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Homefront: The Revolution - Ambitioniertes Großstadt-Far-Cry mit alternativer Zeitlinie

Mehr Science-Fiction, als man vielleicht denkt. Und das ist gut so.

Natürlich, bei all den Wehen, die Homefront-Entwickler Dambuster, damals Crytek UK, so hinter sich hat, würde es nicht verwundern, wenn nicht durchweg mit voller Kraft voraus an The Revolution gearbeitet wurde. Trotzdem klingt es nach einer verdammt langen Zeit, als Brand-Manager Huw Beynon, der das Spiel von Anfang an als Produzent betreut, davon spricht, dass bereits fünf Jahre daran entwickelt wurde. Und doch: Das ist eine Spanne, die zu den Ambitionen passt, die die Briten hier auffahren.

Alternative Zeitlinie, die in den Siebzigern beginnt. Ein Actionspiel in drei unterschiedlich stark bewachten Besatzungszonen mit jeweils unterschiedlichem Gameplay-Fokus. Die dichte Handlung eines linearen Shooters, gepaart mit Far-Cry-Offenheit, Crafting und wandelbarer Spielwelt, die auf Befreiungsversuche des Spielers reagiert. Hier Hacking, da Motorradfahren, dort dynamisch generierte Missionsziele. Wenn man so davon hört, bekommt man richtig Lust, sich ausgiebig reinzuhängen, um zu sehen, wie viel von der Vision noch in diesem Frühjahr wahr wird. Nichts anderes als das beabsichtigte Deep Silver vergangene Woche in London, als sie uns zur wohl längsten Anspielsitzung an Maus und Tastatur ließen, die ich in meinen zehn Jahren in diesem Business erlebt habe.

Die Waffen von Homefront in all ihrer Wandlungsfähigkeit. Machen Spaß, die Dinger (Dauer 0:45).Auf YouTube ansehen

Ich habe die eine oder andere Horror-Story über eine Koop-Beta gehört, die ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Spiel zeichnete. Als ich vergangenen Mittwoch fast fünf Stunden vor dem Einzelspielerpart von Homefront: The Revolution sitze, merke ich davon aber herzlich wenig. Diesem Spiel glaubt man - zumindest in der von mir vorab getesteten PC-Version -, dass es sich mit großen Schritten auf die Fertigstellung zubewegt. Alles ist an Ort und Stelle, greift gut ineinander und gerade das Abfeuern, Aufrüsten und Ummodeln der Waffen zieht von Beginn an ordentlich ins Geschehen. Es ist der gute alte Far-Cry-Rhythmus des Sich-was-Vornehmens, Marker-Setzens und dann doch von einer spontanen Nebenmission, einem Stück von der Umgebung erzählter Geschichte oder einer dahergelaufenen Patrouille Davon-abgebracht-Werdens.

Die Geschichte ist diesmal insofern ein Stück glaubwürdiger, dass sie endlich voll und ganz in Richtung Alternativer-Zeitlinien-Science-Fiction abdriftet. Das wirkt dem US-Fahnengewedel, das das britische Studio ohnehin schon ganz gut an die Leine nimmt, noch einmal mehr entgegen und hebelt Logikschwächen mit einem Selbstverweis auf seine überdeutliche Fiktionalität spielend aus. In der Welt von Homefront war nach einem Durchbruch in der Computertechnologie Anfang der Siebziger Nordkorea auf einmal die führende Industrienation, während die USA sich wie gehabt im Mittleren Osten aufrieben - nur mit von den Koreanern gefertigten Waffen. Irgendwann kommt eines zum anderen und die Wirtschaft zum Erliegen. Als die Koreaner - anfänglich noch als Hilfsmission - einmarschieren, ist mit Widerstand kaum zu rechnen. Und als er schließlich kommt, legen die freundlichen Invasoren schlicht den wohlweislich eingebauten Killswitch in den US-Ballermännern um.

