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The Legend of Candlewind - Test

Wenn das Abschießen eines Pfeils aus all den falschen Gründen zu einer Kunst wird

Eurogamer.de - Finger weg! Badge
Schön, wenn jemand Dungeon-Master-Fan ist. Schlecht, wenn sogar das Original mehr Benutzerkomfort bietet. Und auch sonst mehr von allem.

Ich bin durchaus für ein „altes" neues Rollenspiel zu haben. Aber es darf gerne fertig sein. Oder zumindest auf dem Stand der Spiele von 1987. The Legend of Candlewind kostet immerhin stolze zehn Euro auf Steam und es will ein alter Dungeon-Crawler sein. Fein, warum nicht. Es gibt keine Karte, keine echte Story, nur vier vorgefertigte Helden - die konsequent aussehen wie die Reste einer Power-Metal-Party, das kann ich gutheißen - und einen Dungeon. Alles völlig okay, sicher kein Innovationsbonus, aber warum nicht.

Blind Guardian, ca. 1993, wird von Turisas überfallen. Oder so. Schade, dass die Charakterbilder keinerlei Animationen haben.

Der Spaß hört bei der Benutzung auf. Drag-and-Drop im Inventar ist seit drei Jahrzehnten Standard, nur hier nicht. Die Zaubersprüche sind durch die Bank wertlos, aber das ist egal, weil man die Magie eh nur durch Tränke auffrischt, die nicht so häufig zu finden sind. Wie man einen Pfeil abschießt, verrät das Handbuch leider nicht. Und dass ich dafür in ein Handbuch guckte, sagt viel. Vor allem, wenn man den Weg kennt, wie diese wundersame Heldentat zu verrichten ist: Klickt ihr ein Bündel Pfeile an, habt ihr die Möglichkeit, sie aufzuteilen. Kann Sinn haben, vielleicht will ich nur einige an einen anderen Charakter geben. Aber was hat das mit dem Abfeuern eines Pfeiles zu tun? Nun, ihr teilt sie so auf, dass ihr einen einzigen Pfeil in der Hand habt. Dieser lässt sich dann in der linken Hand des Helden platzieren. Aber nur im Kampf, nicht davor. Und nach ein paar Schüssen, manchmal sogar nach nur einem, muss diese Prozedur wiederholt werden. Nach wie vielen Pfeilen genau und warum? Wen interessiert es noch. Wer bis zu diesem Punkt am Ball blieb, der stellt solche Fragen nicht.

Es geht weiter. Sobald ein Gegner kommt, kann man nicht zurückweichen. Flucht ist unmöglich - oder vielleicht noch besser versteckt als das Abfeuern eines Pfeiles -, stattdessen wartet die Party stur Runde um Runde, bis das Viech da ist und der Nahkampf beginnt. Hier wird geklickt und gehofft, jeder ist einmal pro Runde dran, großartige Taktik ist dank der Bewegungslosigkeit nicht gefragt. Es wird immer nur ein Monster angezeigt. Sind es mehr, wird einfach per Marker gestapelt. Damit greift wenigstens auch immer nur ein Feind pro Runde an, was das Ganze vom Balancing her etwas surreal wirken lässt. Fünf Orks, ein Schamane, und der macht erst was, wenn seine Garde einer nach dem anderen erledigt ist? Sicher, man kann argumentieren, dass im Gang nicht viel Platz ist, aber in meiner Truppe stehen ja auch zwei an der Front. Was auch immer, weiter im Text.

Sieht erst mal harmlos aus, aber die Tücken liegen in den völlig undurchdachten Details.

Nach ein paar solcher Kämpfe, ein paar verschlossenen und offenen Türen und Schatztruhen, die mir sagen, dass ich sie erst mit Level 5 knacken kann, finde ich die erste Quest. Eine alte Frau hat vor dem Sturm draußen Schutz gesucht und sich im Dungeon verirrt. Warum nicht. Ich soll sie zum Ausgang bringen. Mal gucken, ob ich den finde und meine selbstgemalte Karte passt... Oh. Eine Fackel wird abgezogen, ich bekomme 300 Erfahrungspunkte, Quest beendet, ohne ein Feld zu gehen. Das ist jetzt nicht gerade liebevolle Quest-Gestaltung...

Das ist das Spiel. Kommt so bis Level 10 des Dungeons und ihr seid durch. Das ist nicht einfach, vor allem wegen der Ressourcenknappheit zum Start, aber nette Puzzles im Stile eines Grimrock sucht ihr vergeblich, eine Handlung eh. Echte Taktik ist bei dem eingeschränkten System kein Thema und kein noch so trauriger Rest von Abwechslung findet sich in den generischen Dungeon-Wänden oder den lieblosen Alltagsmonstern. Highlights? Nicht vorhanden. Dungeons können Arbeit sein, selten wurde das deutlicher als hier.

Die Freunde dieses armen Kerls stehen sicher hinter ihm und warten brav, bis sie dran sind.

The Legend of Candlewind ist spielbar. Irgendwie. Man klickt sich halt so durch, ärgert sich über die grausame Benutzerführung und hofft, dass es nicht mehr so lange dauert. Bis das eigene Spielebudget bald wieder was hergibt und man was Neues kaufen kann, um dieses Elend hinter sich zu lassen. Ich finde es nett, dass hier jemand den Spielen seiner Jugend huldigen möchte - klingt zumindest besser als der Verdacht, einen schnellen Euro mitzunehmen -, und es ist auch nicht schlimm, dass diese Huldigung in Sachen Komplexität, Komfort und Technik vom einem fast dreißig Jahre älteren Spiel überboten wird. Aber nicht, wenn man dafür zehn Euro möchte. Kauft euch eines der Grimrocks, geht auf gog.com und greift zu alten Might & Magics, sucht euch ein paar alte Beholders oder Dungeon Masters. Das sind alles weit bessere Spiele für das gleiche oder weniger Geld.

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

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Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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