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Outlast - Test

Triple-A-Horror von einem zehnköpfigen Team - geht das überhaupt?

Zehn Leute - mehr gehören nicht zu Red Barrels, dem Quebecer Entwickler von Outlast. Gar nicht so wenig für einen Indie-Entwickler, aber verschwindend gering, gemessen an der zur Schau gestellten Reife des Spiels - und nicht zuletzt im Vergleich zu den Teams und Budgets, die andere Publisher sonst so häufig auf vergleichbare Spiele werfen. Erinnert sich noch jemand an die angeblich 600 Entwickler von Resident Evil 6? Und wie groß ist noch mal Visceral Games (zuletzt 'Dead Space 3')? Wo Horrorspiele anderer Teams an ihren Triple-A-Allüren scheitern, produziert Red Barrels als Mini-Team einen kompromisslosen Schocker, der beinahe spielend höchsten Ansprüchen gerecht wird.

Wer jetzt hergeht und ansetzt, 'ja, aber ..." einzuwenden, "... die Herren haben halt nicht die gleichen Ambitionen", der darf einen kurzen Blick auf Outlast werfen und den Kopf dann wieder ins Jahr 2007 zurückstecken. Das hier ist einer der optisch schönsten - soweit man das von einem schmierig versnufften Horror-Sch(l)ocker sagen kann - Titel des Jahres. Zu keiner Sekunde merkt man, dass sich hier nur zwei Handvoll Ex-Ubisoft'ler und -Eidos'ler zu einer Spiele schaffenden Clique zusammengetan haben. Technisch ist das Survival-Horrorspiel nicht weniger wertig als die meisten Vollpreistitel und in Sachen Immersion marschieren die Franko-Kanadier sogar stramm vorneweg. Outlast macht klar: Das Genre ist keine bedrohte Art. Rettung ist längst da!

Hell is empty, and all the devils are here

Für Miles Upshur, den Journalisten, in dessen Haut ihr die finstren Machenschaften eines Pharma-Unternehmens in einer psychiatrischen Anstalt aufdecken wollt, ist Rettung unterdessen allerdings nicht nur fern, sondern auch höchst unwahrscheinlich. Es war definitiv ein Fehler, sich über ein wackeliges Baugerüst Zugang zu dem geschlossenen Gebäude zu verschaffen. Jetzt kommt er nicht mehr raus, die Irren haben längst das Sagen (und allerlei scharfkantiges chirurgisches Werkzeug) und lediglich einige Computermonitore und ein paar altersschwache Lampen halten die nächtlichen Schatten mit wenig Erfolg auf Distanz. Wie ein giftiger, undurchdringlicher Ölteppich sickert die Dunkelheit in jede Ritze.

Technisch ist das Spiel über jeden Zweifel erhaben.

Auf den ersten Blick wird klar, dass Red Barrels erkannt hat, dass für die Immersion, das Eintauchen ins Spiel, nicht nur die Inszenierung, sondern vor allem auch das Gefühl, "dort" zu sein wichtig ist. In diesem Fall erreichen sie das durch ein exzellentes Körpergefühl. Was man hier durch die Gänge bugsiert, ist keine schwerelose Kamera. Stattdessen steuert ihr einen voll ausmodellierten Avatar aus der Ego-Sicht, könnt also an euch herunterschauen, um Arme, Beine und Hände zu sehen. Das steigert das Mittendrin-Gefühl ungemein. Zumal man auch ständig die Greifer des glücklosen Schnüfflers im Bild hat, sobald man sich der Ecke eines Ganges oder dem Rahmen einer Tür nähert, um sich lehnend einen vorsichtigen Blick auf das zu verschaffen, was dahinter liegt.

