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Unterwegs als rücksichtsloser Eroberer in Expeditions: Conquistador

Wer bei seiner Expedition auf Diplomatie pfeift, lebt interessanter - aber nicht ganz so lange.

Die Nacht bricht herein über der Insel Hispaniola. Wir schreiben das Jahr des Herrn 1518. Wachen patrouillieren im Lager, das wir für die Nacht errichtet haben. Ein paar Männer sind auf der Jagd, doch die meisten meiner Leute schlafen. Nur der treue Pedro Alvarado ist noch wach und verbessert die Aufhängung unserer Karren, damit wir morgen schneller vorankommen. Pedro schläft nie - entweder arbeitet er nächtelang an seinen Entwürfen oder er kümmert sich um Verwundete. Wir haben Glück, dass ein Universalgenie wie er unsere Expedition begleitet. Auch wenn dieser aufbrausende, stolze, abenteuersüchtige Kauz einem den letzten Nerv raubt. Aber was soll ich sagen? Alle Mitglieder meiner Expedition sind Außenseiter, Menschenfeinde, Fanatiker oder moralisch verkommen - mich eingeschlossen. Da mach ich mir keine Illusionen.

Mit dem Kopf durch die Wand? Eure Antwort entscheidet.

Doktor Marisol Costales zum Beispiel. Wechselt kaum ein Wort mit Fremden und verachtet die Wilden auf Hispaniola zutiefst. Darin wird sie nur von Schwester Blanca Alegria übertroffen. Was hat die mürrische Nonne mir neulich für eine Szene gemacht, als ich einer indianischen Zauberin erlaubte, ein Reinigungsritual für einen heidnischen Tempel abzuhalten... Aber welche Alternative hätten wir gehabt? Kämpfen? Gegen eine Übermacht kampferprobter Indianer mit Blasrohren und Giftpfeilen? Ich bin vielleicht rücksichtslos, aber nicht lebensmüde.

Obwohl - meine Soldaten Alberto Echeverria, Pilar Palencia und Enrique Ruiz hätten sicher nichts gegen einen Kampf gehabt. Allesamt Draufgänger, narzisstisch bis zur Helm-Krempe und immer bereit, sich mit den Eingeborenen anzulegen. Meine Jäger Raul Carillo und Gabriela Ybarra sind da vorsichtiger. Wobei ich Gabriela nicht mehr trauen kann - erst kürzlich bediente sie sich an der Beutetruhe und wurde nur erwischt, weil sie einer der Sklaven unter Folter verriet. Seitdem putzt die Jägerin in ihrer Freizeit die Latrinen. Bleiben noch Carlos Zarraga, ein gefühlskalter, geldgeiler Pfaffe und Federico Quintero, Kundschafter erster Güte, vorwitziger Hitzkopf und offen rassistisch. Nein, auf dieser Expedition machen wir uns selten Freunde. Dafür erbeuten wir reiche Schätze. Wenigstens ein Lichtblick auf dieser unwirtlichen Insel.

Euer Avatar ist allein zu Pferde unterwegs - repräsentiert aber die gesamte Expedition.

Wir sind nicht freiwillig auf Hispaniola. Eigentlich hatten wir nur angelegt, um neue Vorräte zu kaufen, als der impertinente Gouverneur Bernardino de Manzanedo unser Schiff konfiszieren ließ. Seitdem hetzt er mich und meine Leute auf Eingeborene und Rebellen wie ein Rudel Hunde. Seit einem Monat ziehen wir über die Insel, transportieren Bibeln in Außenposten, jagen Räuber, schlagen Aufstände nieder, beschaffen Schmuckstücke und müssen alle Nase lang mit gierigen Händlern um Vorräte, Ausrüstung und Medizin feilschen. De Manzanedo beruft sich auf die spanische Krone - in Wirklichkeit ist er ein unfähiger Widerling, der andere seine Drecksarbeit erledigen lässt. Wird Zeit, dass wir von dieser verfluchten Insel kommen und nach Mexiko weiterziehen.

Ich will mich gerade aufs Ohr legen, da stürmt Raul Carillo in mein Zelt: "Capitan! Die Sklaven haben sich gegen uns erhoben! Sie haben Waffen gestohlen! Was sollen wir tun?" Verdammt. Ich rapple mich auf und befehle meinen Leuten, ihre Ausrüstung zu packen und sich aus dem Camp zurückzuziehen. Doch als ich aus dem Lager fliehen will, umzingeln mich ein paar der afrikanischen Sklaven. Das war's dann wohl.

