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Life is Strange: Before the Storm Kapitel 1 - Findungsphase

Warten auf den Sturm

Also schlagt mich, wenn ihr es schon gespielt habt und mochtet... aber ich weiß noch nicht so recht. Als Prequel, okay, ein kleiner Blick hinter die Charaktere, es ist viel der Magie des ersten Teils da, ohne Frage. Die Figuren sind plastisch, lebendig und auch glaubwürdig, diese Stärke hat sich Life is Strange: Before the Storm auf jeden Fall bewahrt. Auch kleine Nebenrollen tun, von solider Regie und guten Autoren getragenen, ihren Teil dazu, aber insgesamt... Ich weiß noch nicht.

Das gute ist erstmal, dass ich nichts aus Life is Strange spoilern muss, Teil zwei beginnt eine ganze Weile davor. Prequel eben. Ihr spielt diesmal Chloe, die etwas durchgeknallte beste Freundin der ersten Protagonistin Max. Ist sie in Life is Strange der verrückte Gegenpart zu der schüchternen Max, wirkt Chloe selbst diesmal fast zurückhaltend. Nun, nicht zurückhaltend, sie flucht, sie trinkt, sie legt sich mit allem und jedem an und sie hat einen mehr oder weniger guten Grund dazu. So wie Max in diesem hellen Licht zunächst etwas verblasste, ist es diesmal Chloe, die fast konservativ wirkt. Die Rolle, die zuvor Chloe innehatte, übernimmt nun Rachel Amber, das Mädchen, das ihr im ersten Teil vor allem aus Gesprächen und Vermisstenanzeigen kanntet. Und wie auch dort bleibt sie ein Enigma, selbst wenn sie zugegen ist. Ein launisches, sprunghaftes, ergreifendes Wesen.

In diesem ersten von drei Teilen geht es um diese Freundschaft und ein paar Hintergründe. Beide Figuren werden im ersten Akt ausgearbeitet, ihr bekommt Details, die sie zum Leben erwecken und vor allem definiert ihr in diesen drei, maximal vier Stunden die Wesenszüge von Chloe mit einer Reihe von Entscheidungen. Diese sind ein Teil des Problems, das ich mit Prequels habe, die Entscheidungen und Konsequenzen beinhalten: Was auch immer ihr tut, wie auch immer das hier endet, ich weiß, was etwas später Fakt sein wird. Chloe wird Chloe sein, Rachel wird verschwunden sein, Max wird nach Arcadia Bay kommen und ... das wäre jetzt ein Spoiler. Aber ihr seht das Problem. Ich kann Chloe als nettes, vereinnahmendes Wesen spielen, die zwar immer noch flucht und trinkt und ihre Probleme hat, aber im ersten Teil nur im Kern noch so zu erahnen war. Oder ich spiele sie so, wie es das Ziel vorzugeben scheint, als Außenseiter auf dem sicheren Weg auf die schiefe Bahn, der sich einen Dreck um andere schert. Innerhalb der Geschichte hier, wie auch immer sie weitergehen wird, mag das eine Rolle spielen. Aber es ist klar, wo es hinführen wird, weil sich das nicht verändern lässt. Prequel halt.

Noch etwas verloren zwischen Road-Movie und Teenie-Drama.

Das soll nicht heißen, dass es hier nicht genauso sympathisch umgesetzt worden wäre, wie es Dontnod vormachte. Jedes Gespräch, jeder Gedanke Chloes ist hervorragend geschrieben und zu keinem Zeitpunkt hatte ich den Wunsch, irgendetwas wegzudrücken - was auch gar nicht gegangen wäre. Selbst im zweiten Durchgang, als ich die Möglichkeiten der Entscheidungen auslotete, blieb ich noch für eine weitere Runde an den Screen gefesselt, das schafft das Spiel fast mühelos. Und diese Entscheidungen sind nicht schlecht, ihre Konsequenzen spannend, wobei die wirklich interessanten Dinge in dieser Richtung sich erst in Teil zwei und drei zeigen dürften. Wüsste ich nicht bereits, was das Schicksal unserer beiden jungen Heroinen ist, wäre ich jetzt wirklich gespannt.

Dann ist da die Welt von Arcadia Bay. Sie war als fast arkaner, in sich geschlossener Ort als dramaturgisches Mittel auf den Besuch eines Außenseiters zugeschnitten. Max erfüllte diese Rolle sogar weit über Gebühr, schließlich war sie vertraut genug mit der Umgebung, gleichzeitig gelang es dem Drehbuch, subtil diese Barriere zwischen ihr und Arcadia Bay, den Bewohnern und zunächst auch Chloe zu ziehen. Die Brüche in dieser Grenze, durch die Max immer wieder in die Details dieser Kapsel vordringt und die Ereignisse in Gang bringt, sind der tragende Faktor des so langsamen wie intensiven Dramas von Life is Strange. Wichtig dafür ist als Katalysator auch Max' unerklärte Superkraft der Zeitmanipulation. Es gibt dem Ganzen endgültig das außerweltliche Gefühl, das dieses Spiel definierte. Als wäre alles nur ein Traum.

