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Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga 2

Das beste Spiel, das niemand kennt

Die Shin Megami Tensei-Reihe kennt hierzulande eigentlich niemand. Woran das liegt? Nun, insgesamt scheint Konsolen-Rollenspielen in Deutschland mit Ausnahme von Final Fantasy und Biowares Space-Epen nur wenig Beachtung geschenkt zu werden. Breath of Fire, Shadow Hearts oder eben die MegaTen-Sprößlinge fügen sich regelmäßig trotz allerhöchster Qualität als Nischenprodukte in den hiesigen Markt ein und sind im Schatten des gigantischen Marketing Brimboriums der Konkurrenz oft nur schemenhaft auszumachen. Und das ist verdammt schade.

DDS 2 ist das finale Kapitel einer zweiteiligen Odyssee. Abseits zu Tode gerittener Tolkien-Plagiaterie oder Squaresofts farbenfroher Kostümfantasien, verfolgt man im ersten Teil der Digital Devil Saga den Überlebenskampf einer Gruppe von Halbdämonen in einer feindseligen Unterwelt namens Junkyard. In der vom steten Regen gezeichneten Düsternis der verfallenen Einöde, schlachtet sich der Clan der Embryons kompromisslos an die Spitze der Nahrungskette. Und das fast notgedrungen, denn die Sache mit der Dämonenform hat da einen klitzekleinen Haken. Die Betroffenen verspüren mächtig Kohldampf auf Menschenfleisch. Auch die Protagonisten müssen sich nach Kämpfen an den Gefallenen gütlich tun, um ihre menschliche Gestalt zurück zu erlangen. Na dann: Mahlzeit! Serph, Argilla, Cielo, Gale und Heat sind allerdings zivilisierte Kannibalen und verfolgen ein durchaus hehres Ziel: Den Ort zu finden, an dem sie in Frieden leben können. Ein Ort namens Nirvana.

Anführer Serph in der Berserker-Form.

Natürlich löst das Team am Ende des Spiels ein Ticket in das vermeintliche Gelobte Land. Doch hätte ich hier den zweiten Teil vor mir liegen, wenn Nirvana die hochgesteckten Erwartungen erfüllen würde? Nö. Und ich bin froh darüber, denn DDS 2 ergänzt den schon sehr guten Vorgänger zu der „Saga“ die der Titel verspricht und erweitert das unheimliche Universum um Tiefe, Schrecken und Tragik. Hier hat niemand nach dem letzten Teil den Reset-Button gedrückt, nur um für den nächsten Part ein vollkommen neues Universum zu erschaffen. Der Vorteil: Ghostlight kann erneut auf wunderbar gezeichnete Charaktere zurückgreifen, diese weiterentwickeln und in letzter Konsequenz eine noch packendere Geschichte erzählen.

Dabei ist es umso bemerkenswerter, dass DDS 2 durchaus auch für sich alleine stehen kann. Wer ohne Vorkenntnisse über Land und Leute in das Erlebnis hineingeht, muss sich in der schrägen Welt natürlich erst kurz akklimatisieren. Ist dies geschehen, atmet man die endzeitliche Atmosphäre des kaputten Allerheiligsten mit seiner schwarzen Sonne aber in vollen Zügen. Der Spieler akzeptiert die befremdliche Zukunftsvision und sagt ihrem Regime den Kampf an. Trotzdem lege ich allen Interessierten den Genuss des Vorgängers wärmstens ans Herz. Die Art und Weise. wie Entwickler Ghostlight lose Storyenden aufhebt und zusammenfügt, den größtmöglichen Profit aus seiner tiefen Charakterriege zieht und die Saga zu einem noch größeren Ganzen veredelt, ist einfach einzigartig.

Diesem Gewürm kommt Ihr am besten mit Feuerzaubern bei.

Dabei stellt natürlich auch dieses MegaTen-Spiel Kämpfe und Dungeon-Erkundungen in den Mittelpunkt. Kein Wunder: Die komplexen, aber eingängigen Gefechte und das vielschichtige Fertigkeitensystem sind schon eine Klasse für sich, wollen jedoch erst einmal begriffen werden. Denn so schnell Ihr die rundenbasierten Fights bei effektiver Vorgehensweise hinter Euch bringt, so schnell kann sich das Schlachtengeschick auch wenden. Wie viele Aktionen jede Partei pro Runde durchführen darf, ist nämlich nicht festgelegt – zumindest nicht ganz. Zu Beginn einer Runde verfügt jeder Charakter über einen Aktionspunkt. Trefft Ihr mit einem Zauber aber die Affinität des Gegners oder teilt Ihr einen kritischen Schlag aus, verfällt Euer Zug nicht. So kann der dreiköpfige Kampfverband (Eurer insgesamt fünfköpfigen Party) im besten Fall sechs Manöver durchführen, bevor sich die Feinde auch nur am Kopf kratzen können.

Umgekehrt werden Fehltritte mit dem Abzug solcher Aktionspunkte bestraft. Wer also einfach drauf los bollert, ohne sich die Schwächen und Resistenzen der Gegner einzuprägen, läuft den Gegnern ins offene Messer und gibt regelmäßig vorzeitig die Initiative ab. Ziehen die cleveren Monstren dann noch die richtigen Zauber aus dem Hut – und das passiert recht häufig – geht es ganz schnell bergab mit den Stats Eurer Party. In vielen RPGs ärgere ich mich über hohe Encounter-Raten. Genervtes Durchklicken durch reihenweise gleichartige Befehle oder gar Autobattle-Missbrauch sind oft die Folge, wenn ein Rollenspiel sich nicht traut, mich herauszufordern. Bei DDS 2 hingegen empfängt der kleine Stratege in mir jeden Dämon mit offenen Armen und einem breiten Grinsen auf den Lippen, der es wagt, sich mir in den Weg zu stellen.

