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Hotline Miami - Soundtrack auf Vinyl - Review

Komponist: Various Artists

Label: Laced Records

Stil: Modern Retro-Wave

Erhältlich über: Label, Discogs

Das Spiel: Modernste Retro Twitch-Reflex-Schlachteplatte

Die Editionen: Es gibt zwei Versionen eine 2016er-Erstausgabe, die zwischenzeitlich mit Gold aufgewogen wurde und eine 2017er Reissue, die diese Preise in den Keller purzeln ließ. Trotzdem, die Erstausgabe ist immer noch deutlich teurer. Ihr bekommt bei beiden ein identisches, poppig durchgeknalltes Cover-Artwork, das die Masken-Figuren des Spiels als LSD-Alptraum zeigt. Die Trifold-Hülle wirkt etwas billig von der Pappe her - trotz 350er Papier - , aber das teilt sie leider mit den meisten Trifolds. Die Sleeves sind wieder den Masken gewidmet und nicht nur poppig bunt, sondern auch sehr stabil, was dem Ganzen dann am Ende doch Haltung gibt. Die drei 33er-Vinyls - 140g - sind in Schwarz, transparentem Rot und fies Neon-Gelb, ebenfalls transparent. Besitzer der Erstausgabe erkennen ihr wertvolles Stück an ein paar UV-Flecken - entsprechende Beleuchtung vorausgesetzt - und einem kleinen "1st Edition" an der Seite. Mit anderen Worten: Wenn ihr kein Hardcore-1st-Ed-Sammler seid, dann kauft einfach die identische Reissue.

Blut. Gehirn. Massaker.

Wer es richtig selten haben möchte, muss sich nach der Ausgabe von iam8bit umgucken, die ganz zuerst erschien. Anderes Coverartwork auf und vor allem auch in dem Trifold, die Vinyls sind alle transparent und das in Hellblau, Rosa und Grün. Ich persönlich würde sagen, dass es die schönste Fassung ist, aber leider auch die mit Abstand teuerste.


Angehört

Seite A: Die ersten Minuten ist komplett verkatert bis zum Anschlag an einem Strand aufzuwachen und keine Ahnung zu haben, was die letzten 24 Stunden eigentlich los war. Und ich meine keine schöne Tropeninselstrandgeschichte, ich meine die fieseste Ecke, wo Dreckwasser an L.A. anspült und versucht, das Elend mit sich in den Ozean zu ziehen. Orientierungslos mit massiven Problemen scharfzustellen und Fokus zu finden. Seltsame Menschen, die seltsame Dinge in mittlerer Entfernung tun. Abgerissene Klamotten und Pelz im Mund. Das ist der Auftakt zu Hotline Miami. Langsames, musikalisches Wabern, eine betrunkene Ukulele, die vor sich hin lallt, ein Typ, der Sachen von weit weg erzählt, die man fast versteht. Ein sonniger Alptraum von einem Morgen. Der sich lange hinzieht. Ein perfekter "Song", um in einer bat Simpson Boxershorts auf einer kaputten Sonnenliege um 7:00 früh bei 28 Grad im Schatten einen zu warmen Cocktail zu trinken. Gegen den Kater.

Der Kater schwindet und die Erinnerungen kommen zurück. Flashback zum Abend zuvor und der extreme 80s-Vibe trotz sehr moderner Synth-Orchestrierung kommt voll durch. Eine langsame Wave-Angelegenheit, Lo-Fi mit sparsamen Samples, genau der Track, zu der man die Montage zur Ankunft an einem extrem hippen, weißen Club in Miami drehen würde. Zu viel Neon, zu viel Farbe, zu viel kaputt. Drinnen sind dann die 80er voll zurück. Das ist ein ganz harter Wave-Beat, ca. 86', nur echt mit weißem Sportsakko und zu hoher Geschwindigkeit in einem Lamborghini Countach durch die Neon-Nacht. Sehr klassische Synth-Arrangements, sehr guter Beat für eine energetische Lounge-Party mit gehobenem Dresscode.

Albtraum auf dem Cover...

