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Crush

Gute Spiele mit blöden Namen. Heute Kapitel MCMXII

Ich kann zwar nicht so recht mit dem Finger auf die Gründe zeigen, aber irgendwie scheint die PSP seit einer Weile vom Core-Gamer nicht mehr als eigene, habenswerte Spieleplattform wahrgenommen zu werden. Vermutlich liegt es an der Mischung aus Multimedia-Delirium (Filme/Fotos/Musik/Internet/Connectivity) und der unübersichtlichen, wenig attraktiven Franchise-Wiederkauerei, die den Markt mit abgespeckten und diffus untertitelten Spin-Offs populärer PS2-Titel überschwemmt.

Gerade Letzteres sorgt dafür, dass ein Freund von mir die PSP gerne als „stationäre Konsole für die Hosentasche“ bezeichnet - ein Kompliment, dass bei genauer Betrachtung eigentlich ein Dilemma ist. Mit ihrem Anliegen, eine "tragbare PlayStation" ("PlayStation Portable") zu sein, stellt sich der edle High-Tech-Knochen ein bisschen zu freimütig mit den ausgewachsenen Brüdern und Schwestern in den Ring, die unter den Fernsehern dieser Welt schon sehr prominent vertreten sind. Dort wo die PSP aber punkten will, nämlich unterwegs, sorgt der DS mit maximaler Portabilität (hohe Akkulaufzeit/Klo-freundliche Ladezeiten) und charmant-bekloppter, Gaming-zentrierter Marschroute bereits für einen starken Schnapp-Reflex bei spielfreudigen Kunden. Was fehlt also?

Die Antwort scheint eigentlich ganz einfach: Originelle und vor allem originäre Spiele, die dem Gerät ein Image verpassen, das über seine zweifellos beeindruckenden technischen Eckdaten hinausragt. Loco Roco war ein Schritt in die richtige Richtung. Die PSP hat schon genug Ableger bekannter Rennspiele oder Action-Adventures, die fast so gut aussehen wie auf PS2 und Co. Tatsächlich sind es schon so viele, dass sich die Leute langsam fragen, warum sie sich ihr Ridge Racer nicht gleich für das technisch wie Bildschirmdiagonal-überlegene Heimequipment zulegen – und Preisschilder von gut und gerne 50 Euro am Löwenanteil der PSP-Software wirken diesen Erwägungen nicht eben entgegen.Crush, vom kleinen, englischen Entwickler Zoe Mode, schreitet auf dem von Loco Roco eingeschlagenen Weg der Individualität einige Kräftige Schritte voran, schert sich einen feuchten Kehricht um Konventionen und tut etwas für die Plattform.

Aus 3D...

Mutig kombinieren die Briten unter Segas Fittichen Denkspiel und Jump’n’Run und kommen mit ihrem ausgefuchsten Dimensionswechsel Super Paper Mario zumindest hierzulande zuvor. Der Plot ist schnell umrissen: Danny leidet unter krankhafter Schlaflosigkeit und lässt sich von einem verrückten Psychiater zu Therapiezwecken mit dessen neuester Erfindung verkabeln: Einer Maschine, die das Unterbewusstsein des Patienten als dreidimensionale Welt visualisiert. Im virtuellen Abbild seines Geistes begibt sich der Probant schließlich auf die Suche nach seinen verborgenen Traumata, ist dabei aber den Gesetzen der abgehobenen Virtual-Reality unterworfen. Noch bevor Ihr die ersten Schritte in Dannys irre pulsierender Gedankenwelt tut, fällt Euch auf, dass Plattformen, Säulen, Linien und bewegliche Hindernisse wie zufällig im Raum verstreut anmuten - die Level ergeben auf den ersten Blick nur wenig Sinn.

