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Alt+F40: Artful Escape, Golf Club Wasteland und warum Progression und Belohnungen überbewertet sind

KW 36/2021: Diese Woche resümiert Alex Sonys PlayStation Showcase und die Wichtigkeit ein Spiel auch mal ein Erlebnis sein zu lassen.

Ihr bekommt das ja nicht mit, aber heute bin ich ein bisschen später dran mit diesem Artikel, denn in der Kita stand am Morgen das Entwicklungsgespräch über unseren Erstgeborenen an. Und da der Große sich in letzter Zeit immer häufiger über quälende Langeweile im Kindergarten beschwert, oft nur widerwillig mitkommt und es auch zu Hause viel zwischen ihm und seinem kleinen Bruder knallt, gingen meine Frau und ich mit einem gewissen nervösen Kribbeln im Bauch dorthin. Das fühlte sich an, als wäre man wieder selbst in der Schule und wäre mit seinen Eltern dort vorgeladen, aus welchem Grund auch immer. War am Ende aber doch schön, das eigene Kind mal durch die Augen von jemandem gespiegelt zu bekommen, der es in einer komplett anderen Umgebung erlebt. Definitiv eine interessante, bereichernde Erfahrung, die uns den kleinen Mann in neuen Facetten sehen lässt.

Ein bisschen Elternmitarbeit war auch gefragt, denn sowohl meine Frau als auch ich sollten ein sonnenförmiges Entwicklungsdiagramm, bei dem jeder Zacken einen Kompetenzbereich unseres Sohnes darstellte, so ausmalen, dass es unserer Einschätzung seiner Entwicklung entspricht. Meine "Strahlen" fielen durchgängig kürzer aus als die meiner Frau - klar, ich wollte auch Spielraum für Bewertungsabstufungen haben, ich alter Videospieletester-Trottel. Klar, dass sich das rächte, als die Erzieherin meinte, ihm unsere Sonnen auch zeigen zu wollen. Schwer zu beschreiben, aber es versetzte mir tatsächlich einen kleinen Stich. Hätte ich das geahnt, ich hätte die Strahlen länger gemacht. Auch wenn die Erzieherin, die wir sehr schätzen, mir glaubhaft versicherte, diesen Eindruck würde sie damit nicht erwecken: Ich könnte nicht ertragen, wenn er glaubte, für mich schiene seine "Sonne" nicht ganz so hell.

Schon seltsam, was Kinder mit einem machen.


Inhalt


Von der Wichtigkeit, Spiele als Erlebnis zu begreifen

Alle Jahre wieder hinterfrage ich die Belohnungsmechanismen, die Videospiele für mich zu so einer befriedigenden Angelegenheit machen, dass in meiner Freizeit wenig Zeit für anderes ist. Ich liebe sauber und auf den Punkt designte Spiele wie XCOM, an dem kein Gramm Fett zu finden ist, und das stimmige und täuschend simple Portaljonglieren von Splitgate bereitet mir gerade maximale Freude. Auch für ein imperfektes Systemmammut wie Metal Gear Solid 5 kann ich mich begeistern. Dieses Spiel war auf alles gefasst, was der Spieler tat, nur nicht auf die Ablehnung, die es von der Fanbase erfuhr. All das sind Games mit klar definierten Zielen und eher traditionellen Belohnungsmustern.

Stealth-Outer-Wilds-Artikel. BÄM!

Selbst ein so perfekt ineinandergreifendes Schweizer Uhrwerk aus Handlung, World-Building und Mechanik wie Outer Wilds lockt in klassischer Adventure-Manier mit der Lösung eines großen Rätsels. Das alles sind Spiele, die wissen, wie Gamer allgemein ticken und welche Knöpfe sie drücken müssen. Und dann sind da Spiele wie The Artful Escape (PC, Xbox, auch im Game Pass) und Golf Club: Wasteland (PC, PS4, Xbox, Switch), die so mancher vermutlich nicht einmal als Videospiel im engeren Sinn verstehen würde. Und doch beweisen beide fast im Alleingang, dass schon das sensorische Erleben an sich, das Aufhalten in einem Videospiel, richtig gemacht eine vollkommen stabile Basis und Triebfeder für ein Spiel sein kann.

