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Wer VR am Ende sieht, hat bei seiner Rechnung etwas Entscheidendes vergessen

Wie die jüngste Grafikkartengeneration zeigt, wohin die Reise geht.

War's das jetzt mit Virtual Reality? Es ist erstaunlich still geworden um vermutlich den Hype der letzten Jahre. Skeptiker bemängeln, dass Killer-Apps fehlten. Nun, die sind eben noch nie stundenlang dermaßen tief in Thumper abgetaucht, haben nie mit schmerzhaft weit offenem Mund vor Google Earth VR gestanden oder sich in Superhot VR wie die coole Version von John Wick gefühlt. Von Elite: Dangerous' Macht, einen in ferne Welten zu versetzen, oder Sportsbar VRs Talent, euch weit entfernte Freunde treffen zu lassen oder von bahnbrechenden Kreativtools wie Tiltbrush, Medium oder Quill haben wir dann noch gar nicht angefangen. Der Abtransport in diese Welten selbst ist es, der die Killer-App darstellt.

Wer sich dem hier einmal geöffnet hat, dem muss ob des Potenzials einfach schwindelig werden. Klar, selbst VR-Enthusiasten müssen sich schon den einen oder anderen zynischen Kommentar verkneifen, wenn mal wieder eine billige Schießbude daherkommt, die nur das absolute Minimum leistet oder das nächste Spiel, das wie eine Reihe lose miteinander verbundener Tech-Demos wirkt. Die großen, die ambitionierten Projekte werden so lange auf sich warten lassen, bis es Leute gibt, die diese Hardware kaufen. Es ist das klassische "Henne-oder-Ei?"-Dilemma. Diese Durchschlagskraft, mit der VR eine kritische, mitreißende Masse erreichen würde, sie ist nicht verpufft, sie ist einfach noch nicht da. Wie sich herausstellt, braucht zwar selbst die PlayStation VR, das nach allen ergonomischen Gesichtspunkten beste und gleichzeitig günstigste Gerät dieser Art, noch dazu mit der größten potenziellen Zielgruppe, noch Schützenhilfe von außen.

Nah dran am optimalen Formfaktor. Aber daran allein liegt es nicht.

Und die kommt - ob man es glaubt oder nicht - ausgerechnet aus dem PC-Segment und noch dazu fast von alleine. Die Fortschritte hier sind es, die über kurz oder lang Werbung für die Idee im Allgemeinen machen, das Bewusstsein für VR schärfen. Bisher haben die VR-Produzenten an sich tatsächlich nur wenig falsch gemacht, sie machten es nur ein wenig zu früh. Hämische Bekundungen, die Technologie sei fehlgeleitet und am Ende könnten deshalb unangebrachter und nervtötender nicht sein. Die Brillen waren nicht unbedingt ihrer Zeit voraus, wohl aber dem Markt an potenter Grafikhardware. Seien wir mal ehrlich: In der Zeit, in der erste Oculus Rift Dev-Kits auf die Reise gingen, war die Geforce 970 eine Art Wunschlos-glücklich-Karte, für deren Anschaffung man sich selbst auf die Schulter klopfte. Auf dem Weg zum Launch galoppierten die Brillen den GPUs aber spürbar davon, bis man zum Verkaufsstart von Vive mit einer 970 oder dem älteren Spitzenmodell GTC 780ti spürbar nur noch in der Minimalkonfiguration unterwegs war.

Das ist nun mal der Haken an VR: Es muss ein exorbitant höherer Pixeldurchsatz in die Displays der Brillen gepumpt werden als üblich, noch dazu in einer Bildrate, an die die Mehrheit der Spiele nur selten einen Gedanken verschwendet. Oculus mogelt mittlerweile mit Asynchronous Timewarp und auch Steam VR bietet neuerdings eine vergleichbare Technik, die die Leistung anschiebt. Aber das Gefühl, der Anspruch von VR sei mit normalsterblichen Kalibern unterhalb von Mondkarten wie der Titan X nicht in Gänze zu erfüllen, war in den ersten Monaten der VR-Brillen am Markt nicht gerade verkaufsfördernd. VR und GPUs waren einfach noch nicht im Gleichschritt und das schadete sowohl Palmer Luckeys Kickstarter-Sensation als auch Valves Kollaboration mit HTC. Die Nachwehen bekommt die PlayStation VR noch heute zu spüren, denn gemessen an seinen Möglichkeiten ist Virtual Reality erstaunlich selten Gesprächsthema.

