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Wolfenstein 2 ist exakt so wild, wüst und witzig, wie ihr euch das vorstellt

B.J. startet deutlich stärker als im ersten Teil.

Oh, gut. Sie haben ihre Lektion gelernt und eröffnen Wolfenstein 2 nicht mit dem langweiligsten, vorhersehbarsten Level des ganzen Spiels! Nicht, dass der einleitende Sturm auf die Regime-Festung schlecht gemacht gewesen wäre, er stellte nur nicht zügig genug heraus, was die große Stärke dieses Spiels sein würde. Ich kenne ein paar Leute, die kaum den einleitenden Abschnitt beendeten, den "Ist-halt-ein-Shooter-Stempel" draufpackten und damit beinahe eine der größten Überraschungen des Spielejahres 2014 verpassten. Wie tief sich der Titel in die alternative Zeitlinie hineinknien würde und wie diebisch böse er den Doppel-Schrotflinten-Gewaltexzess zelebrieren würde, wurde in dem betongrauen Eröffner des Spiels vor drei Jahren schlicht nicht klar.

Wolfenstein 2 geht mit der aus dem E3-Trailer bekannten Rollstuhlsequenz gleich in die trashigen Vollen, nimmt sich bei aller Finsternis des Szenarios mal wieder nicht ernst und überhöht Gewalt und Charaktere direkt zu Beginn in schamlose Exploitation-Sphären. Dass B.J. Blaszkowicz im Rollstuhl sitzt und gerade erst aus einem fünfmonatigen Koma aufgewacht ist - geschenkt. Abgesehen davon, dass Treppensteigen eine unüberwindbare Herausforderung darstellt (rauf zumindest), ist er kaum langsamer und weniger wendig als andere Avatare in anderen Shootern. Der einleitende Level spielt schön schadenfreudig mit den von Wissenschaftler-Sidekick Set überall im von Nazis überrannten U-Boot platzierten Mikrowellenfallen, die ihr an- und abschalten könnt, um Gegner gemein, aber visuell ungemein effektvoll hineinzulocken. Es ist atmosphärisch, direkt auf den Punkt und zieht wegen B.J.s seit dem letzten Teil verändertem Beziehungsstatus auf persönlicher Ebene ins Geschehen hinein. Einmal mehr wird klar, dass Machine Games seine Level lockerer und mit einem gesunden Willen zur Unübersichtlichkeit aufzieht. Immer wieder drängen sich kleine Nebenräume oder Abzweigungen zur Erkundung auf, wo man dann wie gehabt Schriftstücke, Communiqués, Propagandamaterial findet - auch hier wieder in Form von unter Regime-Aufsicht entstandener Popkulturbeiträge, Musikstücke unter anderem. Manchmal findet man auch nur eine lohnende Position zum Flankieren feindlicher Stellungen. Ist natürlich im großen Ganzen immer noch linear, aber auf eine weltenbildnerische Art lohnend. Kaum innovativ oder wirklich neu, hier aber mit der gewissen Machine-Games-Note versehen. Eine schöne Weiterentwicklung der "Secrets" von einst, die damals hinter einem versteckten Schalter in der Wand eine besonders mächtige Waffe versteckten und euch dann "Bye-bye!" sagten, um zum Teil einer Spielabschnittstatistik zu werden.

Es zieht sich schlicht nicht so, sieht wenig Anlass, euch viel zu erklären, und gibt in sehr unterhaltsamen Zwischensequenzen voller schwarzhumorig lustiger Hintergrunddetails wohldosierte Verschnaufpausen. Das erklärende Gespräch zwischen Set und B.J. zum Beispiel, während im Hintergrund ein Regime-Soldat nach dem anderen in der Mikrowellenfalle verpufft wie funkentreibendes Popcorn, ist bitterböser, gelungener Slapstick, als der letzte von ihnen versucht, vorsichtig schleichend auf die andere Seite zu kommen - mit vorhersehbarem Ergebnis. In diesem Ton geht es weiter, nur damit einem immer wieder das Lachen kräftig im Halse stecken bleiben kann. Bei allem Exploitation-Wahnsinn hat man seine Verbündeten dieser zerrütteten Welt nämlich wirklich liebgewonnen und dieses Spiel trachtet ihnen nach dem Leben. Machine Games hat begriffen, dass es wenig zählt, sich an die Rettung einer Welt zu machen, wenn man zu deren Bewohnern keinen Bezug hat.

