Skip to main content
Wenn du auf einen Link klickst und etwas kaufst, können wir eine kleine Provision erhalten. Zu unseren Richtlinien.

The Witcher 2: Assassin's of Kings - Enhanced Edition - Test

Kann man das aktuell vielleicht schönste PC-Spiel auf eine sechs Jahre alte Hardware portieren? Sicher. Kann man es ohne Verluste tun? Sicher nicht. Gibt es einen sinnvollen Mittelweg? Unendlich viele, in feinen Abstufungen.

Die 360-Umsetzung von Witcher 2 hätte auf unzählige Weisen enden können, nur nicht als ein Port, der seinem Vorbild in allen Belangen das Wasser reicht oder ihn gar übertreffen könnte. Wenn es ein Spiel gibt, das zeigt, wozu Mittelklassehardware für ein paar Hundert Euro im Vergleich zu einer in die Jahre gekommenen Spielkonsole fähig ist, dann ist es dieses.

The Witcher 2 wurde als das schönste PC-Spiel überhaupt entworfen und so weit weg davon landete es gar nicht mal. Es nimmt die Hardware und gibt für etwas mehr immer ein wenig mehr, aber selbst auf einem i5 mit einer unteren Mittelklasse-Grafikkarte zaubert es noch. Warum auch nicht? In der Theorie ist diese Leistung immer noch ein Vielfaches der Konsole überlegen. Praktisch gleicht diese im gewissen Rahmen durch Custom-Chips und integriertes Design einiges aus, aber die Flaschenhälse sind nach nun sechs Jahren bekannt.

The Witcher 2 läuft auf der 360 flüssig, es hat die Fernsicht, es zeigt eine Masse an Details. Das sind die wichtigen Dinge und beachtliche Leistungen seitens der Entwickler. Gleichzeitig entsteht durch den erzwungenen Verzicht auf eine Tonne an Hardwarepower und den eben damit verbundenen Einbußen an Feinheiten in der Optik ein sehr unruhiger Gesamteindruck. Einzelne Texturen scheinen nicht ganz zu passen, die Modelle der Figuren scheinen gelitten zu haben. In der dichten Vegetation der ersten Spielhälfte wirken seltsame Objektüberscheidungen des Laubwerks auf einen ein. Man kann ahnen, dass dies eine nicht ganz ausformulierte Idee dessen darstellt, was es auf dem starken PC sein kann. Einiges ist ohne Fehl fantastisch und direkt daneben zeigen sich die Kompromisse. Es entsteht nie ein völlig rundes und in sich geschlossenes Bild.

Ich gehe halb davon aus, dass Richard Leadbetter (Digital Foundry) dies in Kürze weit fundierter und technischer zerlegen wird, aber es bleibt so schon mehr als nur ein Gefühl, dass da etwas sein sollte, was man nicht sieht. Man spürt, dass dieses eigentlich schon sehr schöne Spiel noch besser aussehen müsste. Um zu sehen, dass ich nicht einfach einen persönlichen Knick in der Optik habe, zeigte ich The Witcher 2 jemandem auf der Konsole, der das Spiel zuvor noch nie live sah. Ich zeigte nicht mit dem Finger auf Details, sondern ließ ihn einfach ein wenig spielen. Sein Eindruck der Grafik lässt sich in zwei Aussagen zusammenfassen. Die Erste war einfach und offensichtlich: "Wow, das ist wirklich ein schönes Spiel". Die Zweite drückte das Gleiche aus, was ich empfand, sogar ohne den direkten Vergleich zu kennen: "Etwas fehlt, es sieht nicht ganz richtig aus".

"Trotz beachtlicher Leistung seitens der Entwickler entsteht durch den erzwungenen Verzicht auf eine Tonne an Hardwarepower ein sehr unruhiger Gesamteindruck."

Meine Vermutung wäre, dass der Prozess der Entwicklung so ablief, dass man vom PC ausgehend herunter arbeite. Alles, was dort ist, wurde genommen, so gut es ging hineingequetscht und skaliert, ohne dass darunter die Framerate oder die Blickweite zu sehr litten. Als Endergebnis stand dann das etwas inhomogene Bild, dass die 360 jetzt auf den Bildschirm wirft. Wäre ein komplettes Hardware-gerechtes Re-Design und Re-Imagining ungleich aufwendiger? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich. Und es wäre dann sehr verständlich, dass dieses undefinierte Gefühl von Unruhe im Gesamtbild in Kauf genommen wird. Vor allem, weil The Witcher 2 eben auch auf der 360 trotzdem alles andere als unschön wirkt. Ganz im Gegenteil.

