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Videospiele in Japan - Eine kurze Analyse

Was ist da los im Land der aufgehenden Sonne?

Fährt man im spätsommerlichen Tokyo mit der Yamanote-Line von Ikebukuro aus in Richtung Shibuya, dann scheint die Zockerwelt in Japan eigentlich noch in Ordnung. Ständig ploppen neue Miis auf meinen 3DS und zwei junge Burschen schauen angestrengt auf den Bildschirm ihrer PSP. Ein ebenso unauffälliger wie genauerer Blick zeigt, dass der eine ein mir unbekanntes rundenbasiertes Strategie-RPG spielt, während der andere, wie könnte es anders sein, in der jüngsten Inkarnation von Capcoms unfassbar erfolgreicher Monster-Hunter-Reihe auf die Pirsch geht. Von diesem recht offensichtlichen Beispielen abgesehen, beschäftigen sich viele meiner Mitfahrer ausführlich mit ihren Smartphones - ob sie nun SMS tippen oder ebenfalls die Zugfahrt mit einer flotten Zockerei herum bringen, das kann ich nicht genau sagen.

Es ist aber offensichtlich, in Japan wird nach wie vor mit Begeisterung gespielt. Im Zug wird gezockt, die Spielhallen von Akihabara sind stets gut mit jungen Spielern gefüllt und auch wenn die Läden für den täglichen Otaku-Bedarf dort schwer auf dem Vormarsch sind, so findet man doch nirgendwo auf der Welt besser sortiertere Fachhändler für klassische Spiele. Was ist da drüben also los? Warum haben wir hier in Europa das Gefühl, die japanischen Entwickler gingen kollektiv den Bach runter und würden von Monat zu Monat an Relevanz verlieren?

Nostalgische Entspannung nach Feierabend: Mit Ms. Pac-Man in einer Retro-Arcade in die guten, alten 80er abtauchen.

Der wichtigste Grund für diese europäische Annahme ist wohl der: Der japanische Markt hat sich in eine völlig andere Richtung als der westliche entwickelt. Während die hiesigen Entwickler einen großen Teil ihrer Produktion direkt auf die Käufer stabil jenseits der 20 zuschneiden (auch wenn manch ein testosteronschwangerer Shooter eher die 14-jährigen anspricht), ist die japanische Zielgruppe jung geblieben - die große Masse der Heimkonsolen-Spieler rekrutiert sich aus den dortigen Teenagern und wenn die erst einmal ins Arbeitsleben eintreten, dann hängen sie das Hobby oft an den Nagel oder fahren es auf Handhelds oder Smartphones zurück.

Die Gründe dafür sind vielfältig, meist aber im gesellschaftlichen Bereich zu suchen. Es ist ein alter Hut, aber immer noch korrekt: Der Großteil der japanischen Angestellten hat ziemlich wenig Freizeit. Die Arbeitstage sind lang, der Urlaub ist knapp bemessen und meist ist zeitlich lediglich ein Hobby drin, und das will dann natürlich gut ausgesucht sein. Während ein Hobby wie Golf recht angesehen ist, ist das beim Videospiel weniger der Fall. Wer sich als Angestellter jenseits der 25 als Spieler "outet", der begibt sich durchaus auch unfreiwillig unangenehm nahe ans von der Allgemeinheit ausgesprochen abschätzig betrachtete Otaku-Milieu. In einer Gesellschaft, in der zumindest im professionellen Umfeld immer noch nach einem gewissen Maße an Konformität gestrebt wird ist das weder der Karriere, noch dem Kontakt zum anderen Geschlecht förderlich.

Eben dieser Otaku-Markt ist ein weiteres Problem japanischer Entwickler. Der stellt tatsächlich einen guten Teil der kaufkräftigen Konsolen-Kundschaft und wird dementsprechend gerade von kleineren Entwickler stark umworben. Das Ergebnis sind dann oft extrem komplexe bis verschwurbelte Titel die für manch einen nicht-eingeweihten wie ein Buch mit sieben Siegeln wirken und die dazu noch vor niedlichen Mädchen nach dem bereits im Artikel zur Tokyo Game Show erwähnten Moe-Prinzip - dazu später vielleicht mal mehr - nur so strotzen. Da die Verkaufszahlen dieser Titel nicht astronomisch sind wird die Marge daher durch einen höheren Ladenpreis aufgestockt. All das wirkt dann auf den japanischen Durchschnittsspieler genauso abschreckend und befremdlich wie auf den gemeinen Westler.

Aufdringlich: Wer in Akihabara nach Spielen sucht muss begegnet immer wieder jungen Damen und Dienstmädchen-Kostümen die Kunden für die sogenannten Maid Cafés werben.

Viele Japaner sehen ihren Markt mittlerweile kritisch. Das gilt nicht nur für prominente Entwickler wie Keiji Inafune oder Tomonobu Itagaki, sondern auch für normale Spieler. Yoshitaka Ishida aus Kobe erklärt: "Für mich persönlich sind die heutigen japanischen Videospiele weniger attraktiv als vor zehn oder zwanzig Jahren. Was ich in letzter Zeit spielen wollte waren abgesehen von der Metal Gear Solid Serie fast nur Remakes von alten Spielen wie Final Fantasy III auf dem Nintendo DS. Mein persönliches goldenes Zeitalter ist die Zeit von Famicom und Super Famicom. Und die ist schon längst vorbei."

Tatsächlich sind die Zeiten nicht leicht für den Schlag der Spieler die mit den großen 8- und 16-Bit-Hits von Studios wie Konami, Capcom, Tecmo oder Irem aufgewachsen sind. Die Leute, die mit Contra, Gradius, Ghosts'n'Ghouls, Rygar, R-Type und Co. ihre Spielerlaufbahn begonnen haben müssen sich wohl oder übel damit arrangieren, dass sich für ihren speziellen Geschmack zumindest in Japan niemand mehr so recht zuständig fühlen will. Da können wir für die ein- oder andere Download-Neuauflage oder clevere US-Entwickler wie WayForward dankbar sein. Sie sind es, die den japanischen Geist der 80er und 90er Jahre heute aufrecht erhalten.

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Thomas Nickel

Autor

Fest in der 16Bit-Ära verwurzelt, lehrt der freie Autor Spielegeschichte an der Frankfurter Games Academy. Wird eher selten vor Ego-Shootern gesichtet.
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