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Whiplash, Die Matrix

Welcher von beiden ist der Thriller?

Whiplash (2014)

Buch und Regie: Damien Chazelle
Darsteller: Miles Teller, J.K. Simmons, Paul Reiser, Melissa Benoist

Musik als Obsession - gefährliche Botschaft oder einfach nur ein verdammt guter Charakterfilm?

Beim ersten Film unseres unwahrscheinlichen Double-Features handelt es sich um den frischgebackenen dreifachen Oscar-Gewinner Whiplash. Der neunzehnjährige Jazz-Drummer Andrew Neimann (Miles Teller) schlägt sich am Shaffer Conservatory of Music in New York durch und bringt es zum Aushilfsdrummer der ersten Band. Was als Notenumblätterer für den Stammtrommler beginnt, gerät unter der harten Knute des grenzsoziopathischen Dozenten und Bandleaders Terence Fletcher (J.K. Simmons, Videospielern als Cave Johnson aus Portal 2 bekannt und im Kino sonst immer als lustiger, väterlicher Freund zu sehen) zu einer aufreibenden Berg- und Talfahrt entlang der Grenzen des Ertragbaren. Selbst wenn man nichts mit Jazz nichts am Hut hat: Dieser düstere Musikfilm hat den Puls eines waschechten Thrillers und lässt einen geradezu ausgelaugt zurück.

Dabei wird Whiplash aktuell kontrovers diskutiert. Echte Jazzer sehen in dem Film die Botschaft, nur durch absolute Selbstaufgabe zu wahrer Größe zu gelangen. Sie monieren die Darstellung der Vorzeige-Band einer Elitemusikschule als Haifischbecken und das Jazzstudium als einzige endlose Ausdauerübung ohne Sinn für die gleichermaßen wichtige Theorie. Sie stoßen sich an der Idee eines Dozenten, dessen Auffassung von Lehre mehr mit dem Einreiten von Wildpferden zu tun hat als mit der Führung junger Menschen in einer wichtigen Phase ihrer Entwicklung. Durch Angst und Schrecken zu Brillanz zu finden, anstatt durch Freude am Spiel? Das halten viele nicht zu Unrecht für gewagt. Doch am Ende gilt wie bei so vielen Filmen: Man darf nicht den Fehler machen, händeringend nach einer generellen Botschaft zu suchen und ihm Pauschalisierung unterstellen. Es ist ein Drama, das im Grunde nur zwei Figuren mit bestimmten, schwierigen Auffassungen charakterisiert, deren Zusammenkunft für einen spannenden Film gut war.

Und was für ein spannender Film es ist. Die Geschicke Andrews tanzen durch die Drangsalierungen seitens Fletchers unentwegt am Rande der Eskalation. Von Anfang bis Ende befürchtet man das Schlimmste, nur dass man noch nicht weiß, was "das Schlimmste" in diesem Fall wohl wäre. Es reicht eigentlich schon, dass die ganze Zeit der Verlust der Liebe zur Musik drohend über Andrew hängt, ohne dass er es bemerkt, damit der toll fotografierte und aufregend geschnittene Film zu einem durchweg bedrückenden, fast traurigen Erlebnis wird. Doch dann zieht er einem mit seiner schweißtreibenden, inspirierenden Klimax komplett die Schuhe aus. Hier wartet mittig zwischen zwei Credits keine versteckte Szene, die die nächsten Superheldenstreiche andeutet, und doch sitzt man da, bis der letzte Takt des Titelsongs erklungen und der Name des letzten Filmcrew-Mitglieds über die Leinwand flimmerte.

Simmons hat vergangenes Wochenende den Oscar vollkommen verdient mit nach Hause genommen, so mühelos, wie er zwischen sensiblem Musikliebhaber, kumpelhaftem Mentor und furchteinflößendem Drill-Instructor changiert. Dennoch sollte man Tellers Leistung nicht unter den Teppich kehren. Auch wenn er nicht einmal für einen der Goldonkel nominiert war, hält er Simmons' ungezügeltem Spiel zu jeder Sekunde stand und legt als anfangs zerbrechlicher, später jedoch gefährlich verbissener Student sogar die beachtlichere Charakterentwicklung von beiden hin. Wenn man dem Nachwuchstalent, das nur selten ein Drum-Double benötigte (stattdessen wurde der Ton nachträglich korrigiert), so zusieht und mitfiebert, was nach diesem Schliff wohl noch von ihm übrig bleibt, bekommt man fast Hoffnung für Fox' bislang doch ziemlich totgeschwiegenes Reboot der Fantastic Four. Fast.