Natürlich: Diesen Erlebnisfaktor kann man aus keinem der oben genannten Beispiele heraus subtrahieren. Das Gefühl, in XCOM einer außerirdischen Übermacht entgegenzutreten, schüchtert mächtig ein, und die schwindelerregende Physikakrobatik von Splitgate hat etwas Achterbahn-artiges, das wenig andere Spiele bieten. MGS spielt unterdessen bestens mit dem Gefühl, hinter feindlichen Linien etwas zum Guten bewegen zu wollen und Outer Wilds ist... nun ja, einfach Outer Wilds und damit auch in Gänze ein Erlebnis, das es so kein zweites Mal gibt - nicht einmal, wenn man Outer Wilds ein zweites Mal spielt. Aber insgesamt sind bei Videospielen meist die Systeme und Progression die tragenden Säulen des Erlebnisses. Nur wenige Games - die beiden fett geschriebenen da oben vor allem - leben schon so gut von ihrem Vibe, dass man von alleine komplett in ihnen aufgeht, mit ihnen verschmilzt wie Puderzucker mit einem noch zu heißen Kuchen.

Wundervolle Art Direction hat es, dieses Artful Escape - ein Spiel darüber, einen Bogen um große Fußstapfen zu machen.

Ich bin gerade nicht mal sicher, welches der beiden mich gerade mehr begeistert, aber dann wiederum läuft hier der bildhübsche Startbildschirm von Artful Escape samt dem traumhaften Folk-Titelsong seit 30 Minuten im Hintergrund und ich kann mich nicht zwingen, den Taskmanager aufzumachen und zu quitten. Also macht das Neue von Annapurna den Anfang. Wie ihr aus den obigen Zeilen vermutlich schon ganz richtig abgeleitet habt, steckt hier nicht viel Herausforderung drin. Ein bisschen leichtes Rede-Adventure, etwas Jump and Run ohne echten Einsatz. Hauptsächlich ist dieser Coming-of-Age-Geschichte eines musikalisch begabten Neffen der Folk-Legende Johnson Vendetti (eindeutig eine Bob-Dylan-Hommage) an maximalem Spielfluss gelegen.

Denn während alle von Francis Vendetti erwarten, dass er in die Fußstapfen seines Liedermacher-Onkels tritt - dem er zum Verwechseln ähnlich sieht -, will er lieber Space-Rock-Opern auf seiner E-Gitarre gniedeln. Und das macht ihr dann auch, ohne dass auch nur für fünf Pfennig Schwierigkeit dabei wäre, und feuert dabei, hüpfend, shreddend und auf den Knien schlitternd ein interdimensionales, psychedelisches Feuerwerk für die Sinne ab. Ihr versucht nur, gut dabei auszusehen. Die Charaktere sind granatenstark geschrieben, die Dialoge dank toller Schauspieler von Mark Strong über Jason Schwartzman bis hin zu Lena Headey und Carl Weathers fantastisch vertont und das visuelle Einfallsreichtum dieser intergalaktischen Suche nach der eigenen Identität außerhalb des Schattens des heldenhaft gefeierten Onkels haut einem in jedem Screen aufs Neue die Beine unterm Hintern weg. Fast eine audiovisuelle Ausstellung, aber mit genauso viel Herz wie Köpfchen. Müsste ich mir hier meine verbleibenden Leben oder andere Systeme im Auge behalten, wäre es einfach nicht das Gleiche.

Es ist zum Ausflippen schön - auch wenn die 'das ist ja kein Spiel'-Fraktion die Nase kraus zieht.

