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Utawarerumono: Mask of Deception - Test

Klingt schwieriger als es ist...

Weder als Visual Novel noch als Strategiespiel überragend und trotzdem ein sympathischer Mix, wie man ihn nicht alle Tage zu sehen bekommt.

Nein, auch nach mehr als drei Dutzend Spielstunden kann ich diesen Titel nicht fehlerfrei aussprechen. Der Name "Utawarerumono" ist der Untergang einer jeden Autokorrektur und in seiner Verschwurbeltheit zugleich eine angemessene Vorwarnung für das, was euch auf dieser Reise an Steinen in den Weg gelegt wird. Rollen wir zuerst den größten zur Seite: Der Untertitel "Mask of Deception" ziert nicht grundlos das Cover, das zudem mit einem jungen Anime-Mädel in Embryonalstellung nur bedingt dazu beiträgt, einen guten ersten Eindruck zu machen. Eine Unterzeile im Titel ist ein ziemlich zuverlässiger Indikator dafür, gerade die Fortsetzung einer Reihe in den Händen zu halten. Diese Faustregel trifft hier einmal mehr zu.

Irgendwie jedenfalls. Bis auf einen 2002 veröffentlichten Mix aus Visual Novel mit hohem Rundenstrategie- und dezentem Eroge-Einschlag - für die unschuldigeren Naturen unter euch: Sex und Nacktheit in durchaus sportlicher Frequenz - haben wir nichts verpasst, wenn man von den üblichen Manga- und Anime-Adaptionen absieht, einiges davon immerhin mit englischen Untertiteln, wenn ihr einsteigen möchtet. Nun also hat es der zweite Teil dieses wilden und in Japan nicht unüblichen Genremix auch zu uns geschafft. Dieser wurde lediglich um allzu drastische Erotikszenen bereinigt, die bereits mit der PS2-Veröffentlichung des Originals entschärft wurden. Aber trotzdem: Es gibt bessere Voraussetzungen für einen reibungslosen Start im Westen.

Utawarerumono: Mask of Deception umschifft dieses Problem so gut es eben geht. Es stellt euch ein proppevolles digitales Glossar zum Aufarbeiten der Geschichte und ein dünnes physisches Artbook zur Seite. Ein Heftchen, das die älteren unter euch aus besseren Zeit noch unter dem Begriff „Spielanleitung" kannten. Vor allem aber nutzt es einen zum Klischee gewordenen Taschenspielertrick, von dem man zugegebenermaßen viel Schlechtes halten kann, dessen Einsatz in diesem Fall aber keine dumme Idee ist: Es setzt euch einen direkt aus dem JRPG-Lehrbuch entsprungenen, an Amnesie leidenden Protagonisten vor.

Schicke Sprites, hübsche Hintergründe, stimmiger Soundtrack - es gibt Visual Novels mit schlechteren Schauwerten.

Durch seine naiven Augen lernt ihr eine vielfältige Welt kennen, gerade noch nahe genug an unserer eigenen und doch in einem Maße andersartig, dass sie zu erforschen von zahlreichen Überraschungen begleitet wird. Sie ist zuvorderst bevölkert von menschlichen Wesen mit buschigen Katzenöhrchen und kräftigen Fuchsschwänzen, aber auch von elfenartigen Einwohnern, beflügelten Engeln, wilden Kreaturen und jeder Menge hintergründiger Lore. Die Historie sowie der komplexe Aufbau des Yamato genannten Reiches sind jederzeit spürbar, sowohl unmittelbar - wir reden schließlich von einer Fortsetzung - als auch im übertragenen Sinne. Seid aber gewarnt: Bisweilen ist das kleinteilige Zusammensetzen dieses Mosaiks eine sehr mühselige Angelegenheit. Selbst für Visual-Novel-Verhältnisse ist Utawarerumono außerordentlich redselig.

