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Wizardry Online - wenn Nostalgie weh tut

Großer Name, viele Versprechungen, offene Beta - eine herbe Enttäuschung.

Mein Ausflug in die offene Beta von Wizardry Online war eine Achterbahnfahrt - und keine von der guten Sorte. Hier stimmt einiges nicht. Der Look wirkt altbacken statt retro. Das Interface ist grausig. Nicht komplex, sondern einfach nur schlecht. Ich glaube, dass SOE Wizardry Online nur deswegen als "harten Brocken" vermarktet, um im Nachhinein die diversen Designfehler zu kaschieren.

Um das klarzustellen. Ich würde nicht wollen, dass man ein Wizardry unnötig simplifiziert. Schließlich ist die Reihe mit über 30 Jahren eines der ältesten Spiele-Franchises überhaupt und hat vielen RPG- und MMO-Meisterwerken den Weg bereitet. Da darf es ruhig etwas komplexer zur Sache gehen. Und was den Schwierigkeitsgrad betrifft: Lasst die Monster los! Gegen einen knackigen Dungeon-Crawler hab ich nie etwas einzuwenden.

Doch die Free-to-play-MMO-Umsetzung durch das japanische Studio Gamepot enttäuscht von der ersten Beta-Minute an. Ob man den typisch asiatischen Stil mag, muss jeder für sich entscheiden. Doch wie kann man ein Wizardry mit einer derart grottigen Engine verkrüppeln? Das Interface ist hässlich, die Optik unterdurchschnittlich, gespickt mit Clipping-Fehlern und falsch platzierten Gegenständen an eurem Charakter (einmal schwebte mein Schild einen halben Meter neben meinem Arm).

Friss meinen Feuerball, Zombie!

Wobei man den dominanten Braun- und Grautönen in der Hafenstadt Illfalo und den Dungeons eine gewisse Authentizität nicht absprechen kann. Ich fand die Verließe sogar recht stimmungsvoll und auf eine altmodische Art gruselig, mit ihren dunklen Ecken, dem Nebel und den Unschärfe-Effekten. Trotzdem: Es ist eine Schande, dass man die Fans eines solchen RPG-Urgesteins mit dieser Grafik abspeist. Dass manche Spieler und Feinde von der Engine nur als leuchtende Wolken dargestellt werden, weil der Server offenbar nicht hinterherkommt, ist entweder der Beta geschuldet oder deutet auf ernste Performance-Probleme hin.

Und dann die mickrigen Optionen im Charakter-Editor. Fünf Rassen (Mensch, Elf, Zwerg, Gnom, Porkul), vier Klassen (Krieger, Dieb, Priester, Magier). Mehr gibt's nicht. Nach modernen Standards sehr dürftig und natürlich kein Vergleich zu Wizardry 8 mit seinen Dutzenden Völkern, Klassen und Statuswerten. Wenigstens werden die Bonuspunkte standesgemäß ausgewürfelt und es gibt noch die Gesinnungen "Rechtschaffen", "Neutral" und "Chaotisch". Trotzdem: mangelhaft.

Wenn Designmängel zum Feature werden

Ganz zu schweigen von jenen "Designentscheidungen", die jetzt euphemistisch als "Hardcore-Gameplay" angepriesen werden. Das fängt bei Zwischensequenzen mit Kriechtext an, die ich zwar abbrechen aber nicht beschleunigen kann. Oder die Tatsache, dass Steuerung, Kameraperspektive und Kampfsystem nicht so recht aufeinander abgestimmt zu sein scheinen. Ich fand es ziemlich frickelig, während der Kämpfe gleichzeitig dem Feind auszuweichen, die Kamera zu drehen und irgendwie noch ein paar Treffer zu landen. Zwar ist es möglich, ein Ziel aufzuschalten, doch macht das die Angelegenheit bisweilen sogar komplizierter, da sich dann mein Charakter automatisch in Richtung des anvisierten Feindes ausrichtet und sich dadurch nochmals anders steuert.