Und dann ist da Golf Club Wasteland, in dem die Superreichen sich nach dem Ende der Welt auf den Mars zurückzogen und nur zu Mutter Erde zurückkehren, um in ihren Ruinen Golf zu spielen. Diese 34 postapokalyptischen Löcher kann man zwar auch im Challenge-Modus spielen. Dort muss man sich Sorgen um die Zahl der Schläge machen, die man braucht, um in diesem vom Klassiker Worms - es zählen nur Winkel und Stärke - inspirierten Seitenansicht-Golf zum Ziel zu gelangen. Aber ich bin nicht mal sicher, ob dieses Spiel mit dem Sportgedanken im Hinterkopf wirklich ein Besseres ist. Tatsächlich wählte ich eher aus Versehen den Story-Modus, in dem es um nichts weiter geht, als nach so vielen Schlägen, wie man eben braucht, das nächste verseuchte Stück Erde aufzusuchen - und war sofort gebannt davon, wie ich frei von spielerischen Zwängen die Stimmung aufsaugen konnte.

Der wohlgewählte, fatalistische Soundtrack, informative Radio-Sendungen (!) zur Geschichte dieser verstrahlten Welt und endlose bedeutungsschwangere Bilder von pastellenen Überresten menschlicher Zivilisation. Einfach faszinierend, wenngleich auch bedrückend symbolkräftig, auf einer eingestürzten Brücke zu stehen, in deren Hintergrund ein schiefes Wahlkampfschild dazu aufruft, die Populisten zu wählen. Abgeglittene Politik und ihre Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Dialog in nur einem Bild zusammengefasst. Alle Achtung! Jedes neue dieser allzu einsamen Panoramen ist ein Erlebnis für sich, ohne ein Interesse daran, arbiträre Gaming-Konditionen an euch zu stellen. Das Golfspiel ist Teil des Deals, nicht aber Antrieb eurer Erfahrung.

Hauptsache Golf - ein Spiel als meditatives Statement über den Stand der Dinge.

Deshalb auch mein Aufruf an dieser Stelle, mal wieder mehr Erlebnis zu wagen! Mit Golf Club Wasteland und Artful Escape sind dieser Tage gleich zwei günstige, wunderhübsche und inspirierende Titel in dieser Richtung erschienen, die einen eleganten Befreiungsschlag von der allgegenwärtigen Instant-Gratifikation traditioneller Spielemuster darstellen. Sie ist ein guter Teil des Grundes, warum das Ziehen eines Abzugs heute zentraler Spielgegenstand so vieler Games ist. Daran ist nichts verkehrt, aber wenn das alles ist, was wir uns - und den Spielen - zutrauen, tun wir uns auf lange Sicht keinen Gefallen.


Weitere Notizen - KW 36/21

Text(e) in Arbeit: Nächste Woche erscheint Deathloop. Ihr wisst, was das heißt. Ansonsten spiele ich weiter Comanche und F.I.S.T. und lege die letzten Testrunden mit ein bisschen Hardware hin.

Musiktipp der Woche: Meshuggah - Catch Thirtythree Diesmal wird's ruppig. Ich höre nur noch selten Metal, zum einen, weil ich das in meiner "Jugend" für drei gemacht hab und zum anderen, weil mich moderne Bands meistens langweilen. Ich habe jedes Riff gehört und die schlimmsten Blast-Beat-Attacken überlebt. Viel tiefer bekommt keiner mehr den Stiefel in meinen Hintern, wenn ihr so wollt. Wenn mich heute noch was "kriegt", sind das meistens extreme Sachen, Meshuggah zum Beispiel, auch wenn dieses Album schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat. Warum ein ganzes Album? Weil Catch Thirtytree eigentlich ein einziger, bitterböser 45-Minuten-Song ist, aus dem man nichts im Speziellen hervorheben kann. Aber wir waren ja bis gerade eben ohnehin beim Thema "Erlebnis" und diese Scheibe ist definitiv eines. Ein Albtraum, aus dem man zur Abwechslung mal nicht aufwachen möchte. Nasenbluten am Schluss nicht ausgeschlossen.

