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Bring es zu Ende! - Kommentar

Natürlich hat Poker keine Endsequenz. Aber darum geht es auch nicht.

Natürlich muss nicht jedes "Spiel" an sich ein Ende haben, nicht jede Geschichte hat ein Ende. Jason VandenBerghe nennt in seinem Artikel im Game Developer Magazine (online über Gamasutra), dessen Geschichte nun ein Ende hat, einige Gründe dafür und schaut man sie sich an, dann wird man feststellen, dass es in diesen Beispielen erst einmal selten um Videospiele geht. Ja, Poker, Sudoku oder Football haben keine finale Katharsis des Helden in einem gescriptet-dramatischen Sinn.

Oh, halt, doch, haben sie.

Ich würde mich jetzt nicht auf Sudoku festlegen wollen, auch wenn ich überzeugt bin, dass dort irgendwo eine Subkultur lauert, aber Pokerturniere werden im Fernsehen übertragen und sowohl Football als auch Fußball zelebrieren sich in Großereignissen, in Ligen und weit über das Spiel hinaus. Es ist insoweit richtig, als auf das eine Spiel ein anderes folgt. Wäre das aber alles, gäbe es wohl kaum den Fanenthusiasmus, den spätestens die beiden Ballsportarten hervorzaubern. Es würde wohl eher so ablaufen, wie ich mir ein Sudokuturnier vorstelle.

Immer wieder eine Geschichte, die viel zu Ende hören wollen.

Football, Fußball, Poker, es geht nicht um das Spiel an sich. Es ist eine Möglichkeit, dass Gladiatoren friedlich in eine Arena steigen und ihr Können messen. Dabei schreibt das Leben ganz automatisch Geschichten voller Drama, Spannung und irgendwann auch immer mit einem Ende. Michael Ballack, Michael Schumacher, Michael Jordan und sicher auch ein paar große Sportler, die nicht Michael heißen, schreiben ihre Geschichte, der die Leute folgen und beenden diese oft genug mit einem eigenem großen Finale, welche Form auch immer es annehmen mag. Ich kenne Leute, die gucken nur ihrem eigenen Fußballverein zu, weil sie sich dort für dieses spezielle Team interessieren. Geschichten kommen und gehen hier, sie fangen manchmal ganz klein an und sie haben ein Ende. Sei es besagter Star-Spieler beschließt seinen Rücktritt, das Team siegt in einem wichtigen Turnier oder eine Generation von Spielern endet. Dann hat schon längst eine neue Geschichte begonnen.

Nur wenige Spiele haben kein Ende. Aber ihre Geschichten haben es.

"Geschichte" ist so ähnlich. Ja, sie hört nie wirklich auf, aber Geschichten darin kommen und gehen, sie fangen an und sie enden und meist sind es diese begrenzten, besonderen Episoden, die beachtet werden. Nicht die Routine drum herum.

Spiele sollten sich auf diese kleinen, interessanten Episoden konzentrieren, nicht das weiße Rauschen drum herum.

Gern geschehen.

Spiele sollten sich auf diese kleinen, interessanten Episoden konzentrieren, nicht das weiße Rauschen drum herum. Das ist der Unterschied zwischen einer interessanten Geschichte oder einfach einem Mittel, um seine Zeit totzuschlagen. Spiele haben zum Teil die Macht, dass sich diese Episoden selbst schreiben, Sandbox-Games und zu einem kleineren Teil auch MMOs und ganz sicher Sandbox-MMOs sind dazu in der Lage. Hier ergibt es sich, als wäre es das Leben, weil Konstellationen der Spielelemente mit der Spielerfahrung in einer einzigartigen Situation zusammenfinden, so wie sich die Wege heute dann berühmter Menschen kreuzen können und etwas Außergewöhnliches entsteht. Es ist diese eine Episode Minecraft, in der ihr diese eine erste Nacht überlebt habt und es wirklich knapp war. Es ist dieses eine FIFA-Spiel, in der ihr gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner den Rückstand noch dreht. Es ist diese eine Runde World of Tanks, in der ihr die Basis allein fünf endlose Minuten lang gegen fünf Gegner haltet. Auch diese Spiele schreiben Geschichten und diese wiederum haben einen Anfang und ein Ende.