Damit habe ich jetzt sehr viel über einen eigentlich kleinen Makel dieses wundervollen Spiels gesagt. Es ist zum einen der Makel, der sich in interessanterweise abnehmender Stärke durch das ganze Spiel zieht und zum anderen praktisch der einzige Nachteil der Xbox-360-Version im Vergleich zur ursprünglichen PC-Fassung. Und ich kann hier nölen, wie ich möchte, dies bleibt eine sehr, sehr anständige Leistung. Die einzigen Ladezeiten, die wirklich auffallen - Festplatteninstallation vorausgesetzt - sind die zwischen den ganz großen Spielabschnitten. Dazwischen liegen viele Stunden Spielzeit und nur sehr kurze Unterbrechungen, wenn mal ein neuer Raum oder Abschnitt betreten wird. Damit kann man wunderbar leben, meist sogar ohne es wirklich bewusst wahrzunehmen. Installiert ihr das Spiel nicht, müsst ihr bei Szenenwechseln ein paar Sekunden länger mit nachladenden Texturen rechnen. Liegt The Witcher 2 aber auf der Platte, ist es höchstens mal eine Sekunde und die auch nicht immer.

Die Steuerung war augenscheinlich das kleinste Hindernis, schließlich lief es auf dem PC ja schon praktisch mit dem Pad als gleichwertige Alternative ab. Gut strukturierte Menüs, die Bewegungen der eigenen Figur analog zum PC. Lediglich einen neuen Trick hat der Witcher im letzten Jahr dazugelernt aber es ist eine große Sache. Theoretisch. Dark Souls zeigte, wie effektiv ein einfaches Zielsystem sein kann, Witcher versucht sich auch daran. Mit nicht ganz diesem Erfolg. Das Anvisieren selbst ist ein Davorstellen, dann den linken Trigger halten und den Feind bearbeiten. Funktioniert. Meistens. Was nicht so gut hinhaut, sind zum einen die kurzen Distanzen der Gegner zu einem selbst zum anderen Geralts schnelle Bewegungen.

Das Kampfsystem von Witcher 2 dreht sich zu aller erst um Tempo, dann erst um Paraden. Die schnellen Rollen nehmen euch aus jedem Fokus, den ihr zu halten versucht. Im ärgsten Fall sorgen sie sogar dafür, dass ihr einen zweiten Gegner zwischen euch habt, diesen nicht anpeilt, nicht rechtzeitig wegen des alten Fokus auf den nahen Feind reagieren könnt und dann Prügel einsteckt. Und in einem Spiel, das selbst auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad ziemlich gnadenlos ist, schmerzt das doppelt. Aber, und das ist die gute Nachricht, meistens ist das Anvisieren keine große Hilfe, aber es ist eine.

"Ein neues Areal innerhalb dieses ist vorhanden und es ist auch ok, nur wird es für meinen Geschmack ein wenig zu nonchalant gereicht. Im ersten Versuch hatte ich nicht mal gleich gemerkt, dass das hier mehr wird, als eine kleine Nebenquest."

The Witcher 2 - Xbox-360-Entwicklertagebuch

Was weit größer angekündigt wurde, war der Extra-Spielinhalt zum Ende hin. Es sollte sich alles etwas runder anfühlen und das tut es auch. Das - ich muss zugeben wirklich spektakuläre - Intro-Video kennt ihr bereits, wichtiger jedoch sind einige neue Sequenzen zum Ende hin und ganz zum Schluss, die die Geschichte einfach etwas fließender ausklingen lassen. Es wirkt nicht mehr so abgehackt, auch wenn der dritte Akt immer noch viel zu kurz ausfiel.

Ein neues Areal innerhalb dieses ist vorhanden und es ist auch ok, nur wird es für meinen Geschmack ein wenig zu nonchalant gereicht. Im ersten Versuch hatte ich nicht mal gleich gemerkt, dass das hier mehr wird, als eine kleine Nebenquest. Hatte keine Lust, mich drauf einzulassen, killte stattdessen lieber die potenziellen Quest-Helfer, die mich zuvor so schnöde verrieten, und ging meines Weges. Wie gesagt, wahnsinnig viel hab ich nicht verpasst, was jedoch nur heißen soll, dass es keine Bereicherung der Hauptquest darstellt. Für sich ist ein wenig mehr Spielzeit immer nett und das ist genau, was ihr hier geboten bekommt. Nehmt es mit oder lasst es, das eigentliche Spiel verändert es nicht.

