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The Bitmap Brothers Universe - Buchrezension

British Stil

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Eine so umfangreiche wie persönliche Zeitreise zu einem der großen Amiga-Studios, perfekt umgesetztes Bildmaterial inklusive.

"Gods, was ist Gods?" "Das neue Spiel der Bitmap Brothers" "Hast du schon?" "Klar." "Super, bei dir nach der Schule dann." Ich hatte keinen Amiga. Aber jeder wusste wer die Bitmap Brothers waren. Oder vielmehr: Wir hatten nicht den blassen Hauch einer Ahnung, aber nach Speedball, dessen Fortsetzung und Xenon 2: Megablast war klar, wenn dieses Logo auftauchte, war es Zeit, zu spielen. Und zu spielen. Und noch mehr zu spielen. Denn nicht nur war der Grafikstil dieser Spiele einzigartig, sie waren selbst für damalige, eher unvergebende Verhältnisse brutal hart. Wie ein Dark Souls: Sie waren so verdammt gut, dass man bereit war zu leiden.

'You want the industry to be taken seriously, you want the art form to be taken seriously.'

Vor allem aber war es der einmalige Stil, der später im Gedächtnis hängenbleiben sollte. Es gibt viele Homecomputer- und PC-Spiele aus der Zeit der späten 80er und in die 90er hinein, bei denen weiß man schnell, von welchem Kontinent sie kamen. Die europäischen Länder und die USA hatten ihre eigenen Grafikstile. Aber dass man sofort wusste, aus welchem Studio ein Spiel kam, das war vor allem bei den englischen Studios verbreitet. DMA Design, Sensible Software, Team 17 und allen voran die Bitmap Brothers, bei ihnen reichte ein Screenshot und man wusste sofort, mit wem man es zu tun hatte. Es war eine goldene Zeit für die Entwickler der Insel. Eine recht wilde Zeit, in der die Regeln, nach denen die Industrie heute arbeitet, noch nicht geschrieben waren. Kreativität stieß immer wieder auf Ahnungslosigkeit, Enthusiasmus auf Übereifer, aber es funktionierte alles irgendwie. Für eine Weile. Bevor die Zeit und die Spielewelt sich weiterdrehten, neue Impulse kamen und die alten Platzhirsche überrollt wurden.

'A new world was opening up, a bit like being in the Wild West. Lawless, chaotic and fun.'

Viele Spiele aus dieser Zeit sind vergessen und das aus gutem Grund. Allein 1992 erschienen nur für den Amiga fast 500 Spiele, fast anderthalb jeden einzelnen Tag also. Die Bitmap Brotherd schufen von 1988 bis 1996 - die letzten Züge des Amiga - zehn Spiele. Jedes dieser Zehn ist heute noch ein echter Name in Retro-Kreisen und teilweise sogar darüber hinaus. Gods, Magic Pockets oder Xenon genießen den nicht so obskuren Klassikerstatus, ein Speedball dagegen verschwindet einfach nicht und Fans sind jedes Mal auf neue enttäuscht, dass eine weitere Umsetzung, sei es nun für aktuelle Konsolen oder Mobile-Geräte, einfach nicht die Klasse der Originale erreicht. Das hat damit zu tun, dass manche Spiele einfach genau für eine bestimmte Hardware geschaffen wurden und nur auf dieser funktionieren, aber auch damit, dass die Zeit sich eben weitergedreht hat und man zwanzig oder mehr Jahre neue Erfahrungen mit Spielen nicht ungeschehen machen kann. Dagegen lässt sich genauso wenig tun, wie gegen die Tatsache, dass der Amiga, sein Monitor, sein Chip-Triumvirat Paula, Denise und Agnus am besten funktioniert, wenn er nicht emuliert, sondern in seinem ganz eigenen Leuchten und Fiepsen glänzen kann.

'I love this game-making lark.'

Da sich niemand gerne so viel Altschrott in seine Wohnung holt - wenn ihr das doch tut, habt ihr gleichzeitig meinen Respekt und mein Mitleid, egal, ob ihr eines von beidem wolltet - seid ihr mit einer anderen Form von modernem Retro gut bedient. Schon auf der ersten Seite geht es darum, welcher Aufwand in der Reproduktion der Grafik der Bitmap Brothers auf Papier drinsteckt, um einen halbwegs authentischen Eindruck zu vermitteln. Und ja, einfach aufgenommene und auf Papier reproduzierte Bilder werden nicht dem gerecht, was den ursprünglichen Eindruck auf einem Commodore 1084 ausmachte. Das wird aber erst wirklich klar, wenn man die aufwändig gestalteten, bearbeiteten und auf schwarzem Hintergrund in den richtigen Kontrast gerückten Zeitkapseln in The Bitmap Brothers Universe, dem neuesten Buch des englischen Kleinstverlages Read Only Memory bewundert. Ein bisschen in Mobygames herumzuklicken und sich an Screens zu erfreuen, ist eine Sache. Das hier zieht an genau den richtigen Synapsen, es klickt, als würde man für einen Augenblick zurück auf diesen schon vor langer Zeit zum Schrott gewanderten Monitor schauen. In den Pixeln und zwischen den Scanlines nach mehr Details suchen, die sich doch finden lassen müssten, wenn man die Augen nur ein wenig zusammenkneift. Auch wenn die Bilder auf den ersten Blick nicht so beeindruckend sind, wie zum Beispiel das Artwork- und Konstruktionsplan-Material aus ihrer SEGA-Mega-Drive-Liebeserklärung, es ist eindeutig, dass hier unglaublich viel Mühe in den Prozess der richtigen, der lebensnahen Abbildung eines Amiga-Spiels geflossen ist. Es ist für einen Augenblick so, als würde das Spiel vor einem stehen. Klingt simpel, es könnte nicht schwieriger umzusetzen sein.