Endlos schwadronieren Charaktere über den süffigen Sake vom letzten Abend oder das schöne Wetter und weil der Großteil von ihnen ein sympathischer Haufen ist, bin ich ihrem belanglosen Smalltalk eine Zeitlang durchaus gern gefolgt. Mehr noch, er ist ein Stück weit sogar maßgeblich verantwortlich dafür, den weitestgehend üblichen Archetypen dieser Geschichte - der gutherzig-trottelige Hauptcharakter, die taffe Begleiterin, der Comic-relief-Clown, ihr kennt sie alle - Tiefe und liebenswürdige Marotten zu verleihen. Einige davon gehen sogar über breitgelatschte 08/15-Anime-Klischees hinaus, man soll es gar nicht glauben. Eine für Popkultur im Allgemeinen und Japano-Spiele im Speziellen besondere Überraschung ist die Vielzahl weiblicher Charaktere und ihre tragende Rolle innerhalb des Abenteuers. Die obligatorischen Dummchen sind schon dabei, machen wir uns nichts vor. Flankiert aber werden sie von starken Frauen mit eigenem Willen und ohne Damsel-in-distress-Gestus. Nur leider sagt sich Utawarerumono nie ganz von seiner ferkeligen Vergangenheit los und ist um keine Ausrede verlegen, wenn es darum geht, die Damen in Badewannenszenen und anderen Situationen zumindest eines Teils ihrer Kleidung zu entledigen. Ein immer "Fanservice" eben, in diesem Fall nur ganz besonders überflüssiger. Eine witzige Randnotiz: Hierzulande passiert das laut USK frei ab 6, PEGI möchte dagegen niemand unter 16 mit diesen Bilchen konfrontieren.

Der grundlegende Hang zur erzählerischen Zwanglosigkeit ist eine nette Abkehr von bedeutungsschwangeren Dialogen, wie sie für dieses Genre typisch sind. Allerdings verlieren die Autoren zwischen all den geschlagenen Haken bisweilen die eigentliche Geschichte aus den Augen. Ihr solltet schon ein Faible für diese gemütliche Art der Erzählung haben. Natürlich zieht das Tempo irgendwann an, präsentiert Intrigen und Schicksalsschläge und all das. Mit der Pistole auf der Brust würde sich Utawarerumono aber ein ums andere Mal für ulkige Dialoge statt geradliniger Dramaturgie entscheiden. Das ist in letzter Konsequenz eher eine Frage der persönlichen Vorlieben als ein abschließendes Qualitätsmerkmal und angesichts des bunten Straußes drolliger Persönlichkeiten vielleicht gar keine so üble Sache.

Da wäre dann so eine Szene, während der die Freundin unerwartet den Raum betritt und fragt, was man denn da bitte spiele.

Verbucht dezent überschwängliche Sätze wie "Wie wirst du die Zukunft von Yamato beeinflussen?" auf der Rückseite der Spielhülle deshalb lieber unter Werbesprache. Es gibt ohnehin dankbarere Jobs als den, eine von vorn bis hinten absolut geradlinige Visual Novel mit schicken Schlagworten auszuschmücken. Mask of Deception lässt euch zwar hin und wieder die Wahl, in welcher Reihenfolge ihr bestimmte Dialoge erledigen wollt, kennt darüber hinaus aber kein links und rechts. Ihr trefft keine relevanten Entscheidungen, sondern bleibt brav au demf Kurs, der nach rund 40 Stunden unweigerlich im einzig möglichen Ende mündet. Das ist schade einerseits, andererseits nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass uns Anfang September bereits der Nachfolger Mask of Truth erwartet (https://www.eurogamer.de/articles/2017-05-20-utawarerumono-mask-of-truth-erhaelt-europa-termin). Allerdings ist das Kunststück multipler Enden trotz Nachfolgerspiele durchaus möglich, die Zero-Escape-Reihe hat das durchaus eindrucksvoll bewiesen.