Der Spielfluss wird laufend unterbrochen, da jede Aktion mit Tastendruck und zig Bildschirmtexten bestätigt und kommentiert wird. Zum Beispiel wenn ich einen Haufen Schrott nach einer Schraube durchsuche. Zuerst lese ich, was mein Charakter gerade tut (als ob ich das nicht selbst sehen würde). Dann ploppt ein Text mit der Info auf, dass mein Charakter beim Wühlen etwas gefunden hat. Dann werde ich gefragt, ob ich es aufheben will. Dann bekomme ich gesagt, dass ich eine Schraube aufgehoben habe. In der Zwischenzeit klicke ich wie ein Berserker, um die Angelegenheit wenigstens ein bisschen abzukürzen, bevor die gerade gemetzelten Monster respawnen.

Tod oder Leben - wenn ihr Pech habt, ist der Exitus endgültig.

Die Idee, dass ich zum Öffnen einiger Durchgänge meine Waffe wegstecken, den Türgriff in die Hand nehmen und aktiv daran ziehen muss, ist auch nur die ersten paar Male lustig. Irgendwann wird das lästig. Auf der anderen Seite gibt es die für Wizardry typischen Fallen, die ich mit den richtigen Fähigkeiten entschärfen und Schlösser, die ich knacken kann. Manchmal kommt außerdem durch versteckte Flammenwerfer, Selbstschussanlagen, Gasfallen oder herabstürzende Felsen richtig Spannung auf.

Andere Spielmechaniken wurden auf dem Stand von Anno-Dazumal belassen. Vielleicht sogar mit Absicht. Jedenfalls möchte ich glauben, dass die Entwickler hier tatsächlich nostalgische Rollenspieler im Blick hatten. Lebens- und Manapunkte regenerieren sich zum Beispiel nicht von allein, dafür braucht es Tränke, Zauber, Brunnen oder Gasthäuser. Gegenstände verlieren konstant an Haltbarkeit und müssen repariert werden. Sprinten darf ich nur, solange ich meine Waffen weggesteckt lasse. Geradezu mutig ist, dass ich mit einer vollen Erfahrungsleiste erst zu einem Gasthaus oder Brunnen pilgern muss, um meine Charakterstufe zu erhöhen.

Gevatter Tod sollte man als Geist meiden, sonst wird die Wiederbelebung unwahrscheinlich.

Recht speziell ist auch die Aufmachung der Verließe. In den Abwasserkanälen von Caligrase läuft man zum Beispiel mehrfach gegen eine undurchdringliche Nebelwand und erfährt an der benachbarten Drachenstatue, dass man erst ein paar Schalter umlegen oder Gegenstände einsammeln muss, um fortzufahren. Hat man die Aufgabe erfüllt, wird man von der Statue in eine geschlossene Instanz teleportiert, in der man ein paar Feinde oder Bosse beseitigt. Erst danach darf man tiefer in den Dungeon.

Die Respawn-Raten der Monster sind skandalös hoch, wobei das natürlich der Tatsache geschuldet ist, dass man sich die Dungeons mit anderen Spielern des selben "Channels" teilt - Killstealing inklusive. Außerdem ist die KI der feinde lausig und man kann sich leicht hinter ihrem Rücken vorbei schleichen. Und dann gibt es natürlich noch Tod und Wiedergeburt. Damit einher gehen Permadeath und ein Seelen-System, das besonders intensiv vermarktet wird. Klingt auch zunächst heftig, ist aber in der Praxis nur selten gefährlich.

