und Troika Teil 2 - Vergiftete Burger, verprellte Publisher, verlorene Zeit.

Activision kann sich glücklich schätzen, dass es jemanden wie Werner Spahl gibt. Dank ihm bekommt Vampire: Bloodlines keine zwei oder drei Patches, sondern hundert. Völlig kostenlos halten diese das Spiel auf Steam am Leben, werden bei jedem Sale zehntausendfach heruntergeladen - zehn Jahre nach dem Release. Der letzte Teil eines verfrühten "Happy Birthday".

Werner Spahl, im Internet unter seinem Nickname Wesp5 unterwegs, ist kein Rollenspieler. Er mag vor allem Shooter und spielt Bloodlines zuerst auch nur wie einen solchen - Toreador mit Feuerwaffen und Celerity -, interessiert sich mehr für die Technik hinter der Source-Engine. Das Spiel macht ihm Spaß wie viele zuvor, aber das hier ist eines der Sorte, wo es richtig 'Klick' macht: "Als die Enthüllung mit den beiden Schwestern im Asylum kam", sagt er, "da bin ich fast rückwärts umgefallen".

"Hallo, das ist ein Computerspiel! Normalerweise leg ich da jeden um", lacht er. Dieser Moment ist nicht der typische, alles umwälzen wollende Erzähl-Twist mit Vorhang-weg-Moment, wie man ihn aus anderen Spielen kennt. "Nein, eine ganz normale Nebenrolle und so raffiniert gemacht".

Er hängt am Haken dieses liebevoll geschriebenen Spiels und es ist umso bitterer, wenn es dann nicht funktioniert. Der Entwickler Troika liegt im Sterben, mit dem offiziellen Patch 1.2 als letztem Lebenszeichen. Die Community fixt bereits Anfang 2005 auf eigene Faust. Ein Modder namens Dan Upright nimmt sich der Probleme an und gibt ein inoffizielles Update mit weiteren Fehlerfixes heraus - und damit indirekt den Startschuss für Werner Spahl.

''When I pout, the whole world tries to make me smile. And everyone always wants to know, who... is... that girl?'' Jeanettes Auftritt bleibt einer der erinnerungswürdigsten.

"Sein Patch hat mein Spiel zerstört", erinnert er sich. "Ich kontaktierte ihn und fragte, für wann er eine neue Version plant. Er sagte, dass dies sein letzter sei". Spahl, der in den Achtzigern auf dem Atari ST bereits an einigen Programmen herumhackte, bittet Upright um Erlaubnis, dessen Arbeit als Grundlage zu verwenden und selbst weiterzumachen. "Und auf einmal saß ich da und las die Dateien aus."

In der ersten Zeit kümmert er sich um Bugs, denn davon gibt es trotz der zwei offiziellen Patches reichlich. Löcher in der Levelgeometrie, unsichtbare Blockaden, fehlende Aufmerksamkeitspartikel, Tippfehler in den Untertiteln, falsche Infos in den Computern, fehlende Soundeffekte, flickernde Texturen und ähnliche Kleinigkeiten.

Heute noch bekommt er Feedback von der Bloodlines-Community, die jede neue Version mit Argusaugen testet, Probleme reportet. Aufgrund der schieren Größe dieses Spiels kommt es immer wieder mal vor, dass eine Fehlerkorrektur woanders Probleme macht. Ohne diese unermüdliche Community wäre sein Patch nie bei Version 9.1 (Stand: September 2014) angekommen, sondern wahrscheinlich irgendwo auf halber Strecke beendet worden.

"Die Fehlermeldungen kommen alle von anderen Spielern. Sie sind so perfektionistisch", freut er sich. "Einer hat mich stundenlang durchs ganze Spiel gehetzt, um schwebende Gegenstände zu korrigieren. Er hat alle Levels durchsucht und zum Beispiel Gläser gefunden, die wenige Zentimeter über dem Tisch hingen".