Utawarerumono hat ein anderes, nun, vielleicht nicht Ass, aber einen Bonus parat. Mehr eine ungewöhnliche Eigenheit allemal. Ich jedenfalls habe bis dato keine vollwertige Visual Novel mit halbwegs ausgewachsenem, ernstzunehmenden Rundenstrategieanteil gespielt und bereue es sicher nicht, dieses Versäumnis hiermit nachgeholt zu haben. Erwartet keine ausgewachsene Strategiebestie: Nicht, weil Mask of Deception unweigerlich an deren Anspruch scheitert, sondern weil es ihn gar nicht erreichen will. Es geht nicht um ein höchstmögliches Maß an Anspruch, vielmehr sollen die regelmäßig eingestreuten Kämpfen ein wenig Zerstreuung bieten, ohne eure Intelligenz zu beleidigen. Und was soll ich sagen? Bei mir hat es funktioniert.

Sobald die Textboxen nach anderthalb Stunden vielleicht nicht mehr mit der nötigen Aufmerksamkeit gelesen werden, entblättert sich eine neuerliche schachbrettartige Rasterkarte mit fast allem, was dazugehört. Zugweise gehen Schwertkämpfer aufeinander los, unterstützt von Bogenschützen aus der zweiten Reihe und mit Heilkräften gesegneten Magiern. Gutes Zeug, sehr klassisch. Vieles davon spielt sich etwas umständlicher und ist weniger ausschweifend als andernorts. Aber man muss sich schon anstrengen, um trotz Rückspul-Funktion, überschaubaren Gegnergrüppchen und großzügig verteilten Levelaufstiegen zu verlieren. Eine Handvoll cleverer Mechaniken dürft ihr trotzdem erwarten. Attacken etwa können zu Kettenangriffen kombiniert werden. Das dann entweder als automatisch ausgeführte Folge oder mittels manuellem Tastendruck innerhalb eines minimalen Zeitfensters, der dem Risiko des Scheiterns höhere Angriffskraft gegenüberstellt. Es liegt an euch und der jeweiligen Situation, welche Variante sinnvoller ist. Wie gesagt, nichts, was einen gestandenen Disgaea-Spieler aufwühlen wird, aber als unterhaltsame Abwechslung Gold wert.

Die Kämpfe könnten der späten PS2-Ära entsprungen sein und spielen sich auch so, erfüllen aber ihren Zweck.

Es gibt bessere Visual Novels da draußen, jede Menge sogar. Anspruchsvollere Rundenstrategie sowieso. Die größte Leistung von Mask of Deception liegt daher auch weniger in der Meisterschaft dieser Genres. Die eigentliche Besonderheit besteht vielmehr darin, mit welcher Eleganz diese nicht ganz einfach unter einen Hut zu bringenden Spielarten hier vereint werden. Trotzdem wird aus zwei mittelmäßigen bis guten Elementen nicht plötzlich ein überragendes Ganzes. Im Zweifel würde ich euch jederzeit dazu raten, jeweils einen Überflieger beider Genres zu spielen, bevor ihr hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollt. Mit der richtigen Erwartungshaltung allerdings kann Utawarerumono eure Zeit trotzdem durchaus wert sein. Für ein 40-Stunden-Spiel ist das als großes Kompliment zu verstehen.

Entwickler/Publisher: Aquaplus, Sting / Atlus, Deep Silver- Erscheint für: PS4, Vita (Vita nur Japan) - Preis: ca. 50 Euro - Erscheint am: erhältlich - Getestete Version: PS4 - Sprache: Englisch, Japanisch - Mikrotransaktionen: Nein

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Utawarerumono: Mask of Truth

PS4, PlayStation Vita

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Gregor Thomanek Avatar

Gregor Thomanek

Freier Redakteur

Trinkt gern Kaffee und liebt Videospiele, im Idealfall beides auf einmal. Ist für alles zu haben, was aus Japan kommt. Hat nie Herr der Ringe gesehen und findet, das sollte auch so bleiben. Gründet irgendwann einen Ryan-Gosling-Fanclub. Hat seine Katze "Yoshi" genannt, bereut nichts. Konsolenkind.
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