In der Nacht gehen Schüsse öfter daneben - auf beiden Seiten

Im letzten Moment taucht Raul zwischen den Zelten auf, erschießt einen der Meuterer und kommt mir mit rauchender Flinte im Anschlag zur Hilfe. Erschrocken weichen die Sklaven zurück. "Schnell, mir nach", ruft mein Retter, bevor er ins Unterholz abtaucht. Ich folge ihm durch Dschungel und Morast, es hat zu Regnen angefangen. Nach einem kurzen Marsch treffen wir die Überlebenden Männer und Frauen, die sich freuen, uns wiederzusehen. Wir fackeln nicht lange. Wir sammeln uns und werden das Lager zurückerobern, die Meuterer aufknüpfen und dann weiter für den Gouverneur die Kohlen aus dem Feuer holen, bis er uns endlich zum südamerikanischen Festland aufbrechen lässt. Wie ich Hispaniola hasse...

Ach richtig - da war ja auch noch ein Spiel!

Zurück ins Jahr 2013. Ich muss zugeben: der Abenteuer-Part von Expeditions: Conquistador vom dänischen Entwicklerstudio Logic Artists hat mich ziemlich gepackt. Ist zwar eindeutig nur etwas für geduldige Leseratten der alten Schule, wird aber sehr stimmungsvoll erzählt. Die intelligent verschachtelten Dialoge und Multiple-Choice-Antworten geben einem das Gefühl, die Handlung wirklich aktiv zu beeinflussen. Optisch wirkt der Titel etwas altbacken, doch die Atmosphäre kommt trotzdem so dicht rüber wie der südamerikanische Dschungel.

Mein Schatz! Auf der Weltkarte findet ihr häufig Ressourcen und Kostbarkeiten.

Spielerisch erinnert Expeditions: Conquistador stark an 'King's Bounty: The Legend' von 2008, wobei die thematischen Wurzeln bis zu EAs 'The Seven Cities of Gold' von 1984 reichen. Schon damals war man als Konquistador auf Schatzsuche für die spanische Krone. Was mir bei der Neuauflage von Logic Artists besonders imponiert: Ihr dürft selbst entscheiden, in welche Richtung eurer moralischer Kompass zeigt. Wollt ihr den toleranten Europäer mit Heiligenschein heraushängen lassen, der Völkerverständigung und religiöse Vielfalt predigt und sich regelmäßig zum Gruppenkuscheln mit den Eigeborenen trifft? Oder seid ihr Fan von Werner Herzogs "Aguirre, der Zorn Gottes", spielt lieber den rücksichtslosen Eroberer vom Schlage eines Pizarro oder Cortés und kümmert euch nicht um diplomatische Etikette oder die Befindlichkeiten wilder Heiden? Kein Problem. Ihr müsst nur mit den Folgen leben.

Zum Beispiel hätte ich den Sklavenaufstand oben vermeiden können, wenn ich mich früh für die kostspielige Variante bezahlter Träger entschieden hätte. Weniger anstrengende Mitglieder für meine Gefolgschaft wären ebenfalls drin gewesen, doch eröffnet sich durch vermeintlich unangenehme Zeitgenossen auch so manche Gelegenheit. Einmal bat mich ein abenteuerlustiger Soldat zum Beispiel um die Erlaubnis, für ein paar Tage einer anderen Expedition zu folgen. Als er wiederkehrte, brachte er reiche Schätze mit, die ich gleich gegen Rationen und Medikamente eintauschte.

Basteln und Ausrüstung verbessern geht nur während der Lagerphase.

Während ihr euren Avatar zu Pferde auf der Übersichtskarte herumscheucht, ploppen regelmäßig Fenster mit zufälligen Ereignissen auf, deren Verlauf von euren zu Spielbeginn gewählten Charaktereigenschaften abhängt (Führungsstärke, Diplomatie), sowie den Eigenschaften eurer Begleiter und euren Antworten in Multiple-Choice-Dialogen. Diese Faktoren werden nahtlos in die Gesprächstexte eingewoben - da spricht einer eurer Leute die Sprache der Eingeborenen und hilft als Dolmetscher, einer eurer Ärzte kümmert sich während eurer Unterhaltung um einen kranken Geistlichen, oder eine Mitstreiterin plaudert eines Abends mit euch über ihre Kindheit. Das verleiht den Figuren erfreuliche Tiefe.

