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Geiz ist nicht "geil"!

Spiele sind nicht teuer. Es gibt nur zu viele. Ein Aufruf zum Mut zur Lücke.

Das ist jetzt sicher nicht neu, aber aus aktuellem Anlass und ohne mit dem Finger auf jemanden zu zeigen: Wir haben ein Problem. Wir wertschätzen unsere Spiele nicht genug.

Bevor ihr zu den Kommentaren runterscrollt, um von euch das Gegenteil zu behaupten: Damit sind explizit nicht alle gemeint. Das tun solche Aussagen nie, auch wenn sie bisweilen schlimm inklusiv klingen (oder vielleicht hat's auch einen anderen Grund, dass man sich angesprochen fühlt?). Ob die Spieleindustrie heutzutage immer ihre Käufer so sehr wertschätzt, wie sie sollte, ist ein Thema für einen anderen Artikel. Trotzdem schlich sich in den letzten Jahren ein ätzender Zug immer tiefer in unser Wesen. Fast könnte man meinen, er sei schon immer Teil von uns gewesen.

Vielleicht empfindet das nicht jeder so. Für mich ist es jedoch ein entschieden spürbarer Vibe. Vermutlich fischen den meine im Alter immer beachtlicheren Ohrenhaare aus der Luft, wie kleinwellige Schwingungen einer ansteckenden Mischung aus Habgier und Knausrigkeit. Wir knapsen uns von einem Sale zum nächsten, weil wir uns natürlich gut dabei fühlen, wenn wir was gespart haben. Nur lügen wir uns dabei in die Tasche, denn ein Spiel, das man nicht spielt, stellt auch keine Ersparnis dar, sondern Verschwendung. Schaut in eure Steam-Bibliothek - der eine oder andere wird eine ganze Reihe an Titeln dort sehen, von denen er jetzt schon weiß, dass er sie auch dann noch nicht wirklich probiert haben wird, wenn der nächste Sale vor der Tür steht.

Sonderangebote sind nicht per se ein Problem. Dazu werden sie erst, wenn sie nichts 'Besonderes' mehr sind, sondern der einzige akzeptierte Preis.

Dieser Kreislauf stellt nicht nur unterbewusst eine Belastung dar, weil er Freizeitdruck ausübt, ich kann mir auch gut vorstellen, dass er gerade kleinen Entwicklern schadet. Aber warum? Warum sind 10 bis 15 Euro für ein Spiel, an dem eine Handvoll Leute drei Jahre lang gearbeitet haben, auf einmal zu viel? Nur weil der nächste Sale gleich um die Ecke ist? Trigger für diese Kolumne war sicher nicht allein der kürzliche Kommentar von jemandem unter einem Spiel, das man für den Preis von zwei mittelmäßigen Tassen Kaffee kaufen kann. Aber er schubste mich über die Kante. Er lautete - sinngemäß -, dass der Titel bestimmt irgendwann mal für einen Euro zu haben sei und man dann zuschlagen werde. Solche Aussagen sind kein Einzelfall und ich will sie auch nicht als unverzeihliche charakterliche Verfehlung tadeln. Aber ungesund, das sind sie schon. Sie vermitteln gerade am unteren Ende der Preisskala eine Geringschätzung, die dieses Medium ungewollt degradiert.

Dabei muss man nur mal zwei, drei Wochen mal ohne Spiele sein, um zu merken, wie viel man an ihnen hat. Klaro, wir werden heutzutage von einem Überangebot geradezu übermächtigt - #world1-1problems - und jeder versucht auf andere Weise, dem Herr oder Frau zu werden. Nicht allein aus schierer Habgier, sondern auch, um Teil am popkulturellen Dialog zu haben. Aber wir können eben nicht alles kaufen und noch weniger spielen. Und je früher wir das nicht nur zugeben, sondern auch die richtigen Konsequenzen daraus ziehen, desto besser. Ich will jetzt auch gar nicht das berechtigterweise in der Ecke stehende Fass aufmachen, dass Sales und Preisverfall auch Käufer ins Boot holen, die ansonsten niemals Geld für Spiele ausgegeben hätten. Mir geht es alleine darum, dass wir über eine gesteigerte Wertschätzung nicht nur der Branche einen gefallen täten, sondern auch unsere eigene Freude an Spielen wieder steigern.

