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Civilization V: Brave New World - Test

Als Franz Liszt 1978 auf der Flucht vor den portugiesischen Kommunisten vor den Toren Pekings erschossen wurde.

So hatte sich Franz Liszt das sicher nicht gedacht. Als er aus Peking flüchten musste, da die Hauptstadt der letzten echten Demokratie, China, unter Beschuss durch eine Flotte von Zerstörern aus dem kommunistischen Portugal geriet, lief er direkt in die Arme der roten Fallschirmjägertruppen. Diese kannten keine Gnade und behandelten den Musiker als Einheit und es war um ihn geschehen. Wenig später fiel die letzte freie Stadt der Welt und der Kommunismus hatte gesiegt. Jetzt musste sich Portugal bei der nächsten Weltkonferenz nur noch zum Sieger erklären lassen. Kein Problem, denn ihr kommunistisches Imperium hieß schon immer Touristen Willkommen, die sich den schiefen Turm von Lissabon anguckten und sich vom Buddhismus beeindrucken ließen. All das trugen sie in ihre Länder und es sprach sich rum. Jeder wollte wie Portugal sein. Der Sozialismus hatte gesiegt. Bem unidos façamos nesta luta final, Uma terra sem amos a Internacional.

Manchmal zeichnet Civilization seltsame Bilder.

Dabei scheinen die Mechaniken des zweiten Add-ons zu Civilization V in der Anfangsphase des Spiels kaum vorhanden. Bis kurz vor das industrielle Zeitalter habt ihr es mit nur einer Änderung zu tun, aber auch die hat es schon in sich. Handelsrouten per Karawane oder Schiff können in jede Stadt, egal ob Gegenspieler oder freie Stadt, geschickt werden, solange ihr euch nicht gerade mit ihr im offenen Krieg befindet. Ihr müsst euch nicht verbrüdern, und selbst wenn die Chinesen meine Portugiesen selbst in den besten Phasen eher vorsichtig gegenüberstanden - aus gutem Grund -, meine Händler waren willkommen. Einfach bauen, sagen, wo es hingeht und das war es auch schon.

Der freie Austausch von Waren und Gedanken

Wie bedeutend diese Routen sind, wird das erste Mal klar, wenn ihr beginnt, eure eigene Religion zu etablieren. Bei jeder Handelsroute werden nicht nur Gold und Waren angezeigt, sondern auch wie die Religionen sich gegenseitig beeinflussen. Steuert ihr einen Hafen an, in dem die Konkurrenz das Sagen hat und deutlich aggressiver agiert, dann kann es sein, dass dieser Glaube in euer Land einsickert, so wie es auch andersherum der Fall sein kann. Aufgrund der so stark gestiegenen Zahl an Konvois und Handelsschiffen ist auch die Macht eines Handelsembargos deutlich gewachsen. Bevor ihr es euch verseht, ist ein komplexes Netz gesponnen, in dem ihr euch immer fragen müsst, wen es mehr schmerzt, wenn ihr einfach mal eine Grenze durch Krieg oder Embargo dichtmacht. Es ist wie in der Realität. Ok, nicht SO kompliziert, aber in großen Runden schon so schwer durchschaubar, wie es sein sollte. Nicht, weil die Tabellen zum Ablesen nicht da wären. Sondern, weil diese nur bedingt ein über Jahrhunderte gewachsenes Geflecht abbilden können, das ihr mit einer Aktion zu zerstören droht. Man wird plötzlich ganz vorsichtig. Kriegt das etwas isoliert Porto noch genug Nahrungsmittel, wenn die Franzosen nicht mehr liefern? Oder treffe ich sie härter und kann es ausgleichen? Das geht nämlich auch. Ihr könnt mit diesen Routen eure eigenen Städte verknüpfen und so die hauseigene Wirtschaft besser steuern.

Komfortabler als Online-Handel: Einfach links aus der Liste die Stadt heraussuchen, alle Effekte werden angezeigt und schon ziehen die Wagen los.