Natürlich sind sie nicht konzipiert, eine Endsequenz zu zeigen, sie simulieren das Leben - oder zumindest fantastische Spielarten davon - in ihrem Sandkasten. Es ist die Minderheit der aktuell veröffentlichten Titel, vor allem bei den hochpreisigen Entwicklungen, innerhalb derer sich Ubisoft ja auch bewegt. Das gilt sicher nicht für ein Spiel wie The Last of Us, Bioshock (Infinite) oder auch ein Beyond Good and Evil. Wenn diese Spiele nicht zuende gespielt werden, wenn, wie in Blake Snows CNN-Artikel festgestellt wird, nur 10 oder 20 Prozent der Spieler deren Ende sehen, sollte man nicht sagen "ist ja nicht schlimm, so ist das eben, seht es locker", sondern fragen, warum zur Hölle das wohl so ist.

Sie waren gut genug, um einen bis zum Ende zu bringen.

Ein Teil der Antwort ist sicher so banal, wie Stone es feststellt. Wir haben weniger Zeit, weil wir älter werden und diese ältere Gruppe von Spielern einen gar nicht so kleinen Teil der Spielerschaft ausmacht. Spiele werden größer, Red Dead Redemption überfordert mein Zeitkontingent, und wenn man erst mal aus einem Spiel raus ist, findet man auch nicht so schnell wieder rein, also bleibt es liegen. 'Es gibt mehr Spiele als früher' ist sicher auch ein legitimes Argument. Gerade mit dem Indie-Markt haben wir derzeit eine solche Flut, dass man sich genau überlegen muss, worin man seine Zeit investiert.

Spielzeit ist nicht alles. Ist es interessante Zeit, die geboten wird?

Das bringt uns aber zu einem ersten Teil des Problems. Viele dieser Spiele, die liegen gelassen werden, waren Fehlkäufe. Derjenige, der es startete, befand es für unwürdig, seine Zeit in Anspruch zu nehmen und legte das Spiel, vielleicht zugunsten eines anderen weg. Die zwei Stunden eines Films hält man viel eher durch, vor allem, weil man nebenbei noch was anderes tun kann, selbst wenn der Film einen nicht so reizt. Sogar im Kino sehe ich genug Leute einen Film hindurch texten und kann es im Angesicht so manchen Streifens voll verstehen. Ein Spiel will die ganze Aufmerksamkeit, und wenn es entweder nicht den Geschmack des Einzelnen trifft oder schlicht nicht gut genug ist, um das zu rechtfertigen, dann bleibt das vielleicht vorhandene Ende ungesehen. Ersterer Fall kann immer vorkommen, aber bei Punkt zwei sollte sich ein Creative Director Gedanken machen. Das Spiel ist halt lang, also wurde es deshalb nicht beendet? Falsch. Das Spiel ist nicht interessant genug, also wurde es nicht beendet.

Das Spiel ist halt lang, also wurde es deshalb nicht beendet? Falsch. Das Spiel ist nicht interessant genug, also wurde es nicht beendet.

Dieses Phänomen kommt leider gerade bei Spielen, die eigentlich eine perfekt für einen Film geeignete Geschichte bieten, wie Bioshock Infinite oder Remember Me zuletzt gehäuft vor, aber auch ein Assassin's Creed ist davor nicht gefeit. Shootern oder Prügeln ohne echte Einfälle, egal wie solide gemacht, aber eben schon tausendmal gesehen und das über Stunden ... ich kann jeden verstehen, dass er nicht dabei bleibt, um das Ende zu sehen, sondern lieber einen Film einlegt. Die Reisen der Assassinen, die in Spielen wie Brotherhood oder Teil III durchaus als Geschichte reizvoll genug waren, zogen sich endlos hin, mit immer wieder den gleichen Spielmechaniken aneinandergereiht. Diese Mechaniken sind ausgefeilt, ohne Frage. Aber sie sind das, für das ich Sudoku halte: eine Beschäftigung. Keine neuen Impulse nach der ersten Stunde. "Schwieriger" ist nur selten "anders".

Sicher, diesen Vorwurf kann man praktisch allen Spielen machen und es gibt genug davon, denen ich trotz dessen mehr als gerne meine Zeit widme. Beschäftigung kann auch etwas Entspannendes und Beruhigendes haben, auch dazu sind Spiele da. Aber das ist nicht das, was den Spieler antreibt, das Ende sehen zu wollen. Er sieht in 10 bis 20 Prozent der Fälle das Ende trotz dessen. Der Rest ist auf dem Weg der Einmütigkeit abgestorben.

