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Bullet Witch

Japan-Trash in Reinkultur

Was für ein Einstieg: Klimakatastrophe, Killerviren und Aufstände haben die Erde des Jahres 2013 zu einem unwirklichen Platz gemacht. Die Menschheit steht kurz vor der Auslöschung. Fiebrig lauscht man den Worten des Sprechers, der ein schaurig-realistisches Szenario ausmalt. Die ganze Zeit hofft man auf Al Gore, der das Ganze nur als trübe Utopie enttarnt. Doch dann schlurfen Zombies über den Bildschirm und die ganze Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung. Wie Zombies? Ja, irgendwer hat das Tor zur Hölle geöffnet und Horden von Zombie-Soldaten fressen einen Zivilisten nach dem anderen. Und die ganze Sache gestaltet sich noch abstruser. Ohne viel Umschweife, wird eine anfangs namenlose Heldin in einen amerikanischen Vorort verfrachtet und mäht sich ohne Kommentar durch die fleischfarbenen Bösewichter. Gekleidet in einen heißen, schwarzen Zweiteiler und ausgerüstet mit einem überdimensionalen Besen-Gewehr, muss die Hexe – namentlich Alicia – irgendwie das Böse aufhalten. Mehr ist aus den ersten Storyfetzen nicht zu erahnen. Spätestens hier merkt der Spieler, dass er mitten in einem wirklich sehr japanischen Shooter steckt, der sich keine Mühe gibt, einen spannenden Einstieg zu bieten.

Gezeigt wird das ganze Geschehen in der momentan angesagten Schulterkamera, die theoretisch neben viel Übersicht auch ein schnelles Zielen ermöglicht. Leider steuert sich die grazile Schönheit recht schwerfällig und auch das Fadenkreuz lässt sich nur widerwillig auf einem Gegner platzieren. Zieht man dann den Abzug durch, spuckt das Besen-Maschinengewehr Blei, bis die Gegner zusammen fallen. Außerdem kann Alicia als echte Hexe natürlich Magie einsetzen. Aber selbst die Zauberfähigkeiten geben einem zu Beginn ein Rätsel auf. Ohne Schnelltasten mauschelt man sich durch das Menü, bis die eher schwachbrüstigen Effekte endlich ihre Wirkung entfalten. Erst zum Ende des ersten Levels bekommt man mit dem Blitzzauber Donner einen ersten Vorgeschmack dessen, was einem zum Ende hin erwartet: Mit genug Mana-Energie fokussiert Alicia ihre Kraft in einem gewaltigen Gewitter, das in einem wirklich beeindruckenden Blitzschlag endet, der selbst dicke Schützenpanzer aus dem Weg räumt und Trümmer durch die Gegend schleudert.

Skurrile Dauer-Action mit Geschmacksverirrung

Hm, Schützenpanzer? Ja, die Kugelhexe bekommt es mit einer sehr seltsamen Dämonenhorde zu tun, die sich recht wenig um die üblichen Klischees schert. Die Zombiesoldaten laufen zum Beispiel mit freiem Oberkörper, Armeehelm und Khakihose herum. Die fleischfarbene bzw. fast rosa Haut, die an den verfaulten Körpern herunter hängt, wirkt dabei wenig „realistisch“ und schreckt Genre-Fans erst einmal ab. (O-Ton Tanja: „Das ist keine Haut, das sind rosa Hemden!“) Außerdem setzen sie statt Höllenfeuer, Maschinengewehre, Schrotflinten, Scharfschützenknarren und natürlich Granatwerfer ein. Kombiniert mit der fast unwirklich realen Welt und den übertrieben großen Waffen der Heldin, wirkt das Spiel eher wie eine Persiflage, nimmt sich dabei aber selbst todernst. Gerade im Vergleich zu Capcoms Resident Evil begeht das Spiel gleich mehrere Designverbrechen und verlangt vom Spieler eine hohe Toleranzgrenze. Nur zarte Hinweise wie eine hervorragende Physikengine und eben der erwähnte Magieeinsatz lassen erahnen, dass nach diesem grausigen Einstieg eigentlich nur alles besser werden kann.

Solche Szenen belohnen für die dröge Ballerarbeit, die sich durch den gesamten restlichen Level zieht.

Kaum ist der erste Level geschafft und dank gesammelter Erfahrungspunkte gleich ein paar zusätzliche Waffen aktiviert, schaltet das Spiel sofort einen Gang höher. Die Standardfeinde wirken zwar immer noch ein wenig lächerlich und auch bei den Animationen der Protagonistin haben die Entwickler keine Meisterleistung abgelegt, doch irgendwie gestaltet sich das gesamte Spielgeschehen spannender und abwechslungsreicher. Selbst die künstliche Intelligenz legt einen Zahn zu und es gibt einzelne Zombiesoldaten, die ausweichen und recht gnadenlos auf Dauerfeuer setzen.Zudem wehren sich hier erstmals die Gatekeeper – fliegende, aufgeblähte Gehirne, die magische Barrieren aufrecht erhalten – mit ihren telekinetischen Fähigkeiten. Statt einfach nur unmotiviert in der Luft herum zu schweben und vor sich hin zu giggeln, werden Autos, Trümmer und ganze Tanklastzüge in die Luft gehoben und nach Euch geworfen.

