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The Order: 1886 - ein Plädoyer für geradlinige Spiele

(K)ein Herz für Schläuche?

Gut eine Woche vor der Veröffentlichung von The Order 1886 ist es ungewohnt still um Ready at Dawns erstes Heimkonsolenspiel. Noch vor ein paar Jahren wäre ein derart blendend aussehender, großformatiger Exklusivtitel, noch dazu in der fröstelnden Februar-Ebbe, ein aussichtsreicher Kandidat für das grellste Rampenlicht gewesen. Auf einem Event zur Feier des bevorstehenden Marktstarts in der Hörsaalruine der Berliner Charité spielten wir am Dienstag einen älteren Abschnitt Probe - die neueren waren von der Berichterstattung vorerst noch ausgeschlossen -, unterhielten uns anschließend mit Creative-Director Ru Weerasuriya und mussten am Ende feststellen, The Order 1886 kann selbst am wenigsten dafür, dass es in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht ganz angekommen ist.

Viel mehr bekommt man den Eindruck, dass Ready at Dawn gegen veränderte Spielgewohnheiten anzukämpfen hat. Im Jahr fünf nach Minecraft stellen "Sandboxes", offene Spiele und Welten, in denen die Spieler ihre eigenen Geschichten schreiben (das, was man im englischen Sprachraum "emergent storytelling" nennt), in den Augen der Netzbürger das Ideal dar. Gleichzeitig werden geradlinige Shooter mit offenkundig recht hoch angesetzten technischen Ambitionen als Spiele zweiter Klasse angesehen. Natürlich sind sie nicht der nächste große Schritt in der Evolution des Spielens, aber haben sie nicht nach wie vor ihre Daseinsberechtigung? '

"Meine ehrliche Einstellung dazu ist, dass wir in dieser Branche alle diese Spiele brauchen", fasst Ru Weerasuriya, Gründungsmitglied von Ready at Dawn, den Zwiespalt zwischen linearen, Geschichten erzählenden Erlebnissen und der freigeistigeren "neuen Lehre" zusammen. "Wir als Entwickler versuchen oft voreilig, herauszufinden, was der Trend ist und dann sicherzustellen, ein Spiel zu machen, das ihm entspricht. Ich persönlich liebe aber, dass wir so eine vielfältige Industrie sind, so ein vielfältiges Ökosystem. Wenn eine (dieser Gattungen von Spielen) wegfiele, die andere würde ebenfalls aufhören zu existieren. Wenn jeder Sandbox-Spiele produzieren würde, würde uns sehr schnell langweilig. Mir ist es wichtig, mit handlungsgetriebenen Einzelspielererlebnissen diese Vielfalt und Auswahl am Leben zu halten."

Spielerisch bewegte sich der Luftschiff-Abschnitt in gewohnten, aber guten Bahnen.

In dem etwas betagteren, aber spielerisch schon sehr final wirkenden Luftschiffabschnitt, der für die Berichterstattung freigegeben war, wird schnell klar, wie Vielfalt für Weerasuriya aussieht. Und ist man erst mal drin, mag ihm kaum übel nehmen, dass für ihn auch ein Gears of War bei Öllampe und Pfeifenduft dazugehört. Zwischen den hüfthohen Mahagoni-Vitrinen, verzierten Treppengeländern und über edler Auslegware kommt schnell eine ganz bestimmte Stimmung auf, in der man sich direkt verliert. Das motorische Gedächtnis muss nicht erst tief buddeln, um passgenau in diese blutbeklecksten Tweed-Pantoffeln von einem Spiel zu schlüpfen, und versetzen den Spieler in einen Modus, in dem er in dieser Welt aufgehen kann.

"Diese Welt" - das ist ein bekanntes London mit vertrauten Lokalitäten und realen historischen Persönlichkeiten, in der ein uralter Orden im Clinch mit einer neuen Form humanoiden Lebens liegt. Die gleicht dem Bild des Werwolfs, nur dass das, wie Ru mir schildert, eher eine Art genetische Veränderung ist. Der Designer vergleicht es mit dem "Elefantenmenschen" John Merrick, der ebenfalls in den 1860ern in Großbritannien geboren wurde und durch David Lynchs Film weltweite Bekanntheit erlangte. Nikola Tesla spielt ebenfalls eine Nebenrolle, vermutlich als der "Q" dieser Liga außergewöhnlicher Gentlemen (und -women), die den Orden bevölkert.

Es ist ein höchst interessanter Ansatz, so weit in der Vergangenheit zurückzugehen, um eine nach ledergebundenen Büchern und altem Holz duftende Mystery-Geschichte zu inszenieren. Aber ist Ru nicht der Meinung, dass die Form des Actionspiels, eines harten Shooters noch dazu, nicht limitiert, was man weltenbildnerisch zu leisten in der Lage ist? Schließlich will man dem Spieler sicher weder zu lange Zwischensequenzen, endlose Dialoge und - noch weniger - nach Art von Skyrim Hunderte von Büchern oder anderweitige Lore-Einträge zu lesen geben. "Ich glaube nicht, dass es uns einschränkt. Mich verblüfft immer wieder, welche Tricks uns einfallen, etwas von unserer Geschichte zu erzählen", so Weerasuriya.