Der zweite wichtige neue Faktor kommt erst kurz vor der Industrialisierung zum Tragen, dann aber mit Macht. Man sah sich den bisher etwas schlichten, wenn auch nicht einfach zu erreichenden Kultursieg an und machte ihn großartig. Der Schlüssel dafür ist jetzt nicht mehr die reine Politik und die Zahl der Weltwunder, sondern auch wie ihr diese Kultur vermarktet. Baut Wunder und fördert eure Städte auch in den schönen Künsten, indem ihr die entsprechenden Gebäude errichtet. Dann werden Kultur-Punkte generiert, was zur Folge hat, dass große Künstler, Ingenieure oder Chemiker auftauchen. Diese sind eigene - angreifbare, sorry Liszt - Einheiten, welche ihr nach Gusto einsetzt oder auch erst mal auf Halde parkt. Ja, es macht nicht viel Sinn, dass Mozart 400 Jahre in Lissabon in einer Villa hockt. Zumindest hätte man dann Vampir-Einheiten einbauen können. Aber es geht und wenn ihr es braucht, schafft er euch ein Meisterwerk der Musik, das von nun an in eine eurer Städte gehört oder - bei Bildern - betrachtet werden kann. An so was ist die ganze Welt interessiert und so beginnt diese Stadt, Tourismus-Punkte zu generieren. Diese Touristen wiederum holen sich bei euch Einflüsse und erzählen in der Heimat, wie toll es bei euch ist.

Das erzeugt mit der Zeit Unzufriedenheit - Guckt doch, wie toll es die Portugiesen haben! Das wollen wir auch! - und so wird dann, wenn es an die Weltkongresse im letzten Drittel der Weltgeschichte geht, eure Stimme zählen. Alles kommt zusammen. Militärische Macht nicht per se, sondern eher wie viele Städte ihr habt, welche schönen Dinge darin zu finden sind und wie ihr damit die Kultur der Welt beeinflusst, mit Tourismus und Handel als Mittler. Das ist alles gar nicht so weit von der Realität weg, selbst mit diesem Grad der Abstraktion. Habt ihr erst mal ein ausreichend großes Land zusammen und keine zu aggressiven Nachbarn, könnt ihr euer Militär schon fast einmotten, der Kultursieg ist viel befriedigender und es war in all den langen Runden, die ich spielte, genau das Ziel, das ich haben wollte. So funktioniert Herrschaft in der schönen neuen Welt eben.

Im mächtigen Weltkongress, der eingeläutet wird, sobald sich alle kennen, könnt ihr gewichtige Entscheidungen erzwingen.

Große Kunst ist nicht direkt den Ländern, in denen sie wirklich entstand zugeordnet, sondern scheint eher ausgelost zu werden.

Dafür dürft ihr aber die Stadtstaaten nicht mehr ignorieren. Waren sie bisher eher die netten Nachbarn, die man ein wenig links liegen lassen konnte, wenn man sich nicht auf dem letzten Drittel der Schwierigkeitsabstufungen bewegte, haben sie nun ihre Rolle gefunden. Erst mal natürlich als Handelspartner, aber vor allem als echte Allianzen. Im mächtigen Weltkongress, der eingeläutet wird, sobald sich alle kennen, könnt ihr gewichtige Entscheidungen erzwingen, die für 20 bis 30 Runden halten. Ein so langes Embargo gegen den eigenen Lieblingsfeind kann ihn ganz schön schmerzen. Dafür müsst ihr erst mal den Vorsitz haben, dann werden die Verbündeten gezählt. Euch loyale Stadtstaaten sind automatisch auf eurer Seite und oft genug werden auch eure normalen Verbündeten mit euch stimmen, solange es nicht gegen ihr Überleben läuft. Letztlich sind es aber die Städte, mit denen ihr kalkulieren könnt und so beginnt schon früh ein Wettrennen, wer wen mit seiner Religion, seinem Handel und seiner eigenen Loyalität überzeugen kann. Oder wer wem in den Arsch tritt und sich die Städte einfach holt. Geht natürlich auch.

