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Prison Architect: Schwitzen zwischen elektrischem Stuhl und Hantelbank

Niemand hat behauptet, es sei ein leicht, ein Gefängnis zu führen.

Als ich das erste Mal von Prison Architect hörte, dachte ich an einen Scherz. Das - oder es musste sich um die Sorte geschmackloses Spielchen handeln, wie sie auf dem C64 damals reihenweise wegen thematischer Bedenklichkeit von der BPjM indiziert wurden. Erst als man mir zutrug, dass dahinter die Indie-Helden von Introversion steckten, für die ich in Defcon vor auch bald wieder sieben Jahren Atomraketen um einen digital-anonymisierten Globus schickte, wusste ich, das hier ist ernst gemeint.

Introversion - der Name ist Programm

Irgendwie schaffen es die Briten immer wieder, Motive, die man diesem machtbesessenen und bisweilen zur Grausamkeit neigenden Medium lieber nicht als Bühnenbild hinstellen würde, in einen wertvollen Beitrag zur Selbstreflexion zu verwandeln. Ernste Themen brechen sie auf das Nötigste herunter und kleiden sie in einen spielerischen Aufzug. Ehe man es sich versieht, setzt man sich vor allem zwischen seinen Spielsitzungen doch mit sehr realen und gar nicht lustigen Dingen auseinander, die einen zuvor vielleicht nicht interessierten oder - schlimmer - zu denen man keine Meinung hatte.

Nichts zu lachen: Die Insassen in meinem Übergangszellen-Fegefeuer.

Man schaut in ihren Spielen auch immer ein bisschen in sich selbst hinein. In Defcon kreisten die Gedanken um die Natur des Krieges, sein erschreckend abstraktes Gesicht, das er im 21. Jahrhundert aufsetzt, und die Größenordnungen an Menschenleben, die im Falle der schlimmsten aller nuklearen Eskalationen vermutlich ausgelöscht würden. Die dramatische Natur des Gezeigten immer schön bitterlich im Clinch mit der so nüchtern und unterkühlt blau aus dem Bildschirm heraus leuchtenden Taktik-Karte. Prison Architect ist nicht ganz so subtil, auch weil es dank der fein ineinander greifenden Simulationszyklen vieles vom Tagesablauf in einer solchen Einrichtung visualisieren muss. Trotzdem ertappt es euch regelmäßig dabei, wie ihr das oft gewalttätige und menschenunwürdige Treiben der stilisierten, aber höchst ausdrucksstarken Scherenschnitt-Insassen und ihrer Bewacher eigentlich ganz niedlich findet.

Schon im Tutorial lässt euch Introversion einen Exekutionsraum samt elektrischem Stuhl bauen, während handgezeichnete "Polaroids" und Texttafeln die Geschichte des dafür vorgesehenen Gastes Edward schrittweise erzählen. In Dialogsequenzen zwischen Priestern, dem geständigen Doppelmörder und einer Wache werden mit breiten Pinselstrichen populäre Grundpositionen zur Todesstrafe eingenommen und mit einem Mal findet man sich gedanklich selbst mitten in dieser Diskussion wieder - obwohl man eigentlich nur sicherstellen soll, dass der ehemalige Lehrer in seiner Todeszelle etwas zu lesen hat und der Generator auch ja genügend Strom für den "großen Tag" produziert.

Gedankenspiel

Schon in diesem Szenario beschäftigt man sich innerlich fast automatisch mit dem Strafverfolgungssystem, ist trotz des Zuspruches, man mache ja nur seinen Job und solle sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, was als Nächstes passiert, nicht mehr fähig, Spielmechanik und Thema voneinander zu trennen. Nicht viele Unterhaltungsprodukte sind derartiges zu leisten im Stande. Im fertigen Prison Architect soll es noch weitere solcher Handlungsmomente geben, die dem Spieler auch die Grundlagen des virtuellen Gefängniswesens ein wenig besser erklären. Das ist auch bitter nötig. In der aktuellen Alpha-Version - für etwa 25 Euro auf Steam zu haben, gewährt sie euch bei der Veröffentlichung später in diesem Jahr auch Zugang zur Vollversion - ist nach dem Exekutions-Szenario nur noch die Sandbox verfügbar. Und die geht mit euch ebenso hart ins Gericht wie mit Edward, der, hätte er sein Verbrechen 100 Kilometer weiter nördlich begangen, "nur" lebenslänglich bekommen hätte.

Nur ein Job ...