In seinen besten Momenten gelingt auch der Fortsetzung das. Ein wenig zumindest. Das Problem ist, dass Chloe keine Außenseiterin in Arcadia Bay ist. Sie hat in diesem Ort ihre Rolle - Troublemaker, wie die Amerikaner es dort vor Ort nennen würden - und spielt sie mit Hingabe. Ihre "Superkraft" ist quatschen. In einem Dutzend Situationen spielt ihr Monkey-Island-Schwertkampf, wobei ihr für die Antworten aber immer nur ein paar Sekunden Zeit habt. Wählt ihr die richtige Antwort, die besonders clever ist, bekommt ihr einen Punkt, habt ihr genug davon, gewinnt ihr die Debatte. Und nein, Debattierclub ist nicht das gleiche wie zeitschiebende Quasi-Göttin vor dem Hintergrund des nahenden Weltuntergangs. Sicher, es war logisch, nicht mit der Kohärenz der gesamten Geschichte zu vereinbaren, dass Chloe jetzt auch an der Uhr dreht, und "clever Quatschen" passt zu ihrem Wesen perfekt. Aber es ist eben nicht der gleiche Level. Mit in diesem Zusammenhang fehlt auch noch die Bedrohung. Wir haben zwei Mädels, zu denen das Leben netter hätte sein können, aber Angela's Ashes ist das hier jetzt nicht gerade, bei aller Liebe. Und sonst gibt erst die letzte Einstellung einen Ausblick auf etwas, das mehr als ein zu klein gerahmter Road-Movie sein könnte. Was dieser Ausblick ist? Nun, das wäre jetzt aber wirklich sehr gespoilert.

Optionen sind wichtig aber manchmal überbewertet. Keine Angst, meist habt ihr etwas mehr Auswahl.

Um kurz über den spielerischen Anteil zu reden: Ihr lauft rum, guckt Sachen an, sucht für Extra-Punkte ein paar Stellen, die ihr mehr oder weniger clever mit Spontan-Graffiti verziert und sonst redet und entscheidet ihr viel. Das "Rätseln" beschränkt sich einfach darauf, alles anzuklicken und mit allen zu reden, irgendwo geht es dann schon weiter. Dies ist zu hundert Prozent eine interaktive dramatische Erzählung, ich bin mir nicht mal sicher, ob sich das wirklich als Spiel qualifiziert. Genauso sehr wie die meisten Walking-Simulatoren nehme ich an. Grafisch kann ich es leider nur absolut unterirdisch nennen. Dass die Landschaft nach wie vor wie aus einem verloren gegangenen PS2-Spiel wirkt - keine Übertreibung, hochskalierter Port bestenfalls -, damit kann ich leben, aber dass die Gesichter und ihre Mimik, die in diesem Spiel so wichtig wäre, ebenfalls immer noch auf diesem Level liegt, ist schwach. Das Gute ist, dass die Musik und die Sprecher wieder ganz vorn dabei sind, es gibt kaum eine schwach gesprochene Zeile, die Audio-Abteilung trägt das Spiel allein über die Ziellinie.

Mein Urteil steht noch aus. Ich war gut unterhalten, ich war die ganze Zeit über interessiert, was aus Chloe und Rachel so wird, aber diese einmalige Stimmung des perfekten Sturms, den der erste als Metapher nahm und direkt im Spiel aufziehen ließ, davon spüre ich hier noch nicht viel. Alles nett, wer Teil eins mochte, den will ich nicht davon abhalten, jetzt schon mit auf die Reise zu gehen, aber genauso kann es eine gute Idee sein noch ein wenig zu Warten. Fassen wir es so zusammen: Ich freue mich auf das zweite Kapitel, aber ich fiebere ihm jetzt nicht gerade entgegen.


Entwickler/Publisher: Deck Nine Games / Square Enix - Erscheint für: PC, PS4, Xbox One - Preis: ca. 15 Euro (Episode 1) - Erscheint am: erhältlich (Episode 1, zwei weitere Episoden folgen später)- Sprache: Englisch, Deutsch (Untertitel) - Mikrotransaktionen: Nein

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Life is Strange Before the Storm

PS4, Xbox One, PC

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Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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