Man stirbt nur zweimal - fast

Wenn ich das Zeitliche segne, muss ich als Geist zu einer Wächterstatue laufen. Dort wird dann ermittelt, ob ich ohne Strafe auferstehen kann oder ob die Wiederbelebung schief geht und mein Charakter den Asche-Status erhält (was nach 12 Stunden übrigens automatisch passiert, wenn ich die Statue nicht benutze). Stirbt er dann nochmals, ist er für immer futsch und kann nicht mehr wiederbelebt werden. Um das zu verhindern, darf ich Gegenstände und Gold opfern - wodurch man dem Exitus meistens ein Schnippchen schlägt. Ein endgültig abgetretener Charakter bedeutet sowieso nicht das Ende eures Abenteuers, denn er teilt sich eine Seele mit drei bis fünf anderen Charakteren (drei Slots sind gratis, zwei weitere kosten Bares). Das funktioniert wie ein Nachname mit Mehrwert. Die Story-Quests und eine gemeinsame Schatztruhe teilen sich alle Charaktere mit der gleichen Seele, die sich zudem aufwerten lässt und zusätzliche Fähigkeiten gewährt. Darüber hinaus hängt vom Seelen-Level eure Maximalstufe ab. Auf Seelen-Rang eins könnt ihr eure Helden auf Stufe sieben aufwerten.

Wo kommen nur all diese Kinski-Klone her?

Doch zurück zum Wiederbelebungs-System. Als Anfänger mit Welpenschutz braucht ihr euch noch keine Sorgen zu machen. Wiederbeleben klappt da immer. Später kann das ein teurer Spaß werden, doch auch hier ist der endgültige Tod selten. Schon der Weg von eurer Leiche zur Wächterstatue ist gefährlich. Unterwegs könnt ihr dem Sensenmann über den Weg laufen, der hier 'Wanderer' heißt. Das erinnert ein bisschen an Slender - man biegt um eine Ecke und sieht den Schnitter in der Ferne. Plötzlich steht er neben einem und schwingt die Sense. Buh! Dummerweise teleportiert euch das zurück zu eurer Leiche und verschlechtert die Chancen auf eine erfolgreiche Wiederbelebung. Praktischerweise können aber auch andere Spieler euren Körper aufsammeln und zu einem Tempel bringen, wo ihr sicher wiederbelebt werdet. Freilich sind nicht alle Zeitgenossen so ehrlich und hilfsbereit - manche wollen euch nur plündern.

Das ist ein weiterer Aspekt, der Wizardry Online zu einer Herausforderung machen soll: Playerkilling ist erlaubt. Jederzeit. Inklusive potenziellem Permadeath. Allerdings geht das mit einem Verbrechens-System einher, das euch zu Vogelfreien macht, sobald ihr genug auf dem Kerbholz habt - andere Spieler oder NPCs zu töten und zu plündern geht somit nicht lange gut und die Wachen nehmen euch aufs Korn. Außerdem können gemeuchelte Zeitgenossen Kopfgelder auf euch aussetzen.

Sogar das Öffnen von Türen wird euch schwerer gemacht als nötig.

Wäre Wizardry Online ein State-of-the-Art-MMO, das mit keckem Augenzwinkern in Richtung der Nostalgiker einige der oben erwähnten Mechanismen mitbringt, ich hätte meine Freude daran. Zum jetzigen Stand der Beta wirkt es leider eher wie ein zusammengeschustertes MMO unter Durchschnitt, dessen Existenz SOE irgendwie zu rechtfertigen versucht, indem man den Leuten einen besonders hohen Schwierigkeitsgrad vorgaukelt. Sobald ich mich jedoch mit den Unzulänglichkeiten des Interface arrangiert habe, bleibt vom "Hardcore-Gameplay" nicht mehr viel übrig.

Am Mittwoch wurde der Release kurzfristig auf den 30. Januar verschoben, weil man nach der Beta noch einige Probleme auszubügeln habe. Ich bezweifle allerdings ehrlich, dass Gamepot und Sony binnen zwei Wochen aus Wizardry Online ein Spiel drechseln können, das seinem großen Namen gerecht wird.

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Über den Autor
Frank Erik Walter Avatar

Frank Erik Walter

Freier Redakteur

Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.
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