Die schöne Argilla ist das Magie-Talent Eurer Truppe.

In jedem Abschnitt müsst Ihr also eine gute Handvoll neue Spezies auf ihre Schwächen abklopfen und Euren Charakterköpfen dementsprechende Skill-Sets zuteilen. Zu Anfang tragen die besessenen Antihelden jeweils maximal vier, später sechs (ab Level 10) und letztlich acht (ab Level 20) Fähigkeiten zugleich aus den Bereichen Nahkampf, Jagd, Verstärkung, Schwächung, Heilung und (verschiedener) Elementarzauber in die Schlacht. Diese gilt es so zu arrangieren, dass Ihr nicht nur die wunden Punkte der Gegner attackieren, sondern auch Eure eigenen Achilles-Fersen abdecken könnt. Es ist also zusätzlich Eure Kreativität gefragt, wenn es darum geht, Eure Charaktere zu entwickeln und die Balance innerhalb der Party zu bewahren: Gebe ich dem in Sachen Schwächungszauber bewanderten Cielo den Vorzug oder berufe ich Nahkämpfer Gale in die Party? Achtet darauf, dass Eure Kämpen stets genau das Backenfutter parat haben, nach dem die Gegner verlangen.

Die nötigen Talente erwerben Serph und seine Mitstreiter auf dem Mantra-Grid. Mantras sind unterschiedlichste Kampfprogramme, die die Party meistern muss, um immer mächtigere Fähigkeiten zu erlernen. Neben den normalen Erfahrungspunkten erhaltet Ihr für Siege nämlich auch „Atma“, das direkt in das ausgerüstete Mantra einfließt. Hat der „Atma“-Wert eines Mantras seinen Höhepunkt erreicht, nutzt der Träger fortan dessen Fähigkeiten. Während sich Eure Truppe also in jede beliebige Richtung auf dem Mantra-Grid vorarbeitet, stehen nach und nach immer stärkere und teurere Porgramme zur Auswahl. Es ist einfach unglaublich spannend, seine Charaktere möglichst ausgewogen zu formen und Spezialisierungen an deren Kampfstilen vorzunehmen. Selten konnte man so flexibel seine eigenen Supermänner heranzüchten.

Alle Charaktere haben ihre Ecken und Kanten.

Bevor noch Berührungsängste aufkeimen: Shin Megami Tensei: Digital Devil Saga 2 ist durch die fordernden Kämpfe und die komplexe Charakterentwicklung zwar anspruchsvoll, aber keineswegs kompliziert. Ghostlight wirft Euch keine Kaskaden aus Zahlen, Charakterwerten und Ausrüstungsgegenständen entgegen, führt jedes Element behutsam ein und hält sich auch sonst nicht mit überflüssigem Schnick-Schnack auf. Die Bedienung ist übersichtlich, die Speicherpunkte großzügig verteilt – ich sehe eigentlich keinen Grund, warum nicht jeder Rollenspielbegeisterte Zocker, der in seinem RPG auf Orcs und Elfen verzichten kann, zugreifen sollte.

Obendrein sieht DDS2 einfach super aus. Das liegt jetzt nicht etwa an technischer Brillanz (rein technisch gesehen ist es solide PS2-Grafik), sondern an dem stilsicheren, düsteren Design: Charaktere, Menüs und die absurd bis widerlichen Feinde sind derart nüchtern und cool gestaltet, dass man nur den Hut ziehen kann. Understatement als Tugend. Schlichtheit ohne Langeweile – Design fürs Lehrbuch. Die Macher wussten wirklich ganz genau, was sie wollten und auch der Sound – jede Melodie, jeder Jingle und jede Synchronstimme – scheint ein Teil ihrer Vision zu sein. Absolut stimmig!

Ghostlight liefern das Musterbeispiel dafür ab, dass „Komplexität“ nicht gleichzusetzen ist mit „Kompliziertheit“. Ganz ohne Statistikverknotungen, Ausrüstungsoverkill und Menüdschungel bietet Digital Devil Saga 2 Spieltiefe, in der man gerne 40 Stunden lang herumtaucht – eben weil man nicht ständig überflüssige Hindernisse umschnorcheln muss. Und das ist nur das i-Tüpfelchen auf einem fehlerfreien Rollenspielerlebnis.

Brillant auch erneut die Charakterzeichnung: Die erschreckende Wahrheit, mit der die tragischen Helden gleich zu Anfang konfrontiert werden, ihre hoffnungslose Suche nach der verlorenen Freundin und der Umbruch einer verfallenen Welt – dieses Spiel fährt so unglaublich viele morbid-schöne Motive auf, wie es sonst nur gute Bücher tun.

Ein ausgezeichnetes, ungewöhnliches Rollenspiel!

Wer zum Preis von knapp 44,95 nicht zuschlägt, verpasst eine Saga, die Ihren Namen zur Abwechslung mal wirklich verdient.

9 / 10

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Über den Autor
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Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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