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Defiance macht Pantomimen zu TV-Helden

Ersteindruck: Launch flüssig. Charakter still. Synchro lausig. Gameplay launig. Potenzial da. Macken auch.

Defiance. Ein MMO-Shooter von Trion Worlds für PC, Xbox 360 und PS3, der parallel zu einer Fernsehserie auf Syfy läuft. TV-Helden und Avatare sitzen im selben Boot und irgendwann soll die Serienhandlung durch die Taten der Spieler beeinflusst werden. Klingt toll. Doch ob mein Recke das Zeug zum TV-Star hat? Eindeutig nicht.

Und das liegt nicht einmal an seiner hochnotpeinlichen Top-Gun-Brille und der rückwärts gedrehten Basecap auf dem kurz geschorenen Haupt. So was ist man ja mittlerweile aus der Scripted-Reality-Hölle des Privatfernsehens gewöhnt. Im In-Game-Shop gab es übrigens Kopfbedeckungen, die man nicht einmal Hollywood-Gästen in "Wetten, dass ..?" zumuten würde. Nein, was jede Chance auf eine Karriere als Serienheld negiert: Mein Charakter ist stumm wie ein geknebelter Fisch! Und das nicht auf die charmante "Chaplin-Weise".

Serien-Held Joshua Nolan lässt sich auch durch peinlichen Kopfschmuck nicht aus der Ruhe bringen.

In der ersten Zwischensequenz nach der (erstaunlich rudimentär geratenen) Charaktererstellung wird mein Held mehrfach von den (zukünftigen) Fernseh-Protagonisten angesprochen. Super Gelegenheit, einen coolen Spruch anzubringen. Aber er sagt keinen Piep. Finde ich unhöflich, doch offenbar stört das seine Kampfgefährten nicht sonderlich.

Dann stürzt das Raumschiff ab. Explosionen, Chaos, Adrenalin pur. Ein One-Liner vor dem Absprung per Rettungskapsel? Ein paar grimmige Flüche? Fehlanzeige. Immer noch kein Mucks.

Jetzt auf den Planeten. Eine amazonenhafte Rockerbraut befreit meinen Recken aus der Kapsel, labert ihn zu, stellt blöde Fragen. Und auch hier: keine lässige Replik. Kein stoisches Grunzen. Einfach nur Stille.

Wenn man die deutsche Vertonung der PC-Fassung von Defiance zum Maßstab nimmt, waren die Ansprüche an die Synchronsprecher nicht sonderlich hoch. Bekannte Profi-Stimmen hört man jedenfalls keine.

Der übliche Massenandrang am Launch-Tag. Trotzdem war die Server-Performance erstaunlich gut.

Plötzlich: Das Ego-Implantat des Helden aktiviert sich. Das ist eine eingepflanzte künstliche Intelligenz, die Aufträge erteilt, Ratschläge gibt, Funksprüche durchstellt und das HUD verwaltet. Der Vorgang ist offenbar schmerzhaft wie sau. Mein Avatar greift sich an den Kopf. Zittert. Torkelt. Krampft. Ich warte auf ein Keuchen. Einen Schmerzenslaut. Irgendwas. Er schweigt eisern. Mann! Der Kerl ist schlimmer als Sitting Bull auf Valium. Dagegen wirkt selbst Link aus Legend of Zelda geschwätzig. Erst als ich später von einem Feind getroffen werde, stöhnt mein Charakter ein bisschen. Ganz leise und heimlich. Hätte es fast nicht gehört. Das Geballer war zu laut. So wird das jedenfalls nix mit einer TV-Karriere als Actionheld.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

Wobei: Wenn man die deutsche Vertonung der PC-Fassung von Defiance zum Maßstab nimmt, waren die Ansprüche an die Synchronsprecher nicht sonderlich hoch. Bekannte Profi-Stimmen hört man jedenfalls keine. Und in den folgenden Stunden habe ich regelmäßig das Gefühl, dass man den Schauspielern ein Buch mit Hunderten Texten zum Aufsagen in die Hand gedrückt hat, ohne ihnen die entsprechenden Emotionen oder Kontexte dazuzuschreiben. Die Dialoge wirken ungelenk und monoton, den Sätzen fehlt oft der passende Rhythmus, die Pausen werden falsch gesetzt. Bei der Ansprache wechseln die Charaktere munter zwischen "Du" und "Sie", ohne Sinn für Rang und Höflichkeit.

Während einer Zwischensequenz anlässlich einer Episodenmission (mit Serien-Helden), rutschen dem männlichen Teddybär-Alien-NPC plötzlich ein paar Sätze mit weiblicher Stimme heraus. Da ist offenbar eine Sounddatei falsch zugeordnet worden. Kann passieren. Ist trotzdem peinlich. Nicht minder traurig finde ich diverse Übersetzungs-Schnitzer und "falsche Freunde", für die mich mein Englischlehrer zum Nachsitzen verdonnert hätte. So wurden zum Beispiel aus den "Revolting Hellbugs" (revolting = ekelhaft, abstoßend, widerlich) einfach "revoltierende Hellbugs". Aufstand der Monsterkäfer? Ziemlich frei interpretiert.