Nach vier Stunden auch nur ein weiterer Tastendruck ohne Drama.

Das ist natürlich viel zu hart gesagt, ich will gar nicht darauf hinaus, dass sich jedes Spiel ab sofort alle drei Stunden komplett umkrempeln muss. Aber es sollte mir nach drei Stunden und nach sechs und so weiter - vollkommen willkürliche Zeitabstände - neue Impulse geben. Nicht nur neue Story-Elemente. Viele Spiele scheinen zu vergessen, dass sie mittlerweile aus Handlung und Spiel bestehen und beides überzeugen muss. Die Handlung kann noch so toll sein, wenn das Spiel nicht reizvoll bleibt, dann sehen die Leute das Ende nicht.

Das wäre zumindest die Überlegung, von der ich denke, dass ein Spieledesigner sie aus diesen ernüchternden Zahlen mitnehmen sollte. Wie kann ich mein Spiel so gestalten, dass auch das Spiel den Spannungsbogen der Handlung komplementiert? Dass der Spieler immer dann, wenn er denkt, gerade genug zu haben, auch neue spielerische Impulse bekommt und nicht nur einen Handlungsfetzen, bevor der Shooter in den nächsten Loop geht? Das ist unglaublich schwierig, teilweise wahrscheinlich unmöglich, nicht zuletzt mit Blick auf die sowieso schon monströsen Budgets. Das Resultat sehen wir bereits in kürzeren Spielen.

Aber man kann auch sagen, dass man sich überlegen sollte, wie man seine immer, egal in welchem Projekt, begrenzten Ressourcen einsetzt? Ja, lebensechte Bewegungen und Gesichtstexturen für Sam Fisher sind schick, ohne Frage. Aber bringt das dem Spieler nach einigen Stunden noch so viel? Wäre ihm nicht mehr damit gedient, dass sich das Spiel innerhalb seiner selbst weiterentwickelt oder Wege findet, reizvoll zu bleiben, indem es dem Spieler von Zeit zu Zeit neue Reize präsentiert? Gerade mit der Verlockung der neuen Konsolen, die Ressourcen in noch aufwendigere Grafik zu stecken befürchte ich durchaus, dass die Spiele zwar wahnsinnig schön werden, sich deshalb aber mit einem zweitklassigen Spieldesign zufriedengeben müssen. Der Effekt wird dann am Ende irgendwann selbst bei einem sechstündigen Spiel der Gleiche sein, unter dem derzeit ein 50-stündiges Red Dead Redemption zu leiden hat. Der Spieler stirbt vorher ab und sucht sich seine frischen Reizeinflüsse woanders. Menschen waren schon immer so, da braucht man auch gar nicht mit "unsere Gesellschaft ist halt so" kommen.

Es kann so befreiend sein. (Portal 2 by Avionetca / deviantART)

Die Schlussfolgerung, dass es ja nicht so schlimm sei, wirft auch die spannende Frage nach dem DLC auf. Wenn nur zehn bis 20 Prozent, 40 in guten Fällen, ein Spiel beendet, warum dann überhaupt DLCs? Weil diese in manchen Fällen eine eigene Handlung erzählen, die eben nicht 12 sondern nur drei Stunden dauert und das die Halbwertzeit für die Motivation an diesem Spiel ist? Hätte man dann nicht gleich das erste Spiel auf diese Dauer konzipieren sollen? Oder noch besser: Sich überlegen, warum die Motivation bei vielen nach einer gewissen Zeit so weit abzufallen scheint, dass sie sich etwas Anderem widmen?

Sofern ein Spiel also nicht den Luxus hat, Sudoku, Fußball oder ein Sandbox-MMO zu sein, wenn es eine Geschichte erzählen möchte, aber nicht die Möglichkeiten besitzt, diese aus dem eigenen spielerischen Impetus entstehen zu lassen, dann braucht es verdammt noch mal einen Anfang, ein Ende und ein Spiel, dem es gelingt, zumindest die Mehrzahl der Spieler dorthin zu bringen. Das muss das Ziel sein.

Über den Autor
Martin Woger Avatar

Martin Woger

Chefredakteur

Chefredakteur seit 2011, Gamer seit 1984, Mensch seit 1975, mag PC-Engines und alles sonst, was nicht FIFA oder RTS heißt.
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