Soll heißen: In dieser Zeitlinie ist so einiges anders, auf eine frische Sci-Fi-Schlock-Art. Was bleibt, ist dass die Nordkoreaner natürlich auch hier die Bösen sind, nur diesmal mit riesigen Cyber-Zeppelinen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich das zweite Homefront als komplett veränderte "gute" Version des ersten Teils. Vor allem auch, weil dieser damals der Inbegriff dessen war, was an den immer lineareren Ballerspielen der frühen 2010er nicht stimmte. Ich habe schon letztes Jahr auf der gamescom gemerkt, wie gut mir dieses "Far Cry, nur in der Stadt" gefiel. Es tut wirklich einiges für das Spiel, dass ihr in der so genannten roten Zone, den ausgebombten, in Trümmern liegenden Vororten von Philadelphia, euren Guerillakrieg startet und nicht in der Natur irgendeiner tropischen Lokalität.

In der gelben Zone geht's nur auf den ersten Blick friedlich zu. Hier sind Heimlichkeit, Ablenkung und Überraschung das Wort der Stunde.Auf YouTube ansehen

Zerschossene Türen und geborstene Fenster der in der Mehrheit begehbaren Hausruinen erzeugen dynamisch immer neue interessante Schauplätze für plötzliche heftige Schießereien. Hier das Feuer auf eine Streife eröffnen, dann ins Haus gehuscht, zwei Stockwerke die Treppen hinauf und vom Balkon eine Granate geworfen, dann auf der Rückseite des Komplexes vom Balkon gesprungen und um die Nordseite herum den Gegnern in den Rücken gefallen. Das geschieht häufig genug mit Unterstützung von anderen, KI-gesteuerten Widerstandskämpfern und ist hoch atmosphärisch, dynamisch und fühlt sich irgendwie gefährlich an.

Die Waffen haben 'nen mächtigen Tritt, sie mit Aufsätzen zu modifizieren und mit Konversionen sogar komplett zu verändern (das Scharfschützenewehr verschießt dann auf einmal Feuerwerk, die Schrotflinte Napalm), war ziemlich motivierend, denn die muss man erst freischalten. Dass man alles mitten im Gefecht verändern darf, ist nett und überhaupt gefallen diese Schießereien, soweit ich das bisher beurteilen kann, auf einem irgendwie coolen, primitiven Level. Dazu gehört auch, dass man sich hier und da ein Motorrad schnappt und so etwas schneller von Missionsziel zu Missionsziel wummert, wenn man einfach nur darauf aus ist, die open-worldig typisierten Marker abzuklappern, oder einfach nur so Patrouillen aufreiben will. Ihr gebt Schlagzahl und Lautstärke vor - und wenn ihr die Schnauze davon voll habt, gibt es genügend lineare Missionen, in denen ihr den Vorgaben der Entwickler hinterherlaufen könnt.

Ein paar davon spielte ich bereits und in Sachen Szenario war die Eroberung eines computergesteuerten Goliath-Panzers am Liegeplatz des zerstörten Flugzeugträgers USS Nimitz das Highlight. In der Praxis zeigte sich: Hier ist in Sachen Skripting und Auslösern noch ein wenig zu tun, denn so ganz rund lief das Uhrwerk der NPC-Aktionen nicht. Hier und da war es noch eine Idee zu hampelig, manchmal konnte man an schwierigen Passagen einfach vorbeilaufen und an wieder anderer Stelle setzte mich das Spiel nach einem Game-over vor einer Zwischensequenz wieder ab. Aber alles in allem gefiel mir in der roten Zone, was ich spielte.