Letzteres ist zweifellos die Frucht der früheren Arbeit einiger Red-Barrels-Mitglieder, haben doch der Senior Technical Artist und Senior Artist zuvor bei Eidos Montreal an Thief 4 gearbeitet. Dessen langfingriger Protagonist Garrett geht ähnlich häufig auf Tuchfühlung mit seiner Umgebung. Ein weiterer grenzgenialer Schachzug ist es, beim Rennen einen Blick über die Schulter nach hinten werfen zu können, wenn man mal wieder die Beine in die Hand nehmen muss. Riskiert ihr, an einem Hindernis hängen zu bleiben, oder rennt ihr einfach, was das Zeug hält - vielleicht zu weit - und verliert euren Häscher aus den Augen? Es fühlt sich gut an und stellt euch genau vor die Dilemmata, die einem in dieser Sorte Spiel das Leben schwer machen sollten.

Nichts gegen den Holzhammer, wenn man weiß, wie man ihn schwingt

Bevor an dieser Stelle ein Missverständnis entsteht: Outlast ist nicht subtil. Will es auch gar nicht sein. Das mehr oder weniger altbekannte Szenario gibt das - "leider" möchte man fast sagen - auch gar nicht her. Überall Blutlachen, verstümmelte Leichen und so viele herumliegende Körperteile, dass man denkt, man sei in Dr. Frankensteins Ersatzteillager gestolpert, nachdem sein Monster in die Serienproduktion ging. Es ist weniger psychologischer und fingerfertig dosierter Horror - Amnesia - als ein grotesker Schocker. Eher Saw X durch die Blair-Witch-Linse, als Frictionals Exorzist nach einem Lovecraft-Marathon.

"Die Präsentation nähert die detailreich ausgestattete und stimmungsvoll beleuchtete Umgebung regelmäßig dem extrem erfolgreichen Found-Footage-Kino an."

Gerade die Kameraeffekte überzeugen.

Passend dazu auch die Präsentation, die die detailreich ausgestattete und stimmungsvoll beleuchtete Umgebung regelmäßig dem Found-Footage-Kino annähert. Durch einen kleinen Camcorder fängt Upshur die Ereignisse ein. Anders als in vielen Filmen - von Cloverfield bis REC - hat er allerdings einen guten Grund, selbst in höchster Lebensgefahr die Linse zwischen sich und die Gefahr zu halten: Der Restlichtverstärker des Gerätes ist auch seine einzige Waffe gegen das, was sich in der alles durchdringenden Dunkelheit verstecken mag und das so regelmäßig auch tut.

Das ist buchstäblich gemeint, denn eine andere Option als sich umzugucken und bei Gefahr zu verstecken hat Upshur nicht. Der Moment, in dem ihr durch die Linse der gründlich verzerrten Nachtsicht merkt, dass ihr nicht allein seid und ein messerschwingender Wahnsinniger mit leuchtenden Augen seine nicht mehr vorhandene Nase in jedes Zimmer auf diesem Gang steckt, ist immer wieder ungemein alarmierend. Viel davon liegt in der gelungenen künstlerischen Umsetzung des Restlichtversärkers. Zoom, Artefakte, Körnigkeit, Verschwommenheit, all das kennt Miles' Arbeitswerkzeug - man hat tatsächlich das Gefühl, durch eine derart ausgestattete Kamera zu blicken. Von allen Spielen mit Nachtsicht ist das hier die wohl überzeugendste.

Mit den Beinen in der Hand ist schlecht Rennen.

Das liegt sicher auch daran, dass das Spiel in 1080p und 60 Bildern pro Sekunde (i5 3570k, Geforce 570, 8Gb RAM) ohne vor die Nase gehaltenes Aufnahmegerät unglaublich scharf und sauber aussieht und dann in genau dem erwarteten Maße schlechter wird, wenn man die Kamera hochnimmt und schließlich die Nachtsicht hinzuschaltet. Neben dem Verstecken und Weglaufen ist ein weiteres zentrales Spielelement folglich auch das Suchen und Finden von Batterien, denn der Camcorder-Hersteller hatte wohl den gleichen Akku-Lieferanten wie Nintendo für die erste Generation des 3DS. Bei zugeschaltetem Lichtverstärker tickt die Batterieanzeige erbarmungslos nach unten. Wenn man dann auf der Flucht vor einem der patrouillierenden Mondsüchtigen noch im vollen Lauf AA-Zellen nachschieben muss und für einen kurzen Augenblick nichts sieht, ein elektrisierendes Gefühl.

