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Rocket League - Test

Oh. Mein. Gott.

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Raketengetriebene Autos spielen Fußball. Sollte nicht funktionieren, ist aber eines der reinsten und aufregendsten Spiele der letzten Jahre.

Kürzlich fragte mich jemand, der Rocket League - aktueller Topseller auf Steam, am Samstag 163.000 gleichzeitige Spieler, auf Twitch konstant unter den Top 5 meistgeschauten Spielen - noch nicht gespielt hatte: "Ist das alles? Fußball mit Autos?" In diesem Ton, für den man sein gegenüber gerne würgen würde, weil er nichts, aber auch rein gar nichts verstanden hat. Er lag komplett daneben. Und er hatte auch recht. Irgendwie. Also muss man die Metapher ein bisschen biegen, damit sie wirklich wiedergibt, warum Rocket League selbst in einem ausgezeichneten Jahrgang wie diesem für mich das (bisher) beste Spiel ist.

Also, der Fußball-Part: Stimmt, aber nur, wenn man unter Fußball das versteht, was Stephen Chow und Konsorten in Shaolin Kickers als "Fußball" verkaufen:

Cover image for YouTube videoShaolin Soccer Best Goals

Jetzt stellt euch die Spieler als Autos vor, mit Doppelsprung, begrenzt verfügbarem Raketenantrieb, Vorwärts-, Rückwärts- und Seitwärtsrollen - so tritt man im Optimalfall im Drei-gegen-drei auf einem Fußballfeld an, dessen Wände und Decken man ebenfalls entlangfahren darf und in sein Spiel integriert. Ach, und der Ball explodiert, wenn er im Tor landet. Also ja: Es ist Fußball mit Autos. Aber die Autos können fliegen, wenn man sie beherrscht. Manche Spieler starten schon mal mit einem Rückwärtssalto in die Luft, um einen aufs Tor zufliegenden Ball zu überholen, auf der Torlinie wieder auf den Rädern zu landen und den Gegentreffer noch mit der Stoßstange zu verhindern. Zum Hände-in-die-Luft-reißen heldenhaft. Und das Beste: in der Theorie weiß man schon beim Zuschauen, wie ein Kunststück wie dieses gelingen konnte, weil im Grunde nur vier Tasten benötigt werden.

Weitere Assoziationen, die einem beim Spielen fast willkürlich durch den Kopf schießen, um direkt von der nächsten wieder rausgeschoben zu werden: Speedball in Sachen Future-Sport-Anarchie, wenn man mal wieder einen Gegner mit Vollgas pulverisierte, um seine freie Fahrt aufs Tor oder einen gefährlichen Flankenlauf zu beenden. Trials HD mit Blick auf die Physik und seine feinfühlige Steuerung unendlicher Möglichkeiten. Die Arcade-Hits Windjammers und Beachspikers, wenn es um die Reinheit seines Regelwerks geht und die Unmittelbarkeit, mit der man im einem fast intimen, Timing-betonten Wettbewerb versinkt. All diese Spiele vermitteln kaleidoskopisch eine weit bessere Idee vom Spirit Rocket Leagues als es "Fußball mit Autos" jemals könnte. Kretin.

PCler und PS4-User spielen dank Cross-Plattform-Play gegeneinander.

Wenn das nach einem Spiel mit einer nach oben offenen Skill-Decke klingt, dann, weil es einfach stimmt. Ich habe in dieser Woche Spieler nicht nur auf Twitch unglaubliche Heldentaten vollbringen sehen: 200-Meter-Flugeinlagen, die ein sicher geglaubtes Tor noch vereitelten und Fallrückzieher in 30 Metern Höhe in den linken oberen Winkel des Kastens. Von den unfassbaren Bandenschüssen, die zwei durch die Luft schießende Spieler gleichzeitig mit annähernd chirurgischer Präzision noch beinahe parierten, nur um doch noch von der Druckwelle des explodierenden Spielgeräts weggeschleudert zu werden, habe ich noch gar nicht angefangen. Es ist ein noch nie gesehenes Spektakel, jedes Mal aufs Neue für die fünf Minuten, die es dauert.

Einschüchtern lassen sollte man sich ergo davon nicht, dass es naturgemäß Leute gibt, die Rocket League besser oder einfach nur länger spielen als man selbst. Tatsächlich inspiriert es dazu, sich in der frei befahrbaren Arena stundenlang in die leicht erlernbare, schwierig zu meisternde, immer aber sehr befriedigende Steuerung einzufuchsen, bis man konstant eine Runde um das Stadion fliegen kann. Wohlgemerkt muss man das nicht. Mit einem Raketenantrieb wild durch die Gegend zu schießen, bis den anderen Angst und Bange wird, macht so schon genug Laune. Zugleich schustert einem das Matchmaking schon Mit- und Gegenspieler des passenden Fähigkeitslevels zu und dank der einfach begriffenen Grundlagen spielt lange genug mit, um sich ein paar Tricks abzugucken.

