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Saints Row 4 – Warum jedes Spiel eine Dubstep-Kanone haben sollte

Und wieso ein Monat Sicherheitsabstand zu GTA5 genug ist.

Ein bisschen enttäuscht war ich ja schon, als mir mit Jim Boon, dem Senior Producer von Saints Row 4, ein gemütlich-kuschelbäriger Zeitgenosse die Hand schüttelt. Ich hatte nach der Präsentation des neuen Open-World-Titels eigentlich einen Klebstoff-schnüffelnden 50-Kilo-Hungerhaken mit ADHS erwartet, der nur in Ausnahmefällen mit beiden Augen gleichzeitig blinzelt. Klingt nicht nach dem blumigsten aller Komplimente, zugegeben. Aber der mit breiter Brust zur Schau getragene Wahnsinn des größten Titels aus dem THQ-Nachlass malt vor meinem inneren Auge halt seltsame Bilder seiner Erfinder.

Woran das wiederum liegt? Au weia. Wo soll man bei einem Spiel anfangen, das es als einzige logische Konsequenz aus dem letzten Teil ansieht, den Anführer der populären Saints-Gang zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu machen? Im Vergleich zu den Vorgängern ist Volition in dieser Hinsicht sogar noch beinahe auf dem Teppich geblieben. Es ist zwar ein wenig Ehrfurcht gebietender, in voller Uncle-Sam-Montur arglosen Passanten von hinten zwischen die Beine zu greifen und nach Art eines bitterbösen Tom-und-Jerry-Cartoons so feste zu ziehen, dass das Opfer einen Salto vorwärts macht. Aber gedanklich ist das in Wirklichkeit nicht so weit entfernt von der Steelport-weit grassierenden totalen Manie des ausnehmend guten dritten Teils.

Lösungsmittel sind eine höllische Droge

Wirklich bekloppt - oder spürbar bekloppter als zuvor - wird es erst, als das neue Amt des Saints-Oberhauptes bei Aliens Begehrlichkeiten weckt. Und so wird der Spieler-Avatar in eine verdrehte, virtuelle Version Steelports transportiert, in der es keine Saints gibt und in der nach den Regeln der außerirdischen Aggressoren gespielt wird. Der Plan? Na klar, den Willen des Anführers der Menschen zu brechen. Ob das die Stelle ist, an der der Präsident seine an Prototype 2 angelehnten Superkräfte erhielt? Ich weiß es noch nicht zu sagen. Auf jeden Fall sind sie drin und es ist eine Riesen-Freude, dem Vorspieler zuzusehen, wie er mit 90 Meilen pro Stunde durch die flüssig über den PC-Bildschirm flutschenden Straßen fegt.

Gedanklich ist Saints Row 4 in Wirklichkeit nicht so weit entfernt von der Steelport-weit grassierenden totalen Manie des ausnehmend guten dritten Teils.

Vereist ihr Gegner und Fahrzeuge zu solide gefrorenen Blöcken, schlittern sie anschließend physikalisch korrekt über den Beton.

Scott Philips, Design-Director von Saints Row 4, der neben Boon ebenfalls auf Deep Silvers Event in London vor Ort ist und ebenfalls beruhigend normal aussieht, streitet Parallelen zu Spielen wie obengenanntem Superhelden-Gemetzel aber auch gar nicht ab. "[Realtime Worlds' indizierter Titel], inFamous und Prototype 2 haben wir uns definitiv angesehen, geschaut, was sie richtig machen und was falsch. Wenn du sie mit uns vergleichst, siehst du, dass wir uns im Grunde herausgepickten, was wir für die besten Ideen hielten. Die haben wir dann in unserem Stil implementiert und stark verbessert", meint er. Den großen Unterscheider sieht er dabei in der serientypischen Albernheit. "Wir haben das auch um eine gute Portion Humor ergänzt. Es gibt in unserem Spiel Superkräfte, die definitiv anders sind, als die anderer Spiele. Wir frischen sie auf und ergänzen sie um etwas, das kein anderes der Spiele mit Superkräften hat."

Bisher sieht das Springen von Straßenlevel auf Hochhaus-Dächer trotzdem nach einer Reihe anderer Titel aus - wenngleich ich direkt den Controller in die Hand nehmen wollte, um das Wechselspiel aus The-Flash-Vollsprint, Raketensprung und ewigem Gleitflug auszuprobieren. Es sieht unmissverständlich nach der Sorte Spaß aus, der auf dem grundlegendsten aller Interaktions-Level schon sehr erfüllend daherkommt. So sehr die "Es-ist-alles-nur-eine-Simulation/ ein-Traum"-Ausrede bei Unterhaltungsprodukten, die sich fester auf ihre Handlung stützen, eine Beleidigung für jeden denkenden Konsumenten ist, so erlaubt die unreale Spielumgebung Volition doch, die Aktivitäten des Spielers auf die Spitze zu treiben.