"Auf netto sechs bis acht Stunden entspinnt sich so ein Versteckspiel, das nicht unbedingt erschlagend viele Spielarten kennt. Aber das muss es auch nicht."

Ja, über diesen Sims sollt ihr rüber.

Auf netto sechs bis acht Stunden entspinnt sich so ein Versteckspiel, das nicht unbedingt erschlagend viele Spielarten kennt. Aber das muss es auch nicht. Bedrohliche Ruhephasen wechseln sich mit nicht unbedingt cleveren, aber effektiven Schockmomenten und anschließenden Fluchten ab, in denen Miles' Puls und panischer Atem durchaus ansteckende Wirkung zeigen. Wenn splitterfasernackte Zwillings-Schlitzer das Bett umrunden, unter dem ihr gerade liegt, und nach dem Zufallsprinzip hinter diverse Verstecke blicken, schlägt einem das Herz bis zum Hals. Und wenn man nur wenige Meter vor einem tollwütigen Nilpferd von einem Mann her rennt und sich nach einem beherzten Sprung in den rettenden Lüftungsschacht hochzieht, dann fährt einem in den Millisekunden, bevor man ganz drinnen ist, ein ganz gemeines Kribbeln ins Gesäß.

Zugegeben, nicht alles ist den Red Barrels in ihrem ersten Spiel so gut gelungen, wie das allgemeine Gefühl, alle paar Meter zum Döschen mit dem Valium greifen zu wollen. Die grundlegende Stealth-Mechanik wird oft ein wenig durch unklare Regeln für die Entdeckung, sehr kurzsichtige oder schwerhörige Gegner und häufig recht starre Patrouillenwege sabotiert. Einige Schleich-Szenarien wirken ein wenig wie recycelt und wie so oft hat man mit jedem Mal, dass man eine Sequenz vergeigt und getötet wird, ein bisschen weniger Angst vor den Konsequenzen seines Scheiterns. Die sind dank der fairen Checkpunkte nichtig und die Bildschirmtode nicht annähernd so schlimm anzuschauen wie zum Beispiel ausgerechnet im neuen Tomb Raider. Und dann ist da noch das Skript, das an den falschen Stellen zu konkret und gleichzeitig vage bleibt, zusammen mit dem an Sicherheit grenzenden Gefühl, dass die Texte und Dialoge nicht von nativ englischsprachigen Leuten geschrieben wurden.

Glaubt mir, wenn ihr diesen Typen trefft, seid ihr schon ein bisschen abgestumpft.

Aber letzten Endes ist das alles bedeutungslos, denn trotzdem bleibt Outlast zu jeder Zeit bedrohlich und zugleich einnehmend genug, dass man einfach bis zum bitteren Ende durchhalten will. Der Name ist gewissermaßen Programm und für eine solche Konsequenz im ersten Spiel seit Studiogründung muss man Red Barrels einfach in sein persönliches Buch der coolen Leute aufnehmen. Ich bin gespannt, was das Team zukünftig zu leisten in der Lage ist, etwa wenn es sich eines Szenarios annimmt, das einem den Horror mit etwas mehr Eleganz in die Glieder fahren lässt.

Im Hier und Jetzt belasse ich es aber bei meinen durchaus glühenden Komplimenten für Outlasts vielleicht nicht unbedingt besondere, aber doch extrem effektive Marke Grusel und nehme es gerne als das, was es ist: Eine uneingeschränkt empfehlenswerte, bitterböse Geisterbahn, die fast hämisch mit dem Finger auf die Großen des Business zeigt: "Schaut her, wenn ihr euch traut, auch wenn euch schwerlich gefallen wird, was ihr seht!"

8 / 10

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In diesem artikel

Outlast

PS4, Xbox One, PC, Nintendo Switch

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Über den Autor
Alexander Bohn-Elias Avatar

Alexander Bohn-Elias

Stellv. Chefredakteur

Alex schreibt seit über 20 Jahren über Spiele und war von Beginn an bei Eurogamer.de dabei. Er mag Highsmith-Romane, seinen Amiga 1200 und Tier-Dokus ohne Vögel.

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