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Lone Echo und Echo Arena - Test

Triple-A in VR - So wird's gemacht!

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Kurzes und am Ende abgewürgtes, aber prächtiges Space-Adventure mit toller Schwerelosigkeit und super Technik. Im Multiplayer fantastisch!

Die ersten Minuten sind eine Herausforderung, das gebe ich gerne zu. Hier schwebe ich nun, im Inneren einer futuristischen Raumstation, und im Jahr 2137 haben sie offenbar immer noch keine künstliche Schwerkraft erfunden. Mir schwindelt's. Das hier muss in Teilen das Gefühl sein, das echte Astronauten verspüren, wenn die vertraute Schwerkraft aufhört, Oben und Unten, Bewegung und Stillstand zu signalisieren. Aber, und das ist wichtig: Übel wird mir nicht. Tatsächlich gewöhne ich mich schnell daran, vollkommen befreit vom körperlichen Ballast durch die Bergbaustation Kronos II zu levitieren, an meinem robotischen Körper herunterzuschauen und mich über den Detailgrad meiner metallenen Hände zu erfreuen, die Touch auf den Finger genau erfasst.

Im Hintergrund fliegt der Captain der Station durch die Gegend, Olivia Rhodes. Wir sind so etwas wie Freunde, wie es aussieht. In den Interaktionen, den Dialogen und Gesten, liegt eine gewisse Wärme. Jack, wie die KI sich nennt, die man steuert, und Rhodes sind schon länger zusammen hier - und sie kurz davor, versetzt zu werden. Das erste Mal, dass Rhodes näherkommt und dem Spielercharakter direkt ins Gesicht blickt, ist ein echter Paukenschlag: Jemand hat in VR mal einen Charakter auf dem Level einer echten Triple-A-Produktion erschaffen. So überzeugend einem selbst ein Viereck und vier Striche in Virtual Reality noch versichern, man habe hier einen echten Tisch vor sich - jetzt einen gewissermaßen lebensechten Charakter sich vollkommen natürlich durch die Schwerelosigkeit bewegen zu sehen, das ist noch einmal eine andere Hausnummer.

Rhodes reagiert auf unflätiges Verhalten. Also Finger weg!

Das ist der Eindruck, der sich von vorne bis hinten durch die etwa vier Stunden der Einzelspielerkampagne von Lone Echo zieht. So müssen sie aussehen, die teuren Großproduktionen in VR, nach denen man so lange darbte. Was man auch immer vom Vorgängerwerk The Order 1866 halten mag - Entwickler Ready at Dawn versteht etwas von der Ausgestaltung seiner Umgebungen. Die Kronos II glänzt nicht nur durch überzeugendes Sci-Fi-Design, sondern auch durch persönliche Touches: Privatgegenstände, die durch die Gegend treiben, Spielzeug, futuristisches Arbeitsgerät, Post-it-Notizen an den Wänden. Die Astronautenillusion ist perfekt, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass man hier keinen Gravity-artigen Action-Film nachspielt, sondern zu weiten Teilen auch dann noch etwas lapidare Spaceman-Arbeit erledigt, wenn im Orbit des Saturn eine riesige Anomalie aus dem Nichts erscheint, die die komplette Anlage zu zerstören droht.

Paneele aufschweißen, Hebel dahinter ziehen, Batterie suchen und finden, Container auf Strahlungslecks überprüfen, Anlagen auf verschiedenste Arten in Gang bringen, ab und an eine von zwei Dialogoptionen wählen. Das grenzt bisweilen an Arbeit und hier und da merkt man schon, dass die Menge an Dingen, die man mit zwei Händen, Armhologramm-Menüs, kopfmontierter Taschenlampe, Schweißgerät und Scanner machen kann, irgendwann erschöpft ist. Das kann dem wahnsinnig guten Gefühl, wirklich hier zu sein, nichts anhaben. Das liegt neben der hohen Interaktivität in einer fesselnden Umgebung in erster Linie daran, dass Ready at Dawn die vollkommen freie, dreidimensionale Fortbewegung perfektioniert hat. Fast ist man überzeugt, dass sie das Space-Szenario alleine deshalb wählten, weil sie so die Bewegung frei und dennoch komplett von Stickbewegungen oder Teleportsperenzchen entkoppelt lösen konnten. Und wenn das so gut gelöst ist wie hier, bin ich dafür, dass in Zukunft so gut wie alle VR-Spiele in der Schwerelosigkeit des Alls spielen. Ich übertreibe natürlich, aber das Konzept, sich einfach an Oberflächen festzuhalten und dann in die Richtung abzustoßen, in die man möchte - Korrekturen mittels Minischubdüsen an den Handgelenken inklusive -, ist einfach unfassbar gut.