Hexagonale Strategie ist keine Hexerei

Jeden Tag stehen euch eine begrenzte Anzahl an Bewegungspunkten zur Verfügung. Sind diese aufgebraucht, müsst ihr euer Lager aufschlagen und rasten. Dabei futtern eure Leute Essensrationen, die mittels Jagd und Handel wieder aufgefüllt werden müssen. Außerdem basteln die Begleiter während der Lagerphase Fallen und Gegenstände, versorgen Wunden, sammeln Kräuter oder verbessern eure Ausrüstung. Geratet ihr in einen Kampf, wechselt Expeditions in den rundenbasierten Strategiemodus.

Vor solchen Scharmützeln wählt ihr ein paar eurer Mitstreiter aus. Im Grunde muss man nicht viel dazu erklären - ist alles sehr logisch. Jäger sind zum Beispiel zielsicher auf die Distanz, während ein Soldat nur selten mit seiner optionalen Schusswaffe trifft. Dafür kann dieser im Nahkampf ordentlich punkten. Ein Arzt steckt wenige Treffer ein, darf dafür die Lebensleiste seiner Kameraden aufpäppeln und so weiter. Was mir am Taktikmodus gefällt, ist das einfache, intuitive Interface und die eingängige Rollenverteilung. Einfach zu kapieren, komplex in den Möglichkeiten.

Vor einem Gefecht dürft ihr mitgebrachte Fallen und Barrikaden platzieren.

Weniger gut fand ich, dass die Hindernisse und das Deckungssystem offenbar noch nicht so recht funktionierten oder sich als Einbahnstraße entpuppten: Obwohl ich meinen Soldaten hinter einem Kistenstapel verschanzte, erwischte ihn ein feindlicher Schütze mit einem kritischen Treffer. Umgekehrt war ein solcher Schuss erst gar nicht möglich - das Ziel sei vollständig in Deckung. Das macht auch die Barrikaden, die man während der Reise bauen und vor einem Gefecht platzieren kann, relativ nutzlos. Feinde schießen einfach hindurch, den eigenen Schützen gelingt das Kunststück nicht.

Abgesehen von solchen Macken ist die KI aber ausgesprochen gut programmiert. Die Feinde nutzen das Terrain, ziehen sich zurück, flankieren euch und setzen ihre Spezialmanöver geschickt ein. Die Kämpfe sind alles andere als einfach und

Nach den Kämpfen gewinnen eure Begleiter an Erfahrung, steigen im Level und lernen neue Fähigkeiten. Dummerweise können sie aber auch schwere Verletzungen davontragen, die dann euer Arzt über mehrere Tage hinweg behandeln muss. Zwar gesellen sich gelegentlich neue Mitstreiter zu eurer Truppe, doch es gilt unbedingt, Verluste zu vermeiden - zu wichtig sind die Kameraden, zu sehr wachsen sie einem ans Herz. Manchmal hilft da nur der Griff zum letzten Savegame.

Das Interface während der Kämpfe ist sehr einfach zu verstehen.

Die Preview-Version von Expeditions: Conquistador hinterließ einen durchweg positiven, wenn auch etwas unfertigen Eindruck. Es gibt in dieser Version noch diverse Macken beim Balancing auszubessern. Die Story ist interessant, trotz der immensen Textmengen. Da wirkt der ordentliche Strategie-Part fast wie schmückendes Beiwerk. Jedenfalls haben die Mannen von Logic Artists die auf Kickstarter eingesammelten 77.000 Dollar offensichtlich sinnvoll eingesetzt.

Aktuell ist nicht ganz klar, wann Expeditions: Conquistador erscheint. Die Entwickler hatten den Release Ende Februar um "ein paar Wochen" verschoben, um sich nochmals der Grafik und dem Balancing zu widmen. Quellen im Netz sprechen von einem Release noch in dieser Woche - zum Redaktionsschluss war eine neue offizielle Seite gerade in Arbeit. Genaueres war nicht zu erfahren. Ich werde den Titel aber auf jeden Fall auf dem Schirm behalten und die finale Fassung in Kürze noch mal auf Herz und Nieren prüfen, sobald sie erscheint.

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Frank Erik Walter

Freier Redakteur

Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.

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