Traurig finde ich diverse Übersetzungs-Schnitzer und "falsche Freunde", für die mich mein Englischlehrer zum Nachsitzen verdonnert hätte.

Neben Quads sind Spieler auch mit Muscle-Cars aus dem Echtgeld-Shop unterwegs.

Solche Risse in der Fassade eines Action-MMOs, dessen Fundament immerhin eine TV-Produktion tragen soll, sind ärgerlich. Aber - und jetzt kommt der Twist in meinem bislang recht kritischen Ersteindruck - die letzten Stunden mit Defiance waren trotzdem sehr unterhaltsam. Ja, es gibt auch abseits der durchwachsenen deutschen Lokalisierung einigen Patch-Bedarf. So ließ mich der eine oder andere Clipping-Fehler stecken bleiben, einmal musste ich eine Mission mehrfach beginnen, weil ich einen Trigger nicht ausgelöst hatte - die üblichen Kinderkrankheiten einer großen Spielwelt.

Andererseits beschert das Action-MMO einem eine satte Portion kurzweiliger Action, bei der man genauso wundervoll abschalten kann wie bei seiner favorisierten Fernsehserie. Die Engine passt eher zu einem MMO, denn zu einem Shooter - nicht ganz state-of-the-art, ordentliche Lichteffekte, annehmbare Texturen, gute Performance, insgesamt schick, ohne Kinnladen zu stürzen. Das Setting erinnert frappierend an Borderlands, nur ohne den skurril-schwarzen Humor. Ich erwarte trotzdem, dass genug Stoff für eine spannende Serie, witzige Dialog-Momente und interessante Quests abfällt.

Ins Fernsehen? Hauptsache das Spiel taugt.

Das Gameplay lässt sich am ehesten als Kreuzung aus einem Deckungsshooter im Stil von 'Gears of War' und einem MMO der Marke 'Rift' oder 'The Secret World' beschreiben. Die Steuerung am PC ist dementsprechend intuitiv - Ähnliches dürfte für die Konsolenvarianten gelten. Fallschaden gibt es ebenso wenig wie Friendly Fire. Dafür stehen euch in Defiance etliche Fahrzeuge zur Auswahl, was ziemlich praktisch ist angesichts der langen Wege. Die Steuerung der Vehikel wirkt allerdings nicht so elegant wie in vergleichbaren Titeln. Während ich in Borderlands auf Schumacher-Niveau über Pandora bretterte, ramme ich in Defiance regelmäßig meinen fahrbaren Untersatz gegen Wände. Erst etwas Übung bessert die Lage. Zum Glück fährt man durch menschliche Spieler einfach hindurch (nicht durch Feinde), sonst hätte ich mir einige Beschimpfungen anhören müssen.

Archenfälle locken alle Spieler in ein Gebiet. Dann bricht die Hölle los.

Die Spielwelt ist riesig, dystopisch und vollgestopft mit dynamischen Abenteuern, Nebenmissionen oder Überfällen. Trion hat offensichtlich seine Erfahrungen mit Rift einfließen lassen. Immer wieder erscheinen so genannte "Archenfälle" (englisch "Arkfall") als rote Kreise auf der Übersichtskarte. Dort geht dann buchstäblich der Punk ab. Käfer laufen Amok, Mutanten greifen an und sämtliche Spieler in der Nähe versammeln sich dort zum gemeinsamen Monsterkloppen. Das macht anarchisch viel Spaß, auch wenn im Grunde nur alle wild durcheinander ballern.

Ansonsten gibt es diverse Herausforderungen in der Welt zu entdecken - instanzierte Renn-Level, Überlebens-Einsätze gegen mehrere Feindwellen oder andere Spaß-Runden auf Zeit. Man erkennt solche Zusatz-Inhalte an den blauen Leuchtkugeln in der Landschaft und der orangenen Markierung auf der Übersichtskarte.

Die meisten Missionen sind jedoch von der üblichen "Finde-dies-töde-das-aktivier-jenes-schütze-den-Machart". Solche Quests gibt es reichlich in der persistenten Welt - was manchmal dazu führt, dass andere Spieler eure Mission schon halb erledigt haben, kaum dass ihr im Einsatzgebiet angekommen seid. Klar, das übliche Launch-Tag-Gewimmel trägt Mitschuld daran; die Minikarte am oberen Bildrand war bisweilen völlig zugekleistert mit violetten Markierungen für menschliche Kollegen. Dennoch müsste Trion auch hier noch ein bisschen an der Gegner-Nachschaufel-Mechanik schrauben. Ich hab mehrere Quests erledigt, ohne auch nur eine Kugel abzufeuern, weil ein fleißiger Mitspieler mit schlagkräftiger Wumme das Gebiet unmittelbar vor mir gesäubert hatte. Das Schießprügel-Arsenal ist nicht ganz so üppig wie in Borderlands, aber variantenreich. Die Waffen besitzen teilweise Elementarkräfte und lassen sich darüber hinaus modifizieren.