Break Beats, die Beine brechen

Großer Favorit aller Anwesenden Redakteure: die Dubstep-Kanone. Drückt der Präsident ab, ertönt zirpender, loopender und droppender Elektro-Krach zu dem alle umstehenden Zivilisten und Gegner zu tanzen beginnen, Fahrzeuge und Passanten zum pumpenden Beat verpixeln. Die Zeit macht Sätze vor und zurück, während alle Welt dazu passend "den Roboter macht" oder wie Schaufensterpuppen kurz umfällt, um zu einem Rückwärts-Sample auf einmal wieder auf den Beinen zu stehen. Der Inflator war dagegen schon ein fast harmloses und normales Kaliber, pustete er doch lediglich den Kopf und Leib des Opfers auf, bis die Augen wie zu stramm aufgepustete Luftballone hervortraten und sich das Elend mit einem Knall buchstäblich in Luft auflöst.

Die Stadt Steelport geht aufgrund der neuen Fähigkeiten des Saints-Anführers noch mehr in die Vertikale.

Einen kleinen Teil des Spiels soll man unterdessen in der Realität absolvieren, wo dann sicher trotzdem noch Dinge wie Monster Trucks und die neuen Mech-Suits zum Tragen kommen. Auch würde es mich nicht wundern, wenn im "echten" Steelport auch die neuen Personalisierungsoptionen eine Rolle spielten. Boon demonstrierte uns vor allem einen Raketenwerfer, den man im Waffenladen per Skin-Upgrade entweder in eine Mischung aus NES-Zapper und Star-Trek-Phaser oder in einen überdimensionierten Gitarrenkoffer verwandeln konnte.

Auf den ersten Blick ziemlich imponiert hat mir die Grafik, die in vergangenen Teilen immer ein wenig fad und charakterlos wirkte. Natürlich wurde das Spiel auf dem PC demonstriert, aber ich meinte, einen deutlich Cartoon-artigeren Stil auszumachen, der dem Titel gut zu Gesicht stand. "Wir haben in diesem Bereich viel versucht. Die Basis ist immer noch ähnlich zu Saints Row 3. Aber um ein Beispiel zu geben: Dieses Mal implementieren wir ein komplettes Farb-Skript in der Welt, fast wie in einem Film, wo man durch den Einsatz der Palette verschiedene Eindrücke und Emotionen erzeugt", beschreibt Boon den Prozess in Saints Row 4. "Das Lighting macht wirklich einen enormen Unterschied, was den Look und die Abwechslung der Welt angeht. Ich bin wirklich stolz auf die Jungs".

Die von mir ausgemachte neue Stilsicherheit - gerade Gesichter und Waffenmodelle hatten in meinen Augen deutlich mehr Wiedererkennungswert - begründet er allerdings nicht allein mit den Fortschritten der Technik. "Bei Saints Row The Third haben wir viel Zeit darauf verwendet, herauszufinden, was unser Stil ist und wie wir ihn umsetzen wollten. Viele unserer Artists wurden Experten darin, allerdings wurden sie das erst zum Ende der Entwicklung", erinnert er sich. "Jedes Mal, wenn du an etwas mit einer neuen Engine arbeitest, was bei SR3 der Fall war, ist das im Grunde so. Als wir mit SR4 anfingen, waren sie bereits Experten und wussten, wie es aussehen sollte. Das Resultat siehst du glaube ich in Form der Shader für all die unterschiedlichen Materialtypen und Charaktere."

Dieses Mal hoffentlich mit besserer Fahrzeug-Steuerung.

Falls daran übrigens noch ein Zweifel bestanden haben sollte: Die durch Red Faction bekannt gewordene GeoMod-Engine, mit der sich Gebäude und Landschaft zumindest theoretisch großflächig in Schutt und Asche legen lassen, kommt auch in Teil 4 von Saints Row wieder nicht zum Einsatz. "Das ist eine Frage, die uns schon seit Saints Row 1 beschäftigt", erläutert Philips. "Das Problem ist, dass die Technik rechnerisch gesehen wirklich kostspielig ist. Ein Gebäude in GeoMod ist vermutlich aufwendiger zu rechnen, als 20 Gebäude in Saints Row. Technisch, aber auch in Sachen Design ist das ziemlich knifflig. Was, wenn der Spieler hergeht und einfach jedes Gebäude in die Luft jagt? Das sind einige schwierige Fragen, die zu beantworten auch Red Faction: Guerrilla einige Probleme hatte."

Ob wir derartige Fight-Club-Anarchie vermissen werden, wenn der Titel am 20. August auf allen Current-Gen-Konsolen außer der Wii U erscheint, sehen wir dann. Der Sicherheitsabstand zu Grand Theft Auto 5 scheint jedenfalls gerade lang genug, um nicht zu einem Problem zu werden, immerhin könnten die Titel ja auch tonal nicht unterschiedlicher sein. Für den Anfang hätte ich mir einen deutlich schwächeren ersten Auftritt vorstellen können, als eine mit Aliens und Superkräften jenseitig absurde Steigerung eines der besten Spiele 2011. Ich musste schon beim Zugucken mehr als einmal schmunzeln, ein sicheres Zeichen, dass Volition die Häkchen hinter all den richtigen Kästchen gemacht hat. Und wer weiß? Ist das Spiel erst in aller Munde, lassen sie vielleicht auch mal die schrägen Vögel aus dem Entwickler-Keller, die Saints Row 4 tatsächlich zu verantworten haben.

In diesem artikel

Saints Row 4

PS3, Xbox 360, PC

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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