'I'm not going to talk to you, let's get some fish.'

An Bildern gibt es auch keinen Mangel in dem mit 340 Seiten nicht gerade mageren Buch. Jedes der nicht gerade zahlreichen Spiele des Studios wird ausgiebig gewürdigt, von Xenon bis zu den letzten Titeln Z: Steel Soldiers und Frontline Command. Ein paar Blicke auf gecancelte Projekte sind dabei, und ein paar freigestellte Details, wie der metallene T-Rex aus Chaos Engine. Es ist ein gut ausgewählter und umfangreicher Eindruck des Schaffenswerkes. Mehr wäre sicher möglich, aber nicht unbedingt nötig gewesen.

Die Bilder sind allerdings das, was man eh kennt, wenn auch vielleicht in nicht so herausragend reproduzierter Weise wie hier (außer natürlich, man saß selbst vor dem Amiga, das Original ist halt schwer zu überbieten). Was sich nicht so einfach finden lässt, sind die Geschichten des quirligen Studios und seiner kreativen Geister. Autor Duncan Harris spürte viele von ihnen auf und jeder hatte seinen Teil über eine andere Zeit, die sich retrospektive wie eine andere Welt anhört, zu erzählen.

'Funny things happen when you change perspective.'

In einem Dutzend umfangreicher Kapitel bekommt ihr einen persönlichen Einblick in die Gründung des Studios, den kreativen Prozess hinter den Spielen und das kleine und große Drama, das sie begleitete. Es ist nicht immer leicht zu lesen, oft geht es ein wenig durcheinander und ganz sicher ist nicht alles relevant, was gesagt wird. Oder, vielleicht ist es das doch, weil es eben ein Teil dieser Studio-Geschichte ist und wenn sich jemand nach so langer Zeit noch daran erinnert und es erzählt, dann war es für ihn und vielleicht das Studio doch wichtiger, als es heute für den Leser den Eindruck hat. The Bitmap Brothers Universe ist schließlich keine akkurate historische Einordnung in die britische Homecomputer-Geschichte, sondern ein Blick durch die Augen derer, die dabei waren.

'Seeing that logo appear, it was clear this group of artists was about to make a statement.'

An der Qualität des Buches selbst gibt es, wie man es inzwischen bei Read Only Memory gewohnt ist, nichts zu bemängeln. Festes 300pp Papier, sicher in ein massives Hardcover gebunden- Format 19x24, auf halben Weg von A5 zu A4 etwa -, es ist auch optisch eine Zierde für das Regal. Das Coverdesign zeigt sich angemessen minimalistisch und auf Stil geeicht, was sich auch durch das Layout des Buches selbst zieht. Ganz offensichtlich nimmt man die Gestaltung bei dem Verlag so ernst wie den Inhalt. Und auch wenn es klar sein dürfte: Das Buch ist nur auf Englisch erhältlich und eine Übersetzung nicht zu erwarten. Das Buch kostet 30 Pfund plus 4 Pfund Versandkosten, was derzeit knappe 40 Euro heißt.

Was diesen Inhalt angeht: Wie auch schon bei Britsoft und Sensible Software aus dem gleichen Verlag ist es essentiell, dass ihr eine gewisse Affinität mitbringt, nicht unbedingt für die Bitmap Brothers, aber für diese Zeit der Spielewelt. Der Aufstieg und Fall des Studios enthält in seinem Kern sicher auch das Zeug für ein Lehrstück mit gewisser universeller Gültigkeit für die Branche, aber im Grunde geht es um die Ära, ihre Protagonisten, ihre Ideen und Verschrobenheiten. Und die Spiele natürlich. Diese wundervollen, einzigartigen, alles andere als perfekten, aber gerade deshalb so erinnerungswürdigen Bitmap-Brothers-Spiele. Und all dem wird The Bitmap Brother Universe gerecht. Das Buch setzt ihnen das kleine, nicht weniger verschrobene Denkmal, das sie verdient haben.

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

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Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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