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Risen 2: Dark Waters - Test

Spiel' ich Risen 2, dann kommt mir die Vergangenheit wie gestern vor. Dumm nur, wenn sie das Jetzt ist.

Neben den zivilisierten Orten gibt es natürlich viel Dschungel plus ein paar weitere Gefahrenzonen. Da ist beispielsweise die Insel der Toten, das, was hier einem Dungeon am ehesten nahe kommt. Gemixt mit ein wenig alter Inka-Kultur taucht ihr hier tief in die Voodoo-Unterwelt ab. Eine schöne Auflockerung gegen das viele Grün und Blau, dessen die überbordende Farbenfroheit an die Farbwahl eines Reiseprospekts gemahnt. Schade ist, dass ihr die Orte nicht im Sinne des ewigen Klassikers Pirates! ansteuern dürft. Selbst nachdem ihr etwa einem Drittel in das Spiel hinein zu einem eigenen Schiff kamt, sucht ihr lediglich auf der Karte den nächsten Ort heraus und schon seid ihr da. Gefechte zu See fallen damit flach.

Die von vielen Gothic-Fans so verachtete Mini-Karte fehlt, aber Komfort hielt trotzdem Einzug. Sobald ihr in einem neuen Gebiet zu einer Karte gekommen seid - was selten länger als eine halbe Stunde dauert -, seht ihr oft die Quest-Markierung, eure eigene Position, die des Auftraggebers und auch alle bisher besuchten Orte. Diese dürft ihr außerhalb von Kämpfen sogar jederzeit per Klick ansteuern. Angesichts von so viel modernem Komfort fragt man sich schon, ob es nicht nur konsequent gewesen wäre, dann auch die Mini-Karte mit auf den Screen zu packen...

Nur ganz wenige Questen geben euch eher vage Hinweise und verlangen vor allem viel zu wenige echte Denk- oder Rätselarbeit. Alte Regeln wie "Renn rum und quatsch mit jedem" führen in der Regel zu schnellen Erfolgen. Dazu kommen dann noch ein paar zu viele "sammle dies, töte das"-Missionen, wobei es in keiner Weise so sehr zum Laufburschen-Simulator verkommt, wie es noch beim ersten Risen der Fall war. Den korrupten Gouverneur bei Zuckerlieferungen an Piraten übers Ohr zu hauen, gehört zu den guten Dingen des Piratenlebens. Per Voodoo-Zauber Freund und Feind direkt zu übernehmen und für die eigene Sache zu steuern oder einem fiesen Piratenkapitän fast schon in Detektivmanier nachzusetzen zu den großen Augenblicken. Und dazwischen wird halt mit "Finde meine drei Kräutersäcke" gestreckt. Insgesamt sehr solide und unterhaltsam, aber leider fast knapp besetzt mit der Art von Highlight, an die man sich lange zurückerinnert.

In Sachen Benutzerkomfort wurde die Menüführung, die im ersten Risen eher ein Relikt der eigenen Vergangenheit darstellte, ein wenig aufgeräumt und vereinfacht. Und ganz offensichtlich auch schon auf den Betrieb mit Pad getrimmt, denn dessen Steuerung wird nicht nur fehlerfrei unterstützt, wie auch bei Skyrim habe ich den Verdacht, dass es sogar präferiert werden soll. Während man viele Dinge sieht, die dem Pad-Nutzer entgegenkommen - Inventar-Struktur, Logbuch -, scheinen sie für den Mausklicker eher eine Extrabewegung des Fingers zu bedeuten. Außerhalb der Menüs herrscht dann wieder Gleichberechtigung. Heilung und andere Items oder alternative Waffen werden frei und bequem auf Schnelltasten beziehungsweise ein Umschalt-Auswahlfeld gelegt und nichts hindert euch hier an der Erkundung der Inseln und Küsten.