"Mich verblüfft immer wieder, welche Tricks uns einfallen, etwas von unserer Geschichte zu erzählen" - Ru Weerasuriya

In The Order gibt es pro Charakter nur ein Modell. Die meisten anderen Spiele benutzen für filmische Einschübe deutlich detaillierte Figuren als im eigentlichen Spiel.

"Manchmal geschieht das durch eine interaktive Szene, derer man als Spieler noch Teil ist, während wir erzählen. Manchmal vermitteln wir Teile unserer Handlung durch die Figuren um dich herum", erklärt er. "Wir haben so viele Mittel, die Narrative voranzutreiben, und es muss längst nicht immer eine Filmsequenz sein. Die sind wichtig, wenn wir wollen, dass der Spieler eine Pause bekommt. Wir sind ganz und gar nicht limitiert. Es ist nur eine Frage, wie und wie deutlich wir die Dinge sagen wollen, die wir zu erzählen haben."

Doch was ist mit den Leuten, die diese Welt gerne erkundet hätten, sich nun aber davon abgeschreckt fühlen, sich durch einen harten Action-Shooter schlagen zu müssen? "Ich glaube, dass The Order auch für Leute unterhaltsam sein wird, die normalerweise nicht zu Shootern greifen. Wir haben dieses Spiel so konzipiert, dass Core-Spieler, die eben doch einen Shooter wollen, es genießen können, aber auch solche Leute, die den Ritt einfach nur mitmachen, um die Geschichte zu erleben", findet der Creative-Director.

Er stimmt aber zu, dass der erste Eindruck oft Erwartungen weckt, die dann dem eigentlichen Spiel gegenläufig sind. "Das diskutiere ich häufig mit Journalisten. Wenn wir von einem Projekt erste Bilder zeigen, um eine Idee davon zu vermitteln, errichten die Leute davon ausgehend eine Vorstellung, was es sein wird. Gegen diese Vorstellung kommt man nur schwer an, denn natürlich dürfen die Leute denken, was immer sie wollen. Die Realität ist aber, der einzige Weg, den Leuten genau zu vermitteln, worum es in dem Spiel geht, liegt darin, es ihnen zum Spielen zu geben", so Weerasuriya "Wir als Entwickler wollen aber natürlich warten, bis wir es ihnen zum Spielen geben. Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir uns bewegen. Haben wir genug erzählt - oder doch schon zu viel?"

Auch, wenn man gerne übers Geländer hopsen würde: In solchen Momenten ist mir die Linearität des Erlebnisses fast egal.

Ich für meinen Teil habe an diesem Dienstag ein recht genaues Bild davon bekommen, was The Order 1886 ausmacht. Es stößt keine neuen Game-Design-Pforten auf, wohl aber gestalterische, vereint modrige Atmosphäre mit der vielleicht besten Grafik, die ich bisher auf Konsolen sah. Diese Ausleuchtung, Rauch- und Nebeleffekte, die fast greifbaren Umhänge der Figuren, die dynamisch Falten werfen, habe ich so noch nie gesehen. Und selbst bei den vermeintlichen QTEs musste ich übrigens bisher eher an eine Mischung aus Telltales Game-of-Thrones-Action und Nathan Drakes Faustkämpfen in Uncharted denken. Im besten Fall sehen sie toll aus und sind spannend, im schlimmsten sind sie Mittel zum Zweck. Lieber als eine reine Zwischensequenz sind sie mir allemal. Auch wenn man angesichts dieser Grafik beinahe vergessen könnte, dass man hier ein Videospiel vor sich hat. Verblüffend.

Ich will mehr von diesem London sehen, seinen Geheimnissen auf den Grund gehen. So in Ausschnitten erlebt, ist noch nicht abzusehen, ob Ready at Dawn einen Rhythmus hinlegt, der die Stimmung dauerhaft zu stützen in der Lage ist. Ich bin bislang guter Hoffnung, dass im auf Hochglanz polierten Gewitter aus markerschütternden Donnerschlag-Schrotflinten und irre durch die Gegnerreihen züngelndem Blitzgewehr auch die getrageneren und grusligeren Töne treffend angeschlagen werden.

Denn in einer Sache bin ich in jedem Fall ganz bei Ru Weerasuriya: "Wir müssen weiterhin Spiele liefern für Leute, die Geschichten lieben. Natürlich geben wir den Spielern auch viele Entscheidungsmöglichkeiten innerhalb der Kämpfe und so weiter, aber diese [linearen] Spiele hat es schon immer gegeben und es wird sie immer geben. Die Frage ist nur, ob man eine gute Geschichte erzählt und ich hoffe, das ist uns gelungen."

In diesem artikel

The Order: 1886

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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