Lone Echo - TrailerAuf YouTube ansehen

Am besten fühlt sich Lone Echo allerdings im Set-up mit drei Sensoren an. Dann gibt's Quasi-Roomscale mit freier Drehung und maximaler Eleganz. Das Spiel funktioniert zwar auch nur mit zwei Sensoren absolut ausreichend, aber dann seid ihr darauf angewiesen, hier und da mit dem Analogstick die Sicht zu drehen. Das geht, ebenso wie man dieses Spiel auch sitzend erleben kann. Aber optimal, weil lückenlos erfasst fühlt man sich nur mit drei Sensoren - und mittig im Raum stehend, duckend, lehnend. Wie dem auch sei: Sich an einem Container festzukrallen und die zahlreich platzierten Handgriffe zu nutzen, um nach der leckgeschlagenen Stelle zu suchen, auf der Pirsch nach manipulierbaren Tafeln, Hebeln, Interfaces Anlagen aus allen möglichen Blickwinkeln zu erforschen, das ist wichtiger Teil des Astronautengefühls. Die Selbstverständlichkeit, mit der man schon bald die Umgebung navigiert und seine Werkzeuge handhabt, trägt viel zur Illusion bei, hier auch hinzugehören. Ihr seid eine Maschine, eigens dafür gebaut, die fortwährende Existenz von Kronos II und Rhodes zu sichern. Selten fühlte man sich in einem Spiel derart kompetent - Umgebungen in einer möglichst fließenden Bewegung zu durchqueren, dabei den eigenen perfekt animierten Schatten unter sich langhuschen zu seinen, es gibt kaum Vergleichbares.

Am Ende verzeiht man deshalb die vielfach eher einfach gestrickten Dinge, die man so tut, und das Abflachen des Dramas, das gelegentlich eintritt, wenn man im Angesicht eines mysteriösen Ereignisses eben doch weite Teile des Spiels hindurch mit etwas so Schnödem wie Reparaturarbeiten befasst ist. Tatsächlich ist man fast froh, dass einen das Spiel nicht durch ein Set-Piece nach dem anderen hetzt, denn so kann man die Umgebungen ungestört nach den zahlreichen Minisatelliten und netten versteckten Details abgrasen. Wirklich schade ist unterdessen, wie abrupt und von der Klippe hängend der Abspann einsetzt. Hier muss wohl irgendwann der Aufwand das vorhandene Budget gesprengt haben. Ich hoffe inständig auf eine Fortsetzung, die einige der offenen Fragen aus der Welt schafft.

Echo Arena - TrailerAuf YouTube ansehen

40 Euro für vier bis sechs Stunden, je nachdem, wie viele der gut versteckten Sammelgegenstände ihr finden wollt und wie lange ihr zwischendurch mit offenem Mund prinzipiell tatenlos die Kronos II und das kleine Stück Kosmos, das sie umgibt, erkundet. Das ist ein annehmbarer, wenngleich kein allzu schmaler Preis. Ready at Dawn veröffentlichte aber auch eine Multiplayer-Komponente namens Echo Arena. Die ist kostenlos auch separat erhältlich und vielleicht das aktuell beste mehr oder weniger traditionelle Multiplayer-Spiel im Oculus Store. Wer sich den Preis für Lone Echo also schönreden will oder muss, hat die bestmögliche Ausrede: Das Studio war so nett, euch den langfristig motivierenden Part des Erlebnisses gratis zu überlassen. Vielleicht kommt ihr ihnen entgegen, indem ihr ein Auge zudrückt und Lone Echo auch dann noch kauft, wenn es euch gefühlt einen Zehner zu teuer vorkommt. VR braucht mehr solcher Spiele. Sie zu unterstützen sollte jedem Freund der Plattform ein Anliegen sein.

Zu Echo Arena selbst: Ready at Dawn zelebriert auch hier sein spannendes Fortbewegungssystem, zieht aber das Tempo an. Zwei Teams Roboter versuchen, in einer komplett in 3D befliegbaren Arena eine Disk durch ein Tor zu bugsieren, nutzen Schubdüsen und vereinzelte Oberflächen, um an Fahrt zu gewinnen und - das ist der Kracher - krallen sich auch aneinander fest und prügeln sich das Silizium aus dem Schädel. Eishockey trifft auf Rocket League und Quidditch. Dass Echo Arena gratis ist, dürfte zudem sicherstellen, dass man lange auf Mitspieler trifft. Ich habe selten einen Mehrspielertitel erlebt, der sich auch so real und körperlich nach Sport anfühlte. Ganz ohne "E" davor.

Im Mehrspielermodus sind es vor allem Gesten und die natürlichen, menschlichen Bewegungen der Gegner, die dafür sorgen, dass man sich an einen anderen Ort transportiert fühlt.

Lone Echo und Echo Arena also - zwei Seiten derselben Medaille, obwohl es sich prinzipiell um eigenständige Veröffentlichungen handelt. Wer schon länger darauf hofft, große, ausufernde Produktionen in VR zu sehen, bekommt hier zumindest technisch und in Sachen Konzept die prototypische Vorlage dafür. Luft nach oben ist auch hier noch massig - Gameplay-Inhalte und Passagen, die über das Abfragen des richtigen Werkzeuges an der richtigen Stelle hinausgehen, echte Puzzles zum Beispiel, wären ebenso nett gewesen wie ein Ende, das sich auch wie eines anfühlt. Aber Lone Echo lebt stets für den Moment - und dort auf großem Fuß. Allein mit dem Gefühl des beseelten Schwebens durch die gar nicht so leere Leere des Alls und mit seiner Art, wie der Spieler mit dieser Welt interagiert, platziert es ein, zwei meiner Lieblingsmomente auf der Bestenliste dieses Spielejahres. Gerne mehr davon!


Entwickler/Publisher: Ready at Dawn/Oculus Studios - Erscheint für: Oculus, Touch erforderlich - Preis: 39,99 Euro, Echo Arena kostenlos - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Englisch - Mikrotransaktionen: Nein

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Lone Echo

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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