Außer ihr befindet euch in den ersten Stunden und geratet in einen Kampf. Blocken geht mehr schlecht als recht, jedes Warzenschwein scheint mehr Beweglichkeit zu besitzen - sprichwörtlich, Warzenschweine manövrieren euch aus! - und bevor ihr nichts gelernt habt, ändert sich an dem Elend auch kaum etwas. Davorstellen und draufhacken oder wegrennen. Mehr Optionen gibt es erst einmal nicht und es spielt sich elendig. Bis ihr endlich hochlevelt.

Die Charaktersteigerung erfolgt zum einen über Erfahrungspunkte - hier Ruhm genannt, wobei ich nicht so sicher bin, warum das Köpfen eines harmlosen Truthahns einem Piraten Ruhm einbringt - und damit dann Level und Fertigkeiten. Die Level werden auf fünf Grund-Talente für Nahkampf, Feuerwaffen, Konstitution, Diebes-Dasein und Voodoo verteilt. Beispielsweise gehört "Silberzunge" - Überreden - zu den Diebesfertigkeiten. Zu Beginn habt ihr darauf fünf Punkte, fünf weitere für jeden Stufenanstieg auf Dieb. Steht in einem Gespräch die Option "Silberzunge: 45" braucht ihr so viele Punkte, um jemanden zu überreden. Ein sehr simples, sich fast schon zu schlicht anfühlendes System. Habt ihr die Punkte, gelingt es und fertig. Kein Zufallselement, aber auch keine Chance, es mit weniger Punkten trotzdem zu versuchen. Ein bisschen zu überschaubar für meinen Geschmack, aber das ist wirklich eine rein persönliche Ansicht.

Die eigentlichen Fertigkeiten, die über diese Dinge hinausgehen, lernt ihr von überall verstreuten, aber letztlich dank Log leicht auffindbaren Lehrern. Sie verbessern entweder diese Talentwerte um ein paar Punkte oder sie bringen euch etwas wirklich Neues bei. Und im Nahkampf müsst ihr dringend "Neues" lernen, wollt ihr nicht mehr und mehr verzweifeln. Ohne Lehrstunden gibt es kein Ausweichen, keine Riposte, keinen Rückschritt. Leider macht das keiner umsonst und erst in der nach dem ersten Drittel des Spiels habt ihr wirklich die Ressourcen, um in irgendetwas wenigstens halbwegs gut zu sein. Bis dahin ist "1000 Gold für ein neues Schwert" oder "1000 Gold für einen neuen Move" eine echte Überlegung, weil ihr euch nur selten beides leisten könnt.

Bezahlt ihr dann doch den Lehrer, dürft ihr euch bei einigen der Lektionen über ein gutes Maß unfreiwilligen Humors freuen. Mein persönlicher Favorit ist "Verbesserte Resistenz gegen Schussverletzungen". Lehrer: "Hey, die meisten Schussverletzungen sind doch eh nur Fleischwunden. Beiß die Zähne zusammen und durch!". Ok... Was?! Das war alles? Gib mir mein Gold zurück! Sofort!

"Das, plus die Tricks und Beweglichkeit, die eingekauft wurden, ergeben ein dynamisches Action-Kampf-System, das jedem Runden-Taktik-Liebhaber die Haare zu Berge stehen lässt."

