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Hellblade: Senua's Sacrifice - Test

Hello Darkness, my old friend...

Eurogamer.de - Empfehlenswert Badge
Erdrückend und im Ablauf manchmal klobig, ist diese effektive Audiovisualisierung psychischer Erkrankungen dennoch ein imponierendes Spiel.

Ich nehme den störrischeren der Devil-May-Cry-Fans bis heute den Stinkefinger übel, den sie Ninja Theorys exzellentem Reboot zeigten. Eines der packendsten und fantasievollsten Actionspiele 2013 ging wegen engstirnig-konservativer Japanophilie und überbordenden Besitzansprüchen unter. Den Entwicklern hätte es eigentlich egal sein können, sie lieferten ein von der Kritik geschätztes, ausgereiftes Produkt und wurden von Capcom höchstwahrscheinlich angemessen dafür entlohnt. Aber entmutigend muss das schon gewesen sein.

Und doch war all die Arbeit nicht für die Katz, nicht nur, weil nicht wenige Leute das Spiel am Ende doch sehr schätzten, sondern weil Ninja Theory auch viel darüber lernte, wie man wirksam mit der Wahrnehmung der User spielt. All die verdienten Sporen in Sachen surrealen, die Realität verbiegenden Designs bringen sie jetzt in ihrem nächsten Spiel unter. Hellblade ist ein teilweise etwas schwerfälliger, aber unterm Strich gelungener Mix aus der von Tameem Antoniades' Team gewohnten Charakter-Action und explorativem Adventure, der euch den Effekt einer schweren Psychose nachvollziehen lassen will. Dass dies nicht durchweg zu einem runden Ganzen zusammenkommt, liegt fast vollends an den nicht eben bescheidenen Ambitionen.

Melina Jürgens legt alles in diese Rolle. Die von ihr verlangte Bandbreite reckt sich allerdings nicht zu sehr jenseits der alles umfassenden und bisweilen betäubenden Finsternis.

Ihr erlebt die Geschichte von Senua, die ins nordische Reich der Toten reist, nach Helheim, um ihren von plündernden und brandschatzenden Nordmännern getöteten Geliebten wiederzubeleben. Das Problem dabei: Die junge Frau ist traumatisiert, leidet an einer schweren Psychose. Wie sich das ausdrückt? Nun, nicht zuletzt durch eine verzerrte Wahrnehmung, bei der Senua die Umgebung bisweilen urplötzlich als Flammenmeer oder als aus winselnden, deformierten Körpern bestehende Höllenlandschaft wahrnimmt. Die Stimmen in ihrem Kopf gibt Ninja Theory in einem kleinen Geniestreich direkt an euch weiter, indem sie per binauralem Aufnahmeverfahren (am besten durch Kopfhörer) körperlos und freischwebend, aber doch präsent auch durch euer Oberstübchen zu flirren scheinen.

Sie sticheln, zweifeln, peitschen die junge Kriegerin an, säen Angst, Misstrauen und - in einigen der weniger angenehmen Momente, sagen euch ein bisschen zu offensichtlich, was an der einen oder anderen Stelle zu tun ist, auch dann noch, wenn ihr das schon längst wisst oder gar bereits dabei seid. Aber: So nervig das an einigen Stellen auch war, so sicher war ich mir doch, dass dies ganz beabsichtigt das Gefühl widerspiegelt, von konstanten geistigen Beifahrern belästigt zu werden. Überhaupt gilt der Grundsatz, "so authentisch, dass es fast keinen Spaß mehr macht" für das gesamte Spiel. Hellblade ist dermaßen finster und hoffnungslos, beinahe verliert man den Sinn dieses Abenteuers aus den Augen.

Acht Stunden braucht man locker, um Senuas Reise bis zu ihrem Ende zu gehen.

Es ist definitiv die Sorte Spiel, die man sich genau genommen eher antut, sich aufbürdet, anstatt sie zu genießen. Das liegt sicher auch daran, dass die Charakterzeichnung abseits der Ergründung von Senuas Zustand ein wenig dünn ausgefallen ist. Ich weiß, dass diese junge Frau leidet, wie nie jemand leiden sollte und ich bedaure ihr Schicksal, aber es berührt mich nicht, weil ich keinen Begriff davon bekomme, wer sie eigentlich ist. Senua ist so unverrückbar über ihre Krankheit definiert, dass ich sie kaum als Charakter wahrnehme. Das ist - natürlich - nah am Sujet, dem sich Ninja Theory mit Fingerspitzengefühl und großer audiovisueller Macht nähert. Aber es ist auch ein, zwei Armlängen davon entfernt, mich wirklich emotional mitzunehmen oder zu bewegen.

Es hilft nicht gerade, dass nach einer atmosphärisch starken und technisch imposanten Einleitung erst einmal ein etwas gewöhnliches Action-Adventure auf klar abgesteckten Pfaden angesagt ist. Die Kämpfe sind zwar ein guter Beweis, dass man auch vor der in Richtung Schulter verschobenen Perspektive des neuen God of War keine Angst haben muss. Die leichten und harten Schwerthiebe Senuas, ihr Deckung durchbrechender Tritt, der Ausweichschritt und die Paraden gelingen so dermaßen unmittelbar, dass man sofort merkt, hier war ein Experte für Nahkampfspiele am Werk. Schade ist allerdings, dass sich die Gegnervarianten schnell erschöpfen und dass die Feinde hier und da zu viel Schaden einstecken, sodass man ab und an den Eindruck hat, man müsste etwas zu häufig auf einen eigentlich chancenlosen Feind einschlagen. Ich hätte mir insofern die Option gewünscht, an etwaigen Stellen Gegner einen Abgrund hinunter zu treten oder die Kämpfe anderweitig ein wenig zu verkürzen.