Ihr legt mithilfe eines Planungstools Grundrisse fest, zieht dann Zäune, Mauern, und Fundament, weist Zellen, Duschen, Küche und Kantine aus und macht euch dann daran, Strom und Wasserzufuhr zu verlegen. Dann geht es ans Personal. Stellt ihr einen Gefängnisdirektor ein, will der ein Büro. Ein Arzt kann eine Krankenstation gut gebrauchen und wenn ihr nicht schnell für Einzelzellen sorgt und sicherstellt, dass die Insassen im Hof ein wenig Gewichte stemmen oder wenigstens laufen können, braucht ihr ganz schnell auch eine Leichenhalle. Der Grad an Überforderung für Neueinsteiger ist schon mit der zweiten Fuhre Verurteilter immens. Schon bald lassen die Gesetzesbrecher aus dem Essbereich Messer mitgehen, irgendwie kommt mal einer an einen Zellenschlüssel. Nicht erst ab dem Punkt schlägt eine kleine Randale schnell in einen handfesten Gefängnisaufstand um, den zu befrieden - und dessen Trümmer zu beseitigen - ein nicht zu verachtender Aufwand ist.

Schnell lernt ihr daraus, dass insassensichere Türen euer bester Freund sind. Allerdings nur, bis ihr es mal wieder übertreibt und sich an jedem Durchgang ein veritabler Stau bildet, weil die Wächter nicht mehr mit dem Aufschließen hinterherkommen. Diese Vorgänge im Inneren eures kleinen Knastes zu entzerren, bedarf bislang noch minutiöser Kleinstarbeit, spitze Finger und viel Geduld, wenngleich sich nicht leugnen lässt, dass es faszinierende Schauwerte hat, wenn sich die Orangen ihre Einrichtung Stück für Stück zurückholen, weil ihr ihnen unwissentlich Dinge angetan habt, die gegen weit mehr als das individuelle Recht auf Freiheit verstoßen. Das alles unterliegt jedoch sicherlich noch dem Feintuning von Mark Morris und Chris Delay, den Köpfen hinter Introversion. Und sie haben ja auch noch eine ganze Weile Zeit, das Spiel so eingängig oder kratzbiestig zu gestalten, wie sie wollen.

Lebenslängliches Vergnügen?

Ein wenig Sorgen mache ich mir lediglich um das Langzeit-Potenzial von Prison Architect. Es ist mehr als denkbar, dass man im Rahmen dieses Regelwerks schnell den einen, idealen Weg findet, einen Knast zu errichten. Und ist die komplette Karte mit dem blaupausenartigen Konstrukt gefüllt, bleibt einem aktuell wenig mehr, als sich dazu zu zwingen, sich auf geputzter Platte ein neues, optimales Layout einfallen zu lassen. Doch auch hier dürfte mit der Zeit mit zusätzlichen Aufgabenstellungen, die über die aktuellen Einrichtungs-Anforderungen für Regierungskredite hinausgehen, noch einiges kommen. Hoffentlich. Zudem bin ich noch nicht zu den wirklich gefährlichen Verbrechern vorgestoßen, die das Spiel im Berichte-Bildschirm bereits androht und sich vermutlich anders verhalten werden, als die Feld-Wald-und-Wiesen-Gesetzesbrecher.

Nur kurz auf Toilette gewesen ...

Prison Architect also - bislang waren fast alle Partien für mich ein einziger, unaufhaltsamer, aber auch unterhaltsamer Countdown zur Katastrophe, worin eine weitere nicht uninteressante Parallele zu Defcon besteht. Wer in dieser Sorte Aufbauspiel Entspannung sucht, ist hier jedenfalls an der falschen Adresse, auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass sich nach eingehendem Balancing daran noch etwas ändert.

Bei allem Ernst ist es in jedem Fall ein charmantes und zum Nachdenken anregendes Spiel, über einen Teil unserer Realität, den die Gesellschaft, ganz wie ihre Verurteilten, am liebsten wegschließt, damit sich alle anderen ein bisschen sicherer fühlen können. Durch den genialen Schachzug, jedem einzelnen Insassen einen Namen zu geben, die Angestellten aber lediglich mit Berufsbezeichnungen zu anonymisieren, macht Introversion unmissverständlich klar, dass "aus dem Auge, aus dem Sinn" keine Weltsicht ist, für die sich Videospiele - und -spieler - interessieren. Weitersagen, mitspielen, mitreden!

In diesem artikel

Prison Architect

PS4, Xbox One, Xbox 360, PC, Mac, Nintendo Switch

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.
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