Im September erschienen, im Steam Herbst-Sale schon für 16,99 zu haben. Ist das noch normal?

Viele werden noch den Unterschied zwischen einem mühsam vom Mund abgesparten Street-Fighter-2-Modul und einer ganzen Box raubkopierter Amiga-Spiele kennen, die einem dieser eine Onkel vermachte, den man nie leiden konnte. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass man sich an Letztere erst wieder erinnert, weil man gerade diese Zeilen liest. Ersteres dagegen hat entweder immer noch einen Ehrenplatz im Regal oder trauert ihm hinterher, weil man es in seinem jugendlichen Leichtsinn auf einem Bottroper Flohmarkt verkaufte. Ich wünsche mir dieses Bewusstsein zurück - und das ist mit dem aktuell vorherrschenden Geiz nicht vereinbar.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Weg zu dieser neuen, alten Art von Wertschätzung nicht darüber geht, dass man zwangsläufig mehr Geld ausgibt. Tatsächlich werden wir ihn über einen gezielten Mut zur Lücke wiederfinden. Ich für meinen Teil zog im letzten Jahr trotz kurzzeitig juckender Finger einen Strich unter die Kapitel Mad Max und Just Cause 3, gestand mir selbst, BroForce am Ende sowieso nicht zu spielen und verzichtete darauf, mir auch eine Meinung über einen Indie-Darling wie Her Story zu bilden. Der Gedanke: Wer sein hart verdientes Geld nur für Spiele ausgibt, die schließlich auch in seiner Rotation landen, hat am Ende mehr davon und schiebt nicht auch noch das Wett-Dumping an.

Nicht, dass ich unsere Freizeitüberforderung mit der eines heimgekehrten Kriegsveteranen vergleichen wollte, aber dieses Bild spiegelt ganz gut wieder, wie man sich häufig fühlt, wenn man Steam anwirft. (Bild aus 'The Hurt Locker')

Am Ende bringt uns das Pfennigfuchsen weder der Spielkultur noch unseren Geldbeuteln etwas. Über kurz oder lang müssen die Entwickler dem Sale-Zwang Rechnung tragen. Am Triple-A-Segment auf dem PC konnte man das über die vergangenen Jahre schon gut verfolgen: Erst seit einer Weile kosten Spiele hier plötzlich das gleiche wie auf Konsolen. Vor ein paar Jahren war das noch nicht der Fall. Heute muss es aber so sein, damit man sie später im Sale mit Rabatten von 25 Prozent noch für das Geld loswird, was für diese Titel damals veranschlagt wurde. Und auch die Indies werden schleichend teurer, damit nach Weihnachts-, Frühjahrs-, Sommer- und Herbstausverkauf noch was hängen bleibt, was diesen Karriereweg rechtfertigt. Wohin das führt? Natürlich dahin, dass noch mehr Leute bis zur Schnäppchenzeit die Hände in den Schoss legen. Eine Spirale mit Spitzen Enden an beiden Seiten.

Also, lasst uns Mut zur Lücke beweisen und unseren Konsum bewusster und vom Kultur-Wettbewerb losgelöster leben. Ich plädiere nicht dafür, Sonderangebote kategorisch zu meiden. Bestimmt nicht. Jeder weiß selbst am besten, wie viel er sich leisten kann und sollte. Aber ich bin mir sicher: Mancher wird sich wundern, wie gut er sich fühlt, das gleiche Geld auf weniger Spiele zu verteilen und diese dafür in einem Maße zu genießen, das sie auch verdienen.

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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