Seite B: Die Bässe werden schwerer und scheinen sich für jeden Beat ihre eigene, ihnen bequeme Zeit zu gönnen, so viel wie sie halt möchten, während sie den ganzen Stereo-Raum auslastende Effekte durch über den Floor schieben. Eine langsame Dance-Trance, gut geeignet, um nicht den Martini zu verschütten. Dann wird es etwas entrückter, eine Rückkehr in die Lounge-Area, aber die Stimmung hat sich verändert, die Nacht wurde schwüler, der Pool strahlt hell in der Nacht, während sphärische Beats und Melodien über die Wasser gehen. Hektische Arcade-Beeps zaubern eine wirre Melodie, verstecken sich in einer Magnesium-Box, hallen weit entfernt und kommen zurück, während im Hintergrund eine tiefe Sinus-Kurve den Ozean zittern lässt. Sehr deep, fast Joy Division im Beat. Dann eine Entladung. Allerfeinste schnelle EBM-Beats aus den herüberschielenden 90s verdreifachen mal eben das Tempo und werden von passenden Synth-Melodien getragen, während sie durch die Nacht stampfen, wie ein unaufhaltsamer Güterzug aus Tron. Das hat The Power. Aber nicht The Glory. Bis zum Ende. Wenn die Arcade noch mal mit Wucht und diesmal auch Tempo zurückkommt.

Seite C: Das war unerwartet. Wir sind zurück am Strand. Ein Typ singt einen Gott an, den nur er kennt. Tief und guttural, dann spielt sein Buddy mit Hufen eine wahrlich diabolische E-Axt bis zum Anschlag des Verzerrers, er stimmt wieder ein und ihr schwankt zu dieser Ode an die persönliche Apokalypse durch den schweren Sand und die Sonne. Die Worte sind nur eine Realität davon entfernt, Sinn zu ergeben, während ein einmütiger Bass den langsamen Takt vorgibt. Zum Schluss? Eine Nick-Cave-Zugabe aus den 80ern hatte mehr tonale Kohärenz. Legendäres Material also. Ist das vorbei, kehrt der Club zurück in den durch das Hirn schwimmenden Whiskey und der klassische Elektro-Dance-Beat wird nur von etwas gestört, das sich wie eine Ein-Ton-Invasion von Will.i.am mit genau dieser nervtötenden Intensität in den Vordergrund schiebt. Fast wie I'm a bee, wenn diese Line von einer echten Biene gesummt wird. Kunst oder so. Nervig. Nach dem Club folgt konsequent die Lounge-Area, langsames Piano, schwere, dichte Bässe, die sich lange und zäh durch die Nacht schieben. Der vorletzte Drink nach dem letzten in einer schwülen Tropenwelt kurz bevor die Sonne aufgeht. Diese geht dann auch auf und die Heimfahrt mit einem weißen, offenen Ferrari ist so lazy wie relaxt. Tiefenentspannung mit 4/4 im gefühlten Minutentakt, der Neon-Synth schwermütig sein Schicksal lamentierend. Zu langsam, also den Sender auf 1988 gedreht und Midtempo-Porn-Synth aktiviert. Zeitlos wie Duran Duran.

... der im Trifold gleich weitergeht.

Seite D: Tiefes, sehr langsames Durchatmen, ein leichter Blade-Runner-Vibe in der langgezogenen Synth-Melodie, der schwer über allem liegt. Eine kurze Ruhe, bevor der Blade-Runner-Vibe so richtig durchstartet. Man wartet bei dem Beat auf das "Dam-dam-dam-dam-dam" der Drums dessen Endcredits, stattdessen setzt ein schwerer Floor-Beat ein, tief wie die Nacht finster. Einen soften Break mit etwas, das wie ein warnender Alarm durch das Zimmer hallt, setzt der Beat wieder ein und geht voll Replikant, immer tiefer und drohender, der Alarm immer eindringlicher. Es bleibt dann in der sphärischen 80s-Slow-Trance und wummert zart vor sich hin, der Soundtrack für eine Stadt jenseits des Regens, der zunächst durchquert werden muss. Dies sind die Sounds, die euch mit ihren Mid-Tempo-Beats und hineinziehenden Keys dorthin tragen, bevor dann der Himmel die Schleusen über dem Asphalt öffnet und ein verschlingendes Soundgewitter sich für eine halbe Minute mit modernen Action-Movie-Breakbeats um sich haut. Was der Breakbeat-Reggae-Culture-Club danach hier zu suchen hat, ist etwas unklar. Das wirkt wie ein Solarium in den Tiefen von Metropolis. Falsche Sonne am falschen Ort. Vielleicht ist es die ungeliebte Vorband für den ungewöhnlich positiven Ausklang dieser Seite, wenn das Intro einer Powerballade, auf den Beat eines alten Project-Pitchfork-Songs trifft und ein paar mit halber Geschwindigkeit abgespielte Zeilen als Sample von irgendwoher eintrudeln. So wohl und gut habe ich mich ja schon seit vier Seiten nicht mehr gefühlt.

