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Marvel Heroes - Test

Deadpool konnte dieses Spiel nicht retten. Und die 20 anderen Helden auch nicht.

Marvel Heroes hat auch sein Gutes: Deadpool. Mit dem Großmaul zu spielen hat mich drauf gebracht, mal wieder meine Comicsammlung zu zücken. Allein für seine Anspielungen möchte ich den zuständigen Autor bei Gazillion Entertainment nonstop "High-Five" abklatschen. Lässige Sprüche zu Vespingas, Inigo Montoya, Disneyland, Captain Picard (nach einer Zwischensequenz mit Professor Xavier) oder ein Seitenhieb Richtung Marvel vs. Capcom - Deadpool pfeift auf die vierte Wand. So muss das sein.

Der Rest des Spieles? Nicht so gelungen. Ein Hack & Slay (sehr) alter Diablo-Schule, nur dass sich die Spieler gemeinsam auf den großen Karten tummeln und ein Einzelspieler-Modus fehlt. Klingt trotzdem interessant - wenn nur das Ergebnis nicht so uninspiriert daher käme.

Wenn es um Comicbuch-Kompetenz geht, haben die Entwickler rund um Diablo-Urgestein David Brevik ihre Hausaufgaben gemacht. Die Hintergrundgeschichte ist ein bisschen platt. Aber immerhin wurden viele Zuckerl für die Fans eingebaut und ihr dürft etlichen Marvel-Erzschurken in den Hintern treten, bevor euch ein wirklich spektakulärer Showdown gegen Dr. Doom erwartet.

Was ist besser als ein Deadpool? Zwei Deadpools!

Ein bisschen blutet mein Fan-Herz freilich beim Anblick von vier Ben "Das Ding" Grimms, fünf Storms, drei Hawkeyes, drei Daredevils und zwei Scarlet Witches, die gleichzeitig auf einen übermächtigen Venom einprügeln. Es gibt gar nicht genug Parallel-Universen, als dass ich mich an so etwas gewöhnen könnte. Zumal Spider-Man wohl nur deshalb nicht an dem Scharmützel teilnimmt, weil man für ihn locker 15 Euro im Cashshop berappen müsste. Marvel Heroes ist nämlich free-to-play und nur die zuvor genannten Recken kommen frei Haus - zumindest einer davon.

Klar - mit viel Glück kann man den Netzschwinger und die restlichen 20 Superhelden auch als Loot abstauben. Basierend auf meinen Erfahrungen dürfte es allerdings wahrscheinlicher sein, dass ich auf dem hiesigen Flohmarkt eine original Action-Comics-Erstausgabe von 1938 finde.

Mo Marvel Mo Problem?

Wenn es nur um die Beute ginge, wäre die chronische Heldeninflation spielerisch kein Problem, denn jeder Recke sammelt sein eigenes Loot. Was die Macher bislang aber nicht recht in den Griff bekommen, sind die Gegner-Respawns. Eine Horde bewaffneter Ninjas erscheint aus dem Nichts und schlitzt mich zu Tode? Da hat offenbar kurz zuvor eine starke Helden-Rotte das Gebiet gesäubert und ich bin unwissend in die Wiederbelebung der Bösewichte gestolpert. Herzlichen Dank.

Bei Weltenbossen wird die Sache erst richtig kniffelig. Vor lauter Effektgewitter und Klon-Helden kann man nur noch blind ins dichteste Getümmel klicken. Dagegen verkommen die Massenkeilereien in Rift, Guild Wars 2 oder Defiance zur gepflegten Tee-Party.

Hier sind mir eindeutig zu viele Dinge, Hawkeyes und Hexen im Bild.

Betritt man einen instanzierten Dungeon, wird man mit vier zufälligen Kollegen in eine Party gesteckt, sofern man das Feature nicht im Optionsmenü deaktiviert hat. Ein interessanter Ansatz. Außer man stößt als Nachzügler dazu und die Kollegen haben Quest und Boss schon im Alleingang erledigt.