Wischt mit der einst deutlich teureren Titan X den Boden: Die Geforce 1080, je nach Hersteller ab 600 Euro aufwärts erhältlich. Aber auch am unteren Ende ist der Einstieg in VR-fähige Hardware spürbar günstiger geworden.

Aber: Mittlerweile hat die GPU-Technik einen gewaltigen Satz nach vorne gemacht und sowohl AMD als auch Nvidia liefern Einsteiger-VR-Leistung für Preise ab 200 und bis deutlich unter 300 Euro. Einen noch größeren Sprung machte man mit der 1070, die ab aktuell 400 Euro Leistung liefert, für die man in der Generation davor zeitweise das Doppelte und mehr hinlegen musste. Mit einer Karte wie der 1080 - ab 600 Euro aufwärts - hat man das Gefühl, in jeder Applikation für absolut alles gewappnet zu sein. Für dieses Susi-Sorglos-Feeling mussten Early Adopter in Vorbereitung auf Vive und Co. noch deutlich mehr Geld hinlegen - und den Eindruck eines Nischenspielzeugs für Besserverdiener wird man so schnell nicht mehr los. Gleichzeitig ist ist es doch ziemlich eindeutig, dass die neue Hardware von Grund auf besser auf die Anforderungen dieser neuen Darstellungsart eingestellt ist als die Generation vor ihr.

Dinge wie Nvidias Multi-res-Shading und andere Rendertechniken bringen am unteren Ende der GPU-Motorisierung hohe Performance-Zuwächse, während ab der GTX 1070 genug Reserven sind, auch anspruchsvolle VR-Titel vollkommen ohne Leistungsprobleme intern mit höherer Auflösung zu rechnen, um per Downsampling ein sehr viel schärferes Bild zu erzielen. Immerhin war die gefühlte Unschärfe, die nun mal dann zu Tage tritt, wenn man mit seinem Auge nur wenige Zentimeter von einem Bildschirm entfernt ist, durchaus ein Faktor, der einigen frühen VR-Probierern signalisiert haben muss, dass die Technik vielleicht doch noch nicht ganz da ist, wo sie sein sollte. Und heute, mit der entsprechenden Karte? Elite Dangerous' Planetenlandungen in 1,5-fach höherer Auflösung als zuvor sind eine wahre Offenbarung, auch wenn die Brille nativ natürlich weiterhin die gewohnte Pixelmenge abbildet.

Der beste Beweis, dass VR uns erhalten bleibt: Wer Elite Dangerous einmal so erlebt, will nie wieder zurück.

GTX 1080 und was auch immer AMD in Sachen High-End in der Mache hat bewegen sich natürlich immer noch nicht in der Preisklasse für die breite Masse, aber die Tendenz ist klar: Die Schwelle zum Einstieg in dieses Medium hat sich in weniger als einem Jahr ebenso maßgeblich gesenkt, wie die Eintrittskarte zum aktuellen Optimum nun bei einer deutlich realistischeren Marke liegt. Bei Brillenproduktionskosten, die gleichzeitig nicht gestiegen sein dürften, könnte sich mit wachsender Nachfrage also auch der Preis von Vive, Oculus und sicher auch PSVR noch spürbar senken, während den Entwicklern immer mehr Tricks einfallen, aus den gegebenen Pferdestärken noch ein paar Prozent mehr herauszukitzeln. Erschwingliches VR ist ergo nur noch eine Frage der Zeit. Den Sweet-Spot zu finden, ist die Aufgabe für jede Firma, die in dieses Rennen einsteigen - oder noch länger dabeibleiben - möchte.

Die Frage ist nur, ob die Hersteller einen langen Atem beweisen und VR und dem potenziellen Publikum nach diesem verfrühten Start die Zeit geben, die sie offensichtlich noch brauchen. Es kommt schließlich nicht alle naselang eine Technologie daher, die grundlegend auf den Kopf zu stellen gedenkt, wie man audiovisuelle Medien erlebt. Fakt ist, Virtual Reality funktioniert und streift, auch mit der Hilfe der sie befeuernden Hardware, weiter eine Einschränkung nach der anderen ab. Einzelne Hersteller und Entwickler werden das Interesse verlieren, andere vorläufig oder endgültig gezwungen sein, sich anderem zuzuwenden. Aber der Gedanke, die Idee dieser Technologie und das allgemeine Format, das VR im vergangenen Jahr angenommen hat, sie gehen so schnell nirgendwo hin und werden ihren Platz noch finden. Hoffentlich weiterhin in Form neuer Entertainment-Erlebnisse, die uns neue, fremde Welten öffnen oder uns aus berauschend ungewohnten Perspektiven auf Vertrautes blicken lassen.

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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