Eine klassenlose Gesellschaft

Nicht ganz klar wird mir der Sinn von Klassen, Völkern und Geschlechtern. Ich bin als menschlicher 'Maschinist' unterwegs. Die Alternativklassen wären 'Veteran', 'Überlebenskämpfer' und 'Gesetzloser' gewesen. Völker gibt es zwei: Menschen und Irathier, jeweils männlich oder weiblich. Doch egal, wie ihr euren Charakter zusammenstellt: Die Zwischensequenzen und die Handlung entwickeln sich offenbar immer gleich. Durch die Klassen ändert sich allenfalls eure Einstiegs-Bewaffnung und euer Aussehen. (Bislang) keine Spur einer individuellen Charakter-Story. Die Spezial-Fähigkeiten stehen sowieso allen Spielern unabhängig von der Klasse offen.

Völker gibt es zwei: Menschen und Irathier, jeweils männlich oder weiblich. Doch egal, wie ihr euren Charakter zusammenstellt: Die Zwischensequenzen und die Handlung entwickeln sich offenbar immer gleich.

Das Fähigkeiten-Raster schaltet sich langsam frei. Jede neue Kachel entsperrt ihre Nachbarn.

Das Fertigkeiten-System von Defiance ist ungewöhnlich: Man wählt aus einem quadratischen Raster eine von vier Haupt-Fähigkeiten, die dann per Tastendruck aktiviert wird. Das wären ein (praktischer) Tarn-Modus, ein holografischer Doppelgänger, ein Waffenschaden-Buff und ein Geschwindigkeits-Boost mit verbessertem Nahkampfschaden. Drum herum werden Kacheln freigeschaltet, auf die man beim Stufenanstieg Punkte verteilen darf. Jede neue Kachel entsperrt die Felder in der Nachbarschaft. Je weiter man in der Stufe steigt, desto mehr Kacheln im Mosaik schaltet man frei. Allerdings handelt es sich dabei nur um so genannte "Perks", also Schadens- oder Rüstungs-Boni oder Modifikationen eurer Hauptfähigkeiten, und ihr dürft immer nur eine begrenzte Anzahl davon gleichzeitig aktivieren (anfangs eine einzige). Zum Beispiel einen Bonus auf die Drop-Rate, sobald ihr ein Monster per kritischem Angriff erledigt oder schnellere Erholung eurer Spezialfähigkeit nach Explosionsschaden.

Lieber Laser als Elfenohren

Wie gesagt: Auch wenn ich etwas kritisch klinge, war mein erster Tag in Defiance alles andere als langweilig. Vor allem empfand ich den Launch erfrischend problemfrei. Die Warteschlange zeigte jedes Mal ein paar Stunden Wartezeit, nur um mich Sekunden später durchzuwinken. Da atmet man erleichtert auf. Performancetechnisch war bislang alles in Butter.

Auf der Übersichtskarte sieht man nicht nur die Haupt- und Nebenmissionen, sondern auch die Archenfälle.

Hat man erst einmal einige Stufen erklommen, ein paar Missionen gemeistert und neue Waffen mit Elementarschaden gefunden, packt einen Defiance am Schlafittchen. Es entwickelt den typischen "Beute-Sucht-Sog" - zumindest in den ersten Stunden. Ob sich das noch verstärkt, werde ich in den nächsten Tagen beobachten. Die riesige Welt zu entdecken, dürfte so schnell nicht öde werden. Allemal spannender als der übliche High-Fantasy-Retorten-Aufguss ist das Setting auf jeden Fall. Die PvP-Modi und spezielle Koop-Szenarien muss ich mir auch noch ansehen.

Wie das MMO-Konzept mit der TV-Serie zusammenspielt, wird freilich nur diejenigen kratzen, die der Show auf Syfy folgen (ab 16. April). Ich wünsche den Serienmachern allerdings, dass die Synchronfassung hier überzeugender ausfällt (ich muss den Client unbedingt auf Englisch umstellen, und mir das Original anhören). Soweit der Ersteindruck. Nächste Woche lest ihr den umfangreichen Testbericht. Vielleicht hat mein Charakter bis dahin auch schon sein erstes Wort gesprochen. Ich hoffe noch auf etwas Schauspieltalent.

In diesem artikel

Defiance

PS3, Xbox 360, PC

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Über den Autor
Frank Erik Walter Avatar

Frank Erik Walter

Freier Redakteur

Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.

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