Seite E: Wenn die Beach Boys einen Film fahren, so einen richtig heftigen und dabei mit dem gesamten Cover der Pet Sounds surfen, dann klingt das wie dieser langsam gegen die Wand gefahrene Alptraum von einem ultralangsamen Power-Voodoo-Track, L.A. Style. Nicht umsonst von den gleichen Leuten, die vor einer Million Jahre die erste Seite dieses Soundtracks eingeleitet haben. Eine Hammond-Orgel? Ehrlich? Klar. Warum nicht. Das ist das, was hier noch fehlte. Ist das fertig, geht es unvermittelt und endgültig komplett hemmungslos in die 80er zurück. Das hier ist ein verlorener Action-Movie-Anfang, definitiv bei Cannon erschienen. Glorreicher kann man einen Synthesizer gar nicht nutzen. Ausklingen lässt es diese seltsam gesplittete Seite mit einer Art Miami-Vice-Spannungs-Track, sehr bewusst eingesetzten Drums, einer schönen, schwebenden Melodie zwischen dem Last Starfighter und Commando. Die 80s-mäßigste Seite, wenn der Trip am Anfang nicht die Hälfte eingenommen hätte. Seltsamer Split.

Wer zuviele Dollars übrig hat: Die 1st Edition mit transparentem Vinyl.

Seite F: Ähhhh.... Ja.... Soll das so klingen? So ein bisschen kacke halt? Nichts gegen Low-Fi-Sound, aber das hier ist..... Quentin Tarrantinos immer wiederkehrender Alptraum? Langsame Beats aus einem Sumpf heraus abgespielt, ein paar Töne, die ich mal eine Melodie nennen würde, es ist als würde die Platte schlingern und die Bassfrequenzsteuerung aus dem Fenster kicken, nur um sie dann wieder zurückzuziehen. Sehr seltsam und leise ausgesteuert. Der fast schon poppige, wenn auch etwas dunkle Lounge-Track danach kommt trotz einiger arcadiger Sounds dagegen fast konservativ daher und überzeugt mich, dass meine Anlage nicht kaputt ist. Auch die Reprise zu dem, was man auf Seite B eine Art Hauptthema nennen könnte passt wunderbar in jeden Cyber-Club auf einen Dienstagabend. Für den Samstag heben sie sich dann den letzten Track auf, der als perfekter Future-Pop einen praktisch perfekten Soundtrack ausklingen lässt.

Eine Platte wie: Eine perfekte, seltsame Nacht 1987, aus der man 2017 verkatert in Venice Beach aufwacht.

Eine Art Fazit: Must-Have ohne Wenn und Aber. Sehr gute Aufmachung außen, ausgezeichnetes Mastering und hohe Qualität der Pressung. Sehr abwechslungsreich, umfangreich noch dazu und einige der 80s-Passagen gehören zum Besten, was moderne Retro-Wave gerade zu bieten hat. Dank der Reissue ist das Ganze auch problemlos zu haben, es gibt also keine Ausreden.

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Selbst anhören


Gehört und genossen auf...

Dies ist die "Eurogamer-Referenz-Anlage": Plattenspieler - Thorens TD 203 (Test); Phono-Verstärker - Pro-Ject Phono Box DS2 USB; Stereo-Verstärker - Teufel Kombo 62 CD-Receiver; Boxen - Nubert nu Vero 30 (Test); Kopfhörer: Beyerdynamic Amiron (Test) + A20 (Test)


Tracks

A1 Horse Steppin
A2 Paris
A3 Miami Disco
B1 Knock Knock
B2 Hotline
B3 Cystals
B4 Vengeance
B5 Musikk Per Automatikk
C1 Silver Lights
C2 Hydrogen
C3 Daisuke
C4 It's Safe Now
C5 A New Morning
D1 Flatline
D2 Release
D3 Turf
D4 To The Top
D5 Miami
E1 Deep Cover
E2 Inner Animal
E3 Crush
E4 Electric Dreams
F1 Rust (El Huervo Remix)
F2 Subbygroove
F3 Hotline (Analogue Mix)
F4 Angel Dust
Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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