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Expeditions: Viking - Wikinger-Simulator 2017

Wenn ihr es baut, wird der Met fließen.

Ich bin ein Wikinger und mein Clan hat gerade massiv an Ansehen gewonnen! Durch eine Prügelei! Rollenspiele sind gewöhnlich ja meistens in Fantasy-, seltener in Science-Fiction- und noch seltener in dystopischen Szenarien angesiedelt. Expeditions: Viking ist nichts davon - es setzt mich stattdessen mitten in die Wikingerzeit des Frühmittelalters und überlässt mich dort meinem Schicksal, ganz ohne Drachen, Zwerge, Elfen und Gnome. Das hat aber Konsequenzen, vor allem, was die imaginäre Gut-Böse-Messleiste des Spiels angeht. Gleich vorweg: Expeditions: Viking ist noch nicht fertig und soll laut aktuellem Plan von Entwickler Logic Artists im ersten Quartal 2017 erscheinen. Insofern kann sich alles auch noch ändern, ich gehe aber nicht davon aus, dass die Entwickler die Grundmechaniken des Spiels noch grundsätzlich wandeln werden - das liegt auch daran, dass es stark auf seinem 2013 erschienenen Vorgänger Expeditions: Conquistador beruht, der sich mit der spanischen Eroberung Südamerikas auseinandersetzte.

Eine isometrische Sicht auf Schnee - nicht ungewöhnlich in Expeditions: Viking.

Expeditions: Viking bemüht sich ab der ersten Minute, sein eigenes Szenario zu inhalieren. Wikinger sitzen bei einer Art Leichenschmaus zusammen, Clanchefs tauschen sich über die Zukunft aus und dauernd wird irgendwas von Ehre und Stolz erzählt, fast so als sei man bei einer Star-Trek-Convention in der Klingonen-Area. Ob das wirklich so war oder nicht? Ich weiß es nicht und habe das Gefühl, dass es die Entwickler auch nicht wissen. Aber zumindest ist es ein historisches Setting - im gleichen Sinne, in dem Braveheart ein Historiendrama ist. Das Spiel nimmt unser populärwissenschaftliches Bild einer bestimmten Zeit und macht daraus eine fiktionale Geschichte.

Eben weil wir die Wikinger aber für diese brachialen Ehrenmänner halten, die sie möglicherweise (höchstwahrscheinlich nicht mehr oder weniger als andere auch) gar nicht waren, werden einige Spielmechaniken überhaupt interessant. Denn im Kern funktioniert Expeditions: Viking wie ein Baldur's Gate - ihr guckt in isometrischer Perspektive auf eine Party, deren Mitglieder grantig werden, wenn ihr etwas tut, das ihnen nicht gefällt, meist aus moralischen Gründen. Eben diese Perspektive ist bei Viking nicht mehr die einzige, denn neben der moralisch richtigen Entscheidung gilt es gleichzeitig, das Ansehen eures Clans zu bewahren. Es könnte also beispielsweise sein, dass es zwar moralisch richtig wäre, einen vom Met stark betrunkenen Gegner nicht um die Ecke zu bringen, nur eben, dass euer Clan gerade diesen Typen als Erzfeind ansieht und ihn deshalb dringend tot sehen möchte. Während ihr also in Expeditions: Viking typische Rollenspiel-Missionen erfüllt, müsst ihr immer auch daran denken, dass euch die Leute noch mögen - sowohl eure Party-Mitglieder als auch euer Clan. Expeditions: Viking könnte interessant werden, weil es nicht den moralischen Kompass der westlichen Welt der Gegenwart anlegt, sondern einen gänzlich anderen. Den dieser Wikinger eben.

Auf einer Weltkarte bewegt ihr euch von Ort zu Ort.

Jenseits davon ist Expeditions: Viking eher ein solides Rollenspiel mit rundenbasierten Kämpfen, Bewegungspunkten, Spezialfähigkeiten und allem sonst, was man aus Titeln wie XCOM oder, thematisch passender, The Banner Saga, kennt. Das alles ist handwerklich gut gemacht und macht Spaß. Es gibt Haupt- und Nebenquests, rekrutierbare Charaktere für die Party, die jeweils unterschiedliche Fähigkeiten haben und einen Survival-Aspekt. Ihr müsst darauf achten, dass eure Party immer genug zu essen hat und nicht krank wird. Außerdem könnt ihr euer Wikinger-Dorf erweitern. Wer mit den Einwohnern spricht, erfährt, was gerade am nötigsten gebraucht wird: eine Methalle etwa oder Befestigungsanlagen. All das ist heute aber eben nichts Besonderes mehr - weshalb das Szenario und der Umgang des Spiels mit den Entscheidungen der Spieler wohl die einzige Möglichkeit ist, diesem Spiel eine Art Alleinstellungsmerkmal zu verpassen.

Hinzu kommt: Im Moment sieht Expeditions: Viking noch sehr hölzern aus. Die Animationen wirken ein bisschen als hätte sie jemand mit einer dieser Anatomie-Puppen nachgestellt, die Umgebungstexturen sind relativ einfallslos. Und immer wenn du denkst, es geht nicht mehr trostloser, knallt dir ein charakterschwacher NPC ein paar lieblose Phrasen um die Ohren. Da gibt es den grundlos bösen Feind der Familie, die verschrobene Hexe im Wald und den mächtigen, grantigen, aber eigentlich gutherzigen Schmied. Kaum ein Klischee, dass das Spiel schon in seiner Preview-Fassung nicht auslässt.

Dialogboxen dienen in Expeditions: Viking nicht nur dazu, sich mit NPCs zu unterhalten. Sie beschreiben auch alles, was sich in der Spielwelt zwar abspielt, was ihr aber nicht seht.

Freilich kann sich all das bis zur finalen Version noch ändern. Aber auch wenn Expeditions: Viking Anfang 2017 hübschere Texturen haben wird, erwartet uns wahrscheinlich eine recht trockene Erfahrung, wenn die Entwickler nicht die Entscheidungen der Spieler stärker betonen und die rundenbasierten Kämpfe aufwerten - beispielsweise mit interessanten Spezialfähigkeiten oder der Möglichkeit, mächtige Items zu verwenden. Man merkt eben, dass es normalerweise irgendeine Inkarnation von Magie in Rollenspielen gibt - bei Expeditions: Viking fehlt das und es wird durch nichts ersetzt. So bleiben eben Spezialschläge, Gift und die Möglichkeit Fallen zu stellen. Und obwohl diese historisch korrektere Herangehensweise spannend ist, ersetzt eben nichts einen ordentlich explodierenden Feuerball oder ein Blitzgewitter. Oder gehörnte Monster oder Orks oder Drachen. Einer der Gründe, warum ich Videospiele konsumiere, ist Eskapismus. Ich möchte für kurze Zeit in eine fremde Welt flüchten. Das klappt aber eben nur, wenn diese Welt auch interessanter ist als die Realität.

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Markus Grundmann Avatar
Markus Grundmann: Seine ersten Videospiele konsumierte Markus auf dem Game Boy. Heute spielt er so ziemlich alles, bei dem er auf Knöpfe drücken kann – mit besonderer Vorliebe für Nintendo und extravagante Indie-Titel.
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