Risen 2:Entwicklertagebuch: Kämpfe

Habt ihr das Gold für mehr Talente locker machen können, beginnen sich die Qualitäten von Risen 2 und seiner Spielmechaniken zu entfalten und auch stellenweise zu glänzen. So elegant wie der Witcher wird ein Pirat zwar nie umherhüpfen, dafür erinnert die Mischung aus Nah- und Fernkampf mit Konterattacken- und Parade anstelle des Wegrollens ein klein wenig an Fable, ohne jedoch wirklich dessen Rhythmus zu erreichen. Ihr könnt Schwert und Pistole gleichzeitig führen und abhängig von der Ladegeschwindigkeit immer mal wieder einen Schuss dazwischensetzen, der deutlich mehr Schaden verursacht als jeder Säbelhieb. Dazu kommen später Spezialisierungen wie Musketen-Schießen oder Voodoo-Magie. Beides reizvoll und eine weitere Auflockerung des Kampfes durch mehr Optionen für den Spieler. Das, plus die Tricks und Beweglichkeit, die eingekauft wurden, ergeben ein dynamisches Action-Kampf-System, das jedem Runden-Taktik-Liebhaber die Haare zu Berge stehen lässt und in Bosskämpfen sogar schon mal fast zu einem Shooter ausarten kann. Oder stellt in der ausgesprochen unbefriedigenden finalen Konfrontation fest, dass der Unterschied zwischen Kneipenschläger und Halbgott nicht so groß ist, wie man meinen sollte. Aber als Action-Rollenspiel funktioniert es nach einem Weilchen so prächtig, dass man den holprigen Start verzeihen kann. Und sogar über die Sprunganimation hinwegsieht, die wirkt, als würde jemand in der Hocke den nicht-maschinengestützten Segelflug praktizieren wollen.

Die großen Stärken von Risen liegen schließlich etwas abseits von den üblichen "Welt-Story-Kampf"-Faktoren. Es ist das Erkunden, Ausprobieren und Herausfinden, das zwar ein klein wenig durch die Quest-Markierungen marginalisiert wird, sich dann aber umso mehr in den Fertigkeiten jenseits der Waffenhandhabung zeigt. Von Alchemie über Voodoo bis hin zur Zähmung der Szenario-typischen Affen und Papageien gibt es Vieles, was man einfach mal ausprobieren möchte. Spaß am Spielen und zwar um des Spielens Willen ist etwas, das Risen 2 auszeichnet und das all diese Dinge, die ich hier ankreide, in der vielen Zeit zwischen den großen, leider doch häufiger lahmen Story-Momenten, stark relativiert.

In der Möglichkeit zur nichtlinearen und sehr freien Charaktergestaltung liegt viel Reiz und die zahlreichen Nebenbeschäftigungen hinter den eigentlichen Questen helfen ihrerseits, dieses Spiel so erfahrenswert zu machen. Die gute Benutzerführung ist ein Teil dieses Phänomens, aber letztlich ist es dieses "Ich will mein eigener Pirat sein und das Spiel lässt mich"-Gefühl, das einen als Spieler vorantreibt. Mehr noch als die Handlung will man die gegebenen Freiheiten in der Persönlichkeit-nach-Punkten-Entfaltung antesten, mit den besten Waffen experimentieren, Kampfstile finden und all das ist ein in der Praxis erstaunlich würdiger Ausgleich für die Verfehlungen, die es sonst geben mag.

"Mit der PC-Version von Risen 2 gab es praktisch keine Probleme. Die Grafik zieht ihre Schönheit letztlich mehr aus der hohen Sichtweite, einem eleganten Tiefenunschärfe-Filter und der guten Farbwahl für das Szenario."

Und es ist schön, dass die Technik dem keinen Strich durch die Rechnung macht. Mit der PC-Version von Risen 2 gab es praktisch keine Probleme. Die Grafik zieht ihre Schönheit letztlich mehr aus der hohen Sichtweite, einem eleganten Tiefenunschärfe-Filter und der guten Farbwahl für das Szenario - wer mag nicht sattes Dschungelgrün, mit strahlend blauem Himmel, Tropensturm oder Sternennacht? - als echter technischer Meisterleistung. Wirft Witcher 2 gerade in der Enhanced Version nur so technischen Spielereien um sich, die auch die stärkste Hardware in die Knie zwingen können, gibt sich Risen 2 ziemlich bieder, aber eben auch genügsam. Mein privater i5 mit einer sicher nicht mehr ganz zeitgemäßen 6850er Radeon-Karte regelte lediglich das Anisotrope Filtern von 16- auf 4-fach herunter. Alles andere, seien es Schatten, V-Sync oder sonst was lag auf Maximum und lief ohne jedes sichtbare Ruckeln. Der Unterschied, den ein Versuch auf High-End-Hardware brachte, war so minimal, dass ich mich jetzt nicht festlegen wollen würde, was es eigentlich war.

