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The Last Guardian: Ist das Monster endlich gezähmt?

"Es ist ein sehr gemischtes Gefühl, dass das Spiel jetzt fertig ist." - Fumito Ueda

Korrigiert mich, wenn ich da alleine bin, aber man stellt sich Fumito Ueda, den Schöpfer von Last Guardian, Ico und Shadow of the Colossus, schon irgendwie als verträumten Poeten vor. Wie sollte es auch anders sein? Seine Spiele sind 100 Prozent Herz, nie verkopft und nicht interessiert an Systemen und Belohnungszyklen. Es sind oft technisch wacklige Erlebnisse von einer speziellen Melancholie, jedes anscheinend nur ein kleiner Teil einer einzigen viel größeren Mythologie. Einer in sich geschlossenen Vision, von der man immer nur einen kleinen Auszug sieht. Als ich den Mann Fumito Ueda in London zum Gespräch treffe, stellt sich der aber als erstaunlich überlegter und nüchtern argumentierender Lenker heraus.

Ich hatte zuvor zwei Abschnitte von The Last Guardian gespielt, die mir bisher unbekannt waren. Die Eröffnung des Abenteuers hatte ich ja bereits auf der letzten gamescom erlebt und meine Eindrücke geschildert. Ich hatte es seinerzeit mit dem E3-Build zu tun, an dem nach Angaben von Sony noch gearbeitet würde, um Kamera und Steuerung - die beiden Knackpunkte am Spiel schlechthin - noch Gehorsam einzubläuen. Der guten neuen halben Stunde zufolge, die ich nun erlebte, blieb dieses Spiel auch nach der Überarbeitung ein eigenwilliges, mit dem man manchmal regelrecht ins Ringen kommt. Mal, weil man nicht den richtigen Winkel erwischt oder Mal, weil die Kamera einen Sprung sicher aussehen ließ, sich damit aber einen grausamen Scherz erlaubte.

Gemeinsam stark. Das ist das erbauliche Gefühl, das einen durch eine um sich selbst trauernde Welt zieht.

Aber - und das ist wichtig - diese spezielle Team-Ico-Magie war trotzdem direkt zu spüren. Dazu gehört eine gute Portion Verschrobenheit, wenn der namenlose Hauptcharakter zum Beispiel auf Druck der Dreieck-Taste springt oder sich an Kanten hängend fallen lässt, wenn man Kreuz betätigt, wo in den meisten anderen Spielen mit vergleichbarer Geländenavigation genau das Gegenteil passiert. Aber ein Team-Ico-Spiel besteht eben auch aus herzigen Animationen, im Fall des stummelflügeligen Fabelwesens sogar solchen, die tatsächlich eine lebendige Kreatur vermuten lassen. Sogar seine Größe wird durch die elegante Wucht seiner Bewegungen perfekt eingefangen. Aber auch der Junge, den man selbst spielt, sprüht nur so vor Charakter, wenn der mit zeigendem Finger übertrieben auf der Stelle joggt, um Trico zu zeigen, in welche Richtung er sich bewegen soll oder mit der originalgetreuen, fast albernen Tollpatschigkeit des 12-jährigen, der er nun mal ist mit rudernden Armen eine Wendeltreppe hinaufrennt.

Technologisch ist das Spiel in seiner Lebhaftigkeit definitiv verblüffend, aber es ist auch sichtlich in seiner eigenen Tradition verhaftet. "Ich bin mit der sich verändernden Spielelandschaft bewusst", sagt Ueda, als ich ihn frage, ob sich das Spiel im Laufe der Jahre verändert hätte. "Verschiebungen in Sachen Hardware und der Spielgewohnheiten ereignen sich immer, aber wir haben immer darauf hingearbeitet, etwas zu erschaffen, was nur ein Videospiel bieten kann. Dieser Fokus hat uns auf Kurs gehalten." Die breitere Akzeptanz von Videospielen und ihre größere Zielgruppe hätten zwar dazu geführt, dass man auf Fokusgruppentests zurückgriff, damit das Spiel nutzerfreundlicher würde. Glattgebügelt fand ich, was ich von The Last Guardian spielte, allerdings keineswegs, was ja nicht zuletzt meine Bedenken in Sachen der Steuerung und Kamera unterstreichen.

Überrascht hat mich auch seine Antwort, ob und welche Methode hinter seinen Welten stecke. Schließlich geht es fast immer geht es darum in einer im Verfall begriffenen, verlassenen Welt, sehr emotionale Bindungen mit Fantasiewesen - ob Lichtmädchen, ein Pferd oder seltsam gigantische Feinde wider Willen oder jetzt eben Trico - einzugehen. Tatsächlich ist der erste Grund, den Ueda dafür nennt, dass seine Welten mystisch uralt und vergangen wirken, ein erstaunlich lapidarer: "Wir wollen immer ein Erlebnis erschaffen, das glaubwürdig und authentisch ist, aber wenn man eine Welt mit Hunderten Charakteren erschafft, ist das je nach Ressourcen eine Menge harte Arbeit und unterliegt vor allem technischen Limitationen". Es ist ein seltsamer Moment, als ich begreife, dass diese spezielle Atmosphäre dieser Titel in erster Linie dadurch erzeugt wird, dass das Team gewissen technischen Herausforderungen notgedrungen aus dem Weg ging. Aber das Argument hält nun mal Wasser: "Anstatt eine Welt voller unterschiedlichen Figuren zu schaffen, ist es besser, sich auf einen in einer verlassenen Welt zu konzentrieren.

