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Das schwarze Auge: Drakensang

Nostalgie 1W+8

Für ein Spiel, das Angriffe von hinten doch sehr belohnt (von hier erzielt man noch mehr der erstrebenswerten Wunden, die die Fähigkeiten des Gegners mindern), habe ich allerdings erstaunlich wenige Möglichkeiten zu unterbinden, dass meine Kontrahenten genau dorthin gelangen und mir den Allerwertesten versohlen. Hier hätten Formationsbefehle das Spiel um viele logische strategische Facetten erweitert und die gelegentlichen Frustmomente eliminiert.

Die lediglich offensiven oder defensiven Grundeinstellungen Eurer Charaktere machen diesen Lapsus allerdings alles andere als Wett. Stellt Ihr die Zeichen auf Angriff, lösen sich einzelne Kämpfer zu forsch aus dem Kollektiv und werden damit sehr viel angreifbarer, während die defensive Einstellung die Kameraden oftmals zu überzogener Passivität verleitet.

In beiden Varianten sind meine gepanzerten Krieger selbst in einem schmalen Korridor oft nicht in der Lage, meine Distanz-Beauftragten aus der zweiten Reihe vor frechen Goblins abzuschirmen. Es ist einfach bitter, wenn ein sorgfältig geplanter Angriff daran scheitert, dass der Gegner meine Bogenschützen und Zauberer mit billigem Durchgewusel in den Nahkampf zwingt. Es passiert nicht immer, aber oft genug. Man kann sich zwar durchaus damit arrangieren. So konzentriert man irgendwann von selbst seine Attacken auf die Feinde, die sich zügigen Schrittes auf die Fernkämpfer zubewegen und versucht, die Übrigen auf andere Weise an die Nahkämpfer zu binden. Trotzdem ist es gerade in den ansonsten so tollen und fordernden Bosskämpfen hin und wieder auch ein etwas ärgerliches Glücksspiel. Es fehlt einfach an Ordnung. Auch die Kamera wirkt ab und an dem Komfort entgegen. Sie lässt sich zwar frei um die eigenen Charaktere drehen, nicht aber über die Karte scrollen. Bekommt Ihr einen Gegner also nicht durch einen Kameraschwenk ins Visier, könnt Ihr keinen Angriff anordnen.

Die Schauplätze bieten recht viel Abwechslung. Hier badet gerade ein Oger wie erschlagen im gleißenden Sonnenlicht.

Das liest sich vermutlich schlimmer als es ist. In der Praxis behält man nicht zuletzt dank der allmächtigen Leertaste in den meisten Fällen den Überblick und wenn mal wieder eine Attacken-Kooperation mit dem klatschenden Zusammensacken eines mächtigen Gegners endet, ist das ein echtes Erfolgserlebnis. Es ist nur leider nicht so bequem, logisch und toll wie es sein könnte.

Wirklich beachtlich hingegen ist, wie sehr sich die Radon Labs darum bemühten, Drakensang in die unglaublich detailliert ausgearbeitete Welt Dere einzuweben. Im Herzen des Kontinents Aventurien pulsiert die Stadt Ferdok, die Dreh- und Angelpunkt von Drakensangs Handlung ist. Doch das Spiel leiht sich nicht einfach nur Thema, Mythologie und einige bekannte Namen Aventuriens, es gibt ihm auch jede Menge zurück. Die Geschichte, die Ihr erlebt, wurde von namhaften DSA-Autoren geschrieben und unter den prüfenden Augen der DSA-Redaktion auch in die Pen & Paper-Welt integriert.

Beispielsweise existierte im Ferdok des Pen & Paper DSA‘s bislang kein Hesinde-Tempel. Da er aber für die Story von Drakensang so wichtig war, wurde in der für die Pflege der Welt verantwortlichen Redaktion kurzerhand der Bau des Tempels beschlossen. Die Community erfuhr durch den Aventurischen Boten (die Print-„Zeitung“ der DSA-Spieler) schon lange vor Erscheinen des Spiels davon, dass in Ferdok die Arbeiten an der Stätte begonnen hätten und das schon bald organisiert der Göttin des Wissens gehuldigt werden könne. Kurz: Was im PC-Aventurien passiert, wird also zum Kanon an den Pen & Paper-Stammtischen.

Rein technisch gibt es an Drakensangs sauberer, grundsolider Grafik wenig auszusetzen.

Drakensang ist somit eine liebevoll gestaltete und kompetent umgesetzte Verbeugung an die alten Klassiker. Tatsächlich geht diese Verbeugung aber so tief, dass Radon Labs eine Handvoll fast schon essentielle Dinge aus den Augen verloren haben. Passendstes Beispiel des stellenweise allzu „traditionellen“ Funktionsumfanges ist wohl, dass es nicht möglich ist, Ausrüstungsgegenstände untereinander zu vergleichen.

Hält Euch ein Händler eine Rüstung unter die Nase, müsst Ihr Euch deren Vorzüge merken, den Dialog verlassen und im Inventar die Werte der aktuellen Ausrüstung einen prüfenden Blick unterziehen. Und die hilfreichen Questmarker, die Euch zu Eurem nächsten Ziel geleiten, werden immer nur für das aktuelle Gebiet angezeigt. Wollt Ihr eine Aufgabe stemmen, die in einem anderen Stadtviertel liegt, braucht Ihr schon gute Ortskenntnis. Denn diese Karte könnt Ihr partout nicht aufrufen.

Euer Spaß an Drakensang steht und fällt also im Prinzip mit Euren Ansprüchen an den Komfort eines Spiels. Wer die hin und wieder tollpatschige Spielerführung und Handhabung verzeihen kann, erlebt eine faszinierende und wendungsreiche Geschichte und löst einige der einfallsreichsten und befriedigendsten Questen der letzten Zeit. Wer auf Elder Scroll’sche Handlungs- und Bewegungsfreiheit und die Qual der Moral eines KotOR verzichten kann, feiert dank Drakensang ausgelassen über 70 Stunden lang seine eigene „Party“. Viel Spaß dabei, ich hatte ihn - wenn auch mit Abstrichen.

Reitet auf dem Rücken der offiziellen Demo für eine Stippvisite nach Aventurien. Nur Mut! Die beißt nicht.

7 / 10

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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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