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Colin McRae 6 ist da (Auch wenn DiRT Rally draufsteht)

Hat ja nur zehn Jahre gedauert.

Wieder mal ist das Leben kein gänzliches Wunschkonzert, aber wenigstens sind es keine Zitronen, aus denen ich die Limonade meines Rennspieldaseins machen muss, sondern, süße, süße Orangen. Was wäre mein Lieblings-Rallyespiel? Eine Mischung aus einer Simulation und SEGA Rally. Das hieß dann RalliSport Challenge, erschien 2002 für die ganz alte Xbox und den PC und war fantastisch. Angesichts der letzten, immer arcadiger werdenden DiRT-Spiele von Codemasters war meine Aufregung auf Arcade-Sim-Maximallevel, als plötzlich und aus dem Nichts DiRT Rally als Early-Access-Titel auftauchte. Das muss es sein! Das dritte RalliSport! Goldene Tage stehen an, easy left, over hill, through finish!

Jetzt, nach ein paar Stunden in der bezahlten Vorrunde, lautet ein Teil des Resümees wohl, dass die Nadel doch weiter weg von Arcade schlägt als ich es zunächst erwartet hätte. Keine Sorge, Freunde der leichteren Unterhaltung, DiRT wurde über Nacht nicht plötzlich ein Project Cars, aber die erste Runde über 70 Prozent leichten und 30 Prozent mittleren Schotter in den walisischen Wäldern machte klar, dass das hier ein klein wenig Arbeit werden dürfte. Erst mal vor allem ein Ausflug die Bäume und dann in die zahlreichen Optionen zur Steuerungsjustage.

Aus dem Nichts tauchte da was auf. Und siehe, es war gut.

Halten wir fürs Erste fest, dass ihr eine Steuerung mit Tasten und Maus knicken könnt, aber wer so nach 1996 noch ein Rennspiel durchhielt, bekommt eh einen Preis für Sturheit. Seit diesem Jahr - ungefähr - gibt es Lenkräder und DiRT Rally ist eines der vielen Spiele seitdem, die genau dafür gemacht wurden. Schließt an, was ihr drehbares habt, bevorzugt mit Pedalen und ordentlich Force-Feedback, und legt los. Am Pad dagegen... Erst einmal absolute Katastrophe. Im Gegensatz zum Lenkrad, das auch ohne große Einstellungen auskommt, ist es mit dem handlichen Arcade-Racer-Eingabegerät der Wahl schon eine Herausforderung, einen geraden Streckenabschnitt ohne Ausflüge in die Randbegrenzungen hinter sich zu bringen. So empfindlich sind diese Autos dann eigentlich auch wieder nicht. Aber nicht verzweifeln, ins Menü gehen, die Empfindlichkeiten auf beinahe die Minimalwerte setzen und noch mal versuchen.

Die Ansichten sind alle perfekt gewählt: Die Stoßstangenansicht hat den richtigen Abstand zum Boden...
...die individuellen Cockpits können sich sehen lassen...
... uns sogar die Außenansicht ist gut spielbar.

Normalerweise hat das den Erfolg, dass jetzt zwar das Auto stabil liegt, aber enge Kurven ohne Dreipunktwendung praktisch nicht mehr befahrbar sind. Nicht jedoch hier. Plötzlich hatte ich fast das Spiel, dass ich seit fast einem Jahrzehnt so vermisste. Das Fahrgefühl ist jetzt genau richtig. Es ist ein Eindruck dessen, was passiert, wenn hunderte von PS auf etwas durchstarten, was eigentlich kaum mehr als ein loser Schotterpfad ist. Es ist unruhig, rumplig, es verlangt gleichzeitig Feingefühl und auch immer wieder mal grobes Eingreifen. Ich begann über die Jahre zu zweifeln, erst ob Codemasters gewillt ist, noch mal ein Colin McRae auf die Beine zu stellen, und dann, ob sie überhaupt noch dazu in der Lage sind. Nun, beide Fragen wurden beantwortet und das durchaus erst mal zu meiner Zufriedenheit. Erst mal, weil es ja noch Early Access ist. Man muss ja vorsichtig sein, nachher heult noch die Meute, dass das alles mehr wie DiRT 3 sein soll und Codemasters gibt nach.

Glaube ich aber eigentlich nicht. Das Feedback bisher ist extrem positiv und das völlig zu Recht. Ihr fühlt das Gewicht der unterschiedlichen Autos. Ein alter 60er Mini hüpft fast fröhlich über die Piste, während ihr in jeder Kurve das Gewicht des 80er M3 unter euch spürt, bevor die Hinterreifen der Heckschleuder euch wieder nach vorn katapultieren. Das Fahrgefühl ist sicher mit das Wichtigste in so einem Spiel und der Spagat der Wahlmöglichkeit zwischen fast Hardcore-Simulation und nah dran an Arcade ist hier gelungen wie eigentlich kaum zuvor. Es ist schön, die folgende Zeile schreiben zu können, schließlich bin ich durchaus ein Fan vieler Titel des Traditionshauses: Codemasters hat es noch drauf!

Wie sieht es jedoch mit dem Spielaufbau aus? Nun, man hat wohl seit den GRID-2-Exzessen gelernt, nahm sich dessen halben Nachfolger zum Vorbild und verzichtet zumindest im jetzigen Stadium auf jeglichen Schnickschnack in Form von X-Games-White-Trash-Trailerpark-Gedöns oder Social-Media-Gesamtunfall. Gleich ins Hauptmenü, hier die in der Benutzung schlank durchstrukturierte und in der Tiefe ausreichend gesetzte Karriere, da ab ins schnelle Rennen, ein paar Optionen dazu und noch der Multiplayer oben drauf, schon ist das Haus fertig, das euch zügig auf die Piste lässt.

