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Im Osten nichts Neues

Ein Blick in die japanische Spielentwicklung und Probleme der Industrie.

Im vergangenen Jahr fand am 31. August in Tokyo eine Eröffnungsfeier zum 25. Final Fantasy Jubiläum statt, bei der Tetsuya Nomura eine Illustration des Hauptcharakters von Final Fantasy XIII Versus zeigte. Darauf zu lesen: Die Worte"Bitte wartet auf sein Erscheinen". Der Titel befindet sich mittlerweile in seinem achten Entwicklungsjahr und Director Nomura muss die Fans immer wieder darauf aufmerksam machen, dass es noch existiert und irgendwann herauskommen wird.

"Das gesamte Team hat große Ambitionen und sehr hohe Anforderungen an das Spiel, die nur schwer erreicht werden können", hieß es noch im Oktober. Diese Aussage mag zwar schnell nach einer billigen Ausrede klingen, doch muss man sich vor Augen halten, dass es sich hierbei um ein japanisches Studio handelt und Versus XIII eine längere Entwicklungszeit, als jedes andere Final Fantasy zuvor.

Andere Länder, andere Sitten

"Ich denke, japanische Firmen haben die generelle Einstellung, dass Dinge genau auf eine bestimmte Weise geschehen müssen und dass ein Spiel nicht fertig ist, bis es diesen Weg vollendet hat. Niemand hört mit der Arbeit auf, bis es fertig ist. Du brauchst diesen Level an Hingabe bei so großen Projekten einfach", erklärt Jared Hays, der seit 2011 bei Good Feel als Programmierer arbeitet. Seiner Meinung nach brauchen sich Fans keine Sorgen machen. Tetsuya Nomura und sein Team möchten nur sicherstellen, dass Final Fantasy Versus XIII genau ihren Vorstellungen entspricht. "Es gehört zu den Eigenarten dieses Landes, die im Westen manchmal anders erfasst werden können, wenn man es mit westlichen Beispielen vergleicht."

Eigentlich sollen die Versus XIII nur fertigstellen, damit endlich an Kingdom Hearts 3 gearbeitet werden kann.

Auch Hays musste sich zunächst ein wenig umstellen, als er seinen Job in Japan antrat. "Ich hatte erwartet, überrascht zu werden und in diesem Sinne wurden meine Erwartungen auch bestätigt. Es gab viele kulturelle Unterschiede, an die ich mich gewöhnen musste. Sowohl im täglichen Leben als auch im beruflichen Alltag."

Zu diesen gehöre vor allem die Tatsache, dass viele Japaner nur ungern ihre eigene Meinung äußern, was besonders im Beruf ungewöhnliche Folgen haben kann. "Eine der schwersten Sachen, an die ich mich gewöhnen musste, ist, dass Japaner in der Regel nicht sehr leicht ihre eigene Meinung wiedergeben. Besonders in einer Arbeitsumgebung existiert ein starker Gedanke, dass man Dinge nicht zu sehr ins Schwanken bringen sollte. Ich persönlich unterliege nicht einem solchen Denken und spreche offener als meine Mitarbeiter. Manchmal wirkt es gegen mich und andere Male hilft es."

Besonders in großen Firmen herrscht in Japan ein strikt vertikaler Aufbau. Kommunikation findet dadurch nur mit der nächsthöheren Ebene statt. Abteilungen auf der gleichen Ebene kommunizieren meist nicht miteinander und es wird als generelles Verhalten angesehen, dass man die Arbeiten aus anderen Bereichen nicht öffentlich anspricht. Selbst wenn man Fehler oder Probleme des aktuellen Projekts erkennen sollte.

Abteilungen auf der gleichen Ebene kommunizieren meist nicht miteinander und es wird als generelles Verhalten angesehen, dass man die Arbeiten aus anderen Bereichen nicht öffentlich anspricht.

Solche grotesken Animationen zum Beispiel.

"Es gab einen Zeitpunkt in der Entwicklung, an dem es um die Implementierung eines zentralen Spielelements ging und es verlief alles ziemlich gut", erzählt Hays. "Doch es gab eine Sache, die mich wirklich störte, seitdem ich zum ersten Mal davon hörte. Es erschien mir ziemlich offensichtlich und es wunderte mich, dass niemand anderes das Problem ansprach. Also erklärte ich den Fehler, auch wenn es nicht wirklich zu meinem Aufgabenbereich zählte. Und sofort sagte jemand, dass es ihn ebenfalls schön länger störte. Es war ein ziemlich großes Problem in einer ansonsten wunderbaren Idee, und sobald ich es erwähnte, arbeitete das Team an einer Lösung. Aber ich frage mich wirklich, was passiert wäre, hätte ich das Problem nicht angesprochen."