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Höhepunkt der Woche: Marvel's "What if..." hat im Grunde einzig und allein mit dem Twilight-Zone-Faktor zu kämpfen, dass nichts von dem, was man hier sieht, von großer Konsequenz sein dürfte. Aber ansonsten: Ja, hier ist eine Folge stärker als die andere. Ich mag die Animationen, die poppenden Farben. Sogar die Zombie-Episode von diesem Mittwoch hat mir fantastisch gefallen. Tatsächlich gefällt mir die Action fast besser als in den Kinofilmen. Schaut mal rein, solltet ihr Disney+ haben!

Und dann war da noch gestern Sonys PlayStation Showcase. Das ließ zwar innovative, kleinere Games vermissen - Tchia musste den Indie-Appeal ganz allein anschleppen und tat sich dabei ganz und gar nicht schwer. Süßes Spiel! -, aber so ranklotzen wie der PlayStation-Hersteller muss man auch erstmal: Die Remasters von Uncharted nimmt man gerne mit, dann rahmte ein Marvel-Doppelschlag von Insomniac Games (Wolverine und Spider-Man 2 - beide durchaus überraschend) Gran Turismo 7 ein, das jetzt angeblich schon im März da sein soll und für mich unfassbar gut aussah. Und am Ende gab es erstes, endlos hübsches Bewegtmaterial aus God of War Ragnarök. Wo Microsoft auf der gamescom in der Breite Qualität zeigte, setzt Sony auf seinem Showcase in erster Linie auf Titel, die den Generationenunterschied zur PS4- und Xbox-One-Ära deutlicher herausarbeiten und sorgt dafür zumindest bei mir für ein wenig mehr Wuschigkeit im Bauch.

Ich bin bereit für Kratos. Ich glaube nicht, dass man dasselbe von Thor sagen kann.

Mittelpunkt (?!) der Woche: Womit wir auch gleich beim Wermutstropfen der Sony-Show von gestern wären: Bin ich der einzige, den das Material zu Tango Gameworks' Ghostwire: Tokyo kalt gelassen hat? Ich fand die ersten Bilder seinerzeit fantastisch und hatte mich sehr darauf gefreut, mehr vom Spiel zu sehen. Jetzt bekam ich genau das - und merkte es erst, als der Trailer schon halb vorbei war. Kann sich beim Spielen noch richten, klar. Sehen wir dann!

Tiefpunkt der Woche: ... war meine Erkenntnis, dass ich endgültig raus bin, wenn es um klassisches CRPG geht. Erst kam ich in keines der Divinitys so richtig gut rein, dann prallte ich von Pillars of Eternity ab, fand bei Tyranny kein Glück und musste schließlich gestehen, dass es Pathfinder: Wrath of the Righteous erst recht nicht richten wird. Das wusste ich schon kurz nach der Charaktererstellung (durch die ich mich auch schon auf eine Weise sputete, die nichts Gutes ankündigte). Ich liebe den Gedanken, diese Spiele zu spielen, allein aus Nostalgiegründen schon. Und die Kritiken sprechen für sich. Aber immer, wenn ich eines versuche, pralle ich davon ab. Das bedeutet nicht, dass ich es nicht weiter versuchen werde. Der dritte Anlauf Wasteland 3 steht noch aus - ein Spiel, das halbwegs Chancen hat, weil es seine Kämpfe in klassischer Rundentaktik ausficht, die mir sehr liegt. Aber ich frage mich schon, was mich so versaut hat, dass ich keinen Zugang mehr zu klassischen Fantasy-Rollenspielen mehr finde?

Wie steht's mit euch? Gibt's ein Genre, das ihr eigentlich mögt, das euch aber nicht mehr so recht zu packen bekommt?

Keine Ernte dieses Jahr, schätze ich...

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