Nicht, dass sie ihre Welt nicht auch in gebührendem Umfang zeigen würden. Im zweiten Level als Feuerwehrmann getarnt durch Roswell, New Mexico, zu spazieren und aus erster Hand zu sehen, was die Besatzung durch das Regime aus den USA gemacht hat, erinnert daran, was auf globaler Ebene auf dem Spiel steht. Und das verteidigt man dann auf Sabotagemission in der unterirdischen Anlage nahe Area 51 - mit blutverschmiertem Gesicht, einer automatischen Schrotflinte links, einem Sturmgewehr rechts. Doch auch Stealth ist bis tief in gewisse Szenarien hinein noch eine Option - wer Offiziere leise als Erstes ausschaltet, hat im entbrennenden Gefecht wieder einmal keine nachrückenden Truppen zu befürchten. Ehrlich gesagt ist Wolfenstein aber am besten, wenn ihr mit schierer Mordslust in den Augen durch die Korridore und Hallen rennt. Was hier in Sachen Waffen-Handling und Trefferfeedback aufgefahren wird, ist schlicht und ergreifend glorreich.

Und wie schnell das alles ist... die Korridorsequenz gen Ende des E3-Trailers ist in ihrer überbordenden Brutalität eher die Regel als die Ausnahme und während ihr die Flucht nach vorn sucht und ohne Unterlass Regimetruppen fällt, sowie sie um die Ecke lunzen, kaum stehen bleibt (weil Panzerung, Gesundheit und Munition größtenteils durch Drüberlaufen aufgesammelt werden) und im vollen Lauf instinktiv auf die nächsten Knallchargen ansetzt, das hat stellenweise fast etwas von Geometry Wars, so sehr fühlt man sich im Fluss. Okay, Doom vom letzten Jahr wäre natürlich ein naheliegender Vergleichstitel, in dem man in einen beneidenswerten Flow-State verfällt, aber selbst da kam mir schon Bizarre Creations legendärer Twin-Stick-Shooter für eine Analogie in den Sinn. Dass Machine Games das Tempo der Marsexpedition imponierte, davon ist jedenfalls auszugehen, denn nun erreicht man auch im Dual-Wield-Modus B.J.s Höchstgeschwindigkeit und das Szenario-Design stellt Rund-and-Gun zumindest im Roswell-Abschnitt absolut gleichwertig neben den Duck-and-Cover-Ansatz mithilfe der Lehnenfunktion.

Optisch entspricht das Spiel in der angezockten PC-Version ebenfalls dem, was man auf der E3 sah. Ohne in die Menüs schauen zu dürfen, kann ich nicht sagen, ob da noch Luft nach oben ist, aber mit Ausnahme einiger nicht ganz so hochaufgelöster Texturen sah The New Colossus exzellent aus, lief sehr flüssig und begeisterte durch filmreife Partikeleffekte und schöne Ausleuchtung.

Ich kam aus diesen gut 90 Minuten jedenfalls mit großer Lust heraus, die beiden Vorläufer noch einmal anzugehen, allein schon in Vorbereitung auf das Wiedersehen mit seinen schillernden Figuren. In diesen zwei Leveln präsentierte sich Wolfenstein 2 als ein Spiel, das sehr viel cleverer ist, als es aussieht, und bei aller bedenklicher Freude an roher Gewalt viel, viel Herz mitbringt. Das Gunplay ist ohnehin eines der besten im Business und all die gemeingefährlichen Kaliber an neuen Nazirobotern, Flugschiffen und Regime-Vollstreckern auszuprobieren, das ist schon jetzt mein persönliches Main-Event für Ende Oktober.

Machine Games lässt es einfach aussehen, einen aufregenden Shooter zu entwerfen. Angesichts dessen, was dieses Genre vor allem in den Nullerjahren durchgemacht hat, ist das ein nicht zu unterschätzendes Talent.


Entwickler/Publisher: Machine Games/Bethesda - Erscheint für: PlayStation 4, PC, Xbox One - Geplante Veröffentlichung: 27. Oktober 2017 - Angespielt auf Plattform: PC

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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