Frustration am Arbeitsplatz

Wie es allerdings schnell zu persönlichen Problemen und einem gestörten Arbeitsumfeld kommen kann, verdeutlicht ein weiterer Entwickler, der nicht mit seinem echten Namen erwähnt werden möchte. Wir nennen ihn deswegen John. "In den letzten Jahren habe ich bei mehreren japanischen Firmen gearbeitet. In einer davon hatte ich erst zuletzt eine meiner schlimmsten Erfahrungen", sagt er und setzt zu einer kurzen Pause an. "Es ging um einen Level, an dem ich die letzten Wochen gearbeitet hatte. Meine direkten Kollegen kamen öfters vorbei und sahen sich meine Arbeit an. Jeder war über die Ideen erstaunt, die ich hineingesteckt hatte, was natürlich eine nette Motivation war und mich noch härter arbeiten ließ."

Leider hatte sein Projektleiter nicht die gleiche Auffassung, als John stolz seine Kreation bei einer Präsentation vorstellte. "Es war zum Kotzen.", sagt er wütend. "Er konnte mit meinen Ideen nichts anfangen, da sie nicht in sein bisheriges Konzept passten. Ich sagte ihm, dass alle Mitarbeiter es auch gut fanden, und bat sie darum, ihm ihre Meinungen zu erklären. Dieses Mal blieben sie still. Keiner wollte seinem Vorgesetzten widersprechen, der zuvor deutlich machte, dass es ihm nicht gefällt. Die kommende Woche habe ich aus Frust mit keinem geredet, während ich die Änderungswünsche umsetzte."

Ein Grund für lange Entwicklungszeiten sind zum Teil auch die viel zu langen und unnötig häufigen Meetings, die für jedes einzelne Element abgehalten werden.

Ganz so schlimm ist es dann doch nicht.

Ebenfalls zu Konflikten könne es während Konferenzen kommen, wenn zu lange über unwichtige Dinge diskutiert wird. "Ein Grund für lange Entwicklungszeiten sind zum Teil auch die viel zu langen und unnötig häufigen Meetings, die für jedes einzelne Element abgehalten werden", erklärt John und schüttelt den Kopf. "Ich kann mich noch genau an ein Treffen erinnern, bei dem es um die Farbe eines Schals ging. Dieser Schal war für das Spiel komplett unwichtig und nur ein Accessoire eines Charakters. Die Konferenz hat unglaubliche drei Stunden gedauert", sagt er und seufzt. "Ich respektiere den Perfektionismus der Japaner, aber manchmal treiben sie es schlicht zu weit."

Dass es jedoch nicht bei allen Firmen so zugeht, bestätigt Hays. "Jedes Meeting, an dem ich teilnehme, dauert direkt 50 Prozent länger, weil ich so viel rede. Ansonsten kann ich eine Überstrapazierung der Zeiten nicht bestätigen. Aber es gibt definitiv einige Personen in höheren Positionen, die einen ganzen Tag lang nur von einer Konferenz zur nächsten eilen."

Ein ehemaliger Trendsetter auf Talfahrt

Viele Personen beklagen derweil einen Abstieg der japanischen Spiele-Industrie, deren Einfluss auf den internationalen Markt lange nicht mehr so groß ist, wie es vor allem in den 90er Jahren noch war, als Final Fantasy VII die Welt ins Staunen versetzte. Diesen traurigen Trend bemerkte man ebenfalls auf der letzten Tokyo Game Show vergangenen Sommer, die eindeutig von Fortsetzungen und Mobile-Titeln dominiert wurde. Hays hatte bei seinem Besuch einen ähnlichen Eindruck. "Um ehrlich zu sein, war ich von der diesjährigen TGS ebenfalls enttäuscht. Ich habe mehr Zeit damit verbracht, nach Games zu suchen, die mich interessieren als mit dem eigentlichen Spielen."

Für ihn liegt das Problem klar an einem risikoaversen Verhalten vieler Japaner. Betrachtet man die Liste aller Veröffentlichungen in den kommenden Monaten, findet man darunter fast ausschließlich Nachfolger bekannter Serien, die teilweise ihren fünften oder sechsten Ableger erhalten. "Japanische Firmen gehen zu sehr auf Nummer sicher. Japan mag mehr vom Gleichen mit schönerer Grafik noch mehr als der Westen, weswegen Franchises wie Monster Hunter, Pokemon, Dragon Quest und Mario immer so hohe Verkaufszahlen erreichen."

Betrachtet man die Liste aller Veröffentlichungen in den kommenden Monaten, findet man darunter fast ausschließlich Nachfolger bekannter Serien.

Und jede zweite Woche erscheint ein neues Dynasty Warriors.

"Es hängt viel mit der Kultur zusammen. Nostalgie und Gewohnheit spielen einen wesentlich höheren Faktor in Japan. Vor 20 bis 30 Jahren waren die Titel für den Westen neu und aufregend. Heutzutage sind sie einfach nur alt. Nicht so in Japan", erklärt Hays. "Bekannte Spiele verkaufen sich hier und keine Menge an Innovationen kann die Leute davon abhalten, sich das nächste Monster Hunter zu wünschen. Aber es gibt dennoch genügend Spielraum für alte Serien, sich zu entwickeln. Manche Firmen haben es versucht und es funktioniert nicht immer, aber es ist die Natur jeder Industrie. Durch Angst hervorgerufene Stagnation macht es nur schlimmer."

