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VR: Wie viel Platz braucht man wirklich für HTC Vive?

Beginnt "Bewegungsfreiheit" bei 1,5x2 Metern?

Die ersten Virtual-Reality-Headsets erreichen gerade Marktreife. Und obwohl Kinderkrankheiten wie Fliegengittereffekt, unbändiger Hardwarehunger und eine allgemeine Dürre an unverzichtbaren Showcase-Spielen nicht wegzudiskutieren sind, fühlte man sich lange nicht mehr so kribbelig bei der Einführung einer neuen Technik, seit die Games den Schritt ins Internet wagten. Wer beschließt, Early Adopter dieser Technologie zu werden, der muss sich in erster Linie eine Frage stellen: Welchen den der beiden "großen" Anbieter er unterstützen soll.

Dies zu beantworten, sorgt aktuell ein wenig für Verunsicherung, denn anders als beim Kauf einer Konsole oder der neuen Grafikkarten-Generation verfolgen Oculus Rift und HTC Vive auf den ersten Blick unterschiedliche Philosophien. Oculus startete als VR-Brille mit traditionelleren - soll heißen "sitzend gespielten" - Game-Konzepten im Sinn. HTC Vive setzt viel auf die Karte "raumfüllendes VR". Diese unterschiedlichen Denkschulen machen ein Abwägen schwierig. Letzten Endes muss man aber attestieren: So knifflig ist es dann doch nicht: Oculus hat bereits gesagt, dass auch bei ihnen die Technologie für vielleicht nicht raumfüllendes, aber VR mit mehr Bewegungsfreiheit machbar ist und HTC Vive schlägt sich aktuell im Sitzen nicht maßgeblich schlechter als die Konkurrenz.

Schwer vorstellbar, dass Oculus die hier vornehmlich für Sitz-Gameplay baut.

Aber, und das muss gesagt sein: Wann immer ich Vive im Sitzen spiele - mit Ausnahme von Elite: Dangerous, in dem meine Spielfigur in der virtuellen Welt ebenfalls sitzt- habe ich das Gefühl, nicht komplett in die Illusion abtauchen zu können. Der eigene Hintern als Anker in in die Realität. Gleichfalls war mein bisher bestes Oculus-Erlebnis ebenfalls stehendes VR mit den Touch-Controllern, die noch etwas auf sich warten lassen. Für mich findet "echtes" VR also vorerst im Stehen statt, mit in Echtzeit abgebildeten Händen. Mit Blick auf HTCs Headset, das wir seit letzter Woche ausgiebig testen konnten, stellt sich daher die Frage: Wie viel Platz braucht man wirklich, damit vermeintlich raumfüllendes VR Spaß macht? Und wie praktikabel ist das?

Unten angefangen erfordert HTC Vive von offizieller Seite mindestens 1,5x2 Meter freien Platz für sein "roomscale VR". Am oberen Ende ist von fünf Metern Abstand der beiden Basisstationen zueinander die Rede. Auf ein Quadrat bezogen sind das 3,5 Meter Seitenlänge pro Wand. Das Minimum ist wirklich nur das, was nötig ist, damit die Technik einwandfrei funktioniert. Was nicht einwandfrei funktioniert: die Illusion, wirklich dort zu sein. Sofern man es nicht runterregelt, schlägt auf derart wenig Raum permanent das Chaperone-System aus, das verhindern soll, dass ihr die schönen Controller an der Wand zerdeppert. Meine Lehre aus einem Versuchsaufbau mit genau diesen Maßen: die eigene Armspannweite sollte die kürzeste Seite des Raumes schon überschreiten. Ansonsten macht es wenig Sinn.

Es muss kein Basketballplatz sein und vor dem Fernseher sind 2x2 Meter schnell freigeräumt.

In vielen Spielen schwingt ihr die Arme, holt zum Schlag aus oder greift nach Gegenständen, die unter Umständen schon mal hinter einer sehr realen Wand liegen können. Wenn man diese Limitationen beim Spielen ständig im Hinterkopf behält, fällt es schwerer, sich der Illusion hinzugeben, man fühlt sich ein bisschen eingekerkert und nicht befreit, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Am beeindruckenden optischen Eindruck ändert das natürlich nichts. Man kann damit arbeiten und die Teleportfunktion, die viele dieser Spiele bieten, ist bei weitem kein so großer Spaßkiller, wie sich das vielleicht anhört.