Diese Ressourcen-Sparsamkeit sieht man in den Modellen und den Details der Welt. Simpel wäre zu hart, aber die harte Kante zum möglich Machbaren verläuft ganz sicher auch woanders. Ich persönlich empfinde das Spiel als "sehr stimmig", wenn ich es mit einem Attribut belegen müsste, weil eben die Gesamtkomposition stimmt. Ich laufe gerne durch diese farbenfrohe Fantasy-Karibik und sei es Tag oder Nacht, die Stimmung wird einfach gut eingefangen. Dafür verzichte ich gerne auf die letzten technischen Details, die derzeit möglich sind. Zumindest so lange, bis Witcher 2 einen daran erinnert, wie sehr sie die Atmosphäre aufwerten können.

Eine abschließende positive Nachricht kommt aus dem Bug-Lager. Während des Tests stürzte das Spiel kein einziges Mal ab und es gab nur einen einsamen Quest-Bug, der durch Laden eines vorigen Spielstandes behoben werden konnte. Nur ein optischer Effekt sorgte stets dafür, dass ich mich auf den Wegen durch üppige Vegetation fragte, ob ich nicht zu viel des guten Port in mir hatte. Die Büsche, Bäume und Ranken skalieren auf eine ganz merkwürdige Art und scheinen beim Näherkommen massiv zu wachsen, anstatt einfach nur eben näher heranzukommen. Es hat es etwas Befremdliches, aber auch irgendwie Schönes. Seltsame Bugbeschreibung, ich weiß.

Risen 2: Deutscher Trailer

Risen 2 ist altmodisch, teilweise rückständig und auf einem Niveau, das vor 10 Jahren zu Recht gelobt wurde, nur hat sich die Welt seitdem halt ein gutes Stück weitergedreht. Noch dazu gehört es zu den Spielen, bei denen ich mich seitenweise über tausend Details ärgern und auslassen kann. Und trotzdem ist es ein Spiel, bei dem ich die gespielte Zeit in keiner Weise bereue, weil ich durchweg einfach sehr viel Spaß damit hatte.

Sicher, der Kampf ist statischer als es bei einem Action-Rollenspiel heutzutage sein sollte, die Geschichte ist so banal wie die Charaktere persönlichkeitsbefreite Abziehbilder sind. Aber die Atmosphäre der idealisierten Karibik, mit all ihren schon fast Bruckheimer-Disney-artigen Anleihen, zieht einen nach den dunklen Momenten des Spieldesigns stets sofort wieder zurück in den Bann und man kann auch nur schwer gegen dieses Piranha-Bytes-Flair ankämpfen. Hier noch eine Quest gelöst, da noch einen Schatz ausgegraben, dort noch irgendjemandem mit einem seiner kleinen Problemchen ausgeholfen. Es gibt immer etwas zu tun und das allermeiste davon ist wirklich unterhaltsamstes Wander-Rollenspiel in einer schlicht schönen und stimmigen Umgebung. Man kann einen regnerischen Tag kaum sonniger verbringen als in Risen 2.

Ich bin altmodisch mit meinem Rollenspielen - siehe Grimrock - und ich mag diesen manchmal naiven, manchmal stupiden, stets braven deutschen Stil in diesem Spiel, so wie ich ihn zum Beispiel auch in einem Drakensang schätze. Risen 2 bedient diesen Geschmack perfekt und das trotz aller seiner Macken. Es ist keine echte Konkurrenz für Wichter 2 oder Skyrim. Aber es bietet genug eigenen Charme, um in seiner Nische mit Bravour zu bestehen.

8 / 10

In unserer Test-Philosophie findest du mehr darüber, wie wir testen.

In diesem artikel

Risen 2: Dark Waters

PS3, Xbox 360, PC

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Martin Woger

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Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.

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