Diesen Sinn müsst Ihr den über vierzig Abschnitten selbst einprügeln. Während der schläfrige Schlacks Euren Analog-Kommandos gehorcht, kippt Ihr Euren Blick auf den Level bis zu vier Mal um neunzig Grad von links nach rechts, oder wechselt auf Wunsch in die Vogelperspektive. Doch wie man es auch dreht und wendet: Die Perspektive ändert nichts daran, dass Plattformen und Vorsprünge stets gleich unerreichbar weit auseinander liegen. Glücklicherweise kann Danny den Level „crushen“: Die gesamte Szenerie, alle Blöcke, Ebenen und Stege werden per Druck auf L1 ihrer Tiefe beraubt und in 2D „übersetzt“. Ursprünglich zwar auf gleicher Höhe, aber versetzt und mehrere Dutzend Meter im Hintergrund befindliche Plattformen zoomen grafisch eindrucksvoll nach vorne und schließen, nun erreichbar, an den Boden unter den Füßen an. Horizontale Linien, die ein Felsmassiv im Hintergrund durchziehen, können betreten werden und ein „Crush“ beim Blick nach unten holt selbst vormals turmhohe Orte auf Normal Null herunter.

...mach 2D!

Ihr kippt, dreht und crusht also die Welt, öffnet durch das Sammeln bunter Perlen früher oder später den Ausgang und bahnt Euch so Euren Weg zur Wurzel von Dannys Problem. Klingt knifflig und ist es auch. Allen Interessierten, Neugierigen oder einfach nur Gelangweilten, legen wir unsere gediegene Auswahl an Gameplay-Filmen ans Herz. Denn Ihr wisst ja, wie das ist mit bewegten Bildern.

Einen besonderen Twist erhält diese Mechanik durch verschieden geartete Materialien. Braune Blöcke sind in 3D undurchdringlich, wandeln sich in 2D aber zum Hintergrund der platten Welt. Die grünen Massive könnt Ihr in ihrer räumlichen Variante zwar problemlos umlaufen, werden in 2D aber zu undurchlässigen Wänden. Geisterblöcke verschwinden in 2D völlig, während einige Untergründe aufgrund ihrer „unendlichen Flachheit“ nur in zwei Dimensionen existieren. Der Schwierigkeitsgrad reicht dabei von fordernd (einfach nur den Ausgang erreichen) bis sackschwer (alles auf 100 Prozent, versteckte Puzzleteile und Trophäen), weckt aber stets die Sorte Ehrgeiz, die man von einem guten, nein, sehr guten Spiel erwartet. Schön, dass auch die technische Umsetzung in eine ähnliche Kerbe schlägt.

Diese Kniffe sind es, die den Spieler spätestens ab der zweiten Welt oft und gerne über eine halbe Stunde pro Level vor die Lösung unzähliger physikalischer Unmöglichkeiten stellen. Insofern richtet sich Crush also vornehmlich an Leute, die ihr muffiges Oberstübchen mal wieder ordentlich durchlüften wollen. Man muss zwar nicht unbedingt ein Freund anspruchsvoller Knobler sein, um an dem surrealen Spiel mit den Dimensionen samt seiner beachtlichen Aha-Effekte einige Freude zu haben, aber es hilft. Schließlich fordert Crush einiges an Durchhaltevermögen, Hingabe und Schwindelfreiheit vom Spieler. Das hier ist "Gehirn-Jogging" für echte Spieler!

Wer munter darauf los trabt, erhält im Gegenzug eines der befriedigendsten, verblüffendsten und – im positiven Sinne – durchgeknalltesten Spiele-Erlebnisse, die zurzeit zu haben sind. Da verzeiht man auch gern, dass Stil und Politur nicht ganz an die Big-Budget Konkurrenz heranreichen und dass sich Dannys Kontrollen ruhig einen Tick direkter anfühlen könnten. Crush ist ein wichtiges Spiel für die PSP und Sega, hoffentlich wird es geschickt am Markt platziert. Zu gönnen wäre es beiden.

Videos angucken! Zack, Zack!

8 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

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Crush!

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Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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