Die Texturen könnten zum Teil schärfer und die Varianz der Gegner größer sein. Trotzdem sieht Hellblade dank toller virtueller Kameraarbeit, einem der detailliertesten Spielcharaktere der letzten Zeit und blendenden Effekten fantastisch aus.

Alles in allem und abzüglich der Wiederholungsanfälligkeit machen die Fights aber trotzdem Spaß, es flutscht einfach und versprüht eine Menge eingängige, aber nicht sonderlich komplexe Eleganz, sobald man es erstmal verinnerlicht hat. Zwischen den Kämpfen löst ihr immer wieder Umgebungs-Puzzles, die zu Beginn etwas zu durchsichtig daherkommen. So müsst ihr etwa Runen finden, die sich zum Beispiel daraus ergeben, dass zwei Baumstämme sich überkreuzen und ihr Schatten die gesuchte Form umschreibt. Das ist anfangs eine nette Art, den Spieler dazu zu bewegen, sich aufmerksam umzuschauen, wiederholt sich später aber ein paar Mal zu oft - obwohl einige Runen sehr kreativ in die Welt integriert wurden. Später wird es dann kreativer, mit Toren in Paralleldimensionen, in denen zum Beispiel eine zuvor eingestürzte Brücke wieder existiert und damit einen bislang unzugänglichen Bereich betretbar macht. Überhaupt dreht sich viel um Perspektiven und Blickwinkel und Ninja Theory findet nach hinten hinaus nette Twists, um diese Schnitzeljagden unterhaltsam genug zu halten.

Trotzdem bin ich mit dem Erkundungsfaktor von Hellblade nicht gänzlich zufrieden. Seht ihr, Senuas schnellste Fortbewegungsgeschwindigkeit ist ein leichter Jog, springen kann sie nicht und begehbar sind nur die Pfade, die die Entwickler vor euch planieren. Steht ihr bei eurer Suche nach einer Rune mal auf dem Schlauch und wandert ziellos umher oder müsst aus anderen Gründen den Rückweg an eine frühere Stelle antreten, dauert das ein bisschen länger, als es sollte. Ein Beispiel wäre ein Perspektivrätsel, bei dem ein zerbrochener Steg sich von einem erhöhten Naturbalkon aus betrachtet wieder zusammensetzt. Anstatt allerdings die Brüstung runter wieder zum Steg hinunterzuspringen, muss Senua die Treppe zurück nehmen, also den Weg, den sie kam, noch einmal gehen. Das passiert nicht gerade selten in Hellblade und weil das Spiel seine Kämpfe auf mehr oder weniger schon von Weitem als solche erkennbare Arenen beschränkt, passiert auf diesen Wegen nur selten etwas. Hier und da nutzen die Entwickler das Backtracking für ergänzende Geschichtsbrocken. Aber im Grunde wäre Hellblade ein besseres Spiel, wenn die Erkundung rein motorisch eleganter gelöst wäre.

Ein Drittel Kämpfe, zwei Drittel Puzzles und Erkundung sind eine Zusammensetzung, mit der ich bei diesem Studio nicht unbedingt gerechnet hatte. Auf der PS4 Pro wird übrigens alternativ zu den standardmäßigen 30FPS mit Checkerboard-4K auch ein 1080p 60-FPS-Modus geboten.

Was haben wir hier also? Eine clever und eindringlich psychoanalysierende Geschichte, die gerne eine Idee persönlicher hätte werden dürfen. Eine Technik und ein Performance-Capture, die trotz 30-Euro-Preisschild mit den Besten im Business mithalten können. Ein solides, aber wiederholungsanfälliges Kampfsystem und eine Erkundungs- und Rätselkomponente im Spaziergehtempo landläufiger Walking-Simulatoren. Tatsächlich habe ich lange mit Hellblade gehadert, mich gelegentlich über überflüssige Laufwege, fummelige Perspektivspielereien oder auch den finalen Kampf am Ende der acht Stunden Kampagne geärgert. Selbst abseits dieser Irritationen bin ich nicht einmal sicher, ob ich wirklich etwas verspürte, das man landläufig Spaß nennt.

Aber hey, gefesselt war ich von vorne bis hinten. Immer wieder blitzt hier in Szenenbild, Visualisierung und Vertonung ein Genie durch, das kostbar wirkt und schwer in Worte zu fassen ist. Einige Passagen hieraus gehören zum Grusligsten, was ich seit langem erlebt habe - nur, um mich im Anschluss doch wieder in einen Zyklus zu werfen, in dem es sich Ninja Theory trotz aller thematischer Unbequemlichkeit ein wenig zu gemütlich gemacht hatte.

Ich hatte in diesem exzellenten Jahrgang schon Spiele vor der Flinte, die zu empfehlen mir leichter fiel. Für Hellblade muss man schon in doppelter Hinsicht ein wenig leidensfähig sein, muss verkraften, was es einem so machtvoll zu sagen und zu zeigen hat und schlucken, dass es in seiner Struktur mehr Geduld als nötig einfordert. Es ist nicht ohne Tadel, alles andere als das. Und doch kommt man nicht umhin, es als Leistung zu bewundern. Als Werk eines gereiften Studios, dem daran gelegen war, etwas zu sagen, das über eine Rechtfertigung für ein schnelles, schmutziges Schwertkampfspiel hinausgeht. Ihr habt 30 Euro sicherlich schon schlechter investiert.


Entwickler/Publisher: Ninja Theory - Erscheint für: PC und PS4. Xbox One erscheint später - Preis: 29,99 Euro - Erscheint am: erhältlich - Sprache: Englische, Deutsch - Mikrotransaktionen: Nein

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel
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Hellblade

PS4, Xbox One, PC

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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