In der Geschichte trefft ihr auf zahlreiche Widerstandskämpfer und korrupte KPA-Kollaborateure. Die Animationen können sich durchaus sehen lassen.Auf YouTube ansehen

Erstmals sah ich im Anschluss an die Mission auch die gelbe Zone, wobei es sich im Grunde um die Ghettos handelt, in denen die Zivilbevölkerung ihr mehr oder weniger friedliches Dasein fristet. Hier greift die Zukunfts-Polizeistaatsmentalität voll durch und mit wildem Drauflosschießen kommt man nicht weit. Stattdessen müsst ihr heimlich, still und leise den Aufstand der Zivilisten schüren. Mit jeder Antenne, deren Kabel ihr durchschneidet, jeder Kamera, die ihr zerschießt, mit jedem verhafteten Amerikaner, dessen Häscher ihr lautlos ausschaltet, und mit jedem aktivierten Radiosender wächst die "Hearts-and-Minds"-Anzeige. Erledigt zwischendurch noch ein paar Anführer der KPA und bald ist sie bei 100 Prozent, was zum Aufstand der Unterdrückten führt.

Das war durchaus interessant zu spielen, aber nicht so befriedigend wie die Dynamik der sich ständig verlagernden Schlachtfelder der roten Zone. Es ist eben kein wirkliches Schleichspiel, auch wenn man sich in Müllcontainern verstecken kann. Zudem fiel die mit deutlich mehr KI bestückte Weltsimulation hier ab und an auseinander. An einer Stelle musste ich das Feuer eröffnen und einen Kampf mit ein paar Soldaten beginnen. Wenige Meter von mir entfernt spulte ein weiterer Soldat aber trotzdem in aller Seelenruhe die Durchsuchung eines harmlosen Passanten ab. Hier kollidieren einfach viele mögliche Aggregatzustände auf diverse unabhängig voneinander agierende Figuren. Man kennt das ja, kann man akzeptieren und vermutlich wird in dieser Sekunde noch daran gearbeitet.

So oder so: Wer ein paar Game-overs in Kauf nimmt, holzt sich auch so durch diese Zonen, denn der letzte Fortschritt in Richtung Aufstand wird immer gespeichert. Zumindest gelang mir das, als mir die Geduld ausging, auf dem normalen Schwierigkeitsgrad. Ich bin sogar durchaus zuversichtlich, dass man das auch cleverer spielen kann und dabei ordentlich Spaß hat. Aber Butter und Brot liegen wohl in der roten Zone und alles, was wir spielten, deutet darauf hin, dass man hier die meiste Zeit unterwegs sein wird. Dort gibt es wirklich einiges zu tun, sichere Häuser zu befreien, Dächer mit dem Motorrad hinaufzufahren und ferngesteuerte Autos mit Sprengsätzen, die man unter Feindpanzern parkt. Ich war wirklich traurig, dass einmal pro Stunde jemand kam, um mir einen noch späteren Spielstand zu zeigen. Am liebsten hätte ich es in einem Stück erlebt und meine eigenen Upgrades behalten. Aber wurscht. Der Eindruck, der blieb: In Sachen Umfang muss sich dieses Spiel wirklich gewaschen haben.

In der gelben Zone zeigt sich der Widerstand in Form von Graffiti und anderen Zeichen zivilen Ungehorsams, die langsam den totalitären Anstrich dieser Bereiche vergessen machen.

Ich hatte nach den Unkenrufen im Anschluss an die Koop-Beta Schlimmes erwartet und gute Unterhaltung bekommen, die zudem stellenweise sogar recht gut, wenngleich ein bisschen grau-braun aussah. Diese Mischung gefällt mir in ihren Ambitionen weiterhin besser als die letzten Far Crys. Gut möglich, dass sich am Ende die bewegte Entstehungsgeschichte doch noch irgendwie schmerzlich bemerkbar macht und ein technisch unsauberes, unausgegorenes Endprodukt bei uns auf der Matte steht. Aber ich liebe Szenarien mit alternativen Zeitlinien und bis hierhin habe ich nichts gesehen, was nicht darauf hindeutet, dass dieses Spiel eine faire Chance verdient.

THQ hat in The Revolution etwas gesehen, Crytek ging es genauso und nach diesen fünf Stunden weiß ich auch, warum Deep Silver vor zwei Jahren zugriff. Lasst sie machen, das hier könnte etwas werden.

In diesem artikel

Homefront: The Revolution

PS4, Xbox One, PC, Mac

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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