Das ist auch so schon stark genug. Das Kapital des Witchers ist zum einen seine Grafik - auch der Grund, warum mich das Thema eingangs so ausgiebig beschäftigte -, weit mehr jedoch sein Plot. Ich habe das komplexe Netzwerk aus Entscheidungen, spürbaren Konsequenzen, Leben, Tod, politischer Intrige und natürlich Liebe und auch Sex bereits vor einem Jahr ausgiebig gepriesen. Meine Meinung dazu hat sich kein Stück geändert, Witcher 2 gehört in diesem Fach zu den Besten.

Hier nutze ich aber einmal die Chance, um ein wenig zu überspitzen und gemein zu sein: Es gibt trotz all der Verzweigungen in Witcher 2 eigentlich nur eine Geschichte. Ich meine nicht deren Verzierungen am Rand. Auf wessen Seite der Schlacht ihr steht, spielt keine so große Rolle, da ihr eh ein anderes, weiterliegendes Ziel verfolgt. Und das werdet ihr. Die größte Abweichung ist dieses Ziel selbst, weil es die Figur Geralts bestimmt und insoweit wiederum natürlich auch seine Geschichte. Aber letztlich ist es diese, die doch immer sehr vertraut wirkt. Es ist mein dritter Durchgang durch das Spiel, ich habe viele Variationen durch. Und ich kann euch sagen, dass dieses Spiel nicht frei ist von einer gewissen, universellen Wahrheit: Je mehr die Dinge sich ändern, desto mehr bleiben sie gleich. Aber wie gesagt, ich bin hier bewusst fies, denn wenn man ein Rollenspiel innerhalb eines Jahres drei Mal mit Genuss durchspielen kann und immer noch neue, interessante Dinge entdeckt, dann macht es eine Menge richtig.

The Witcher 2 - Xbox-360-Trailer

Um das Kapitel mit den Neuerungen abzuschließen, noch ein paar Worte zum Multiplayer. Ok, das Wort ist wirklich eine Übertreibung. Außer ein einfaches Scoreboard zählt als Multiplayer. Aber der Modus dahinter kann sich sehen lassen. Ihr tretet mit einer frischen Figur in einer Arena gegen immer stärkere Feindgruppen an. Es lassen sich Mitstreiter heuern, ihr gewinnt bessere Waffen und steigt schnell genug auf, um zügig Fertigkeiten zu erringen. Verliert ihr auch nur einziges Mal, wird der Score auf dem Leaderboard verzeichnet. Ihr könnt weiterspielen, aber viel Sinn hat das eigentlich nicht. Ich würde jetzt ja sagen, dass das so nett wie substanzlos ist, wenn meine zahlreichen Stunden und Versuche das nicht Lügen strafen würden. Es gibt Raum für immer neue Ansätze: Man kann man gucken, ob man lieber mit Magie oder doch mit dem Schwert weiter kommt, ob die KI-Kollegen das Geld wert sind und welche Sieg-Belohnungen am meisten bringen. Ein erstaunlich witziger Zeitvertreib außerhalb der großen Quest.

Es bleiben zwei Erkenntnisse:

1. Die PC-Version von The Witcher 2 ist die, die ihr spielen solltet. Sie ist schlicht schöner.

2. Habt ihr keinen PC oder wollt partout auf der 360 spielen, dann ist die Xbox 360-Fassung abgesehen von diesem Umstand absolut auf einem Nenner. Und immer noch mehr als nur hübsch genug.

An den eigentlichen großen Stärken des Witchers hat sich nichts geändert. Hier wird eine ganz große Geschichte erzählt, die sich vielfach verzweigt und euch in den kleinen und mitunter auch großen Dingen immer wieder in neue, spannende Richtungen entführt und die es wert ist, mehr als nur einmal erlebt zu werden. Ausgearbeitete Charaktere, eine unglaublich dichte Spielwelt voller Mythologie und gleichzeitig viel Panache, Drachen und Helden, es wird viel geboten. Das Kampfsystem wurde durch das halbherzige Anvisieren zwar nicht viel besser aber ehrlich gesagt schätzte ich es auch zuvor schon. Schnelle Reaktionen zählen hier mehr als furchtsames Decken, jedoch geht es auch nicht ganz ohne taktische Überlegungen und vor allem Vorbereitung. Diese ist so unendlich vielseitig, dass sie dem 360-Primus Skyrim kaum in etwas nachsteht. Alchemie, Magie und Crafting sind teilweise innovative und vor allem schlüssige Systeme, die den Spieler unterstützen und ihm viele Möglichkeiten lassen.

Mit anderen Worten: The Witcher 2 ist ein auch auf der Xbox 360 ein wundervolles, eigenständiges und bleibendes Spielerlebnis. So gut, dass es ein paar Einbußen auf der Grafik-Seite locker verschmerzen kann.

9 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

The Witcher 2: Assassins of Kings

Xbox 360, PC

Verwandte Themen
Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
Kommentare