Von den vier verschiedenen Raum-Setups, die ich probierte, fühlte ich mich in quadratischen Spielfeldern mit Abstand am wohlsten. Von der markierten Mitte des VR-Spielfeldes aus kann man so in jede Richtung gleich weit laufen und verinnerlicht "seinen Raum" schneller, bewegt sich selbstverständlicher und sicherer in ihm. Was ebenfalls hilft: einen Platz freiräumen, der "weiche Grenzen" bietet. Zur Not endet euer Spielfeld natürlich auch an einer Wand, aber sofern ihr es einrichten könnt, ist eine Handlänge Puffer (oder mehr) fast besser, als würde man diese zusätzlichen Zentimeter in den Spielbereich mit aufnehmen. Andere nützliche "weiche Grenzen" sind Sofakanten, halbhohe Sideboards und Fensterbretter. Im Stehen gibt es hier immer noch etwas Raum hinter ihnen, in den ihr hineingreifen könnt. Das befreit beim Spielen unterbewusst noch ein wenig. Ein virtueller Spielraum mit identischen Abmessungen fühlt sich ungemein größer an, wenn man weiß, dass seine wirklichen Ränder nicht durch Beton und Tapete definiert sind.

Unseen Diplomacy ist das einzige Spiel, dem es egal ist, wie viel oder wenig Platz ihr habt. Erst ab 3x4 Metern geht der Spaß los. Wenn es denn Spaß ist. Ich werde es so schnell nicht erfahren. Die von anderen Titeln so häufig genutzte Teleportfunktion könnte hier helfen.

Mein Königsweg aktuell: Irgendwann kommt immer eine Wand, aber ich habe festgestellt, dass ich mit guten 2x2 Metern plus etwas vom oben beschriebenem Puffer zu "harten Grenzen" ein wirklich gutes VR-Erlebnis hatte. Unseen Diplomacy blieb mir so zwar verwehrt, verlangt es doch nach 3x4 Metern Platz. Mit geschicktem Design bin ich aber sicher, dass dieser Platz für zukünftige Spiele ausreichen wird. 2x2 Meter freizuräumen, ist mit durchdachter Raumorganisation sicherlich kein Hexenwerk. In meinem mickrigen 8qm-Arbeitszimmer sind seit vergangener Woche 4qm für VR reserviert. In durchschnittlich großen Räumen (um die 16qm), sind diese Maße oft allein vor dem Fernseher schon häufig gut freizumachen.

Für das Freiheitsgefühlt tut raumfüllendes VR jedenfalls schon einiges, wenngleich ich lügen würde, wenn ich behauptete, mit den Motion Controllern nicht das eine oder andere Mal doch laut gegen eine der Wände gedotzt zu sein. Sowohl Mauer als auch Controller können das augenscheinlich (noch) vertragen und ich werde besser darin, meinem persönlichen Chaperone zu gehorchen. Man arrangiert sich selbst auf 2x2 Metern gut mit den realen physischen Beschränkungen und freut sich dennoch, die Feinarbeit kleinschrittiger Positionsanpassungen einfach so vorzunehmen, wie man das im echten Leben ebenfalls tut: Indem man sich vorlehnt, einen Schritt nach hinten oder zur Seite macht, sich auf die Zehenspitzen stellt oder hinhockt. Das kann kein Controller der Welt vermitteln.

Bisher hatte ich nicht geahnt, dass ich im Stehen spielen wollen würde. Jetzt mag ich mich kaum noch hinsetzen - Elite: Dangerous mal ausgenommen.

Es ist wohl die Sorte Feature, für die man eine Nachfrage erst schaffen muss. Allein, dass es so schwer fällt, diesen Effekt zu beschreiben, spricht Bände darüber, was VR in den Köpfen seiner Gäste anstellt. Die so zögerlich diskutierte Platzfrage stellt sich in der Praxis jedenfalls als deutlich geringeres Problem heraus, als ich zunächst befürchtet hatte. Daumenregel: Mehr Platz ist besser, aber 2x2 Meter reichen und sind wirklich nicht die Welt. Mit einer VR-Brille auf dem Kopf können sie aber zu einer werden.

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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