Eine der Stellen, an denen Troikas Zeitnot am stärksten auffällt, ist die Villa des Malkavian Alistair Grout. Man besucht sie etwa in der Mitte des Spiels und findet Grout am Ende aufgespießt in seinem Bett. Die Kamera zeigt auf sein Skelett, daneben einige Schränke und etwas Kleinkram zur Dekoration. "Wenn du dann in das Zimmer reingehst und in die andere Ecke guckst - komplett leer", stellt Spahl fest.

Alte Bilder zeigen verdrehte Gänge in einem der Levels - die es leider nicht ins fertige Spiel geschafft haben. Spahl und seine Helfer sind gerade dabei, diese zu gestalten und einzubauen.

In den Spieldateien versteckt sind haufenweise Modelle, die dorthin passen und die Stimmung verbessern würden: die Skulptur eines menschlichen Gehirns mit Nummern dran, eine Zigarrenkiste, verstörende Gemälde. Diese Objekte kann man anhand der Benennung der Villa zuordnen und so erahnen, was alles mit dem Spiel schieflief. "Das ist eine der krassesten Szenen", sagt Spahl. "Die eine Seite schnell fertiggemacht, damit die Zwischensequenz stimmt. Dann war die Zeit um. Oder sie haben es vielleicht einfach vergessen. Diese Stelle ist so offensichtlich."

Während Spahl und seine Leute, die ihm in all Jahren Hilfe anbieten, Fehler um Fehler ausmerzen, dringen sie immer tiefer in die Spiel-DNA vor. Sie lernen, wie viele Dinge funktionieren, entdecken verwaisten Inhalt und restaurieren ihn, soweit möglich. Auf der dritten CD in der Datei pack008.vpk steckt das Meiste dieser unbenutzten Sachen, von Texturen über Modelle bis hin zu fertigen Animationen. Alles drin, nur unbenutzt, fast so, als hätte sie jemand absichtlich dort hinterlassen, damit sie gefunden werden. Wie konnten sie es auf den Datenträger schaffen, wenn sie doch eigentlich niemand zu Gesicht bekommen sollte?

"Manchmal sind einige Dinge so miteinander verflochten, dass es wahnsinnig ist, einen Teil zu entfernen, auch wenn dieser spezifische Teil gar nicht mehr benutzt wird", gibt sich Bloodlines-Projektleiter Leonard Boyarsky heute, zehn Jahre später, etwas ratlos. Davon hätte laut seinen Erinnerungen nichts auf der CD landen sollen. "Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte", sagt er.

Und was man dort so alles findet! Spahls größter Erfolg ist die Rekonstruktion der Bibliothek von L.A., die früh während der Produktion unter die Räder kam. Nun ist sie im Spiel, mitsamt improvisierter Dialoge und Bosskampf. Weiterhin baut sein Team ein fehlendes Atrium nach, gibt dem etwas zu kurz gekommenen Sabbat ein eigenes Ende, das Troika in einigen Dialogen nur andeuten konnte, stellt viele unbenutzte Gesprächsoptionen wieder her, implementiert sogar Quests, Waffen und kleinere Tweaks hier und da.

Spahl und seine Helfer wälzen alte Konzeptzeichnungen, Screenshots, Alpha-Trailer, E3-Präsentationen, Interviews. Sie haben eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie stark sich das Spiel innerhalb der Jahre veränderte, können einiges zuordnen, anderes nur erahnen.

In den hängenden Käfigen dieses Clubs sollten Frauen tanzen - was leider ebenfalls nicht im finalen Spiel umgesetzt wurde. Spahl ließ sie wieder tanzen.

Da sich die Änderungen scharf in Richtung einer Modifikation bewegen, gibt es die Patches in zwei Varianten: "Basic" für all jene, die nur Fehlerkorrekturen wünschen, und "Plus" inklusive der instand gesetzten Inhalte. "Manche regten sich über die neuen Inhalte auf und sagten ,Hey, du machst damit die Intention des Spiels kaputt'", erinnert sich Spahl, "also trennte ich beides und jeder kann das nutzen, was er will".