Ein deutlicher Trend der letzten Jahre ist eine Fokussierung auf den Handheld-Markt. Viele große Serien wechseln komplett auf mobile Plattformen über. Dragon Quest oder Kingdom Hearts erscheinen fast ausschließlich auf Nintendos oder Sonys portablen Geräten. Viele der bekanntesten Franchises der letzten Jahre mit einer massiven Anzahl an erfolgreichen Ablegern wie Professor Layton oder Phoenix Wright werden komplett für diese Systeme entwickelt. Der Fokus verschob sich im letzten Jahrzent deutlich fort von großen Triple-A-Titeln, die bis auf wenige Ausnahmen, wie Final Fantasy oder Resident Evil, zu große finanzielle Risiken bedeuten.

"Es ist manchmal schon ein wenig traurig", gesteht John unterdessen. "Während die Leute hier jedes neue Monster Hunter oder Dragon Quest verschlingen, kämpfen innovative Entwickler um den Erfolg. Clover Studio sind dafür das beste Beispiel. Sie haben ein Meisterwerk nach dem anderen produziert und mussten wegen schlechter Verkaufszahlen geschlossen werden. Selbst in ihrer neuen Form (Platinum Games) hatten sie bisher keinen richtigen kommerziellen Durchbruch."

Während die Leute hier jedes neue Monster Hunter oder Dragon Quest verschlingen, kämpfen innovative Entwickler um den Erfolg. Clover Studio sind dafür das beste Beispiel.

This is why we can't have nice things.

Auch wenn Titel wie Okami oder God Hand in höchsten Tönen gelobt wurden, stellten sie sich als Ladenhüter heraus, während ein neues Dynasty Warriors ohne erkennbare Verbesserungen die Verkaufslisten anführt. Viele Leute kritisieren Square Enix gerne für ihre Veränderungen an Final Fantasy, jedoch sieht man ihre Entscheidungen vor diesem Hintergrund zumindest ein bisschen mit anderen Augen. "Am meisten freue ich mich dieses Jahr auf Lightning Returns", sagt Hays. "Ich freue mich wirklich, zu sehen, wie Square Enix die Serie weiterentwickelt. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die sie in neue Innovationen stecken, selbst wenn es nicht immer funktioniert."

Hoffnung in unerwarteter Form

Eine Sache, die sicherlich auch Capcom mit dem letzten Resident Evil versuchte. Leider konnte man sich dort auf keine feste Richtung konzentrieren und arbeitete mit der Vorstellung, jede Zielgruppe zufriedenstellen zu können. Letztendlich führte dies zu einer mittelschweren Katastrophe, die trotz 4.8 Millionen verkaufter Einheiten für den Software-Riesen einen Fehlschlag darstellt. Ebenso verwundert war Capcom aber sichtlich über den Erfolg von Dragon's Dogma.

Aber nicht nur der Publisher selbst war von den Verkäufen überrascht. "Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass Dragon's Dogma so gut ankommt", sagt John. "Aber besser hätte es nicht sein können. Es beweist, dass die Spieler nicht nur stupide Action und den immer gleichen Brei vorgekaut bekommen wollen. Sie verlangen ehrliche Erfahrungen wie Dragon's Dogma, die stolz die eigenen Fehler tragen und sich gegen den Strom stellen. Und es hat es keine 600 Mann oder ein aufgeblasenes Budget benötigt. Wir brauchen mehr Spiele wie Dragon's Dogma. Japan braucht mehr Dragon's Dogma."

Wie die Zukunft für die japanische Industrie aussieht, ist schwer einzuschätzen. Neben einer größeren Fokussierung auf den Mobil-Markt kann man sich nur sicher sein, dass alte Marken weiterhin in neuen Formen erscheinen. Der Rest bleibt erst einmal ungewiss. Nur wie die optimale Richtung aussehen sollte, davon hat zumindest Hays eine genaue Vorstellung.

"Große Budgets und lange Entwicklungszeiten der aktuellen Generation sind ein Segen und Fluch zugleich. Sie lassen uns wunderbare Spiele entwickeln aber bergen auch große Risiken. Und Japan mag keine Risiken. Daher denke ich, wäre ein Indie-Boom das beste, was dem Land passieren könnte. Neue Firmen mit frischen Ideen. Einige werden erfolgreich sein, manche werden scheitern. Beides sind Fakten, die nötig sind, damit Spiele sich weiterentwickeln können. Es reicht nicht bloß der Gedanke, dass Japan neue Spielideen braucht, sie müssen auch versuchen, diese zu realisieren."

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Björn Balg

Freier Redakteur

Freier Autor und wahrscheinlich der letzte Mensch ohne einen Facebook-Account. Liebt Trash und verbringt zu viel Zeit mit dem Ansehen von Katzenvideos.
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