Die Tuning-Möglichkeiten sind noch begrenzt. Das wichtigste lässt sich jedoch auch jetzt schon justieren. Und nie vergessen: Das ist Version 0.31, das ist noch ein langer Weg, da kommt noch was.

Diese Pisten dann sind endlich mal wieder das, was Rallye sein sollte. Mehrere Kilometer von A nach B, keine Gegner direkt mit euch unterwegs, nur ihr und die Uhr. Und ein Beifahrer natürlich, einer muss ja die Kommandos geben. Diese sind deutlich genauer und damit realistischer, als es Aracde-Racer gewohnt sind. Mindestens ein Dutzend graduelle Abstufungen der Kurvenhinweise plus Zusatz-Code-Formulierungen lassen bei euch keine Zweifel aufkommen, was euch hinter der Kurve erwartet. Wer das noch nie erlebt hat, wird anfangs etwas überfordert sein angesichts des Wortschwalls, aber ihr habt das schnell im Blut. Vertraut mir, alle diese Strecken auswendig zu lernen, ist kaum möglich, da wird der Nebenmann schnell zum besten Freund.

Die Strecken ziehen sich jetzt schon durch einen weiten Teil der Welt, vom besagten waldigen walisischen Hinterland mit eher wenigen Hügeln über die Serpentinen von Monaco bis hin ins sonnige Griechenland. Und da hört es auf, weil Early Access, aber Deutschland und skandinavische Länder sind schon fest eingeplant, weitere sollen folgen. Ein Faktor, den diese unterschiedlichen Orte mitbringen, ist unterschiedliches Wetter. Wales ist für grauen Himmel bekannt, der sich auch gerne und oft in graue Regentage verwandelt - und dieser Regen verändert auch hier so einiges. Der Grip in den Kurven ist komplett anders, wie im richtigen Leben müssen Kurven nun mit sehr viel mehr Feingefühl genommen werden. Ist es ganz realistisch? Meh, bin mir nicht sicher, könnte sein, muss nicht, nah genug dran für mich. Hab halt noch nicht so oft probiert, eine nasse 90-Grad-Schotter-Kurve mit 70 Sachen zu nehmen, aber das hier entspricht schon dem feinfühligen Akt Liebe zwischen Lenkrad, Gummi und Untergrund, den man sich dabei so vorstellt.

Das schönste an diesem Schadensmodell ist der fiese, scheppernde Sound beim Hinterherschleifen des halben Unterbodens, den dieses Wrack produziert.

Das Schadensmodell deutet dabei schon an, in welche Richtung es geht. Es ist definitiv noch in Arbeit, einstellbar ist noch nichts, aber Reifen, Fahrwerk und Getriebe sind Faktoren, mit denen ihr gerade in den längeren Karriereabschnitten nicht beliebig umgehen dürft. Derzeit ist es noch relativ vergebend, sofern ihr nicht alle Minute gegen einen Baum donnert. Aber wie gesagt, work in progress, mehr dazu später im Laufe der Entwicklung. Zu Lackdellen kommt es sowieso oft genug, denn die Straßen sind realistisch schmal und das wird bei hohem Tempo nicht besser. Präzision ist gefragt, was ja auch durchaus den Tatsachen entspricht, nur leichtes Schneiden ist möglich. Kommt ihr direkt von der Straße ab, setzt euch das Spiel ganz schnell mit einer ordentlichen Zeitstrafe zurück auf die Piste. Wer Open-World-Rallye will... weiß wohl nicht so genau, was Rallye heißt.

Was die Technik angeht... Nein, es ist nicht die Schönheit des Dorfes, die euch da mit ihren Reizen umgarnt. Es ist eher eine ehrliche Bodenständigkeit, die aber sehr gut die Stimmungen der Landschaft einfängt. Neueste Effekte und Texturen sucht man derzeit noch vergeblich - und ich bin mir auch nicht sicher, ob da noch viel kommt. Sieht gut aus ohne umzuwerfen.

Colin McRae 6.

DiRT steht da nur als Wiedererkennungs-Kürzel für die Jüngeren, alle anderen dürfen sich aussuchen, ob sie es nicht lieber Colin McRae 6 oder Codemasters Rally taufen sollten. Die Briten haben echtes Rallye versprochen und das ist das, was hier auf uns zukommt. Es ist fast egal, wie viele Strecken noch folgen oder welche Autos genau am Ende hier drin landen, die wichtigsten Aspekte stimmen jetzt schon. Das Grundkonzept eines Rallye-Titels ist unverwässert und orientiert sich ganz klar an der Glanzzeit des Genres. Und vor allem sitzt das Fahrgefühl jetzt schon fast auf den Punkt. Welcher Punkt das ist, ob es mehr in Richtung Simulation oder Arcade gehen soll, bestimmt ihr bis zu einem gewissen Grad selbst, aber keine der Stationen auf dieser graduellen Skala enttäuscht. DiRT Rally fährt sich einfach gut.

Lohnt sich schon jetzt der Einstieg in den Early Access? Für aktuelle 27 Euro? Auf jeden Fall. Es sind noch nicht so viele Autos oder Strecken, die Hill Climbs fehlen noch, aber angesichts dieser so absolut soliden Grundlage sind das Features, die noch kommen und für den Umfang auch benötigt werden. Aber bei allen wirklich wichtigen Dingen des Rallye-Lebens, da fehlen nur Feinheiten zu etwas, auf das wir so lange verzichten und warten mussten: Das beste Rallye-Spiel seit fast einem Jahrzehnt.

In diesem artikel

Dirt Rally

PS4, Xbox One, PC

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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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