PvP artet dann wieder in Massenkeilereien aus, nach dem Motto: Wo andere an Konzept und Balancing feilen, machen wir das einfach. Ihr entscheidet euch für Team Rot, Blau oder Weiß, werdet auf eine große Karte mit Basen und NPC-Handlangern teleportiert und haut euch gegenseitig die Hucke voll. Macht fünf Minuten Spaß, dann hat man sich sattgesehen. Soviel zum Thema Endgame-Content.

Es läuft etwas grundlegend schief, wenn ein Hack & Slay den ersten Durchlauf nur mit Ach und Krach übersteht

Es läuft etwas grundlegend schief, wenn ein Hack & Slay den ersten Durchlauf nur mit Ach und Krach übersteht und ich danach keine Lust mehr verspüre, mit einem neuen Helden auf Stufe eins den ganzen Sermon noch einmal absolvieren zu müssen. Es macht auch keinen Spaß, von Daily-Mission-Terminals in die immer gleichen Dungeons oder Gruppen-Herausforderungen teleportiert zu werden. Unfein ist zudem, dass man die richtig schweren täglichen Einsätze nur mit einem Schlüssel öffnen darf, den man kaufen muss. Viel schwerer wiegt allerdings: Marvel Heroes hat die beiden zentralen Elemente jedes Hack & Slay versemmelt: Die Beute und die Charakterklassen. Der Langzeitspaß wird dadurch im Keim erstickt.

Helden wollen Beute haben

Bin ich mit einem Charakter unterwegs, finde ich passendes Loot. Soweit so simpel. Iron Man sammelt Repulsor-Handschuhe, Captain America Schilde, Wolverine Klauen, der Hulk findet ... ähm ... Hosen. Dass sich die Ausrüstung nur in ein paar Prozentwerten und Bonuspunkten auf Fähigkeiten unterscheidet, ist nicht ungewöhnlich aber ärgerlich. Bosse lassen zwar Medaillen fallen, die besondere Eigenschaften mitbringen, die restliche Beute ist jedoch zu 90 Prozent Ramsch. Alle Nase lang muss ich zurück in die Basis und mein knallvolles Inventar leeren, das Zeug verkaufen oder "spenden". Letzteres hebt die Stufe der Händler, wodurch deren Angebot aber kaum an Attraktivität gewinnt.

Alle Gegenstände sehen gleich aus - dagegen hilft auch kein Handwerk.

Nur beim Handwerks-NPC lohnt sich eine solche Aufwertung. Es wird mit separaten Ressourcen gebastelt, Waffen muss ich also nicht zerlegen. Ist aber nicht schlimm, denn man findet die Materialien reichlich. Blöd wiederum, dass man sie nicht stapeln darf. Ich wittere Kalkül, denn Inventarfächer kann man mit Echtgeldwährung kaufen.

Der Nutzen des Craftings bleibt überschaubar. Neue Items lassen sich nicht herstellen, mal von Tränken und Buffs abgesehen. Später darf ich den Seltenheitsgrad bestimmter Fundsachen erhöhen, deren obligatorische Charakterbindung aufheben, Ausrüstung für einen anderen Helden umwandeln oder mein Kostüm mit Zusatz-Boni versehen.

Ein weiteres Manko des Ausrüstungs-Systems ist, dass sich das Aussehen meines Charakters nicht durch die angelegten Gegenstände verändert. Offenbar wollte man nicht am ikonischen (und markenrechtlich geschützten) Äußeren der Marvel-Helden rütteln. Alternative Kostümierungen sind über einen separaten Slot möglich, müssen aber erst einmal gekauft oder gefunden werden. Wieder grapscht man nach meinem Geldbeutel.

Ein weiteres Manko des Ausrüstungs-Systems ist, dass sich das Aussehen meines Charakters nicht durch die angelegten Gegenstände verändert.

Beute Müll, Aussehen vorgegeben, Crafting kaum der Rede wert - Irgendwann lässt man das Zeug im Level liegen, sofern ein Item nicht mindestens die Qualitätsstufe "Episch" (lila) besitzt.