Das Spiel hält einen nicht bei der Hand und will, dass ihr selbst den Weg nach vorne findet. Gleichzeitig wollte Ueda aber auch nicht auf den Trend besonders schwerer Spiele aufspringen, verrät er.

"Gleichzeitig", fährt Ueda fort, "wollen wir, dass das Spiel sehr erinnerungswürdig ist. Und das ist einfacher zu bewerkstelligen, wenn man sich auf eine Figur konzentrieren kann. Anstelle eines gewaltigen, eindrücklichen Ereignisses ist ein anhaltend tragisch angehauchtes Szenario etwas, das sich stärker in der Erinnerung der Leute festsetzt." Da sind sie, die leisen Töne, die man von dem Macher dieser Spiele erwartet.

Ob ich nun mit dem Jungen und seinem gefiederten Freund einen gewaltigen, wackligen Turm emporklettere oder mich eine brüchige Brücke entlang kämpfe: Das Gefühl einer langen, gefährlichen Reise durchzieht auch das dritte Spiel von Team Ico. Es steckt in allem was ihr tut, wie sich der kleine Mann müht und rackert. Wie das verwirrte und zeitweise verängstigte Trico manchmal nicht zu kapieren scheint, was ihr von ihm wollt, wenn es sich sträubt, weil im Weg hängende, offenbar magische Embleme es bannen. Oder nur die Suche nach dem richtigen Weg, während ringsum nur gähnende Abgründe warten. Wo andere Spielehelden ohne vorher groß mit den Fingern zu knacksen sich fast wie von selbst eine Wand emporklicken, wirkt hier alles wie ein echter Kraftakt, fordernd. Nicht unbedingt schwierig, wohlgemerkt. Beschwerlich. Und jeder Sturz, vor dem einen Trico einen mit einem Schnapper seines Schnabels oder seinem eleganten Schweif in letzter Sekunde bewahrt, schweißt die beiden auf ihrem Weg zusammen. Und mich an sie.

Dabei ist sehr beachtlich, wie Ueda und sein Team eigentlich klassisch videospielige Abläufe des Besorgens von Gegenstände oder des Freiräumens des Weges für das täuschend wie aus Fleisch und Blut wirkende Trico komplett glaubwürdig und organisch in das Spiel integrieren. Vermutlich liegt es schlicht daran, dass dieses Spiel einfach eines der anpackenden Sorte ist und nichts einfach nur so mit dem Druck eines Knopfes erledigt ist. Jedes der oben erwähnten Bann-Embleme, das Trico fauchend und mit angelegten Ohren zurückschrecken lässt, ist irgendwo Teil des Geschichtenerzählens und Weltenbauens Uedas, und wenn man es aus dem Weg räumt, indem man seine Flaschenzüge manipuliert oder eine Lore aus dem Weg schiebt, fühlt sich das logisch und verdient an, als hätte man selbst die Muskeln spielen lassen.

Ueda hat bereits mehrere Ideen, was er als nächstes machen könnte, ist aber noch unentschlossen: 'Ein Spiel zu machen ist sehr, sehr schwer. Ich suche noch nach der Idee, die mir genug Motivation gibt, diese Schwierigkeiten zu überwinden und loszulegen.'

Und ja: Manchmal macht Trico nicht, was man von ihm will, andere Male dauern Sachen länger, als man sie sich erhofft hätte, während man auf dem Rücken des Biests auf der Stelle laufend wieder und wieder das Kommando für vorwärts gibt (und langsam ein bisschen sauer wird). Nicht in einer Sekunde habe ich jedoch einen Bug in der KI vermutet. Ich fühlte mich eher an das Training mit meinem Hund erinnert. Tiere sind keine Maschinen, nicht einmal die Tiere, die aus der Maschine kamen. Die Illusion, es mit einer lebendigen Kreatur zu tun zu haben und sich mit ihr und für sie zu freuen, wenn man dann erreicht hat, was man vorhatte, ist Team Ico großartig gelungen.

Aber eine Frage muss erlaubt sein, wie könnte man sie nicht stellen. Für mich persönlich ist es unvorstellbar, fast zehn Jahre an ein und demselben Projekt zu arbeiten. Wie sehr hasst Ueda seine Schöpfung mittlerweile? "Es gab Zeiten, da ging es mit meiner Motivation auf und ab. Nun, da das Spiel fertig ist, verspüre ich eine große Erleichterung, mich gewissermaßen von etwas zu befreien, an dem ich so lange arbeitete. Auf der anderen Seite möchte ich auch irgendwie weiter daran arbeiten, weil ich eine so starke Bindung dazu verspüre. Es sind sehr gemischte Gefühle gerade."

Der Mann, der vor mir sitzt, wirkt dennoch mit sich und dem Monster, das er schuf, im Reinen. Ueda hat Frieden mit seiner Kreation geschlossen und sie so weit gezähmt, wie es ihm nur möglich war, bevor er sie auf die Welt loslässt. Es ist immer noch ein wildes, manchmal störrisches Biest, Trico wie das Spiel im Allgemeinen. Auch darin liegt eine gewisse, schwer zu fassende Schönheit.


Entwickler/Publisher: Team Ico/Sony- Erscheint für: PlayStation 4 - Geplante Veröffentlichung: 6. Dezember

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The Last Guardian

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Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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