Unbedingt anschauen!

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Die Matrix (1999)

Buch und Regie: Die Wachowski-Geschwister
Darsteller: Keanu Reeves, Carrie-Ann Moss, Lawrence Fishburne, Hugo Weaving

Warum Jupiter Ascending schauen, wenn man doch den hier schon zehn Jahre nicht mehr gesehen hat?

Warum ausgerechnet die Matrix? Weil ich nach dem Trauerspiel, das die Wachowskis offenbar mit Jupiter Ascending inszenierten, mal wieder eine Erinnerung brauchte, warum man noch sechzehn Jahre später hellhörig wird, wenn die beiden einen neuen Film drehen. In einer Zeit, in der noch nicht alles unbedingt ein mindestens dreiteiliges Franchise sein musste, drehten die Wachowskis mit dem ersten und glücklicherweise einzigen Matrix-Film (wenn ich es oft genug sage, wird es schon irgendwann wahr) die Kinowelt auf links. Ich hatte es damals geschafft, so gut wie ungespoilert ins Kino zu gehen, und war ob der Enthüllung der geheimen Apokalypse zum Ende des ersten Drittels dementsprechend platt. Doch selbst, wenn es die nicht gegeben hätte, wäre dieser Film vermutlich ein Meilenstein des Sci-Fi-Action-Kinos geworden, mindestens auf Augenhöhe mit Aliens und den besseren Schwarzenegger-Streifen.

Es vergehen keine fünf Minuten, da ist man so drin in dieser geheimnisvoll-grünstichigen Welt, dass man die Couch unterm Hintern vergisst. Es ist einer dieser Filme, an denen man nicht vorbeizappen kann, wenn wenn sie gerade im Fernsehen laufen - und dabei ist er nicht einmal so endlos zitierbar wie etwa ein Terminator 2. Wohlgemerkt bezieht sich das nur auf die Dialoge. Die Bildsprache und Action-Choreografie werden bis heute kopiert und parodiert, was das Zeug hält. Besonders in Sachen Videospiele ist die Fish-out-of-Water- und Weltenretterthematik verbreiteter denn je, diesem Film jedoch kann das nichts anhaben.

Solche Action-Szenen und Kämpfe hatte man außerhalb Hong-Kongs noch nicht gesehen. 1999 kam noch die zusätzliche Würze hinzu, dass wir jungen Geeks uns so schon Kino-Superheldenträume erfüllten, bevor die X-Men und später Raimis Spidey zeigten, dass auch Comics im Kino eine Zukunft haben würden. In der Unwirklichkeit der Matrix lag der größter Reiz des Films. Nie zu wissen, was wohl als Nächstes passieren würde, die Grenzen des Machbaren sprengen. Das ist heute im Cineplex zwar an der Tagesordnung, hatte damals für uns aber noch echten Event-Charakter. Bis heute können sich die einfallsreiche Action, das überkandidelte Wire-Fu und der unter Beschuss herrlich bröselnde Wandputz mehr als sehen lassen. Neos und Trinitys Angriff auf den Wolkenkratzer auf dem Höhepunkt des Abenteuers dürfte die vielleicht beste Actionszene der Neunzigerjahre sein.

Allein die Effekte sind merklich in die Jahre gekommen. Es sieht bei weitem nicht so gruselig aus wie die im selben Jahr erschienene Episode I von Star Wars, an der kein Gramm Echtheit klebt. Aber es ist visuell definitiv nicht so zeitlos, wenn CG-Tentakelroboter über endlos sterile Menschenfarmen bügeln, oder sich ein metallener Peilsender in ein wirbelndes Spinnenmonster verwandelt, das in Neos Photoshop-Bauchnabel verschwindet. Doch so ist das wohl mit all den Filmen, die in den Zeiten der digitalen Revolution geschaffen wurden. Man weiß das und hat sich schon angewöhnt, bei entsprechenden Szenen die Augen ein bisschen zusammenzukneifen.

In diesem Sinne: Es ist Zeit, schaut mal wieder Die Matrix. Die Nachfolger habe wohl nicht nur ich mittlerweile komplett aus meinem Gedächtnis getilgt, was diesen Film, der so unverphilosophiert bestens für sich alleine steht, unendlich aufwertet.

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Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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