Die KI, die Zurückhaltung lernte und deshalb wirklich gefährlich wurde

Die letzte große Änderung ist das ja eh schon kontinuierlich laufende Ausfeilen der KI und die neue Version passt perfekt zu den Möglichkeiten von Brave New World. Statt euch, der vielleicht militärisch jeder einzelnen potenziell gegnerischen Partei überlegen ist, direkt anzugreifen, werden sie hinter den Kulissen gegen euch arbeiten. Seid ihr rücksichtslos und aggressiv steht ihr schnell einer geeinten Front aus Embargos, abgeschnittenen Handelswegen und auch Armeen gegenüber. Diese werden sich dann wieder herzhaft untereinander befehden, aber erst, nachdem ihr keine Gefahr mehr seid. Aussetzer gab es nie. Sofern die andere Partei nicht sowieso schon praktisch ein Satellitenstaat von mir war, überwand man auch mal ideologische Grenzen und tat sich gegen den gemeinsamen Feind zusammen, sobald ich zu selbstbewusst auftrat. Gerade auf den höheren Schwierigkeitsgraden ist es ein diplomatischer Lauf auf rohen Eiern und das spannendste Civilization, das ich in Jahren gespielt habe.

Gerade auf den höheren Schwierigkeitsgraden ist es ein diplomatischer Lauf auf rohen Eiern und das spannendste Civilization, das ich in Jahren gespielt habe.

Der Weltkongress ist mehr oder weniger demokratisch - je nachdem wie viele Verbündete ihr eingeschüchtert oder gekauft habt halt.

Als relative Niete entpuppen sich leider die Archäologen. Als Einheit funktionieren sie wie die Bautruppen, nur dass ihr sie halt manuell zu entsprechend markierten Orten schickt. Dort graben sie Spuren vergangener Kämpfe aus und errichten historische Stätten, die wiederum Tourismus und Kultur generieren. Es fühlt sich wie ein netter Zusatz zu den übergreifenden Mechaniken an, aber leider auch nicht mehr. Realismus statt Indiana Jones. Ebenso spielen sie die Szenarios des amerikanischen Bürgerkriegs und der Kolonisierung Afrikas eher ok als großartig. Die Stärke von Civilization ist für mich, dass es seine eigene Historie auf einem großen Level schreibt. Die Szenarios wurden absolut ausbalanciert und kompetent entworfen, aber dieses Mal sprang der Funke einfach nicht über. Da das vielen sicher anders gehen wird, will ich gar nicht groß drüber herziehen und freue mich trotz allem, dass sie dabei sind. Nicht, dass es zu wenig Umfang gäbe, schließlich sind noch mal eine Reihe neuer Wunder und Zivilisationen dabei.

In dem Zusammenhang muss jedoch erwähnt werden, dass Brave New World nicht komplett Gods & Kings ersetzt. Alle dort exklusiven Wunder und Völker fehlen, solange ihr nicht beide Add-Ons installiert habt. Das ist jetzt nicht schlimm, es gibt auch so mehr als genug Abwechslung und für euch zum Spielen.

Gefechte gibt es allem Tourismus zum Trotz natürlich auch im Endspiel immer noch, hier mit der sehr effizienten XCOM-Truppe.

Das war noch nie ein Problem von Civilization und insoweit tut Brave New World genau das Richtige. Wie ein meisterhafter Chirurg setzt es an den exakt richtigen Punkten an und verändert subtil die Mechaniken, um die maximale Wirkung zu erzeugen. Mehr als je zuvor in Civ V wollt ihr den Frieden bewahren, während ihr der Welt zeigt, dass euer Weg der Bessere ist. Bewahrt die Nerven, schafft Einzigartiges und der Rest der Menschheit wird dem Vorbild der eigenen Zivilisation folgen wollen, ohne, dass ihr nur einen Schuss abgeben musstet. Es waren einige der bewegendsten und befriedigendsten Runden Civilization, die ich je spielte. Civilization V: Brave New World perfektioniert das bisher eben nicht ganz ausgefeilte Endspiel der fünften Runde.

Sicher, es wird Wege geben, auch das auszuhebeln, und Lücken in diesen Mechaniken zu finden, aber sonderlich groß dürften diese nicht sein. Falls ihr euch fragt, ob 30 Euro für ein an der Oberfläche eher minimalinvasives Add-On nicht ein wenig viel sind: Ihr spielt das länger als praktisch jedes andere Spiel. Meine erste Runde allein dauerte acht Stunden. Auf einer mittleren Karte, zweites Tempo. So lange habe ich für Bioshock Infinite gebraucht. Ich sage nicht, dass das eine besser war als das andere. Aber Civ und Brave New World habe ich sofort neu gestartet. Weil Brave New World so gut ist, dass es mich schon wieder an etwas fesselt, das ich schon abgehakt geglaubt hatte. Nicht schlecht für ein Add-On würde ich sagen.

9 / 10

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