Japan-Trash mit Zerstörungspotential

Ab diesem Zeitpunkt kann der Spieler nun aus unterschiedlichen Waffen auswählen, die auch verschiedene Strategien erfordern. Vor allem die großkalibrige Kanone ermöglicht in den ungemein riesigen Leveln ganz neue Taktiken und schafft es irgendwie, den mauen Anfang vergessen zu machen. Auch Schrotflinte und Gatling-Gun begeistern mit ihrem einzigartigen Handling und gleichen sogar die träge Steuerung etwas aus. Dank des Zaubers Elementarschuss gelingen alsbald einmalige Kombinationen, beispielsweise wenn von Blitz aufgeladene Kugeln von einem Gegner zum nächsten springen. So kann das Spiel langsam seine Wirkung entfalten und durch sinnvolle Cutscenes, eine brauchbare Story und mit ein paar unvergessliche Momente wirklich Eindruck hinterlassen. Statt dem erwarteten Komplettausfall entwickelt sich der Titel so zu einem sehenswerten Trashprodukt, das in bester Japan-Tradition die Grenzen des guten Geschmacks gleich reihenweise überschreitet.

Vielleicht verstehe ich auch den Humor nicht, aber ich finde das Teil nur hässlich.

Dabei ist erstaunlich, dass dieser Titel bei all seinen Schwächen und Unzulänglichkeiten solch ein glaubhaftes Physiksystem auf die Beine stellt. Gerade wenn man Großzauber wie den erwähnten Donner oder noch mächtigere Brummer - sei es ein beeindruckender Tornado und ein Final Fantasy-reifer Meteorsturm - einsetzt, bleibt kein Stein auf dem anderen und wirklich jedes Objekt wird auseinander gerissen. Selbst bei kleineren Objekten, beispielsweise eine Straßenlaterne, lässt die Physikengine ihre Muskeln spielen. Die Beleuchtungsobjekte brechen bei Beschuss nämlich nicht gleich auseinander, sondern werden vollkommen korrekt umgebogen. Erst nach mehreren Treffern knickt das Stahl endgültig ein und kann per Telekinese durch die Gegend geworfen werden. Echte Shooter-Schwertgewichte, wie die Call of Duty-Reihe, können sich hier eine Scheibe abschneiden.

Prachtvolle Bosse, dämliche Standardgegner

Doch wie beim seltsamen Art-Design, ist auch hier nicht alles Gold was glänzt. Zum Beispiel beeinflusst Euer Telekinese-Stoß in der kleinsten Ausbaustufe zwar massive Trümmerteile, die mannsgroßen Gegner bleiben aber wie eingewurzelt stehen. Ebenfalls schleierhaft: Ein Teil der gegnerischen Tuppen überlebt auf unerklärliche Weise selbst die mächtigsten Zaubersprüche. Gerade nach dem beeindruckenden Meteorsturm ein frustrierendes Erlebnis. Solche Detailschwächen ziehen sich durch das gesamte Spiel. Gegner teleportieren sich unmotiviert in Euren Rücken, schießen schon mal in die falsche Richtung oder reagieren nicht auf Euren Beschuss. Besonders dämlich verhalten sich hier die übergroßen Zombiesoldaten, die mit ihren locker 30 Metern und knackscharfen Texturen recht beeindruckend aussehen, aber sich ganz gern so lange im Kreis drehen, bis man sie endlich umgemäht hat. Auch technisch wechseln sich echte Next-Generation-Abschnitte mit langweiligen Textur-Wüsten ab. Eigentlich wirkt das gesamte Spiel, als ob es von mehreren Teams gleichzeitig entwickelt wurde. Selten lag Genialität und Schwachsinn so nah beieinander.

Im ersten Moment macht einem dieses Monstrum echt Angst, doch irgendwie sind die Viecher einfach zu dämlich.

Zudem werden die bleihaltigen Feuergefechte mit der Zeit einfach dröge. Es tauchen zwar viele unterschiedliche Gegnertypen auf, diese werden aber von den Entwicklern sehr spärlich eingesetzt. Stattdessen darf man solange Zombiesoldaten um die Ecke bringen, bis man sich sogar auf die hässlichen Gatekeeper freut. Im Gegenzug gibt es ein paar beeindruckende Bossmonster, bei denen eines sogar einen atemberaubenden Level auf einem Jumbo-Jet spendiert bekam. Bei der finalen Herausforderung ist dann wieder eine Menge Sitzfleisch gefordert. Sonst wirft man, zumindest auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad, nach ca. 7 Stunden einfach das Handtuch. Der finale Endgegner überrascht nämlich nicht nur mit vielfältigen Angriffsmustern, sondern schluckt auch noch geschätzte zwei Millionen Geschosse. Ein hartes Stück Arbeit, wie fast der gesamte Rest des Spiels.

Im ersten Level habe ich mich noch tierisch gefreut. Endlich mal wieder ein echter Verriss, bei dem ich kräftig über Grafik, Sound und Gameplay lästern kann. Wäre es nicht meine Aufgabe gewesen, hätte ich das Spiel sogar gleich aus meinem Laufwerk verbannt. Doch pflichtbewusst wie ich nun mal bin, habe ich doch weiter gespielt und wurde kräftig überrascht. Aus dem hässlichen Entlein wurde zwar nicht ein wunderschöner Schwan, aber eben ein passabler Flattervogel, der mich bis zum Ende gut unterhalten hat. Vor allem die Großzauber sind ein beeindruckendes Stück Programmierkunst, das man als echter Videospielfan einfach mal gesehen haben muss. Doch da das Gameplay nur so von Unzulänglichkeiten und Fehlern strotzt, kann ich dem Titel mit gutem Gewissen keine höhere Wertung geben. Wer sich von dem ungewöhnlichen Szenario nicht abschrecken lässt, sollte Bullet Witch trotzdem eine Chance geben. Echte Trash-Fans können locker noch ein paar Punkte dazu addieren, denn wer mit einem ordentlichen Dachschaden ausgestattet ist, wird das Spiel lieben.

Bullet Witch erscheint am 8. März für die Xbox 360.

6 / 10

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In diesem artikel

Bullet Witch

Xbox 360

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Über den Autor

Kristian Metzger

Contributor

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