Einheitssoße mit Superkräften

Den zweiten großen Schnitzer leistet sich Marvel Heroes bei den Fähigkeiten seiner Helden und dem Kampfsystem. Klar, bei jedem Hack & Slay wird geklickt, bis der Zeigefinger pocht. Das taugt prima, um den Kopf nach Feierabend freizubekommen. Doch spätestens das Endgame sollte mehr Finesse erfordern. Ich sollte mir ein passendes Build überlegen und mich vielleicht sogar mit Kollegen absprechen müssen. Aus der Vielfalt an Möglichkeiten den perfekten Charakter zu formen - das motiviert einen RPG-Fan langfristig.

Kauf mich! Helden gibt es im Cashshop - als Loot sind sie extrem selten.

In Marvel Heroes kommt dieser Aspekt schlicht zu kurz. Jeder Held bringt zwar einen eigenen Fertigkeitsbaum mit drei Spezialisierungen mit, die Anzahl an ableitbaren Builds bleibt jedoch überschaubar. Die Gegner bringen wenig Hirnschmalz mit und es erfordert noch weniger, sie zu besiegen. In der Praxis kommt man prima mit seinen beiden Standard-Attacken und den obligatorischen Ausweichmanövern des jeweiligen Charakters klar.

Auch sonst ähneln sich die Fähigkeiten der Helden auffällig - und damit ihr Spielgefühl. Ding und Hulk, Punisher, Schwarze Witwe oder Deadpool, Thor und Storm, Daredevil, Black Panther oder Spider-Man, Iron Man und Ms. Marvel - mal sind die Attacken weiß, mal rot. Die Mechaniken, die Fähigkeitskategorien bleiben gleich. Den Fan in mir ärgert das besonders. Ich kann mich schon schwer damit abfinden, dass ein kleiner Ganove auf der Straße den unsterblichen Thor zum Bluten bringt und eine Breitseite von Mjolnir wegsteckt - es ist ein Spiel, da gehört das dazu. Aber braucht "Das Ding" wirklich die gleiche Schockwellen-Attacke wie der Hulk? Macht es wirklich keinen Unterschied, ob ein Hawkeye zutritt oder Colossus?

Wenn bei einem Hack & Slay der Sammelsog versagt, ist das schon für sich genommen eine Katastrophe. Zum Super-GAU wird das Ganze, wenn die Qualität des Kampfsystems hinter der Quantität spielbarer Charaktere zurückstecken muss, dämlichen Gegnerscharen monoton auf euren Helden einprasseln und das Endgame nicht mehr bietet als ewiges Wiederkäuen der gleichen Instanzen, unbalanciertes PvP und den Neustart mit einem anderen Helden. Ursprünglich fand ich es spannend, dass die Spieler gleichzeitig in den Instanzen unterwegs sind. Doch in der Praxis levelt man nur nebeneinander her und stürzt sich gelegentlich gemeinsam auf einen Weltenboss.

Der finale Sargnagel von Marvel Heroes ist jedoch das Geschäftsmodell. Der Cashshop schiebt sich immer wieder unangenehm ins Bild - besonders wenn man mit seinem Lieblingshelden spielen möchte und keine Lust hat, gefühlte Zillionen Jahre zu warten, bis ihn ein Gegner als Beute fallen lässt. Nicht einmal Deadpool wäre mir das wert gewesen. Wenn euch der Geldbeutel locker sitzt oder euer Favorit zur Startaufstellung des Spiels gehört, Glückwunsch: Ein Durchlauf kann nicht schaden. Mehr ist aber kaum drin - und das ist schade, angesichts der vielversprechenden Lizenz.

5 / 10

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In diesem artikel

Marvel Heroes

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Frank Erik Walter

Freier Redakteur

Tagsüber arbeitet Frank als freier Journalist. Nachts jagt er seit 2010 flüchtige MMOs für Eurogamer.de und die MMO PRO. Skittles und Tetris sind sein Kryptonit.

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