Der Rasen sieht fabelhaft aus. Nach und nach merkt ihr euch die Nitro-Platzierungen und sammelt fast nebenbei Treibstoff für euren Raketenantrieb.

Es fühlt sich einfach wundervoll an, wenn man die ersten Meter halbwegs kontrolliert abhebt, die Ballphysik und die verschiedenen "Schüsse" (oben genannte Doppelsprünge in die vier Himmelsrichtungen) zu verstehen beginnt, und die Turbo-Dosierung meistert. Das motiviert schon durch das hervorragende Feeling dazu, nicht länger als nötig der geistlose Berserker aus den ersten Stunden zu bleiben.

Das ist bisher alles, was Rocket League braucht, um meinen Alltag zu bestimmen. Der mangelnde Content fällt da nur am Rande auf: Während ihr so im Level aufsteigt, erspielt ihr rein kosmetische Hüte, Lackierungen, Fähnchen und Decals. Alle Autos, die dazukommen, verfügen über identische Werte, was vielleicht nicht intuitiv ist, auf dem Feld jedoch die dringend nötige Gleichheit schafft. Die überschaubare Zahl an Arenen ist ebenfalls in erster Linie durch ihre optische Abwechslung interessant. Der Vorgänger Supersonic Acrobatic Rocket-Powered Battle-Cars - kein Scherz! - bot auf den Spielfeldern noch Hügel und Vertiefungen, die hier dem Pseudo-Sport-Ansatz folgend mehr oder weniger standardisiert-flach daherkommen. An Spielmodi gibt es online lediglich normale Spiele für zwei bis acht Spieler, jeweils in Ranglistenform oder einfach so. Dazu noch einen wirklich guten und motivierenden Trainingsmodus sowie die immerhin lehrreiche, aber wenig spannende Single-Player-Liga - und das war's.

Die Positionskämpfe geraten zum Nervenspiel. Reicht mein Turbo? Wann springe ich ab? Lieber den Gegner stören oder auf den Ball gehen? Das ist die Sorte Frage, die man sich im Sekundentakt stellt.

Zum einen wird die inhaltliche Seite mit kommenden Updates aber wohl noch aufgepolstert, zum anderen wäre es mir wohl vermutlich auch fast egal, wenn es nicht so wäre. Die einzige Sache, die ich wirklich vermisse, ist die Möglichkeit, eigene Teams und Ligen anzulegen. Das kann man aktuell nur auf einer gut gemachten Fanseite, oder bei der eSports-Liga ESL, die das Spiel keine Woche nach seinem Start bereits in seine Rotation aufnahm. Im Spiel selbst geht das jedoch (noch) nicht. Kommt Zeit, kommen Inhalte und für den Moment bereitet mir das keine Kopfschmerzen.

Im Hier und Jetzt bleibt mir nur, Entwickler Psyonix mit Komplimenten zuzuwerfen: Das hier ist ein beseelter, frischer und toll aussehender (auf PC noch besser, weil mit festen statt schwankenden 60 FPS) Future-Sport, nach dem wir uns selbst zur Hochzeit dieses Sub-Genres noch die Finger geleckt hätten. Jeder sollte Rocket League mal probiert haben.

Seine Systeme sind so fein austariert, seine Regeln so universal und unmittelbar attraktiv, dass der große Erfolg des aktuell auf PS Plus kostenlosen Spiels einfach nur selbstverständlich erscheint. Wenn ich es spiele, kann ich an nichts Anderes denken, nebenher keine Podcasts hören, oder Telefonate führen. Und wenn ich es nicht spiele, denke ich an die nächste Session. Rocket League wirft alles Füllmaterial und jegliche Beschäftigungstherapie-Tendenzen über Bord und will nur zusehen, wie ihr euch am Controller den Allerwertesten aufreißt. Ein richtiges Videospiel eben. Rein, unverdünnt und endlos launig, lebt es von einer Idee, die niemals alt wird - ganz so, wie ein guter Mannschaftssport. Und wenn man den dann "Fußball mit Autos" nennen will, ist das vielleicht nicht besonders kreativ, aber am Ende doch voll in Ordnung.

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Rocket League

PS4, Xbox One, PC, Nintendo Switch

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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