So großartig viele Dialoge im fertigen Spiel sind - die dazugehörigen Dateien sind voller Lücken. Neben den normalen Standardantworten für jedes Geschlecht ist eine Spalte nur für die Malkavians und ihre exzentrischen Antworten reserviert. Dazwischen ist viel ausgelassen worden. "Wenn man durchzählt, könnte das heißen, dass jede einzelne Antwort für jeden Clan hätte unterschiedlich ausfallen können", sagt Spahl. Troika nutzt das an wenigen Stellen, aber ansonsten hat ein Tremere dasselbe schnoddrige Mundwerk wie ein Brujah. Was aus diesem Spiel mit einem halben Jahr mehr Zeit hätte werden können...

Auch nach Jahren gibt es bei der Suche immer noch Überraschungen. "Geplant war: Zivilisten treffen auf der Straße aufeinander und bleiben stehen, sobald sie nah beieinander sind, als würden sie reden. Dann gehen sie in eine dunkle Gasse und die Frau gibt dem Mann einen Blowjob" -- alles bereits im Spiel vorhanden, entworfen als Ambient-Detail in allen Stadtteilen, aber deaktiviert, weiß Spahl. In seinem Patch entfernt er die Sperren und macht Fellatio wieder möglich. Der Spieler soll diese Szene nur als Störenfried erleben. Sobald man zu nah kommt, brechen die NPCs ihre Aktivität ab und verschwinden.

Und auch wenn Spahl und sein Team seit fast zehn Jahren am Ausbessern sind, ist kein Ende abzusehen. Vollends fertig wird das Spiel nie werden. Einige Dinge greifen einfach zu tief ins Programm ein, als dass man sie mal eben implementieren könnte. Beispielsweise findet man Codespuren, denen zufolge das Wegschleppen von Leichen geplant war, Pflöcke zum Aufspießen, wegbrechende Dietriche, deutlich mehr Waffen und sogar zusätzliche Stats.

Die Restauration der Bibliothek von L.A. gehört zu den größten Leistungen des Patch-Projektes.

Der "Coffee-Shop" und der "Smoke-Shop" in Santa Monica lassen Spahl keine Ruhe. Eingezeichnet sind sie auf einem Stadtplan an der Bushaltestelle, und "eigentlich kann man alle Gebiete, die dort zu sehen sind, auch betreten". Nur eben diese beiden nicht.

Einige Dutzend Bugs stehen auf der "Im Moment nicht zu lösen"-Liste. "Vielleicht können wir sie auch nie fixen", sagt Spahl. Aber er ist sich sicher, es geht weiter, mindestens noch übers Zehnjährige hinaus, in jedem Fall aber so lange, wie die Spieler Fehler finden und melden. Erst wenn diese Begeisterung verstummt, wenn niemand mehr da ist, für den das relevant ist, erst dann will er aufhören.

"Das Spiel ist das beste, das ich kenne", sagt Spahl ein wenig wehmütig. "Ich habe in den Jahren danach viele probiert, aber nichts kommt an die Geschichte ran". Über das Ende lacht er sich heute noch kaputt. "Auf einmal ergab die ganze Geschichte von Anfang bis zum Schluss Sinn. Ich liebe so was, und das erlebt man bei Computerspielen nicht gerade sehr häufig."

Mit all seinen Patches ist er der ursprünglichen Vision von Bloodlines wohl näher gekommen, als es Troika damals möglich war. Keine Ahnung, wie es Activision geht, aber ich verspüre das Bedürfnis, mich dafür zu bedanken.

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Sebastian Thor

Freier Redakteur - Eurogamer.de

Steht auf Bier und Bloodsport. Mag weiche Sofas und verliert sich gern in Gedanken an dies und das. Seit 2014 bei Eurogamer dabei, aktuell als freier Redakteur.

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